Österreich Der Prinz hat Linz geküsst
Da sitzt man nun vor dem Kaffeehaus "Traxlmayr" und staunt in die Sonne und in die blinkenden Fassaden. Die der Häuser und die der Menschen. Das soll Linz sein? Industriestadt, Hermann-Göring-Werke, Linz, die Dreckschleuder? In der Hitler seinen Altersruhesitz nehmen wollte? Eine unglückliche Geschichte, eine Riesenlast. Nach 1945 erfuhr Linz nur Geringschätzung. So wie man Frauen, die Mandy oder Nicole heißen, keine Ausstrahlung zutraut, tendierte auch der Linzer Sex-Appeal lange Zeit gegen null. Doch für Städte gelten dieselben Attraktivitätsgesetze wie für Menschen: Fehlerfreie Visagen werden langweilig, auf Dauer fasziniert das Unperfekte.
Auch deswegen hat sich die Bevölkerung schon immer mit ihrem Motor, der Stahlindustrie, identifiziert. Und die meisten Leute, die mehr oder weniger zufällig hier landeten, wollten bald nicht mehr weg. Stadtführerin Silvia Mayr-Pranzeneder, die früher in Wien gelebt hat, meint gleich zu Beginn ihres Rundgangs: "In den Siebzigern muss es hier ziemlich düster gewesen sein. Doch in den letzten 20 Jahren hat Linz ständig an Kultur und an Lebensqualität gewonnen."
Aus dem früheren Stahlrevier an der Donau ist ein kunstsinniges, umweltbewusstes Zentrum geworden, die Luft ist sauberer als in den meisten anderen österreichischen Städten. Bei Voestalpine pusten die Schornsteine kaum noch Gift in die Atmosphäre ansonsten lädt man ins neu erbaute Besucherzentrum, gibt den Mäzen und stellt die Werksgeschichte im Stadtmuseum Nordico aus.
Die Arbeitslosenrate ist mit unter vier Prozent eine der niedrigsten des Landes. Und der alte Industriehafen hat sich zu einer wildromantischen Idylle gewandelt. "Wär' schön, wenn die Leute von auswärts ihre überholten Märchen jetzt langsam der Realität anpassen könnten", hofft Frau Mayr-Pranzeneder. Und klingt entschlossen, das Ihre dazu beizutragen.
Tun wir ihr also den Gefallen und fangen noch mal ganz unvoreingenommen an. So wie man heute als Linz-Tourist in der Stadt eintrifft. Am besten mit dem Zug. Der renovierte Bahnhof wurde vom Verkehrsclub Österreich schon wiederholt zu dem schönsten des Landes gekürt. Modern ist er, licht, mit Cafés und großem Supermarkt. Unterirdisch startet die Straßenbahn, die den Fahrgast zuckelnd über die Landstraße zum Hauptplatz bringt.
Die Landstraße ist die Fußgängerzone der Stadt. Und weil sie so lang und schön ist, ist sie von allen Einkaufsstraßen Österreichs außerhalb Wiens die meistbesuchte. Vinotheken, Traditions-Beisln, Dachbars und liebevoll dekorierte Delikatessenläden bilden eine urbane Melange, die zeigt, wie gut die Linzer im Genießen sind. Selbst außergewöhnliche Konzeptstores haben sie in die Mode- und Möbel-Boutique "eggs" etwa kommen die Eingeweihten bis aus Wien, Graz und München, weil in dem Laden am Fuße des Schlossbergs Kollektionen von Yohji Yamamoto oder Dries van Noten auf Möbel-Editionen einer Eileen Gray oder Andrée Putman treffen. In Linz!
Der Hauptplatz, das Herz der Stadt
An der Haltestelle Hauptplatz bitte aussteigen. Hier schlägt das Herz der Stadt: ein geschlossenes Ensemble alter Bürgerhäuser mit farbenfrohen, barocken Fassaden. Hinter einer von ihnen befindet sich das "Hotel Wolfinger" in einem 600 Jahre alten Haus, eingerichtet mit Biedermeier-Raritäten, dass sich jeder wohlfühlt. Kaiserliche Hoheiten, preußische Könige und Künstler logierten hier.
Spannend ist auch die Innenarchitektur des "Wolfinger". Wie die anderen Häuser am Hauptplatz zieht es sich endlos weit nach hinten. Nicht zu breit, nicht zu viele Fenster nach vorn, das kostete einst Steuern, also in die Tiefe, in die Altstadtgassen hinein. So hat man vor sechs Jahrhunderten gebaut, damals, als Linz schon eine umtriebige Handelsstadt war. Das hat uns der Konditor Fritz Rath von der k.u.k. Hofbäckerei in der Pfarrgasse lakonisch erklärt: "Wir hatten zwar keinen Kaiser oder Erzbischof, der uns Prunkbauten spendiert hätte. Aber wir waren fleißig, und Geld war immer da." Rath ist ein Original wie seine Linzer Torten. Ein Vertreter der "Küss die Hand"-Fraktion und Charmeur der alten Linzer Schule.
Der schwarz gekleidete Ober im "Café Traxlmayr" steht ihm da kaum nach obwohl sein Österreichisch spanisch gefärbt ist und der Mann vor zehn Jahren aus Kuba kam. Der graugrünsamtene Salon des Cafés ist schon wegen seiner Zeitungsfülle ein wunderbarer Ort. Und dann betritt auch noch eine bildhübsche Person die Terrasse: Maxi Blaha, 1,80 Meter groß, Uma-Thurman-Typ, Schauspielerin. Hat Jahre an der Wiener Burg gespielt, später am Zimmertheater in Tübingen, seit 2001 ist sie in Linz. Müsste eine perfekte Mimen-Biographie nicht genau umgekehrt verlaufen? Frau Blaha lacht.
"Für mich war es hier immer nur ganz fein. Nach 13 Jahren Festanstellung genieße ich jetzt das Leben als Solokünstlerin." Wenn die Blaha auftritt, ist das Brucknerhaus, die Linzer Konzerthalle, ausverkauft. Das Theater Phönix genauso, wo sie in der Farce "Der Zwerg ruft" das Schneewittchen gibt, das zusammen mit Hitler einem Glassarg entsteigt. Ausgerechnet auf dem Pöstlingberg dem Ausflugsidyll mit Restaurant, Biergarten und Wallfahrtskirche. Kurzum: Hitler kehrt genau an den Ort zurück, den jeder Linzer zuerst empfiehlt, wenn man ihn fragt, wo es besonders schön ist.
Maxi Blaha mag diesen Hang zum Skurrilen. In der experimentellen Kunst. Aber auch in den Altstadtgassen um die Herrenstraße, wo sich die Liebe zum Abseitigen in schrulligen Trödelläden und Cafés zeigt, in denen sich jeden Tag Künstler, Architekten, Freischaffende und Studenten in lebhafte Diskurse verstricken. Die Linzer lieben es zu disputieren.
Komposition aus Glas und Sichtbeton
Und wenn der Kopf dann wieder frische Luft braucht, sind es nur ein paar Fußminuten in die Natur. Mitten in der Stadt. An der Donau. "Donaulände" heißt die Flussuferstraße, an der Kaiser Franz Joseph 1854 seine Sisi in Empfang genommen hat. Heute liegt hier das Brucknerhaus. Die Eisen-Skulpturen davor, das "forum metall" aus den siebziger Jahren, demonstrieren den frühen unbeirrten Willen zur Kunst.
Doch die Hauptrolle an dieser Uferseite spielt das 2003 eröffnete, aus der Neuen Galerie der Stadt hervorgegangene Lentos Kunstmuseum. Der Bau der Schweizer Architekten Weber & Hofer ist aus Glas und Sichtbeton komponiert. Und symbolisiert nebenbei den Ansatz der Museumsdirektorin Stella Rollig, außer der klassischen österreichischen Moderne auch aktuelle Gegenwartskunst zu präsentieren.
Frau Rollig war von 1994 bis 1996 in Wien die Bundeskuratorin für Kunst. Von ihren Ansprüchen ist die zierliche Frau mit dem blonden Kurzhaarschnitt nie abgewichen. Toll findet sie, dass die Künstlerszene hier über die einzelnen Disziplinen hinweg so gut vernetzt ist. So gab es zum Beispiel schon Ballettaufführungen im Museumsfoyer. Schade sei nur, dass es in Linz bis heute keinen international renommierten Galeristen gebe. Weil immer noch zu viele gute Leute weggehen, sobald sie die Kunstuniversität abgeschlossen haben.
Das Lentos-Restaurant ist täglich bis Mitternacht gut besucht. Von der Terrasse schaut man auf die nördliche Donauseite, hinüber zum Ars Electronica Center, der Speerspitze der Linzer Bewegung für experimentelle Kunst. Drüben in Urfahr, dem alten früheren Fischerort, wo die Linzer heute am liebsten wohnen wenn sie es sich leisten können. Es ist aber auch zu idyllisch. Am Urfahraner Strand kann man abends nach der Arbeit noch ein Bad nehmen. Oder zwischen den Trauerweiden in Hängematten lesen.
Das Pixelhotel-Projekt nach dem Motto "Ganz Linz ein Hotel"
Einer der schönsten Orte auf dieser Seite aber ist die "Li+Do" wie Linz und Donau. So heißt das Restaurantschiff von Helene Schaurecker. An der Seine war der rothaarigen Kosmopolitin aufgefallen, dass Paris mit diesem Pfund wuchert wie jede Stadt am Wasser. Nur Linz nicht. Und als ihr Vater dann noch ein altes Gaststättenschiff aus Beständen der DDR-Armee fand, haben sie es schick und stilvoll ausgebaut, zu einer wunderbaren Insel des Savoir-vivre in dieser doch lebensfrohen Stadt. Im Sommer kann man sich vor dem Frühstück mit Helene und ihrem Schiffshund aus Bali zum Yoga treffen. Abends zum Dinner hat man einen herrlichen Blick auf das Schloss hoch über der Altstadt. Und direkt gegenüber strahlt das Lentos Kunstmuseum in Pink.
Kleine Großstadt mit enormer Lebensqualität und mondänen Einsprengseln. Architekt Jürgen Haller, 35, ist froh, dass es so ist. Dass Linz nie so mit Sehenswürdigkeiten und Stars protzen konnte wie Wien oder Salzburg. Weil erst das unkonventionelle Kunstformen zulasse, meint er. Statt der üblichen schwarzen Architektenkluft trägt er ein schlichtes weißes T-Shirt, Jeans und Rucksack.
Und es passt zu dem bodenständigen Kerl, dass er den normalen Linzer Alltag spannender findet als große Namen. In diesem Sinne hat er zum Kulturhauptstadtjahr mit Kollegen auch das Pixelhotel-Projekt initiiert, das nach dem Motto funktioniert: "Ganz Linz ein Hotel". Gemeint sind damit Übernachtungsräume an Orten, wo keiner sie vermutet: In einer alten Hinterhofwerkstatt. Im umgebauten Campingbus. Sogar auf einem alten Schiff im Industriehafen wurde eine Gästewohnung installiert. Und weil das Hotel eben nur ein Pixel stellt, die kleinste Einheit, muss sich der Gast zum Frühstücken ins nächste Kaffeehaus bemühen.
Linz ist ein Spätzünderin
"In wenigen Minuten kannst du auf dem Fahrrad fast überall sein im 'Café Meier' oder am Pleschinger Weiher. Und im Winter bei der Eishalle im Parkbad. Das ist für mich der größte Vorzug der Stadt." Sagt Haller, der selbst jeden Mittag nach Hause radelt, um seinen Töchtern das Essen zuzubereiten. Praktischerweise liegt sein Lieblingsort, der Südbahnhofmarkt, gleich auf dem Weg. Auf diesem Wiener Naschmarkt en miniature lassen sich die Angestellten der umliegenden Banken wochentags bei "Hartl's Kulinarikum" ihr Schnitzel schmecken. Samstags gibt's Selbstgebackenes, Gebranntes, Geschlachtetes von den Bauern aus dem Umland.
"Wenn es uns nicht taugen würde, wären wir doch längst weg", sagt Jürgen Haller grinsend. Besser lässt sich das Lebensgefühl der Hiesigen kaum ausdrücken. Linz ist eine lebendige Stadt mit Charakter. Eine Spätzünderin, die die Lust am Schönsein gerade erst entdeckt.