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Städtetipp Lübeck: Minimetropole mit Mandelgeschmack

Foto: Jens Büttner/ picture alliance / dpa

Städtetipp Lübeck Kröten schlucken, Schiffe gucken

Plüschige Cafés, Giebelhäuser, Marzipan: Lübeck wird oft auf seine zuckersüßen Seiten reduziert. Reiseführer-Autor Matthias Kröner verrät SPIEGEL-ONLINE-Lesern, wo die Luft salzig, welche Strandbar kultig und warum die Hansestadt der schönste Platz auf Erden ist.

Wie beginnt man in Lübeck am besten den Tag, Herr Kröner?

Mit einem Frühstück auf den Rasenflächen der Hermannshöhe am Brodtener Steilufer. Man muss zwar alles selbst mitbringen, doch nirgends sonst gibt es einen so schönen Blick auf die Lübecker Bucht - Meeresrauschen, Ostseeluft und Möwengekreische inklusive.

Widerlegtes Klischee:
Eine Stadt, die sich mit Marzipan und Nobelpreisliteratur rühmt, kann nur langweilig sein? Stimmt nicht. Lübeck ist eine junge Stadt mit hoher Lebensqualität, was nicht zuletzt an einer frischen Kunst- und Kulturszene liegt. Belege dafür liefern die bis auf den letzten Platz besetzten Poetry-, Shortfilm- und Musik-unplugged-Slams im Filmhaus  (Königstraße 38 bis 40), ein Unterwasser-Marionettentheater , die Nordischen Filmtage  sowie das Duckstein-Festival  mit erstklassigem Jazz für lau.

Und wohin, wenn man doch Lust auf einen Zuckerschock hat?

Von einem echten Lübecker Marzipanbrot kann man sich schon eine Scheibe abschneiden. Aber es muss nicht immer Niederegger sein: Im Marzipanland (An der Untertrave 98) gibt es Süßes mit Schokoglasur sowie die karamellisierte, leicht abgeflammte Königsberger Variante jener Kreation aus Mandeln, Puderzucker und Rosenwasser.

Welcher Stadtteil gehört zu einem Lübeck-Besuch?

Kücknitz. Hier gibt es ein 4000 Jahre altes Hünengrab (das schon in Heinrich Manns "Professor Unrat" eine Rolle spielte) und das schönste Naturschutzgebiet der Stadt: das Dummersdorfer Ufer, das sich an die Trave schmiegt. Einen astreinen Blick auf die Pötenitzer Wiek bis nach Mecklenburg-Vorpommern hat man auf dem 16 Meter hohen Hirtenberg am Stülper Huk. So nah ziehen die großen Schiffe der international agierenden Reedereien sonst nur in Travemünde an einem vorbei.

Schöne Aussichten:

Per Fahrstuhl geht's zur videoüberwachten Plattform von St. Petri, die 50 Meter über der von der Trave umspülten "Insel" liegt. Von dort hat man einen formidablen Rundblick auf die weltberühmten Fassaden von Buddenbrookhaus bis Marienkirche, aber auch auf Konsumtempel, die unsensibel und pragmatisch ins Unesco-Weltkulturerbe gesetzt wurden. Alternativ lohnt es sich, das offene Deck des Parkhauses Aalhof am Hüxterdamm 1 anzusteuern. Dort hat man die Skyline mit den sieben Türmen in Superbreitbildpanoramakinoleinwandformat.

Einmal mit diesem Verkehrsmittel fahren:

Mit Muskelkraft und Charme lotst Rikschafahrer Hans-Heinrich Mangels seine Kunden für 9 Euro pro Person 30 Minuten lang durch die engen Gassen der Altstadt (Tel. 0170/2142277). Er zeigt Besuchern die Altstadt auf verschlungenen Wegen anstatt auf touristischen Trampelpfaden. 10.000 Kilometer in drei Jahren hat Mangels schon abgerissen.

Wo kann man sich im Sommer abkühlen?

Natürlich in Travemünde! Drei Ostsee-Strände befriedigen die unterschiedlichen Bedürfnisse. Die meisten verbringen den Tag in einem Strandkorb an der Flaniermeile des Seebades. Einige treibt es auf den Priwall: Dort, wo früher die Zonengrenze zur DDR verlief, kann man heute an der Seelinie bis nach Mecklenburg-Vorpommern schlendern oder radeln.

Andere Badegäste verziehen sich auf den wilden Strand unter dem Brodtener Steilufer. Es empfiehlt sich, Sonnenschirme selbst mitzubringen. Außerdem sollte man kleine Kinder mögen und keine Angst vor allzu neugierigen Hunden haben. Zur Belohnung gibt's wilde Schwäne, die elegant durch die Weite ziehen, und einen Horizont, der mit dem Meer verschwimmt.

Wie Travemünde einmal war:

"Durch die nackten Füße als unanständig aufgefallen", notierte der Schriftsteller Franz Kafka (1883 bis 1924) während einer Reise nach Travemünde am 27. Juli 1914 ins Tagebuch. Der Hintergrund, den man nur kennt, wenn man alte Schwarzweißfotografien aus Archiven hervorkramt: Anders als der freigeistige Schreiberling saßen die Sommerfrischler in voller Montur im Strandkorb. Die Herren trugen einen Zylinder, die Damen hatten ein Schirmchen gegen die Sonne aufgespannt. Lediglich die Kinder durften Hosen tragen, die unterhalb des Knies bis zum Saum der Strümpfe tatsächlich Schienbein zeigten.

Wohin zur Mittagszeit?

Entspannung pur gibt es in den Wallanlagen! Inmitten von Radlern, Gassigehern und Joggern kann man unter den Blätterdächern neben der Trave den Kanuten und Ruderern beim Schwitzen zusehen. Der schönste Abschnitt dieser grünen Altstadtlunge befindet sich an der Mühlentorbrücke mit Blick auf das historische Altstadtbad Krähenteich und einen Rundturm der alten Stadtmauer.

Falls danach ein Snack gefragt sein sollte, macht man im Suppentopf (Fleischhauerstraße 36) alles richtig. Die zum Teil vegetarische Küche wird sogar in einem isländischen Reiseführer gelobt! Da die Suppenfans manchmal bis vor die Türe Schlange stehen, ist ein Besuch nach dem größten Lunchansturm (gegen 14.30 Uhr) sinnvoll.

Preis für eine Dosis Koffein:

Zwischen 2 und 4 Euro. Den besten Latte Macchiato gibt's in der Cole Street (Beckergrube 18). Entgegen den sonstigen, durchaus stilvollen, aber manchmal sehr plüschigen Cafés mit riesigen Tortentheken gibt die "Cole" mit durchgesessenen Sofas und entspannter Atmosphäre an. Der Espresso wird in einer Faema E61 zubereitet, jener legendären Mailänder Brühmaschine, die hinter so manchem Bartresen in Italien steht! Manchmal stellen Künstler in den kultigen Räumen ihre Werke aus.

Umsonst und doch unbezahlbar:

Ganz klar: das Willy-Brandt-Haus  (Königstraße 21). Hörstationen, Touchscreens, die gegensätzliche Berichterstattung von Ost und West, die auf zwei Bildschirmen gezeigt wird, und ein supermodernes Design machen die Ausstellung frei von jeder verstaubten Attitüde, die sich zum Beispiel im Museum Holstentor breit macht. Lediglich die Schattenseiten des sensiblen Weltpolitikers - Alkoholprobleme, Affären, das problematische Verhältnis zu seinen Kindern und die Guillaume-Affäre - hätten nicht ausgespart werden sollen.

Ein ausgefallenes Mitbringsel?

Eine von Günter Grass gestaltete Flasche Rotwein. Direkt neben dem Günter-Grass-Haus in der Glockengießerstraße 19 verkauft Kurt Thater europäische Weine, für die Grass alljährlich die Etiketten kreiert. Nicht nobelpreisverdächtig, aber amüsant sind die Namen der roten und weißen Tropfen, die für etwa zehn Euro zu haben sind: "Der Butt will schwimmen" oder "Diese Kröte kann man schlucken" - Anspielungen auf berühmte Romane des Schriftstellers, der sein Werk auf diese Weise trefflich vermarktet.

Ihr Tipp für einen lauen Sommerabend?
Wer Marlboro-Lights-Typen und Mädels erträgt, die DJ Ötzi gut finden, bekommt im Bolero  (Breite Straße 1 bis 5) eine sehr gute Cocktail-Auswahl. Alle anderen erleben einen chilligen und sehenswerten Sonnenuntergang im Strandsalon  (Willy-Brandt-Allee 25 a), wo auf 1300 Tonnen Sand ein kleiner Pool, drei Bars, Liegestühle, Strandkörbe und eine Livebühne für die passende Abhäng-Stimmung vor Hafenkulisse sorgen; sogar Beachvolleyballer und Kickerspieler kommen auf ihre Kosten.

Wie die Einheimischen ticken:

Die Lübecker pflegen einen kleinen Minderwertigkeitskomplex und rechtfertigen sich manchmal dafür, warum sie gerade hier wohnen. Der Hintergrund dieser Attitüde: Hamburg läuft längst außer Konkurrenz, Kiel ist Landeshauptstadt - und Lübeck steckt mit 1,3 Milliarden Euro in der Kreide, obwohl man doch im Mittelalter eine der wichtigsten Städte Nordeuropas war.

"Ein Unternehmen mit unseren Bilanzdaten hätte Insolvenz anmelden müssen im Februar letzten Jahres", hat Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) in sympathischer Hilflosigkeit im ZDF-"Morgenmagazin" gestanden. Das hält die Lübecker freilich nicht davon ab, beinahe rührend stolz auf ihre Minimetropole am Meer zu sein.

Die Fragen stellte Julia Stanek

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