

Philipp Laage / DER SPIEGEL
Eine Nacht in Berlins erstem Kapselhotel Tokio Hotel
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Das blaue Licht erinnert an ein Raumschiff. Es dämmert mir blass entgegen, als ich die Tür zu meiner Schlafkapsel öffne, deren Grundriss kaum einen Quadratzentimeter mehr umfasst als das Bett. Ich schaue auf eine Matratze, Kopfkissen und Decke, ein Handtuch und weiße Plastikverkleidungen. Der Spiegel an der Wand lässt die Kapsel größer wirken als sie ist. Ich ziehe die Schuhe aus und krieche hinein, für ein erstes Probeliegen. Gar nicht unbequem. Aufrecht sitzen ist möglich, aufstehen nicht. Macht 36 Euro für eine Nacht. Sieht so die Zukunft der Städtereise aus?
Das »Space Night Capsule Hostel« ist Berlins erstes und bisher einziges Kapselhotel. Dieser Trend aus Fernost wartet in den Metropolen Europas noch auf seinen großen Durchbruch. Die ersten Kapselhotels in Tokio lagen vor allem in der Nähe von Bahnhöfen und Bars. Sie waren konzipiert für Geschäftsleute und Angestellte, die den letzten Zug nach Hause verpasst hatten. Mittlerweile locken die kuriosen Unterkünfte viele Touristen, in Asien gibt es längst luxuriöse Ausführungen. In Deutschland stehen Kapselhotels bislang in Hamburg und Karlsruhe – und nun in der Hauptstadt.
Die Berliner Betreiber haben sich dem Motiv Weltraum verschrieben. Das merkt man aber erst, wenn man drinnen ist. Von außen erkennt man das Hotel gar nicht. Es liegt in Mitte an einem besonders trostlosen Abschnitt der Leipziger Straße, in der ersten Etage eines gesichtslosen Gebäudes, in dem auch Lidl, Rossmann und ein Schnellbäcker untergebracht sind. Die Rolltreppe hinauf funktioniert nicht. Zukunft sieht anders aus.

Eingang zum »Space Night Capsule Hostel« in Berlin
Foto: Philipp Laage / DER SPIEGELTritt man aber schließlich ein, fühlt man sich an die Kulisse eines Science-Fiction-Films erinnert. Rechts wirft ein Beamer Bilder der Erde aus dem All an die Wand, in einer Ecke steht ein Raumfahrerkostüm. Links liegen die Schlafkapseln in mehreren offenen Räumen wie der Übernachtungstrakt einer Raumfähre, auf der die Mitreisenden nur kleine Kojen zugewiesen bekommen. Aktuell gibt es 76 Einzel- und 22 Doppelkapseln für zwei Personen. Ein Flur führt nach hinten, vorbei an Spinds und dem Gemeinschaftsbad. Alles ist düster, nur etwas blaues Licht. Der Rezeptionist händigt mir die Chipkarte aus, mit der ich meine Kapsel öffnen kann. Ich habe den Eindruck, für eine waghalsige Mission in den Weltraum einzuchecken statt in einem Hotel. Aber dafür hätte ich nicht genug Gepäck dabei.
Auch die anderen Gäste haben eher irdische Gründe für ihren Aufenthalt. Die meisten seien Urlauber, sagt Kathleen Schliep, die den Betrieb am Laufen hält und heute die Nachtschicht an der Rezeption übernimmt. Doch es kommen auch Geschäftsleute und Menschen, die in Berlin gerade noch eine feste Bleibe suchen. Drei Nächte blieben die Gäste im Schnitt. In den Wochen nach der Eröffnung im Juli 2021 waren es sogar fünf bis sechs. »Das hat uns überrascht. Einer ist sogar 15 Nächte geblieben.« Ein echter Weltraumfan? In diesem Fall nicht. Es kämen aber immer wieder auch Cyberpunks in Kostümen, Anhänger einer speziellen, dystopisch-schrägen Science-Fiction-Subkultur. Einige Aufmerksamkeit habe dem Hotel eine TikTok-Berühmtheit aus den USA eingebracht. »Sie sah aus wie Milla Jovovich in dem Film ›Das fünfte Element‹«, erzählt Schliep.
Eine kleine Kapsel Heimeligkeit
Ich treffe ein Touristenpärchen aus Frankreich, das drei Nächte gebucht hat. Warum ausgerechnet in dieser Unterkunft? Sie wollten einfach mal etwas anderes erleben, erklärt der Mann. Zwei Frauen aus Belarus und der Ukraine – eine mit weißen Moonboots und pinken Haaren – sind auf der Durchreise. Sie schießen erst einmal futuristische Selfies. Das Kapselhotel sei im Vergleich zu anderen Zimmern am günstigsten gewesen, sagt die eine. Einen typischen Hostel-Schlafsaal, in dem man meist auf Stockbetten mit mehreren Fremden in einem Raum schläft, wollten sie nicht. Zu wenig Privatsphäre. Hier hat man seine Kapsel für sich.
Für Reisende ist ein Hotelzimmer selten ein rein funktionaler, sondern meist auch ein emotionaler Rückzugsort. Mag der Tag an einem fremden Reiseziel noch so aufreibend gewesen sein – hier kommt man abends geistig zur Ruhe, tankt wieder auf. Nur wenige Quadratmeter ganz für sich allein reichen dafür aus, die unpersönliche Einrichtung ist egal. Indem man seine Habseligkeiten ausbreitet, wird das Zimmer zu einem Zuhause auf Zeit.
Das funktioniert überraschenderweise auch im Kapselhotel. Nachdem ich meine Siebensachen in den Ecken des Bettes und auf der schmalen Ablage an der Wand verstaut habe, schließe ich die Tür von innen ab, krieche unter die Bettdecke und strecke mich aus. Die lärmende Stadt und ihre Menschen dort draußen sind ausgesperrt. Ich werde angenehm müde. Das ist wohl als positives Zeichen zu werten.

Raum mit Schlafkapseln
Foto: Philipp Laage / DER SPIEGELZentral wohnen, trotzdem wenig zahlen
Das Bedürfnis nach räumlicher Distanz zu anderen Menschen während der Coronapandemie habe dem Kapselhotel in den ersten Wochen und Monaten bestimmt geholfen, glaubt Kathleen Schliep. Mittlerweile liege die Auslastung bei 90 Prozent. »Die Lage ist Gold wert.« Man wohnt in der Tat sehr zentral. Die Friedrichstraße und der Hauptbahnhof sind nicht weit entfernt, Checkpoint Charlie und Gendarmenmarkt zu Fuß erreichbar. Allerdings sollte das Sightseeing einen schon sehr müde machen, damit man nachts friedlich schlummert. Denn die Schallisolierung ist dürftig. Man hört die anderen Gäste und die Lüftung.
Für eine Nacht im Kapselhotel empfiehlt Schliep Ohrstöpsel und Badelatschen. Das Gemeinschaftsbad besteht übrigens aus mehreren getrennten und komplett abschließbaren Räumen, die jeweils mit Waschbecken, WC und Dusche ausgestattet sind. Das ist mehr Privatsphäre, als die meisten Campingplätze und auch mehr als so manches normale Hostel bietet. Viele wünschten sich noch Steckdosen in den Kapseln, bislang gibt es nur USB-Anschlüsse. Außerdem empfiehlt es sich, mindestens eine Flasche Wasser mitzunehmen. Frühstück gibt es nicht, nur einen Snackautomaten und den Bäcker im Erdgeschoss.

Nach dem Aufwachen führt der Weg in das Gemeinschaftsbad, allerdings mit abschließbaren Privaträumen
Foto: Philipp Laage / DER SPIEGELIch stelle fest, dass ich das blaue Raumfahrtlicht in meiner Kapsel ausschalten und auf eine warme Nachtlampe wechseln kann. Da fühlt sich die Kapsel gleich noch gemütlicher an. Die Lüftung lässt sich individuell einstellen, es gibt auch einen Mini-Safe. Die anderen Gäste sind still. Es dauert nicht lange, bis ich einschlafe. Morgens weckt mich der Handyalarm. Ich checke aus, trete auf die Straße und nehme zur Kenntnis, dass mich kein Raumschiff an einen fremden, exotischen Ort gebracht hat. Der Morgenverkehr brettert über die Leipziger Straße.
Würde ich noch einmal in einem Kapselhotel übernachten? Vielleicht schon. Zum Beispiel, wenn die Inflation weiter zunimmt und selbst die Mini-Zimmer der Cityhotels in Metropolen wie London, Kopenhagen oder Paris unverschämt teuer werden. Auf ein billiges Bett im Schlafsaal mit acht Fremden hätte ich keine Lust. Dann lieber abkapseln.