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Spukstadt Savannah: Gruseln in den Südstaaten

Foto: Corbis

Gruseltourismus in Savannah Fotoshooting mit Geist

In der Südstaatenstadt Savannah sollen so viele Geister umgehen wie sonst nirgends in den USA. Auf einer Leichenwagen-Fahrt mit der "irren Laura" können Touristen dem Spuk nachgehen. Ein Bestatter vor Ort findet das wenig lustig - er nimmt die Untoten ernst.

"Wisst ihr, wie viele Tote in diesem Auto transportiert wurden?" Laura hat die Tür des Leichenwagens zugeschlagen, sich ans Steuer gesetzt und ihr Headset ans Ohr geklemmt. Nun knistert die Stimme der gedrungenen blonden Frau durch die Boxen im Heck. Anstelle einer Zahl lässt sie ein langgezogenes Brummen los, das wohl nichts Gutes verheißen soll.

Laura Caldwells Opfer in dieser Nacht sind sechs Studentinnen aus den USA und Kanada sowie zwei Deutsche, die zur Mitternachtstour im 1987er Lincoln Town Car in der Leichenwagenversion Platz nehmen. Schon der Flyer benennt die Mitfahrendes als "Opfer" und buhlt pro Fuhre im Sarg-Auto mit dem abgesägten Dach um bis zu "acht lebende Körper". Sie sollen auf "eine paranormale Reise" geschickt werden; Kostenpunkt 15 US-Dollar pro Nase, per Kreditkarte auch noch bequem am Ende der Fahrt zahlbar.

In Savannah, im US-Staat Georgia, blüht das Geschäft mit Geistertouren. Am Tag ist die 1733 gegründete Stadt eine der schönsten der USA, viele viktorianische Häuser aus der Ära vor dem Bürgerkrieg stehen noch. Erhalten ist auch das von Stadtvater James Oglethorpe angelegte strenge Gitternetz aus Straßen und Plätzen. Eine Stadt, die - anders als viele in den USA - zu Fuß erschlossen werden kann. Immer weht eine frische Ozeanbrise um die Ecken, zum Glück, denn der tiefe Süden kann im Sommer einem Dampfbad gleichen.

Doch Savannah kann auch das Blut stocken lassen - nach Sonnenuntergang. Dann steigt die Konzentration der zu Touristen-Sänften umgerüsteten Leichenwagen, die sich durch die Jones Street, East Broughton oder Abercorn Street schieben. Dann besteigen Besucher Kutschen für eine "Geistertour" oder schließen sich geführten Friedhofspaziergängen  an. Beliebt sind auch Kneipentouren von Spuklokal zu Spuklokal unter dem Motto "Creepy Crawl". Eine ganze Industrie hat sich um das Geisterthema gebildet - seit 15 Jahren mischt "Hearse Ghost Tours"  (Geistertour im Leichenwagen) mit, seit einem Jahr mit "Lunatic Laura", der selbsternannten "irren Laura" am Steuer.

Spukstadt Nummer eins

Savannah ist Amerikas "most haunted city" - die Stadt in den USA, in der es am meisten spukt. So hat es zumindest das Amerikanische Institut für Parapsychologie in Gainesville, Florida, befunden, das der 130.000-Einwohner-Stadt 2002 diesen Titel gab. Früh landeten Kolonisten und Piraten an, die Stadt war ein Zentrum des Sklavenhandels, wurde von Hurrikanen und Feuersbrünsten heimgesucht. Sie war Schauplatz von Gemetzeln während der Amerikanischen Revolution, und hier tobte der Bürgerkrieg.

Das für US-amerikanische Begriffe hohe Alter Savannahs und alles, was es durchgemacht hat, sei idealer Nährboden für "unerklärliche Phänomene", wie es auf einer Website über die Stadt heißt. "Wir haben hier einige der ältesten Friedhöfe der USA", sagt Bell Daniels von Williams&Williams, einem von zehn Bestattungsunternehmen in der Region. "Savannah ist übersät mit Massengräbern", johlt Laura und gibt Gas.

Die Geistertour-Führerin spielt ihre Rolle gut: "Du kannst eigentlich keine zwei Schritte machen, ohne auf einen toten Körper zu treten", hallt es blechern durch den Leichenwagen. Kein ironischer Zwischenton, kein Lachen an der falschen Stelle. Nur die Mädchen kichern. Mancher entfährt ein "Oh, my god!", das vielleicht etwas ironisch klingt, aber nur vielleicht. "Über 25.000 Menschen liegen hier begraben - über die ganze Stadt verteilt."

Laura bremst den Lincoln samt den Opfern auf den wackeligen Plastik-Sitzschalen am Madison Square ab. "Das ist das Sorrel Weed House." Das Laternenlicht wird von den Fenstern einer Villa im Greek-Revival-Stil reflektiert, die ockerfarben ist, mit grünen Fensterläden und Palmen davor. "Hier gibt es eine Stimmen-Erscheinung: 'Raus hier, raus hier, steh mir bei, mein Gott, mein Gott.'" Dem Sci-Fi-Channel sei es gelungen diese Worte für seine Show "Ghost Hunters" einzufangen. "Wahrscheinlich starb ein Sklave in dem Haus. Er ruft heute noch um Hilfe."

"Lustige Art, Geschichte zu erzählen"

"Ich glaube nicht an Geister, außer an den Heiligen Geist." Pastor Ron Parrish von der Unabhängigen Presbyterianischen Kirche hat noch keinen Spuk in Savannah erlebt. Kraft seines Amtes vergibt er Menschen mit "ehrlosem Unternehmergeist" wie der irren Laura, die im umgewidmeten Leichenwagen umhergurken. "Das Schöne an Amerika ist doch: Sie sind frei, auch die falschen Dinge zu tun." Weniger gelassen reagiert Bestatter Daniel: "Die Menschen haben doch die Ehrfurcht vor dem Tod verloren. Ich finde es widerlich, dass Leute unsere Profession auf diese Weise kapitalisieren."

Auch Jessica Koth von der National Funeral Directors Association im 1700 Kilometer entfernten Brookfield in Wisconsin sind die Geistertouren bekannt. Sie sieht sie in milderem Licht: "Das ist doch nur eine lustige Art, Touristen die Geschichte Savannahs und seine mehr oder weniger berühmten Söhne und Töchter näher zu bringen."

Zum Beispiel den Schriftsteller Conrad Aiken, der auf dem Bonaventure-Friedhof am Ufer des Savannah Rivers begraben liegt. 1930 bekam er den Pulitzer-Preis für Poesie. In Savannah befinden sich auch die Gräber von James Lord Pierpont, dem Schöpfer des Weihnachtsliedes "Jingle Bells", sowie von der Tochter von Thomas Jefferson, dem Vater der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung.

Laura steuert den Lincoln über Straßen, die "einst Massengräber für Sklaven und Opfer des Gelbfiebers" waren. Etwa entlang der Jones Street als "schönster, aber meistbespukter Straße mit einer Menge an Poltergeist-Aktivität": In den Häusern sollen sich Möbel von selber bewegen oder Handabdrücke von Kindern an den Fenstern auftauchen - auch wenn man sie noch so oft putzt.

Vor allem im Historic District South, dem Süden des einstigen Savannahs, wurden Friedhöfe eingeebnet, um der wachsenden Stadt Raum zu geben. "Wissenschaftler haben den Boden untersucht. Und was fanden sie heraus? Sechs Prozent der Erde Savannah besteht aus menschlichen Überresten, ist das nicht unglaublich?" Wow! Die Spuk-Touristen sind begeistert. Gegenüber dem Forsyth Park kommt der Leichenwagen erneut zum Stehen.

Gespenst auf dem iPhone-Foto

Links Grünfläche im Dunkeln, rechts ein mehrstöckiger, verlassener Bau, mit verrammelten Fenstern im Erdgeschoss. "Das war einmal ein Irrenhaus", knistert Laura. Im Heck ein "Ohhhh!" wie aus einer Kehle, so langsam kitzelt der Grusel in der Magengegend. Ein Mädchen muss auf Toilette, traut sich aber nicht aus dem Auto.

Während der großen Gelbfieber-Epidemie war das Old Candler Hospital ein Hort des Elends. Hier starben die Patienten in Massen, 1876 sollen es allein innerhalb von 48 Stunden einmal 276 gewesen sein. "Aber eigentlich wurden die Kranken gleich bei lebendigem Leibe verscharrt." Laura ist jetzt richtig warm gelaufen. "Wenn Ihr Fotos macht, bekommt Ihr die Geister drauf. Das beste Foto hat mal jemand mit einem iPhone gemacht. Es zeigte eine menschliche Gestalt in dem Fenster da drüben."

Bell Daniels vom Bestattungsunternehmen Williams&Williams sieht den Spuk ernster. "Als kleines Kind wurde mir beigebracht, dass Geister real sind", sagt er. "Es gibt gute und es gibt schlechte." Wenn man den Toten Respekt zolle, müsse man keine Angst davor haben, dass einen die Geister quälen. "Das sollten sich die Leute, die in diesen Leichenwagen mitfahren, einmal vor Augen halten, bevor sie das nächste Mal zusteigen."

Auch Laura glaubt an eine künftige Verfolgung durch Geister: Zum Abschied sagt sie: "Ihr habt eine 80-Prozent-Chance, dass es in eurem Hotel spukt - egal, wo ihr unterkommt in Savannah."

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