

Sperrung des Skigebiets Zugspitze »Das Ganze wird ein völliges Chaos«
SPIEGEL: Herr Stauch, Sie sind Chef des Skigebiets Zugspitze samt Zahnrad-, Luftseil- und Gletscherbahnen. Wie sieht es oben aus?
Matthias Stauch: Bei uns in Garmisch-Partenkirchen schneit es gerade. Das Wetter will uns ärgern: Erst war es wochenlang strahlend schön, jetzt kommen Kälte und Schnee. Und wir dürfen nicht Ski fahren. Das tut richtig in der Seele weh.
SPIEGEL: Ihr Skigebiet eröffnet generell als Erstes in Deutschland die Wintersaison – in diesem Jahr war das für den 13. November geplant. Corona-bedingt bleiben die deutschen Wintersportgebiete aber vorerst geschlossen. Ist die Verschiebung gerechtfertigt?
Stauch: Für die Bayerische Zugspitzbahn ist das eine Katastrophe. Wir haben den ganzen Sommer über bewiesen, dass unsere Hygienekonzepte gut funktionieren: Bis Oktober hatten wir 450.000 Gäste, und mir ist kein Fall einer Corona-Infizierung bekannt, weder bei den Mitarbeitern noch bei den Gästen. Dieses Hygienekonzept hätten wir gern im Winter fortgeführt. Deswegen halten wir die Schließung für ungerecht. Wenn ich mir den Verkehr in den Münchner S- und U-Bahnen anschaue, denke ich: Da ist die Gefahr wesentlich größer als bei uns im kontrollierten Bahnbetrieb.
SPIEGEL: Allerdings ist eher schwer nachzuverfolgen, wer sich im öffentlichen Verkehr infiziert – ob in U-Bahnen, ICE oder Seilbahnen.
Stauch: Das ist klar. Aber mir ist nicht bekannt, dass jemand gesagt hätte, er habe sich beim Ausflug nach Garmisch zur Zugspitze angesteckt. Und im Büro hatten wir nur im Oktober einen einzigen Fall.

SPIEGEL: Wenn ich an Corona und Skifahren denke, dann sehe ich zunächst kein Problem: Auf der Piste kann ich Abstand halten, und auch im Sessel- oder Schlepperlift würde ich mich sicher fühlen. Mulmig wird mir beim Gedanken an Warteschlangen, enge Gondeln und überfüllte Hütten. Wie lösen Sie das?
Stauch: An den Talstationen zum Beispiel haben wir die Anstehbereiche entzerrt: Kasse und Lift haben getrennte Warteschlangen, und wir versuchen, Traubenbildung zu vermeiden. Dafür haben wir Kassenhäuschen versetzt, zusätzliches Sicherheitspersonal engagiert und weisen überall massiv mit Schildern auf die Mund-Nasen-Bedeckung hin. In den Kabinen der Seilbahn Zugspitze haben wir die Kapazitäten von 120 auf 80 Gäste reduziert, durch geöffnete Fenster sind sie gut durchlüftet. Und die Lifte: Auch da werden wir natürlich versuchen, zu vermeiden, dass die Leute beim Warten zu dicht stehen. Der Ski gibt einen gewissen Abstand vor, genau wie der Einkaufswagen im Supermarkt.
SPIEGEL: Und auf den Hütten?
Stauch: In der Gastronomie haben wir genau die gleichen Auflagen wie die im Tal: Es gibt weniger Plätze, Trennwände wurden eingebaut, die Belüftung optimiert. Und wenn alle – ohnehin schon kontingentierten – Sitzplätze belegt sind, dann kann eben niemand mehr rein.
SPIEGEL: Auch die besten Maßnahmen helfen vielleicht nicht, wenn Reisende sich nicht daran halten. Fotos von dicht gedrängten Warteschlangen aus Österreich und der Schweiz gab es schon. Was machen Sie dann?
Stauch: Ja, leider ist es oft die Unvernunft dieser Einzelnen, die zu geringen Abständen führt. Alles ist natürlich abhängig vom Verhalten der Gäste, wie überall im alltäglichen Leben. Daher setzten wir das zusätzliche Personal ein, aber auch einen Sicherheitsdienst, der darauf achtet, dass die Regeln eingehalten werden.
SPIEGEL: Reduzieren Sie insgesamt im Skigebiet die Zahl der Besucherinnen und Besucher?
Stauch: Ja, wir haben bereits im Sommer zum Beispiel auf der Zugspitze als Maximalkapazität 3000 Gäste zugelassen. Oft konnten wir schon um 10 Uhr keine Tickets mehr verkaufen und mussten warten, bis eine gewisse Anzahl an Gästen vom Berg wieder unten war. Das hat gut funktioniert, und wir überlegen uns das auch für den Winter. Allerdings wird die Gästezahl schon durch die Anzahl der Parkplätze reglementiert – da kann es durchaus sein, dass um 9.30 oder 10 Uhr die Zufahrtsstraße gesperrt wird.
SPIEGEL: Rechnen Sie damit, dass Sie bis Mitte Januar schließen müssen?
Stauch: Ja, da bin ich pessimistisch. Meine Hoffnung bleibt, dass wir ab 15. Januar noch mal einige schöne Wintermonate auf der Zugspitze haben werden. Alles andere wäre der GAU.
SPIEGEL: Was bedeutet die Verschiebung der Wintersaison für Ihre Region?
Stauch: Eine Katastrophe. Unser Wertschöpfungsfaktor ist wissenschaftlich untersucht worden: Jeder Euro, der bei den Bayerischen Zugspitzbahnen ausgegeben wird, hat in der Peripherie fünf Euro zur Folge. Das geht bei der Übernachtung los über die Gastronomie bis zu den Skiverleihern und Skischulen. Das sind Millionenbeträge, die verloren gehen, und natürlich auch Arbeitsplätze.
SPIEGEL: Können Sie eine Zahl nennen?
Stauch: Die deutsche Seilbahnbranche hatte im vergangenen Jahr einen Nettoumsatz von 80 Millionen. Ein Drittel davon ungefähr in der Zeit zwischen Weihnachten und Dreikönig – dann wären wir allein für diesen Zeitraum bei den Seilbahnen und -liften schon bei 27 Millionen, dazu kommen Hotellerie und die anderen Betriebe. An der Zugspitze haben wir ein gutes Verhältnis der Gästezahlen zwischen Sommer und Winter: 50 zu 50, aber eben nur, weil zwischen Weihnachten und Dreikönig 70 Prozent unserer Gäste Nicht-Skifahrer sind. Und die fallen nun auch alle weg. Zum Sommer haben wir sonst im Prinzip null Unterschied in der Auslastung. Deswegen können wir überhaupt nicht nachvollziehen, warum eine Schließung jetzt sinnvoll sein soll. Zum Vergleich: In Österreich liegt die Verteilung für Sommer zu Winter bei 10 zu 90.
SPIEGEL: Na ja, im Unterschied zum Sommer sind im Herbst die Corona-Fallzahlen wieder angestiegen. Aber voll war es bei Ihnen in Garmisch-Partenkirchen ja auch im Sommer – die Einwohnerinnen und Einwohner beklagen sich schon länger über Overtourism. Passiert da jetzt etwas?
Stauch: Ja, heuer mit Corona ist das noch mal extrem. Und vielleicht ist das einer der wenigen positiven Aspekte der Krise: Jetzt macht man sich vermehrt Gedanken über neue Verkehrslenkungssysteme. Wir hatten eigentlich mit einem Kombiticket mit der Deutschen Bahn in den vergangenen sechs, sieben Jahren sehr viele Gäste auf die Schiene gebracht, das ist uns durch Corona leider wieder völlig weggebrochen: Die Leute haben Bedenken, mit dem Zug zu fahren und reisen aus dem Großraum München und Augsburg im Auto an. Die Parkplätze waren jeden Tag schon um 9 Uhr völlig überfüllt. Wir haben versucht, die Besucher auf andere Ziele hinzuweisen – was auch nicht immer funktioniert hat.
»Der Bergwacht graust es schon«
SPIEGEL: Wenn nun die Lifte nicht mehr laufen, werden dann nicht viele Ausflügler einfach auf Skitour gehen?
Stauch: Das ist ja das Problem: Die Leute bleiben nicht daheim, nur weil die Lifte nicht laufen. Der Bergwacht graust es schon: Sie richtet sich auf eine höhere Zahl an Unfällen ein, da mehr Menschen ohne entsprechendes Können im Gelände unterwegs sein werden. Auch könnten sie für Notfälle die Seilbahn nicht nutzen. In meinen Augen wird das Ganze ein völliges Chaos werden – wir reden dann über ein ganz anderes Crowding. Wir hätten eine kontrollierte Infrastruktur angeboten und die Leute kanalisiert.
SPIEGEL: Sie sind ja auch Vorstand des Verbands Deutscher Seilbahnen. Wie ist denn da jetzt die Stimmung?
Stauch: Für die ganze Branche ist das eine Katastrophe. Gerade Kollegen mit kleineren Anlagen sehen sich in ihrer Existenz ganz massiv bedroht. Wenn eine Gemeinde oder eine Kommune hinter dem Skibetrieb steht, dann geht es vielleicht noch. Aber ein privater Unternehmer, der jetzt nicht entsprechende Unterstützung bekommt, wird sich vielleicht überlegen, weiterzumachen – wenn nach einer möglicherweise nicht so tollen letzten Saison jetzt noch das Weihnachtsgeschäft ausfällt. An die Politik appellieren wir, uns wirtschaftlich relativ unbürokratisch zu unterstützen und so schnell wie möglich den Bahn- und damit den Skibetrieb wieder zuzulassen.
SPIEGEL: Machen Sie sich jetzt auch auf zur Skitour?
Stauch: Ich komme leider zeitmäßig nicht mehr so oft dazu in den vergangenen Jahren. Für mich findet eine Skitour aber nach wie vor im Hochgebirge statt und nicht auf einer planierten Piste. In diesem Jahr wird der Alpenraum für einen Bayer aber nicht unbedingt Reiseziel Nummer eins sein, wenn man danach in Quarantäne muss.