
Mapcrunch.com: Per Zufallsgenerator um die Welt
Zufallsreise mit Street View Die Welt ist eine Straße
Nach meinem Kurzbesuch in der Einöde des australischen Outbacks und einem Zwischenstopp in Amajuba in Südafrikas KwaZulu-Natal-Provinz, wo mich ein Mann am Straßenrand mit einem Stock bedroht, beschließe ich, dass ich nach so viel wilder Natur gern mal wieder eine Stadt sehen würde und begebe mich nach Singapur.
Dort bietet ein wunderbarer chinesischer Torbogen mit roten Lampions an der Ang Mo Kio Street richtig was fürs Auge, nur die sauberen rosafarbenen Hochhauswände dahinter und ein großes Baugerüst stören. Was zu essen wäre jetzt schön, ein paar unattraktive Straßen weiter gelange ich zum Shanghai Kitchen in der Bukit Timah Road. Wenn ich könnte, würde ich sofort ein Portion Chili Crabs bestellen. Aber das geht natürlich nicht, denn ich sitze in einem Büro in Hamburg am Computer.
Noch vor wenigen Monaten wäre diese Sightseeing-Tour undenkbar gewesen, doch jetzt ermöglicht die Webseite mapcrunch.com in Zusammenarbeit mit Google digitale Zufallstrips durch 26 Länder. Die Bedienung ist ganz einfach: Per Mausklick wählt man aus, ob das Ziel Kanada, Macao oder die Antarktis sein soll, dann drückt man auf den grünen "Go!"-Knopf - und schon erscheint auf dem Bildschirm ein willkürlich ausgewählter Ausschnitt aus dem Universum von Google Street View. Früher tippten Zufallsreisende blind auf eine Landkarte, heute geht man zu Mapcrunch.
Asphalt und Stromleitungen
Und vielleicht gibt ein Zufallstrip mit Google Street View präziser wieder, wie es in einem Land wirklich aussieht, als eine Rundtour zu den Top-Attraktionen. Denn der Eiffelturm ist nicht Frankreich, die Chinesische Mauer ist nicht China, der Alltag der Einheimischen spielt sich an ganz anderen Orten ab. Vielleicht bringt Street View aber auch nur eine andere Art der Selektion, einen anders eingeschränkten Blickwinkel. Denn wie der Name des Google-Dienstes verrät, klickt und zoomt man sich fast nur durch Straßen.
Grauer Teer in Japan, Neuseeland und Leipzig-Paunsdorf, scheinbar obligatorisch auch die Elektrizitätsleitung daneben - die Welt ist ein gigantisches Netz aus Asphalt und Strom mit wechselnden Verzierungen drumherum, das ist die zentrale Erkenntnis des virtuellen Roadtrips. Die Weiten der Meere oder die Panoramen abgelegener Gebirge hat bislang keine Street-View-Kamera eingefangen.
Aber schauen wir doch mal, was bei Street View so an Drumherum-Verzierungen die Straßen säumt, schließlich war ein digitales Archiv von 360-Grad-Bildern in dieser Qualität noch vor wenigen Jahren technisch undenkbar. Ich wünsche mich bei dem derzeitigen Kälteeinbruch ganz weit weg, also ab nach Brasilien, da sollte es jetzt schön sonnig sein.
Begegnung mit einer Frau ohne Kopf
Doch der Besuch beginnt wenig vielversprechend: Links von der Rua Paolo Leitau in Rios Stadtteil Magé steht ein brackiger Fluss, rechts überfüllte Mülleimer und verfallende Bretterbuden. Ein einzelner Hocker mit Tisch aus fleckigem Stein und Blick auf die braune Brühe lässt ebenfalls wenig Gemütlichkeit aufkommen. "Go!", schnell weg hier.
Na also: Sonnenschein, gepflegte Einfamilienhäuser, Kopfsteinpflaster. Die Rua Maria Julieta D de Andrade in Rio hat einen viel zu langen Namen, wirkt aber schon einladender. Go! Bleiche Hochhäuser, Kleinwagen dicht an dicht, rote Balkons in Belo Horizonte. Das liegt auch nicht weit weg von Rio, wie eine kleine Karte im unteren Bildrand anzeigt. Doch allmählich fehlt die Abwechslung, schnell raus aus diesem Land und auf nach Hongkong.
Go! In der Pak Wo Road hängen jede Menge bunte Laken zum Trocknen über einem Geländer am Straßenrand. Go! Eine Frau ohne Kopf spaziert über die Sui Wan Road an einem grünen Altkleider-Container vorbei. Solche Grafikfehler stören immer mal wieder den Bilderreigen, häufig ist auch der Schatten der Kamera irgendwo im Bild zu erkennen.
Go! Hokuspokus, ich bin in der Magic Road in Disneyland, Hongkong! Endlich mal eine "richtige" Touristen-Attraktion. Aber die Enttäuschung ist riesig - kein Märchenschloss, keine Achterbahn ist weit und breit zu sehen, nur ein paar Bäume, ein Parkverbotsschild, knallgrüne Laternen. In der Street-View-Welt ist selbst Disneyland eine Straße.
Pinguin-Watching in der Antarktis
Ich fühle mich wie ein Zocker am Spielautomaten, der immer neue Münzen einwirft - nicht, weil das aktuelle Spiel so vergnüglich war, sondern weil er hofft, das nächste wird besser. Vielleicht passiert es schon beim nächsten Klick, dass ich ein Känguru auf der Straße entdecke oder einen Nackten auf dem Balkon oder einen unentdeckten Prachttempel.
Go! In Trois-Rivières im kanadischen Bundesstaat Quebec steht ein Güterzug-Waggon mit nettem Graffito-Gesicht und "Daddy cool"-Aufschrift.
Go! Im finnischen Pertunmaa könnte mal jemand die ganzen Äste am Wegesrand wegräumen.
Go! Niedliche Pinguine im Geröllfeld in der Antarktis. Warum bloß haben sämtliche Touristen mit ihren Kameras rote Jacken an?
Go! Go! Go! Belanglose Landstraßen in Taiwan, Portugal und Stuttgart. Büsche, Felder, ein paar Bäume.
In Deutschland fällt direkt auf, wie viele Gebäude gepixelt sind. Scheinen einiges zu verbergen zu haben, die Deutschen, denkt sich der Mapcrunch-Tourist. Dafür entdecke ich in München nach gefühlten 300 Klicks die erste erkennbare Sehenswürdigkeit meiner Weltreise: die hübsche Ludwigskirche mit Säulengang und beigefarbenen Türmen.
Und dann gibt es doch noch einen dieser netten Zufälle, auf die der dauerklickende Mapcruncher so sehnsüchtig wartet: Im Bild erscheint der Steinweg in Wuppertal-Barmen, fünf Minuten entfernt habe ich früher gewohnt. Bei dem Billig-Chinesen "Golden Dragon" direkt neben der Bahn-Unterführung habe ich mal Hühnchen mit Reis gegessen.
Ein toller Schlusspunkt für die virtuelle Weltreise, wenn man quasi zu Hause angekommen ist. Obwohl - vielleicht wartet ja an der nächsten Straße noch was Besseres?