Il-Ghadira Maltas erstes Naturschutzgebiet

Die Vogeljagd hat auf Malta Tradition. Doch eine Hand voll Tierfreunde stellt sich gegen den Volkssport - mit Erfolg. Im ersten Naturschutzgebiet der Mittelmeerinsel finden auch Zugvögel ihre Ruhe.
Von Hilke Maunder

Millionen Zugvögel rasten auf ihrem Flug zwischen Afrika und Europa auf Malta. 14.000 organisierte, 9000 registrierte und ungezählte andere Vogeljäger gehen dann ihrem Volkssport nach. Drei bis vier Millionen Drosseln, Lerchen, Falken oder Finken holen sie jährlich vom Himmel - als Tauschobjekt, Sammlerstück und kulinarische Spezialität für den Kochtopf. Doch ein Umdenken hat begonnen.

In einem privaten Jagdgebiet beim Badestrand von Mellieha entstand Maltas erstes Naturschutzgebiet: Il-Ghadira. 100 Meter vom trubeligen Sandstrand der Mellieha Bay entfernt, stakst ein Seidenreiher durch milchig-gelbes Brackwasser. Ein Moorhuhn flüchtet über den Sandweg, verschwindet zwischen Tamarisken und Carob-Bäumen. Finken fliegen flach über die Fluten, in denen Aale, Killifische und Seebarben leben. Auf den flachen Sandbänken blühen kleine weiße Sterne: Meeresnarzissen. Stille.

Die Mädchen in ihren blauen Schuluniformen wagen kaum zu atmen. Dicht pressen sie ihre Ferngläser vor die Augen, schauen durch die schmalen Schlitze des grün gestrichenen Beobachtungsstandes. Auf sechs Hektar erleben sie hier Natur, wie sie selten geworden ist auf dem Mittelmeer-Archipel: unverbaut, unverbraucht. Im schmalen Schwemmland zwischen zwei Hügelketten, wo noch im 16. Jahrhundert Salz gewonnen wurde, machen heute 200 Vogelarten auf ihrem Flug-Marathon im Frühling und Herbst Station, während Königsfischer und Kuhreiher hier den Winter verbringen. Wiesel und Wildkaninchen, Leopardenschlangen und Igel leben im Unterholz entlang des Ufers. Geckos und Chamäleons klettern auf den Ästen der Olivenbäume und Aleppo-Pinien. Im ein bis zwei Meter tiefen Wasser der Lagune wachsen Pflanzen, die in Malta nur hier zu finden sind - wie das Tassel Pondweed, eine besondere Art von Seegras.

Erst ehrenamtlich, jetzt angestellt, engagiert sich der 52-jährige Charles Gauci seit 1979 für den Schutz der Vögel. Der einstige Biologielehrer, heute Leiter des Reservates, führt jährlich 3000 Schüler und 2000 interessierte Besucher durch das Biotop. Der Eintritt ist frei, doch Spenden sind willkommen - denn die finanzielle Unterstützung seitens der Regierung fällt eher mager aus. 5000 Maltesische Lira, nicht einmal 25.000 Mark, stellt das Maltesische Ministery of Foreign Affairs & Environment jährlich für den Unterhalt bereit. Die staatliche Unterstützung soll Aufklärung und Forschung sichern.

2500 Vögel werden jährlich von Gauci beringt und dokumentiert. 11.000 Tiere tragen bereits den Datumsring der Station "Ghadira" am Fußgelenk. Gemeinsam mit einer Vogelwarte in Bologna macht das Reservat Ghadira beim "Small Islands Project" mit, kooperiert mit der Vogelwarte von Helgoland und steht im internationalen wissenschaftlichen Austausch.

Schließlich bezahlt Gauci mit dem Geld auch den "Guardian on duty", den Wächter, der Streife geht - Maschendraht und Gräben rund um das Reservat bieten zu wenig Schutz. Die Wilderer kommen meist nachts. Die erst kürzlich von 30 auf 200 Maltesische Lira (rund 1000 Mark) erhöhten Strafen schrecken sie nicht, werden doch für seltene Sammlerstücke bis zu 6000 Mark auf dem Schwarzmarkt gezahlt. 500 Meter von Ghadira und drei Kilometer von der Küste entfernt, ist bis heute die Vogeljagd auf Malta ohnehin legal - solange Schutzgebiete, Schonzeiten und Jagdverbote für einzelne Arten respektiert werden.

Maltas Vogeljäger sind straff organisiert. Erst kürzlich wurde der Präsident des größten Verbandes, der Federation for Hunting, Trapping and Conservation, bei der illegalen Vogeljagd am Strand erwischt. Die Polizei verhängte ein Bußgeld. Auch in der Presse wurde über den Fall berichtet, aber nur weil BirdLife den Fall publik machte. Die größte und älteste Naturschutzorganisation in Malta, 1962 als Malta Ornithological Society (MOS) gegründet, setzt alles daran, mit Straßenaktionen, Schulprojekten, Kampagnen und umfangreichem Infomaterial ein neues Natur- und Umweltbewusstsein zu schaffen. "Doch wo sollen wir anfangen, wenn schon der Junge, der mit der Schule uns besucht, seinen Vater auf der Jagd begleitet", sagt Gauci.

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