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Drahtesel-Boom: Parkprobleme mit dem Fahrrad

Foto: Ursula Bach

Drahtesel-Boom in Großstädten Hilfe, ich stehe im Fahrradstau!

Mehr Fahrräder sollen Metropolen lebenswerter machen - in manchen Städten Hollands und Dänemarks sorgt die Drahtesel-Flut aber schon für Frust. Und für Staus und Parkprobleme genau wie bei Autos.

Der Radweg ist komplett belegt, zu zweit, zu dritt nebeneinander rollen die Menschen im Schneckentempo an der Ampel vorbei. 80 Sekunden lang folgt Radler auf Radler, erst dann werden die Lücken zwischen ihnen größer. Die Szene stammt aus einem YouTube-Video über Kopenhagen  und zeigt, was geschehen kann, wenn ein Drittel der Stadt jeden Tag aufs Rad steigt.

Probleme wie diese kennen Stadtplaner aus Dänemark und Holland nur zu gut. Der Radverkehr wird massiv gefördert, immer mehr Menschen treten in die Pedale - aber irgendwann reicht der Platz auf Radwegen und Abstellflächen einfach nicht mehr. Der Fahrradboom, der als Universallösung gegen zugeparkte Straßen, tote Innenstädte, Lärm, Smog und mangelnde Bewegung gilt, droht an seinem eigenen Erfolg zu ersticken.

Beispiel Groningen. In der 200.000-Einwohner-Stadt gibt es 375.000 Räder, 50 Prozent aller Wege werden mit dem Drahtesel zurückgelegt. "Wir sind sehr stolz auf unseren hohen Radanteil, aber der Erfolg sorgt für Probleme", sagt Jaap Valkema, Fahrradbeauftragter der Stadt, in einer Diskussionsrunde während der Konferenz Velo-City in Wien. Man beobachte gerade, dass die öffentliche Meinung umschlagen könne. "Wir müssen handeln."

Groningen will 65 Prozent Radanteil

Die Stadtplaner in Groningen haben schon vor 35 Jahren den Schalter umgelegt. Damals wurde das Zentrum für den Autodurchgangsverkehr gesperrt. Das Rad wurde zum flexibelsten und beliebtesten Verkehrsmittel. Aber auch wenn der Platzbedarf eines Rades deutlich geringer ist als der eines Autos, findet man im Zentrum Groningens mitunter nur mit Mühe einen Abstellplatz.

Um das wilde Parken in den Griff zu bekommen, hat die Stadt an kritischen Stellen rote Teppiche ausgelegt, wo keine Räder geparkt werden dürfen. Abstellflächen wiederum werden markiert. "Vor zehn Jahren standen vorm Hauptbahnhof 3000 Räder", sagt Valkema, heute seien es vor allem wegen steigender Studentenzahlen 10.000. Es könnten bald 15.000 bis 17.000 sein. Das am Bahnhof gebaute Parkhaus soll die Räderflut aufnehmen. "Womöglich wird das Abstellen bald auch etwas kosten", sagt der Holländer, "zumindest ab einem Tag".

Die Stadt will den Anteil des Fahrrads am Verkehrsaufkommen, den sogenannten Modal Split, bis 2030 auf 65 Prozent erhöhen. Um das zu erreichen, ist im Zentrum ein neues Parkhaus mit 1200 Abstellplätzen geplant. Außerdem wollen die Planer den Auto- und Radverkehr noch konsequenter entflechten. Statt Radwege zu verbreitern, werden gleich ganze Straßen zu Fahrradstraßen umgewidmet.

Rad-Infrastruktur lohnt sich

Kopenhagen kämpft mit ähnlichen Problemen. Die am stärksten frequentierten Radwege Richtung Zentrum sind längst drei bis vier Meter breit. Auf 20 km/h eingestellte grüne Wellen sollen den stetigen Radlerstrom am Fließen halten. Aber irgendwann kommt dann doch mal eine rote Ampel - und dann ist Geduld gefragt. "Ich brauche manchmal zwei, drei Ampelphasen, um über eine Kreuzung zu kommen, so voll ist der Radweg", sagt Niels Torslov, oberster Verkehrsplaner der dänischen Hauptstadt.

Die Stadt investiert allein in diesem Jahr 33 Millionen Euro, um die Infrastruktur anzupassen und zu erweitern. "Wir fokussieren uns dabei auf die Bereiche im Radwegenetz, an denen es oft zu Staus kommt und die unsicher sind", sagt Ayfer Baykal, Bürgermeisterin für die Themen Umwelt und Technologie in Kopenhagen. Die Millionen hält sie für gut investiert: "Natürlich kostet Radinfrastruktur Geld, aber das ist eine sehr effektive und günstige Weise, um die Mobilität in Kopenhagen zu verbessern."

Auch in Berlin sorgt der Fahrradboom für Probleme: "Es herrscht Platzmangel auf der Straße", sagt Burkhard Horn, Verkehrsplaner der Stadt. "Die Radwege sind zu schmal. Da sind teils 30, 40 Leute, die an einer Ampel warten." Es gebe auch Konflikte zwischen schnellen und langsamen Radfahrern. Platz zum Überholen bieten vor allem ältere Radwege kaum.

Ärger auf dem Bürgersteig

Sorgen bereiten Horn zudem die zunehmenden Konflikte mit Fußgängern. Diese gehen auch auf schlechte Planungen zurück: Früher wurden Radwege häufig über Fußwege geführt - und dann kommen sich Fußgänger und Radler zwangsläufig viel zu nah. Hinzu kommt, dass in Straßen ohne Radweg mancher Radler lieber den Fußweg nimmt statt der Straße, weil er sich dort sicherer fühlt oder das Pflaster dort nicht so hoppelt. In der Radmetropole Kopenhagen ist Radeln auf dem Gehsteig übrigens absolut tabu.

In Berlin soll dieses Problem nicht weiter verstärkt werden: Die Stadt legte neue Radspuren am liebsten auf bestehenden Straßenflächen an. Weil das Geld knapp ist allerdings ohne eine bauliche Trennung etwa mit einer Bordsteinkante, wie das in Dänemark oder Holland üblich ist. Der Preis dafür ist, dass Autos die Radspuren immer wieder als Abstellfläche missbrauchen.

Wohin langfristig die Reise geht, weiß Verkehrsplaner Horn allerdings genau: "Wir müssen Raum für Fahrräder umwidmen, das ist unvermeidlich. Der Platz wird den Autos genommen."

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