
Sowjettour in Estland: KGB-Spion unterm Hoteldach
Sowjettour in Tallinn Im Zimmer des Spions
Als Enn Palamets den Raum, den es offiziell nicht gab, betreten wollte, versperrte ihm ein Mann den Weg. "Gehen Sie", zischte er und drohte mit der Pistole.
Selbst heute, 30 Jahre später, weiß Palamets, 64, noch genau, wie ihm in diesem Augenblick der Schreck durch die Glieder fuhr. Einen Moment lang stand er wie gelähmt da. Sein Gegenüber riss ihm ungeduldig das Telefon aus der Hand, das Palamets herbringen sollte, dann wurde ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen.
Als Techniker des Tallinner Intourist-Hotels Viru war Palamets schon in vielen Ecken und Winkeln des Hauses gewesen, aber ganz oben, in den 23. Stock, dorthin hatte sich bislang noch niemand der Angestellten gewagt. Schließlich galt es als offenes Geheimnis, dass dort der sowjetische Geheimdienst KGB ein Zimmer besetzte.
Heute kann Palamets lächeln, wenn er von diesem Erlebnis berichtet. Seit damals ist viel passiert. Estland ist ein freies Land, das Viru-Hotel am Rande der Tallinner Altstadt gehört heute zur finnischen Sokos-Hotelkette und Palamets ist mittlerweile Technischer Manager. Er ist im Hotel geblieben - ebenso wie das KGB-Zimmer.
Schlüssel zum Geheimzimmer
Damals wie heute liegt der Raum im Verborgenen. Tritt ein Gast des Hotels in den Aufzug, kann er zwischen 22 Knöpfen wählen, für jedes Stockwerk einen. Dass sich noch eine Etage darüber befindet, bekommen die Hotelbesucher nicht mit. Nur eine abgesperrte Treppe führt vom 22. Stock hinauf zu einer schlichten, weiß gestrichenen Metalltür ohne Aufschrift.
Den Schlüssel dazu hält Peep Ehasalu, der Marketingleiter des Hotels, in der Hand. Daran baumelt ein Plastikanhänger mit einem kleinen Schild, auf dem jemand mit Kugelschreiber "KGB" gekritzelt hat.
Mit einem leichten Quietschen öffnet sich die Tür. Ehasalu macht einen Schritt vorwärts, einen Schritt in die Vergangenheit. Die bodentiefen Fenster sind mit ausgeblichenen Jalousien verhangen, der Boden ist mit grün-braunem Linoleum bedeckt, "durchfallfarben", wie Ehasalu sagt. "Hier sieht es noch genau so aus wie 1991, als der KGB Hals über Kopf das Gebäude verlassen hat."
Eine Pritsche in der Ecke, wo der KGB-Agent einst schlief. Kaputtes Radio- und Funkequipment mit heraushängenden Drähten in einem Metallregal. Ein Schreibtisch, über und über mit vergilbtem Papier bedeckt, dazwischen ein Aschenbecher mit Kippen, zwei zerstörte Telefone und eine alte Schreibmaschine. "Alles Wertvolle müssen die Sowjets schon ab 1989 weggeschafft haben", sagt Ehasalu.
Mikrofone im Tellerrand
Was der sowjetische Spion den ganzen Tag trieb, darüber kann er nur spekulieren. "Wahrscheinlich wurden von hier aus die Agenten in Finnland kontaktiert", sagt er und lässt die Jalousie hoch. Vom Fenster des KGB-Raums hat man einen phantastischen Ausblick auf die Tallinner Altstadt und den finnischen Meerbusen im Hintergrund. Er zeigt Richtung Meer: "Dorthin hatte der Geheimdienst Antennen ausgerichtet, die erst entdeckt wurden, nachdem die finnischen Investoren das Hotel übernommen hatten."
Auch in anderen Teilen des Hotels machten die neuen Besitzer merkwürdige Entdeckungen: Mikrofone, die sich hinter den Wänden der Bar und in extra dicken Tellern verbargen, Wanzen, die in den Telefonen der Gäste steckten, Antennen, die durch Lampen getarnt wurden. "Das alles wurde natürlich entfernt, als Estland ein eigenständiges Land und das Hotel komplett modernisiert wurde", sagt Ehasalu.
Geblieben ist das KGB-Zimmer im 23. Stock - und das ist eine Besonderheit. Obwohl wahrscheinlich die meisten Intourist-Hotels, die sich von Ost-Berlin bis Wladiwostok erstreckten, derart verkabelt und verwanzt waren, um ausländische Geschäftsleute abzuhören, sind in anderen Herbergen die Spuren jener Zeit längst beseitigt worden.
Peep Ehasalu zuckt mit den Schultern, wenn man ihn fragt, was in Zukunft mit dem Raum passieren soll. "Vielleicht ein Museumszimmer", sagt er, doch derartige Pläne existieren seit Jahren, ohne dass bislang etwas geschehen ist. Aktiv bewerben will das Hotel die Abhörstation nicht. Vielleicht weil das Management befürchtet, damit westliche Gäste zu vergraulen, die womöglich noch heute Kabel und Wanzen in den Wänden vermuten würden.
Per Histotainment-Tour auf KGB-Spuren
Wer dennoch das Zimmer besuchen will, kann an einer sogenannten Histotainment-Tour teilnehmen, die die Teilnehmer geschichtlich bilden und gleichzeitig unterhalten soll. Einer der Anbieter, die Touristen Sowjetluft schnuppern lassen, ist Olavi Andla vom Tourismusunternehmen East Express. Seine Gäste besuchen das ehemalige KGB-Hauptquartier in der Tallinner Altstadt, düsen in einem Bus aus Sowjetzeiten die Küste entlang, lassen sich in einem Gefängnis einsperren oder werden in dem KGB-Zimmer des Viru-Hotels verhört.
Dazu schlüpft Andla in eine sowjetische Militäruniform, legt einen strengen Gesichtsausdruck auf und befragt seine Gäste mit polternder Stimme, wie sie ins Land gekommen seien und was sie in der Estnischen Sozialistischen Sowjetrepublik zu suchen hätten. "Manche unserer Gäste müssen ganz schön schlucken, wenn wir sie hier verhören. Einfach weil die Befragung durch die authentische Umgebung viel unheimlicher wirkt", sagt Andla.
Nach einer anschließenden "Verurteilung" geht es zum Glück lockerer zu. Andla schenkt Wodka in grünen Schnapsgläsern mit KGB-Schriftzug aus. Dann hakt er sich bei seinen Gästen unter und stimmt schunkelnd das Lied "Kalinka" an. Die meisten sind ziemlich angeschwipst, wenn sie ihre Reise in die sowjetische Vergangenheit beenden.
Wenn Andla dann das Licht ausschaltet und die Tür, zu dem Zimmer, das es offiziell nie gab, ins Schloss fällt, kehrt wieder Ruhe ein. Nichts deutet darauf hin, was sich im 23. Stock des Viru-Hotels verbirgt.