Basilikata Berühmt im Buch, doch kaum bekannt

Im Dickicht der Ferienkataloge scheint jedes Stückchen Erde von "Bella Italia" vermarktet. Und doch gibt es noch weiße Flecken auf der Landkarte: die Basilikata.
Von Hilke Maunder

Es sind die Orte, in denen das Brot im Dorfofen gebacken, der Käse 24 Stunden lang in großen Kupferkesseln gerührt wird, die Alten den Fluch der Einsamkeit ertragen. Orte wie Aliano, wo Carlo Levi für seinen Roman "Christus kam nur bis Eboli" sein Ideal einer besseren Gesellschaft fand.

Die Basilikata, wie die offizielle Bezeichnung für Lukanien lautet, ist eines der am dünnsten besiedelten Gebiete Europas. Das Gebirgsland, in der Bodensenke zwischen Apulien (der Hacke des italienischen Stiefels) und Kalabrien (der Spitze) gelegen, besitzt nur bei Metaponto am Golf von Tarent (Ionisches Meer) und Maratea am Golf von Policastro (Tyrrhenisches Meer) wenige Kilometer attraktiver Badeküste - zu wenig in den Augen der Tourismusstrategen, um hier große Ferienanlagen zu bauen.

Schon in der Antike brachte es die Basilikata daher nicht über den Status eines Rückzugsgebietes hinaus. Während Rom zur Großmacht aufstieg, fanden die letzten Bürger von Magna Graecia hier ihr Refugium. Bei Metaponto zeigt ein Archäologischer Park ihr Erbe.

Die Obst- und Gemüsefelder, die die Flussläufe säumen und das küstennahe Hinterland prägen, lassen die Basilikata auf den ersten Blick als einen Garten Eden erscheinen. Doch wo heute riesige Bewässerungsanlagen für eine reiche Pfirsichernte sorgen und Tabakanbau ermöglichen, lösten noch vor 50 Jahren ausgedehnte Sumpfgebiete schwere Malaria-Epidemien aus.

Weiter landeinwärts dominieren die "calanchi": riesige Höhenrücken aus Lehm. Blassgelb, mit Ginster und Gestrüpp bewachsen, schieben sie sich immer tiefer in das Tal, verwandeln es in eine unwirkliche Mondlandschaft. Im Frühjahr, wenn die heftigen Regengüsse oder die einsetzende Schneeschmelze den dünnen Mutterboden fortschwemmen, sind schwere Erdrutsche häufig, begraben Schlammlawinen Menschen und Tiere.

In Craco geriet dabei ein ganzer Ort ins Wanken. Das Dorf, inzwischen völlig verlassen, stellte einen der bizarrsten Punkte der Basilikata dar - wie ein drohender Finger erheben sich die Ruinen auf einem Felskegel mitten in der kargen Landschaft. 1970 bebte hier zum ersten Mal die Erde, beim zweiten Beben (1980) musste auch Craco Nuevo (Neu-Craco) evakuiert werden. Die Einwohner deuten die Räumung noch heute als Strafe Gottes.

Vorbei an einer Welt zackig ausgebrannter Hügel, ausgetrockneter Flussarme und abgelegener Orte führt die kurvenreiche Straße nach Aliano. Unter dem Namen "Gagliano" machte es Carlo Levi in seinem Buch "Christus kam nur bis Eboli" weltberühmt. Der Turiner Arzt, 1935/1936 wegen seiner antifaschistischen Gesinnung unter Mussolini hierher in die Verbannung geschickt, schuf mit seinem Werk eine aufrüttelnde Hommage an die Bauern der Basilikata - später von Franceso Rosi eindrucksvoll auf Zelluloid gebannt.

Levi, der sich später als parteiloser Abgeordneter der Kommunisten für die Probleme des "Mezzogiorno" engagierte, liegt auf dem Dorffriedhof begraben. Die Büste vor seinem Haus ist Pilgerziel von Busreisenden, die gegen Mittag einen Fünf-Minuten-Stopp auf ihrer Tagesrundfahrt einlegen.

Kaum sind die seltenen Touristen fort, geht das Leben im alten Rhythmus weiter. Die Alten sitzen beim Averna, rauchen, spielen Karten, kippen noch einen Kräuterlikör. Seit 1979 haben zwar Telefon und Strom Einzug erhalten, seit 1981 kommt frisches Wasser auch aus der Leitung, doch noch mehr als 60 Jahre nach Levi stimmen seine Szenen, wirkt der wöchentlich erscheinende Bus wie ein fremder Eindringling. Maulesel und Maserati, schwarze Schürzenkleider und poppiger Mini, alle Widersprüche scheinen hier zeitlos vereint.

Die stille Wiederkehr des Alltags wird nur im Sommer unterbrochen. Dann wird Aliano zum Zentrum der Region, feiert das gesamte Dorf rund um die Uhr ausgelassen das Patronatsfest zu Ehren von San Luigi Gonzaga. Die Männer der Musikkapelle aus Stigliano polieren Posaune, Horn und Klarinette auf Hochglanz, der Pastor lässt die festlich geschmückte Kirche nicht mehr aus dem Auge.

Auf der Hauptstraße, als einzige asphaltiert, wird ein Karussell aufgestellt. Fliegende Händler bieten Nüsse, Süßwaren und Modeschmuck an. Gegen Mittag beginnt die Feier. Sechs Männer stöhnen unter der Last der Heiligenfigur, die sie schweißgebadet durch das Dorf tragen. Zu Ehren des Festes haben die Frauen weiße Spitzenschleier angelegt.

Still schließen sie sich der Prozession an, beten leise den Rosenkranz. San Luigi wird durch den ganzen Ort geführt, der Pastor kommentiert Geburten und Todesfälle, erzählt Luigi von den Begebenheiten des Kirchenjahres, den Veränderungen im Ort. Zu rück in der Kirche, werfen die Kinder zum Abschied Blumen und Bonbons zu seinen Füßen.

Draußen hat das bunte Treiben längst begonnen. Wem es gelingt, beim Karussellfahren die Lanze durch einen hochgehängten Ring zu werfen, erhält eine Freifahrt. Bis zum Morgengrauen dröhnt die Popmusik aus der einzigen Bar. Als die ersten Morgenstrahlen über die calanchi gleiten, tauchen sie die Landschaft in ein unwirkliches Gold.

Die weiß getünchten Häuser auf den Hügelkämmen, die ärmlichen Hütten am Dorfrand, alles leuchtet in der Stille. Nur aus dem gemeinschaftlichen Dorfbackofen duftet es bereits verführerisch: "Taralli" liegen auf den alten Steinplatten, große Brezeln mit Anisgeschmack, die heiß mit Puderzucker bestreut werden. Den Cappuccino ersetzt frisches Quellwasser aus dem Dorfbrunnen.

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