

42 Tage auf See Wie vier Hamburgerinnen es schafften, über den Atlantik zu rudern
Es hat gleich zwei gute Seiten, wenn man in einem Kunststoffboot auf dem Atlantik schwimmt und von einer zwölf Meter hohen Welle emporgehoben wird. Erstens: Man kommt voran - auch ohne große Kraftanstrengung. Und zweitens: Man sieht sie endlich besser, diese krasse Landschaft, die das Meer sein kann. "Wie Berg und Tal, wie die Alpen in Blau." So beschreibt Meike Ramuschkat den Atlantischen Ozean, der sich in den vergangenen Wochen vor ihr ausbreitete. In all seiner Schönheit, in all seiner Bedrohlichkeit.
Zusammen mit ihrer besten Freundin Catharina Streit und zwei weiteren Frauen aus ihrer Heimatstadt hat die 33-jährige Hamburgerin den zweitgrößten Ozean der Erde überquert – bei einem der härtesten Ruderrennen der Welt, der Talisker Whisky Atlantic Challenge . Von der Kanareninsel La Gomera aus ging es los für das Team "RowHHome" , mehr als 5000 Kilometer westwärts, bis zur Karibikinsel Antigua.

Abenteuer Atlantik - Die Welle ist das Ziel
Ohne Begleitboot, ausgerüstet mit Funkgerät, einer Meerwasserentsalzungsanlage und vielen Tüten gefriergetrockneter Bolognese stürzten sich die vier Frauen kurz vor Weihnachten ins Abenteuer. 35 Boote gingen an den Start, als Erstes von fünf Frauenteams erreichten sie das Ziel.
"Es kam uns nicht vor wie sechs Wochen auf See", sagt Ramuschkat. Wie lange sie bereits unterwegs waren, als endlich Land in Sicht war, wussten die Frauen dennoch genau. "Wir haben Strichliste geführt" - auf einem Streifen Tape an der Kabinenwand. Ein Strich für jeden Tag im Boot. Am Ende waren es 42. "Wir sind stolz auf unser Ergebnis und hoffen, andere zu inspirieren", sagt Ramuschkat. "Jeder ist in der Lage, seinen Traum zu verwirklichen!"
Ein Traum? Nun ja. Wer der blonden, zierlichen Frau zuhört, wenn sie über die Regatta spricht, ist schnell eher im Albtraum-Modus. Riskant war das Unterfangen, unberechenbar – und von einem hohen Experimentierfaktor geprägt. Zwar waren mit Stefanie Kluge, 51, und ihrer Tochter Timna, 26, zwei erfahrene Ruderinnen an Bord. Doch Ramuschkat und Streit hatten mit dem Wassersport zuvor nichts am Hut. Dennoch waren es die beiden Freundinnen, die sich die Atlantikregatta vor zwei Jahren als Ziel steckten. Das Mutter-Tochter-Gespann lernten sie dann beim Rudertraining auf der Alster kennen.
An Essen war nicht immer zu denken
Damals war ihnen noch nicht klar, was für ein Luxus eine Packung Lakritz sein kann. Und welche Rolle bei so einem Abenteuer Feuchttücher für Babypopos spielen würden. "Salz und Schweiß sind eine aggressive Mischung", sagt Ramuschkat. "Wenn du jeden Tag stundenlang ruderst, wird der Hintern zur Problemzone." Da helfe nur: regelmäßiges Salzabwischen, wunde Stellen desinfizieren – und in den Pausen auf dem Bauch liegen.
Der Alltag gliederte sich für jede der Frauen in drei Tag- und drei Nachtschichten. Jede Schicht dauerte zwei Stunden, die die Teammitglieder abwechselnd mit Rudern verbrachten - oder mit lebenswichtigen Jobs. Bei höchstem Sonnenstand brachten sie den sogenannten Watermaker auf Touren, eine Maschine, die mit Sonnenenergie Meerwasser in Trinkwasser umwandelt. Sie notierten Koordinaten und putzten die Solarpaneele, um genügend Energie fürs Wasserkochen zu generieren. "So konnten wir uns aus Trockennahrung Mahlzeiten zubereiten."
Doch an Essen war nicht immer zu denken. Seekrankheit machte den Frauen schwer zu schaffen – und das bereits ab der ersten Nacht, bei 30 Knoten Windgeschwindigkeit. "Wir hatten damit gut die Hälfte des Rennens zu tun", sagt Ramuschkat. Eine Teamkollegin sogar fast die ganze Zeit. "Wenn einem permanent übel ist, man sich mehrfach am Tag übergeben muss, dann ist das zermürbend." Die erschwerte Nahrungsaufnahme kann auf Dauer bedrohlich sein.
"Ans Aufgeben haben wir nicht gedacht"
Als sich der Zustand einer der Frauen nicht besserte, sie "nach mehreren Tagen Kotzen wirklich am Ende war", entschied Ramuschkat, ihr eine Infusion zu legen. Sie ist Kardiologin - und übernahm für die Regatta die Rolle der Bordärztin. Die Wellen schlugen gegen das heftig schaukelnde Boot, als Ramuschkat ihrer Kollegin die Nadel in die Vene stach. Man könne das Rennen zwar in medizinischen Notfällen auch abbrechen, sagt sie - aber das sei selbst für die Seekranke keine Option gewesen. "Ans Aufgeben haben wir nicht gedacht."
Wie geht das? Wie hält man den Glauben aufrecht, die physische Belastung aushalten zu können, wenn der Körper nicht mitmachen will? "Tatsächlich ist so ein Rennen vor allem eine mentale Herausforderung", sagt Ramuschkat.
Darum hatte sich das Team vorab eine Beraterin an die Seite genommen, die einen Crashkurs in Sachen Selbstbeobachtung gab. Wie entwickeln sich meine Gefühle? Welches Problem habe ich gerade - und wie komme ich da heraus? Regel Nummer eins an Bord - so lernten sie von Sportpsychologin Anett Szigeti - sei, nicht andere für Probleme zu belangen, sondern erst mal bei sich selbst zu schauen, wenn die Stimmung kippt. Szigeti hat auch die Beachvolleyballerinnen Kira Walkenhorst und Laura Ludwig auf ihrem Weg zum Olympiasieg begleitet.
"Es geht natürlich nicht um die Einzelne bei so einem Unterfangen, sondern um das Team, das in Antigua ankommen will", sagt Ramuschkat. Aber eine einzelne Person könne mit destruktiver Laune oder wachsenden Ängsten den Zusammenhalt der ganzen Mannschaft in Gefahr bringen.
Schimpansen an Bord
So weit kam es auf der "Doris" – so heißt das Boot des Viererteams – nicht. Auch weil sich die Frauen eines simplen Tricks bedienten. "Wenn immer eine von uns launisch, meckerig oder aggressiv wurde, fragte eine andere sie, was denn mit ihrem 'Chimp' los sei, mit ihrem inneren Schimpansen." Ob es die Angst war, nicht anzukommen, der Schmerz in den Händen, Übelkeit oder einfach der Wunsch nach mehr Wellen – manchmal fiel es den Frauen leichter, die Sorgen dem fiktiven Tier im Kopf anzulasten und mit Humor darüber zu sprechen. "Wir haben uns dann oft einen Spaß draus gemacht."
Das Bild vom 'Chimp', der nur darauf achtet, dass sein Leben nicht bedroht ist, und der schier ausrastet, wenn etwas nicht stimmt, das hatte den Frauen eine Solo-Ruderin mitgegeben, die im vergangenen Jahr am Atlantik-Rennen teilnahm. Sie hatte viele Probleme auf dem Meer und kam nach 89 Tagen als Letzte an. Die Hamburgerinnen trafen die Frau kurz vor dem Start zu einem Workshop auf La Gomera.
Eine Hilfe waren auch die Motivationssprüche von anderen Ruderern, die per Videobotschaft kamen. Ramuschkats Lieblingsdevise ging so: "Egal, was gerade nicht perfekt läuft: Just fuckin' row!" Es war das Mantra dieser Reise, vor allem in den schwierigen Stunden, wenn der Ozean flach war und Antigua weit. Wenn die Wellen auf sich warten ließen. Und nachts.
Die Stunden ohne Tageslicht seien schwer auszuhalten gewesen, sagt Ramuschkat. "Das Dunkle dauert so lang. Und wenn der Mond hinter Wolken steht, kommt es einem noch länger vor." Dann kommt die Müdigkeit. Und manchmal auch der Zweifel. Die Frauen haben es in solchen Momenten mit Hörbüchern versucht (alle "Drei Fragezeichen"-Folgen) und mit Small Talk ("Was war dein schönster Urlaub?", "Was ist für dich ein perfekter Tag?"). Sekundenschlaf gab es trotzdem. Und stets auch eine Lösung: "Just fuckin' row!"
Wie tief ist mein Vertrauen? Wie stark sind die Nerven?
Für alle vier war die Atlantic Challenge eine Grenzerfahrung. Kann ich so ein extremes Ziel schaffen? Wie tief ist mein Vertrauen ins Gelingen? Wie stark sind meine Nerven?
An ihren körperlichen Möglichkeiten hat keine gezweifelt. Die Frauen hatten zwei Jahre Zeit, um sich fit zu machen: Muskelaufbau im Rücken und in den Beinen, die beim Rudern noch mehr zu tun haben als die Arme. Doch ihr Trainer Christian Dahlke, ehemaliger Ruderweltmeister im Leichtgewichtsachter, sagte auch: Die Belastung, die die Frauen erwarten würde, sei im Vorhinein kein bisschen absehbar. Er wusste trotzdem einen Rat: "Werdet Teil vom Meer."
Das wurden die vier Hamburgerinnen. Sie tranken es. Sie übergaben sich ins Meer. Sie nutzten es als Straße. Sie starrten es an, Sekunde für Sekunde, Stunde für Stunde. Sie teilten es mit Delfinen, Walen und Blauen Marlinen. Und mit ihren Schimpansen. Die am Ende nicht viel zu melden hatten.