Kreuzfahrtschiffe in Wartestellung vor Manila, Philippinen
Kreuzfahrtschiffe in Wartestellung vor Manila, Philippinen
Foto: PCG HANDOUT/EPA-EFE/Shutterstock

Gestrandete Kreuzfahrt-Crews Nichts wie runter vom Traumschiff

Die Urlauber haben von den Kreuzfahrtschiffen die Flucht ergriffen. Rund 100.000 Crewmitglieder dagegen müssen an Bord der Luxusliner noch immer ausharren.
Von Claus Hecking

Sie lagen vor Cuxhaven und hatten das Virus an Bord. Als sich Anfang Mai die Nachricht von den ersten Corona-Infektionen auf der "Mein Schiff 3" verbreitete, lagen die Nerven blank. "Genug ist genug!" und "Wir wollen nach Hause!", schrien Crewmitglieder von der Reling hinunter zu den Rettungskräften auf dem Kai des Hafens. Doch nach Hause durfte damals niemand von den fast 2900 Menschen an Bord. Das Kreuzfahrtschiff stand unter Corona-Quarantäne.

Fotostrecke

Vor Anker: Kreuzfahrtschiffe in Warteposition

Foto: Andre Lenthe Fotografie/ imago images

Gut zwei Wochen danach ankert die "Mein Schiff 3" (MS3) noch immer vor Cuxhaven. Aber der Kreuzer der deutschen TUI Cruises ist jetzt Corona-frei, mehr als 1300 Seeleute durften ihn mittlerweile verlassen. Und diejenigen, die weiter bleiben müssen, sind nicht mehr so angespannt. "Die Stimmung ist jetzt wieder etwas gelassener", sagt Diakon Martin Struwe, der Leiter der Cuxhavener Seemannsmission.  Er und fünf Mitarbeiter haben eine Woche lang Notfall-Seelsorge für die TUI-Cruises-Crewmitglieder geleistet. Und damit womöglich Schlimmeres verhindert.

Die Seeleute sind Gefangene dieser Pandemie. Ob in der Karibik, an der US-Küste oder vor der philippinischen Hauptstadt Manila: Überall liegen Traumschiffe vor Anker, voller Besatzungsmitglieder die nicht nach Hause dürfen. Diese Menschen, oft Philippiner, Indonesier oder Lateinamerikaner, sind die Überbleibsel des größten Desasters, das die milliardenschwere Branche je erlebt hat.

"Viele Crewmitglieder sind seit Monaten nicht mehr von Bord gekommen"

Markus Wichmann, Seemannsmission Hamburg

Kellnerinnen und Zimmerreiniger, Rezeptionisten und Maschinistinnen stecken fest in einem Ausnahmezustand, der nicht enden will. Im März, als sich das Coronavirus auf immer mehr Kreuzfahrtschiffen verbreitete, viele Passagiere erkrankten und manche starben, wurden die Touren abrupt gestoppt. Die meisten Gäste sind längst wieder daheim.

Rund 100.000 Crewmitglieder hingegen müssen zwei Monate danach noch immer ausharren an Bord der Luxusliner. Denn teils lassen die Länder, vor deren Häfen sie ankern, wegen des Seuchenschutzes gar niemanden herunter. Teils lassen Staaten ihre eigenen Bürger nicht mehr einreisen. Teils gibt es gar keine Flüge nach Hause.

Hungerstreik und Suizid auf Kreuzfahrtschiffen

"Viele Crewmitglieder sind seit Monaten nicht mehr von Bord gekommen, sie befinden sich in einer nicht endenden emotionalen Achterbahnfahrt", sagt Markus Wichmann von der Seemannsmission Hamburg. Die Angst vor Corona, der wochenlange Stillstand, die bisweilen klaustrophobische Enge an Bord und die scheinbare Ausweglosigkeit - all das lässt die Menschen verzweifeln.

Im Hafen von Rotterdam stürzte sich am vorvergangenen Wochenende eine Ukrainerin von Bord der "Regal Princess" und starb. Auf der "Carnival Breeze" wurde ein 29-jähriger Ungar in seiner Kabine tot aufgefunden. Medienberichten zufolge beging er Suizid. Der Kreuzfahrt-Weltmarktführer Carnival, zu dessen Imperium beide Schiffe gehören, äußerte sich "aus Respekt vor der Familie" nicht zur Todesursache.

Bereits Ende April war ein Crewmitglied der "Jewel of the Seas" des Betreibers Royal Caribbean vor Griechenland ins Meer gesprungen; bis heute wurde er nicht gefunden. Und auf dem Schwesterschiff "Navigator of the Seas" starteten 15 Rumänen einen Hungerstreik – mit Erfolg: Sie sollen laut Reederei am Donnerstag zurückgeflogen werden.

"Das Schiff war pickepackevoll, die Menschen hatten Angst"

Martin Struwe, Diakon und Leiter der Cuxhavener Seemannsmission 

Die Menschen auf der "Mein Schiff 3" haben einiges durchgemacht. Erst lag der Kreuzer bis Mitte April vor Teneriffa – auch, um Crews anderer Schiffe der TUI-Flotte einzusammeln. Zum Teil mussten die Beschäftigten Lohnkürzungen hinnehmen. Dann ging es nach Cuxhaven. Dort wurde der erste Covid-19-Fall an Bord festgestellt, bald folgten acht weitere.

Zwar wurden alle Infizierten sofort isoliert und später in ein Klinikum gebracht; laut TUI Cruises gibt es keine schweren Krankheitsverläufe. Aber die Unruhe wurde immer größer. Die Crewmitglieder sollten möglichst in ihren Kabinen bleiben. Diese aber mussten sich viele notgedrungen mit anderen teilen. "Das Schiff war pickepackevoll, die Menschen hatten Angst", sagt Diakon Struwe.

Zwei Männer aus Nicaragua rebellierten, als sie erfuhren, dass ihr Land sich weigert, sie einreisen zu lassen. Sie beschädigten Mobiliar, die Polizei kam an Bord. Um eine weitere Eskalation zu verhindern, riefen die TUI Cruises und das Havariekommando des Hafens Cuxhaven die Seemannsmission zur Hilfe. Und Struwes Leute kamen.

Trost und Telefonkarten für die Crew

Sie hörten den Gestrandeten zu, trösteten sie, bauten sie seelisch wieder auf. Sie halfen ihnen bei der Lösung konkreter Alltagsprobleme, besorgten den Crewmitgliedern Telefonkarten für Anrufe nach Hause, setzten sich für freien Internetzugang für alle ein. Und die TUI-Cruises-Manager organisierten erste Heimflüge, etwa in die Ukraine oder nach Indonesien.

"Das Unternehmen hat die Probleme sehr ernst genommen", sagt Struwe. "Die Heimreisen haben Druck rausgenommen und Platz auf dem Schiff geschaffen." Als die ersten Besatzungsmitglieder endlich von Bord gehen durften, da standen andere oben an Deck, klatschten Beifall und wünschten ihren Kollegen gute Reise.

Viele müssen noch auf unbestimmte Zeit bleiben – allen voran die Philippiner, die auf manchen Kreuzfahrtschiffen die Hälfte der Crew ausmachen. In der Bucht von Manila warten laut dem britischen "Guardian" 5000 Menschen an Bord von Kreuzfahrtschiffen darauf, an Land zu dürfen. Aber sie kommen kaum hinein. Die Vorschriften auf den Philippinen seien streng, und es mangele an Quarantäne-Kapazitäten, sagt Peter Geitmann, Gewerkschaftssekretär für Schifffahrt bei Ver.di.  "Die Lage auf der MS3 ist entschärft, aber nicht gelöst."

Aus dem Inneren dringt Gelächter

Nicht auf allen gestrandeten Schiffen ist Krise angesagt. Auf der AIDAperla etwa soll eine ganz andere Atmosphäre herrschen. Der 300 Meter lange Koloss mit seinen 18 Decks liegt abgeriegelt seit Freitag im Hamburger Hafen, er kam von Barbados hierher. Um die 2000 Menschen sollen noch an Bord sein.

Kühl und windig ist es an diesem Nachmittag am Kreuzfahrtterminal Steinwerder. Auf den Außendecks ist niemand zu sehen, aber aus dem Inneren dringt Gelächter.

Die Stimmung sei insgesamt gut, erzählen verschiedene Crewmitglieder unabhängig voneinander am Telefon. Das dürfte vor allem an den Bedingungen an Bord liegen. Fast alle haben eine Einzelkabine und das Essen sei ausgezeichnet, heißt es. Man habe bis vor Kurzem unter vier verschiedenen Restaurants wählen können.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
Externer Inhalt

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Manche Besatzungsmitglieder veranstalten Seminare für die anderen. Sogar die Schiffsband tritt ab und an auf. Crewmitglieder bekommen ihren vollen Lohn inklusive Überstundenaufschlag und Urlaubsgeld durchgezahlt, wenn sie so weiterarbeiten wie bisher. Der Kapitän sagt immer wieder Neuigkeiten durch. Aber am wichtigsten ist: Es gibt keinen Covid-19-Fall an Bord der AIDAperla.

"Dieses Schiff hier ist der sicherste Ort auf der Welt, um dem Virus zu entgehen", sagt ein Mann, der noch keinen Heimflug bekommen hat. Eine deutsche Kollegin hat sogar freiwillig verlängert, obwohl sie schon von Bord gehen könnte. "Draußen", sagt sie, "finde ich vielleicht so schnell keine Arbeit mehr."

Die Kreuzfahrtindustrie ist allerdings noch lange nicht tot. Der AIDA-Mutterkonzern Carnival vermeldet für 2021 schon wieder eine "starke" Buchungslage. Virus hin, Virus her.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten