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New Yorker Hotel Waldorf Astoria Wiederauferstehung einer Ikone
Unter diesem Kronleuchter tanzte schon die Welt. Ein halbes Jahrhundert lang schwebte er hoch oben im Ballsaal des Waldorf Astoria, eine Kristallskulptur von fast sechs Metern Durchmesser. Zur Reinigung wurde er gelegentlich herabgelassen.
Dass er aber kaum mehr war als eine historische Attrappe, merkten sie erst, als sie begannen, das New Yorker Luxushotel von 1931 zu restaurieren. Der Leuchter war nämlich gar kein Original, wie sie gedacht hatten - sondern ein nachträglicher Einbau aus den Sechzigerjahren. Also montierten sie ihn ab und schafften ihn weg.
"Schweren Herzens", berichtet Andrew Miller. Er erzählt die Anekdote, um zu zeigen, wie Glanz und Glamour täuschen können: "Woran wir uns nostalgisch erinnern, ist nicht immer das, was es mal war."

Aus alt mach neu: die künftige Apartment-Lobby des Waldorf Astoria
Foto: BoundaryKronleuchter sind nicht seine einzige Sorge. Miller, der neue Haushofmeister des Waldorfs, ist hauptberuflich US-Chef des chinesischen Versicherungskonzerns Anbang, der das Hotel 2015 kaufte. Der Deal war kontrovers: Stamm- und Staatsgäste blieben aus, sie trauten dem neuen Besitzer nicht.
Zwei Jahre später machte Anbang das Waldorf dicht. Aus einem anderen Grund: Im Zuge einer massiven Kernsanierung wandelt es die Hälfte der Zimmer in Apartments für Millionäre um. Aber auch das ist nicht unumstritten - New York hat so schon zu viele VIP-Immobilien und zu wenig erschwinglichen Wohnraum.
Trotzdem hat der Pekinger Konzern bisher mehr als drei Milliarden Dollar in das Mammutprojekt investiert. Es ist nicht nur ein politisches und finanzielles Risiko: Die Arbeiten, die der SPIEGEL vorab in Augenschein nahm, gleichen einer archäologischen Ausgrabung, bei der der Bestand einer der ikonischsten Stätten New Yorks auf dem Spiel steht.

Bauphase des Waldorf Astoria (Aufnahme von 1930)
Foto: Anbang Group/ SOMDas Waldorf ist so eng mit der Geschichte Manhattans verwoben wie das Empire State Building, das im selben Jahr an der Stelle des ursprünglichen, 1929 abgerissenen Hotels eröffnet wurde. Der jetzige Waldorf-Bau an der feineren Park Avenue war lange das höchste, größte Hotel der Welt, mit 2200 Zimmern. Alle hatten Telefon, ein Novum.
Passanten flanierten durch die Lobby, um den Prunk zu bestaunen und die Society, die sich dort traf. Die Türme, 47 Etagen hoch, galten als "vertikales Beverly Hills", die Präsidentensuite diente als Alterssitz für Ex-Präsident Herbert Hoover und nach dessen Tod als regelmäßige Unterkunft für seine Nachfolger. Seit 1972 gehörte das Waldorf zur Hilton-Kette. Bis Anbang 1,95 Milliarden Dollar hinblätterte - ein Rekord für einen Hotelkauf.
Für Anbang war das Waldorf Teil einer globalen Expansion auf Pump, die schiefging. 2017 wurde Wu Xiaohui, der Gründer und Chairman, verhaftet und später wegen Betrugs zu 18 Jahren Haft verurteilt. Die Regierung in Peking zerschlug Anbang und stieß 15 Hotels ab. Das Waldorf Astoria ist einer der letzten Restposten.

Waldorf Astoria: Wiederauferstehung einer Ikone
Miller versichert, die Zukunft des Hotels sei gesichert, zumal das Management weiter bei Hilton liege. Mitten in so einem monumentalen Bauprojekt kann man kaum aussteigen.
"Das Waldorf war mir schon als Kind ein Begriff", sagt Miller und erinnert an die "Muppet Show", deren Grantelgreise Statler und Waldorf nach dem Hotel und seinem Schwesterhaus benannt sind, dem einstigen Statler Hilton.
In einer Ecke der restaurierte, blankpolierte Steinway-Flügel, auf dem Cole Porter komponierte
Miller führt durch den funkelnden Apartment-Showroom, wo Kaufinteressenten schon jetzt ein Gefühl dafür bekommen können, wie das "neue" Waldorf aussehen wird. Es riecht nach frischer Farbe, in einer Ecke steht der restaurierte, blankpolierte Steinway-Flügel , auf dem Cole Porter, der bis zu seinem Tod 1964 in einer Waldorf-Suite lebte, "I've Got You Under My Skin" komponierte.

Auch der Sport feierte dort: Basketball-Legende Magic Johnson (links) vor dem Waldorf Astoria (1982)
Foto: MARTY LEDERHANDLER/ APDraußen dagegen steckt die Kalksteinfassade des gesamten Blocks noch hinter staubigen Baugerüsten. Die mehr als 5000 Fenster werden gerade ersetzt, die neuen sind nach den Originalen rekonstruiert, nur dicker und schalldicht.
Das 140.000-Quadratmeter-Interieur wurde über die Jahrzehnte immer wieder umgebaut, angebaut, zugebaut. Nichts war mehr im Urzustand, weder der Ballsall, die drei Restaurants oder die sechs gestaffelten Foyers zwischen Park Avenue und Lexington Avenue - noch die Decken, Wände oder Teppiche.
"Die Komplexität dieses Projekts kapierte ich erst, als ich mich richtig reinkniete", sagt Miller. "Doch unser ganzes Team hat sich ins Waldorf verliebt - die Historie, die Anekdoten, die Vielschichtigkeit." So vielschichtig, dass sie alle Strom- und Wasserleitungen rausreißen und neu verlegen mussten.

Wo sind die Figurinen? World's Fair Clock in der Waldorf-Lobby (2014)
Foto: Mark Lennihan/ APFarbproben unter dem Mikroskop
Die Restauratoren durchstöberten alte Fotoarchive und kratzten sogar an den Wänden. "Wir haben Farbproben unter dem Mikroskop geprüft, um herauszufinden, von wann sie stammen", sagt Frank Mahan von der Architekturfirma SOM. Der Kronleuchter im Ballsaal war offenbar nicht die einzige nachträgliche "Verschönerung". Putten, Mosaike, indirekte Beleuchtung: Vieles war unecht. Andere Stücke waren demoliert: An der berühmten, fast drei Meter hohen World's Fair Clock von 1893, die in der Zentrallobby stand, fehlten ein paar Figurinen, keiner weiß, wo sie geblieben sind.
New Yorks Denkmalschutzkommission genehmigte die Umbauten erst, nachdem Anbang mehrmals vorstellig gewesen war. Für die Anhörungen schuf das Designteam ein 57-seitiges Buch, das jedes architektonische Detail enthält, samt der sieben Materialien des Treppenhauses: Kalkstein, Travertin, Gipsputz, Kacheln, Nickelbronze, Blattgold, Spiegel.
Die Kommission segnete den Plan ab, verfügte aber den Erhalt vieler Art-déco-Elemente - darunter mehr als 2000 Leuchter, die Türen der Marilyn-Monroe-Suite und die Marmorsimse der Cole-Porter-Suite. Die französischen Designer Pierre-Yves Rochon und Jean-Louis Deniot sorgen dafür, dass sowohl das aufgemotzte Hotel wie die neuen Apartments stilgerecht bleiben.

Treff für Staatschefs: Präsident Barack Obama im Waldorf Astoria (2012)
Foto: Charles Dharapak/ APDas Hotel soll 2022 wiedereröffnen, die "Pre-Sale"-Phase für die ersten der 375 Privatbleiben hat bereits begonnen, sie kommen aber erst später auf den Markt - von der 1,7-Millionen-Dollar-Einzimmerwohnung bis zum 620-Quadratmeter-Penthouse mit Dachterrasse, das noch keinen Preis hat. Alle haben Zugang zum hauseigenen Fitnesszentrum mit Spa, Kino, Weinkeller, Bibliothek, Billardsaal, 25-Meter-Swimmingpool - und dem berühmten Room Service des Hotels.
Geschmack wird mitgeliefert: An den Wohnungswänden hängt echte Kunst, kuratiert vom Auktionshaus Simon de Pury. Waldorf-Verkaufschef Dan Tubb betont, wie anders diese Apartments seien als die Glasboxen in den modernen Wolkenkratzern. Die Kunden, behauptet er, wollten wieder mehr Stil und Gemütlichkeit. Tubb muss es wissen, er selbst betreute eine dieser Mega-Immobilien, den Supertower One57 in Midtown.
Wo ist der Kronleuchter aus dem Ballsaal geblieben?
Obwohl sich der Luxusboom in New York abgekühlt hat, gibt sich Tubb optimistisch. Er ist zum Experten für die Geschichte des Waldorfs geworden und hofft, dass die Käufer seine Begeisterung teilen: "Viele Leute haben eine Beziehung zu diesem Gebäude, sie waren hier auf Hochzeiten, Partys, Events." Nun könnten sie auf Dauer im Waldorf wohnen.
Wo der Kronleuchter aus dem Ballsaal geblieben ist, kann allerdings keiner sagen. Da er nicht durch die Türen passte, musste er in seine Einzelteile zerlegt werden, danach verlor sich die Spur.
Wahrscheinlich hat ihn sich ein Sammler geschnappt. Ein einfacherer, kleinerer Leuchter aus der Duke-of-Windsor-Suite des Hotels ist auf dem privaten Markt für 28.000 Dollar zu haben .