
Bürgerkrieg in Sarajevo: Eine Tour in die Vergangenheit
Bürgerkriegstour durch Sarajevo Der Tunnel, die Sniper und eine Kuh
Schon lange hat auf der "Sniper Alley" in Sarajevo niemand mehr geschossen. Bepackt mit Einkaufstüten und Kinderwagen schiebend, schlendern Passanten über die mehrspurige Straße. Im Berufsverkehr stauen sich die oft über 20 Jahre alten Autos, dementsprechend mies ist die Luft. Alltag in der Großstadt.
"Ulica Zmaja od Bosne" heißt die Sniper Alley mit richtigem Namen, übersetzt: Straße des bosnischen Drachen. Die Sache mit den Scharfschützen ist hängen geblieben, bei Einheimischen wie Ausländern. Während der Belagerung Sarajevos von 1992 bis 1995 feuerten serbische Heckenschützen wahllos auf Passanten, die sich auf der Suche nach Wasser und Medikamenten nach draußen wagten. In dieser einzigen Straße wurden 225 Personen erschossen und über tausend verwundet.
Heute, 20 Jahre später, erzählt ein stämmiger Mann davon. Er heißt Mohammed Alzoba und führt Touristen zu den Schauplätzen des Bosnienkrieges. "Times of Misfortune" heißt die Tour: unglückliche Zeiten. Und von ihnen ist einiges aufzuspüren: Noch immer sind viele Gebäude mit Einschusslöchern übersät; Denkmäler und Friedhöfe erinnern an die Belagerung; Fotoausstellungen beschäftigen sich mit ethnischen Säuberungen und dem Massaker von Srebrenica.
Sarajevo - auf dieser Tour wird die Stadt zum lebenden Museum. Seit einigen Jahren steigt das Besucherinteresse an Bosnien und Herzegowina stark: Nach Schätzung der Welttourismusorganisation WTO wird das Land die weltweit dritthöchste Wachstumsrate bei Besucherzahlen zwischen 1995 und 2020 erreichen. 2013 kamen über 844.000.
Olympische Spiele - und dann kam der Krieg
Per Bus wird Alzobas Reisegruppe zu einer Anhöhe gefahren, die einen guten Blick auf die Stadt bietet. Die Dachziegeln der sanierten Häuser funkeln in der Sonne. "Sarajevo liegt im Kessel", sagt Alzoba in perfektem Englisch. "1984 wurden in den Bergen die Olympischen Winterspiele ausgetragen. Nur acht Jahre später schossen die Serben alles kurz und klein."
Mohammed Alzoba selbst hat den Konflikt nicht miterlebt. Er stammt aus dem Libanon und kam erst als Jugendlicher nach Sarajevo. "Das hilft mir, eine halbwegs neutrale Perspektive einzunehmen", sagt der 30-Jährige. Sein Schwiegervater, damals bosnischer Soldat, rede aber ständig vom Krieg. "Und mein Vermieter erzählt mir, dass zwölf Leute ein Gewehr nutzten. Alles war knapp: Waffen, Nahrung, Medikamente."
Überlebt hätten die Einwohner nur, weil die städtische Brauerei über eine eigene Wasserquelle verfüge. "Statt Bier wurde Wasser verteilt", erzählt Alzoba. "Aber dafür mussten es die Leute erst mal über die Sniper Alley schaffen."
Dass Kriegsschauplätze zu Ausflugszielen werden, ist nicht nur auf dem Balkan der Fall. Wissenschaftler sprechen von "Dark Tourism". Darunter fällt etwa das Interesse an Konzentrationslagern, Verbrechens- und Unglücksorten. Ob solche Reisen nur dem Voyeurismus dienen oder einen echten Beitrag zur Bildung leisten, ist umstritten. Fest steht: Wäre die Nachfrage nicht da, gäbe es auch keinen Dark Tourism.
"Der Bosnienkrieg ist der erste Konflikt gewesen, den ich als Kind bewusst mitbekommen habe", sagt Sarah von Brachel, 28, Psychologin aus Berlin. Deshalb wollte sie mehr wissen und ist auf dem Rückweg vom Kroatien-Urlaub hier vorbeigefahren.
Fluchttunnel aus der belagerten Stadt
Drei Stunden dauert die Tour in Sarajevo, bei der die Teilnehmer sowohl Ruinen als auch wieder aufgebaute Häuser zu sehen bekommen. Und den mit Spitzhacke und Schaufel gegrabenen Sarajevo-Tunnel aus der Belagerungszeit. Über ihn flüchteten die Stadtbewohner in einen nicht belagerten Vorort und versorgten sich mit Nahrung, Medikamenten und Waffen. Noch heute ist das Eingangsgebäude von Einschusslöchern durchsiebt; vor der Tür weht die Fahne Bosnien-Herzegowinas.
Vom Tunnel ist nur noch ein 20 Meter langer Abschnitt übrig geblieben. Die Röhre ist eine einfache Konstruktion aus Brettern und Holzpfählen und so niedrig, dass man den Kopf einziehen muss. Es riecht nach Erde und Schweiß, und selbst nach der kurzen Strecke klagen einige über Rückenschmerzen. Verglichen mit früher ein Luxusproblem: Vor 20 Jahren führte ein Stromkabel durch den Tunnel, während gleichzeitig Wasser durch die Decke sickerte. Ein Schild mit Totenkopf hängt noch an der Wand.
Gleich neben dem Tunnel liegt der Flughafen von Sarajevo. "Dort hatten die Uno-Truppen ihren Sitz", sagt Alzoba, der sich nun langsam in Rage redet. Die Blauhelmsoldaten hätten "fast gar nichts" getan, meint er, um die Bevölkerung zu schützen. Hilfslieferungen seien "ein Witz" gewesen. Er erzählt von Essenspaketen, deren Haltbarkeitsdatum um Jahrzehnte überschritten gewesen sei. Wer gut oder böse war in diesem verworrenen Konflikt, lässt sich nicht immer leicht definieren. Das weiß auch Mohammed Alzoba.
Buntes Sarajevo
Dann berichtet der Guide noch von einem skurrilen Vorfall: Während der Belagerung habe ein Einwohner eine Kuh in die Stadt transportieren wollen. "Doch dafür war der Tunnel viel zu eng", sagt Alzoba. Um den Scharfschützen zu entgehen, griff der Mann daher zu einem simplen Trick: "Er pinselte das Wort Uno auf seine Kuh. Er und das Tier haben tatsächlich überlebt."
Heute, zwei Jahrzehnte nachdem die Nato mit der "Operation Deliberate Force" die Belagerung beendet hat, wirkt Sarajevo wieder wie eine bunte, ethnisch gemischte Stadt. In den Straßencafés sitzen langbärtige Männer und rauchen Wasserpfeife. Durch die Einkaufszentren laufen manche Frauen in Miniröcken und manche in Burkas. In den Regalen der Supermärkte liegt Halal-Nahrung direkt neben Erotikromanen.
"Ich glaube, dass es in unserem Land aufwärts geht", sagt Alzoba. Wenn man heute jemanden frage, ob er Serbe oder Kroate sei, antworteten die meisten: "Ich bin Bosnier." Die alten Differenzen lösten sich auf - wenn auch langsam.