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Leihrad-Service Vélib' in Paris: "Einfach cool"

Foto: Stefan Simons

Fünf Jahre Vélorution Paris radelt vorweg

Noch vor wenigen Jahren fuhren nur wenige Pariser Fahrrad - doch der Leihrad-Service Vélib' hat die Fortbewegungskultur in der Hauptstadt verändert. Radeln ist jetzt cool, gleichzeitig ist der Autoverkehr in der Metropole deutlich zurückgegangen. Eine Erfolgsgeschichte.

"Das Leihrad? Die komfortabelste Art, durch Paris zu kommen": Marketing-Angestellte Marion fällt die Wahl ihres Fortbewegungsmittels leicht, wenn sie außerhalb der Arbeit eine Besorgung zu machen hat. Die 28-Jährige, mit Wohnsitz im vornehmen 16. Arrondissement, greift zwei-, dreimal wöchentlich zum Vélib' und findet sich auch im Verkehrsgetümmel gut zurecht. "Autofahrer und Radler haben sich aneinander gewöhnt. Man respektiert sich." Valentine, 22, angehende Versicherungskauffrau, die gerade erst vor einem Jahr nach Paris kam, sagt zum Radeln mit Leihgefährt: "Einfach cool!"

Natürlich gab es sie immer, die Fahrradfahrer in Frankreich: In grellen, eng anliegenden Trikots flitzten sie über Landstraßen, mit Helm und stromlinienförmiger Sonnenbrille. Die Wasserflasche in Griffweite, hoben sie sich aus dem Sattel, wenn es galt, gewundene Bergstrecken zwischen Zentralmassiv und Pyrenäen zu erklimmen. Die trainierten Gestalten auf ihren Sportbikes verwandelten sich während der Sommermonate zu Pedal-Athleten - ganz wie die legendären Helden der "Tour de France".

Vélib' trug die Radbegeisterung in die Stadt. Der Selbstbedienungsservice - 23.500 Räder und 1400 Stationen im Großraum Paris - erlaubt es den Hauptstädtern, mit ihrem Abo-Ausweis (29 Euro Jahresgebühr) im Handumdrehen ein Rad auszulösen. Die erste halbe Stunde auf dem Sattel der soliden, aber schweren Räder ist kostenfrei, danach wird der Tarif mit jeder Stunde zunehmend teurer. Der Grund des ansteigenden Preisgefüges: Das Vélib' soll als alternatives Fortbewegungsmittel zu Auto, Bus und Metro genutzt werden.

"Das Image hat sich gewandelt"

Seit der Einführung der Leihräder vor fünf Jahren, die am Sonntag mit einer Sternfahrt auf den Champs-Elysées gefeiert wird, wurden 130 Millionen Touren registriert. Die Erfolgsgeschichte hat die Fortbewegungskultur in der französischen Hauptstadt verändert. Vor Jahren noch war es undenkbar, dass Geschäftsleute in Anzug und Krawatte in die Pedale treten und Damen im Kostüm - eine Hand am Lenker, die andere am Rocksaum - Paris hoch zu Rad durchqueren, während ihre Tasche im vorn montierten Fahrradkorb ruht.

Auch Eric, Soziologe an der Universität Seine-Saint-Denis schwört auf den städtischen Service, den er "mindestens zweimal täglich" nutzt. Der 48-Jährige ist schneller auf dem Sattel als in der U-Bahn: "Die Vélib'-Station liegt gegenüber von meiner Haustür."

"Die Erfindung hat bewiesen, dass ein Fahrrad ein ernsthaftes Fortbewegungsmittel sein kann und nicht nur ein Gerät fürs Wochenendhobby", zitiert "Le Parisien" ein Mitglied des Kollektivs "Vélorution". Und Dominique Lebrun, "interministerieller Koordinator für den Gebrauch des Fahrrads", sagt: "Das Image des Fahrrads hat sich geändert" und verweist auf 700.000 Franzosen, die mit dem Rad zur Arbeit fahren.

Vor allem kurze Wege sind mit dem Rad leicht bewältigt. Während sich der Individualverkehr im Auto im Schritttempo über die Boulevards schiebt, legen flotte Radler in 20 Minuten rund fünf Kilometer zurück - vorbei am Dauerstau der Blechkarossen. Die früheren Hauptprobleme - die Fragen, wo sind Fahrräder verfügbar und an welchen Stationen gibt es Platz zum Abstellen - sind weitgehend gelöst: Mehr als ein Dutzend kostenloser Smartphone-Apps ("OpenBike", "Cycle Hire", "molib") weisen den Weg zum nächstgelegenen Stellplatz - in Echtzeit.

Mit ansteckender Wirkung

In Paris werden mittlerweile täglich rund 110.000 Fahrten per Vélib' abgewickelt, die Hälfte davon aus "beruflichen Gründen", sagt Jean-Charles Decaux, Präsident der Betreiberfirma, die 2007 von der Stadt die Konzession erwarb und gut daran verdient. Die Pedal-Renaissance hat aber auch den Anteil der privaten Räder stark erhöht - knapp weitere 200.000 Fahrten täglich legen die Hauptstädter mit dem eigenen Zweirad zurück. Gemessen am Gesamtumfang aller Bewegungen mit drei Prozent nur ein Klacks, aber binnen der letzten fünf Jahre ist die Zahl der Fahrradfahrer in Paris um 41 Prozent gestiegen.

Das ist gewollt. Frankreichs Hauptstadt versucht seinen Bürgern seit Jahren den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel schmackhaft zu machen, zumal auf grünere Formen der Fortbewegung. Am Wochenende sind durch das Programm "Paris Respire" (Paris atmet) große Teile der Uferautobahn für Fußgänger und Fahrräder reserviert, auch am malerischen Kanal Saint Martin sind Autos weitgehend tabu. Damit ist der motorisierte Verkehr während der vergangenen fünf Jahre um ein Viertel zurückgegangen. Auch ein Erfolg von Vélib', glaubt Bürgermeister Bertrand Délanoe.

Das Beispiel hat Schule gemacht. In 34 französischen Städten bieten die Verwaltungen vergleichbare Leihräder an und zwischen Montreal und Melbourne, Mexiko und Mailand hat das Leihrad, laut "Le Parisien", den Siegeszug zum "weltweiten Phänomen" angetreten. Trotz der Vélo-Renaissance aber fehlt es in Frankreichs Metropolen noch immer an Radwegen, zumal in der selbsternannten Kapitale des Leihrades: In Paris wurden seit Einführung der Leihräder 250 Kilometer Vélo-Spuren eingerichtet, viele Einbahnstraßen dürfen in Gegenrichtung befahren werden. Doch viele dieser Routen sind nicht mehr als reservierte Korridore für Autobusse, die sich die Radler mit den städtischen Vehikeln teilen müssen - eine ziemlich riskante Kohabitation.

Grüne Avenue von Paris nach London

Obendrein weichen auch Vespa- und Motorradfahrer zu Zeiten des Stoßverkehrs verbotenerweise auf die reservierten Fahrradwege aus oder brummen gar über Bürgersteige. Lebrun, der Beamte aus dem Transportministerium, ist dennoch optimistisch: "Mit der Zeit wird es immer weniger Unfälle geben, weil Auto- und Motorradfahrer besser aufpassen." Immerhin ist die Zahl der Fahrradunfälle seit dem Rekordjahr 2007 (694 Verletzte) kontinuierlich gesunken.

Außerhalb der Städte stehen rund 8000 Kilometer eigener Vélo-Routen zur Verfügung. 10.000 Kilometer weiterer Pisten sollen in den nächsten zehn Jahren folgen. Eine erste Transversale für Fahrräder entsteht derzeit zwischen dem bretonischen Hafen Roscoff und der Atlantikstadt Hendaye - die "Vélodysée". Und am Wochenende brachen französische Radler auf, um die "Avenue verte", zwischen London und Paris, einzuweihen.

Je nach Reiseweg zwischen 408 und 474 Kilometer lang, nutzt die Strecke auf französischer Seite weite Teile der ehemaligen Eisenbahnverbindung Paris-Dieppe und weist keine starken Steigungen auf. Der Brückenschlag per Rad, von "Le Monde" gepriesen als "touristisch, sportlich, kulturell und ökologisch" korrekt, führt allerdings erst auf einen Drittel über Routen abseits des Autoverkehrs.

"Es ist nur ein Anfang", tröstet Didier Marie, Präsident der Region Seine-Maritime. "Die Strecke wird durch neue Radwege schrittweise verbessert werden."

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