
Weltreise mit Kindern Shoppen, schlemmen, schlummern
"Los", sage ich zu meinem Mann, "gib es zu."
"Mmh", knurrt er.
Ich werte das als ein Zugeständnis. Es geht um Singapur.
Lange vor dieser Reise saßen wir zusammen auf dem Sofa und blätterten durch den Atlas auf der Suche nach einem geeigneten Zwischenstopp in Asien.
Es gibt viele tolle Länder in Asien, einige davon haben wir auch schon bereist. Nur: In vielen dieser Länder gibt es Malaria. Und das sehr effektive Mückenschutzmittel, das wir benutzt haben, als wir vor zwei Jahren nach Thailand gereist sind, ist leider nicht für Babys geeignet.
Also haben wir verhandelt. Tokio - zu teuer. Bangkok - kennen wir schon. Peking - zu kalt um diese Jahreszeit. Delhi - zu anstrengend für die Kinder.
"Singapur", sagte ich. "Da soll es einen tollen Zoo geben und viele Einkaufszentren."
"Neee", meinte der Mann. "Auf keinen Fall."
Ein Bekannter hatte ihm erzählt, dass er einmal mit seiner Frau in Singapur war - und gefühlte 24 Stunden am Tag mit ihr einkaufen gehen musste.
Immer wenn ich während dieser Reise wagte, auch nur aus dem Augenwinkel einen kurzen Blick auf ein Schaufenster zu werfen, wurde gejammert, mit dem Fuß aufgestampft, an meiner Jacke gezogen. Und ich rede jetzt nicht vom Kind.
Mein Mann hasst Shoppingtage. Er langweilt sich, er findet es anstrengend, ja, er bekommt sogar Phantomschmerzen. Stundenlang kann er im Wald spazieren gehen, aber sobald wir mehr als ein Geschäft betreten, bekommt er Knieschmerzen. Sagt er.
Wow statt Shopping
Nun also doch Singapur. Eine Woche, um die lange Reise von Australien zurück nach Europa in zwei Nachtflüge zu teilen.
"Wir gehen auch nicht in Shoppingmalls", verspreche ich meinem Mann. "Die haben lange auf. Ich kann abends alleine gehen, wenn die Kinder schlafen."
Stattdessen schauen wir uns Singapur von oben an. Marina Bay Sands heißt das bekannteste Hotel der Stadt. Binnen einer halben Minute saust der Aufzug 55 Stockwerke hoch.
"Wow", sagt mein Mann, als sich die Aufzugstür öffnet.
"Wow", sagt das Kind.
Das Baby zeigt sich unbeeindruckt.
Vor uns: ein 150 Meter langer Pool, 200 Meter hoch über der Erde. Dahinter: Aussicht.
Das Kind bewundert das Schwimmbecken.
Das Baby flirtet mit einer Kellnerin.
Mein Mann und ich betrachten die Hochhäuser des Finanzdistrikts, das blumenförmige ArtScience Museum und das Wahrzeichen Singapurs, den Merlion, eine Skulptur, die halb Löwe, halb Meerjungfrau ist.
Bäume aus Stahl
Gleich hinter dem Hotel liegen die sogenannten Super Trees, Stahlgerüste in Baumform, die im Park "Gardens by the Bay" 25 bis 50 Meter hoch in den Himmel ragen. Errichtet auf künstlich aufgeschüttetem Land, das Singapur dem Meer abtrotzt.
"Gib es zu", sage ich zu meinem Mann. "Singapur ist schon ganz cool, oder?"
Er reagiert nicht. Stattdessen verrät uns eine Hotelangestellte, dass ein Wochenende in der 629 Quadratmeter großen Top-Suite des Hotels mehr kostet, als wir für die ganze fünfmonatige Weltreise bezahlt haben.
Deshalb schlafen wir auch nicht im Marina Bay Sands, sondern in einem kleinen Hostel in Little India. Einen Pool gibt es nicht und auch keine spektakuläre Aussicht. Dafür trägt die Besitzerin einen Sari und klimpernde Armreifen an beiden Händen.
"Auf unserer nächsten Weltreise", sagt meine Tochter, "möchte ich auch nach Indien fahren und Klimperarmreifen kaufen." Weltreisen scheinen für sie das Normalste der Welt zu sein.
Vielleicht, weil Singapur so etwas ist wie eine kleine Weltreise in der Weltreise. Es gibt Little India, die Arabische Straße, Chinatown. Wir zeigen dem Kind eine Moschee mit grün schimmernden Kacheln, hinduistische Tempel, in denen es nach Blüten und Räucherstäbchen riecht, einen buddhistischen Tempel mit kahlköpfigen Mönchen. An den Essensständen entdecken wir Froschbrei, Schweineschwanzeintopf, Krokodilsuppe.
Am vorletzten Tag unserer Reise wählen wir Orang-Utans zum Frühstück. Nicht auf dem Teller, sondern zur Gesellschaft.
"Im Zoo von Singapur", hatte ich meiner Familie schon vor der Reise aus dem Reiseführer vorgelesen, "kann man mit Orang-Utans frühstücken." Fünf Monate lang fragte mich das Kind, wann wir denn endlich nach Singapur kämen.
Außer dem Frühstück bietet der Zoo die Crème de la Crème der asiatischen Tierwelt: Elefanten, auf denen Kinder reiten können, neun Meter lange Krokodile, kugelrunde Pandas, drachenähnliche Komodowarane, weiße Tiger.
Mehr Tiere!
Im Zoo-Souvenirgeschäft - mein Mann wartet vor der Tür - verfällt das Kind dem Kaufrausch. Es fordert Pandaschirme, Pandahandtücher, Pandaportemonnaies für sich und das Baby. Shoppinggelüste fallen bei mir immer auf sehr fruchtbaren Boden. Wie gut, denke ich, dass ich zwei Töchter habe.
Als wir abends den Zoo verlassen, schreit das Kind: "Mehr Tiere!"
Also geht es weiter - in den Nachtzoo. Der liegt zum Glück gleich nebenan.
Mit einer Bimmelbahn fahren wir durch das dunkle Gelände. Schauen Giraffen zu, die uns ihre Köpfe entgegenstrecken, Hyänen, die durch die Dämmerung schleichen, Flughunden, die kopfüber von den Bäumen hängen.
Das Baby gibt als Erstes auf. Es nickt ein.
Weiter geht es zu Fuß. Wir laufen Dschungelpfade entlang, flanieren über Brücken, marschieren über Holzstege. Und entdecken in der Dunkelheit Schweine aus Borneo, kniehohe Bambi-Rehe und schlummernde Tapire mitten auf dem Weg. Unserer großen Tochter, die den Kinderwagen des Babys gekapert hat, fallen die Augen zu. Mein Mann und ich schauen uns an.
"Ah", sage ich, "ist es nicht herrlich, mal wieder etwas zu zweit zu unternehmen?"
Die Kinder schlafen tief und fest. Wir schlendern weiter. Die Nachtluft ist warm, hoch über uns funkeln die Sterne, in den Büschen zirpt es.
"Und?", frage ich meinen Mann erneut. "Singapur war doch eine super Idee."
Keine Reaktion.
"Los", hake ich nach, "gib es zu."
"Mmh", brummt er und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Es sind immer noch mehr als 30 Grad, die Luftfeuchtigkeit ist hoch.
"Wollen wir morgen vielleicht doch in ein Einkaufszentrum?", fragt er mich. "Dort ist es bestimmt schön kühl."
Bis März 2013 ist Alexandra Frank mit ihrer Familie auf Weltreise. Von ihren Erlebnissen berichtet sie bei SPIEGEL ONLINE.