

Tourismusbranche in Not "Wir können die Gäste ja nicht in Plastikfolie wickeln"
Urlaub für Familien: Plötzlich wieder verantwortlich
An einem WG-Tisch kam Ulrich Mühlberger vor mehr als 30 Jahren mit ein paar Freunden auf die Idee, Familienferien zu organisieren. Inzwischen ist Vamos-Reisen aus Hannover der führende Anbieter für Eltern-Kind-Reisen. Aus dem operativen Geschäft hatte sich der 72-Jährige eigentlich schon zurückgezogen. Seit die Corona-Folgen das Unternehmen in eine existenzielle Krise gestürzt haben, sind er und sein Co-Inhaber wieder für schwierige Entscheidungen gefragt:
"Seit uns von heute auf morgen alle Buchungen weggebrochen sind, befinden wir uns im freien Fall - und es gibt nichts zum Festhalten. Wir waren 32 Jahre lang ein völlig gesundes Unternehmen. Unsere Rücklagen schmelzen derzeit wie Schnee in der Sonne. Wenn plötzlich 10.000 Kunden ihre Buchungsanzahlungen - zehn Prozent des Reisepreises - zurückfordern, was ihr gutes Recht ist, sind das enorme Beträge. Als Corona über uns hereinbrach, haben wir ausgerechnet, dass unsere Reserven drei Monate halten. Praktisch niemand in der Branche hat Rücklagen, die diesen Gau abfedern könnten.
Drei Viertel unserer 60 Angestellten sind auf 100 Prozent Kurzarbeit. Bei einigen Mitarbeitern reicht das Geld nicht, sie arbeiten jetzt im Supermarkt. 150 freie Mitarbeiter*innen, Kinderbetreuer*innen, Reise- und Workshop-Leiter*innen, mit denen wir oft schon lange zusammenarbeiten, stehen derzeit ohne Vertrag da.
Ulrich Mühlberger
Sehr bedrückend sind die Existenznöte bei vielen unserer 120 Gastgeber. Das sind alles kleine Familienbetriebe, hauptsächlich im Mittelmeerraum, die mit großer Leidenschaft geführt werden und dringend auf unsere Gäste warten. Am besten sind noch diejenigen dran, die sich mit Weinanbau oder Olivenölverkauf über die Runden retten können.
Das Schlimme ist die Ohnmacht: Wir können keine Versprechungen machen. Wir wissen ja selbst nicht, wann es weitergeht. Die weltweite Reisewarnung gilt jetzt bis Mitte Juni. Wie es danach weitergeht, kann niemand sagen.
Sehr rührend sind die vielen guten Wünsche von Kunden, die uns schreiben, wie viel ihnen die Reisen mit uns bedeuten.
Altersbedingt hatte ich mich in den vergangenen Jahren eigentlich im Abschiednehmen geübt. Die Geschäftsführung haben mein Gründungspartner und ich in kompetente, jüngere Hände gelegt. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, plötzlich wieder in der Verantwortung zu stehen.
Aktuell sind wir dabei, einen Kredit über 1,5 Millionen Euro aufzunehmen. Damit können wir uns vorerst Luft verschaffen, das Geld über Jahre zurückzuzahlen wird ein Kraftakt. Es sind schwere Schritte, die mein Co-Inhaber Roger Schulze und ich derzeit unternehmen. Für den Kredit bürgen wir persönlich. Vamos ist unser Lebenswerk, wir wollen, dass es weitergeht.
Was die ganze Branche dringend braucht, sind echte Zuschüsse und rechtliche Regelungen, die einen vernünftigen Ausgleich zwischen Kunden und Reiseunternehmern schaffen. Der Staat kann doch nicht ernsthaft ein Interesse daran haben, dass gesunde Unternehmen pleitegehen.
Derzeit loten wir aus, wie wir innerhalb Deutschlands mehr Angebote schaffen können, die zu unserer Reisephilosophie passen. Das ist nicht einfach. Um einen klaren Kopf zu bewahren, gehe ich mit meiner Frau regelmäßig wandern. Ich bin überhaupt kein Esoteriker, doch draußen in der Natur zu sein, empfinde ich als heilsam. Mein größter Wunsch: Dass ich mich bald wieder zurückziehen kann, weil Vamos wieder richtig durchstartet."
Campingplatz an der Ostsee: "Gute Jahre müssen die schlechten ausgleichen"
Wiebke-Sophie Volquardsen, 65, betreibt seit 2002 den nördlichsten Campingplatz Deutschlands - das Ostseecamp Glücksburg-Holnis an der Flensburger Förde mit 250 Plätzen. Seit 2016 gehören auch ein Hotel mit 40 Zimmern und ein Café zu der Anlage in Schleswig-Holstein.
"Seit Wochenbeginn durften zumindest die ersten Dauercamper zurückkehren - unter Auflagen zwar, aber das ist nach dem Lockdown, der uns so kurz vor Saisonbeginn hart getroffen hat, ein hoffnungsvoller Anfang. Sie mussten unterschreiben, dass sie sich an die Abstandsregelungen halten und autark sind, denn das Sanitärhaus muss weiterhin geschlossen bleiben. Auch das Strandcafé ist zu, und die Strandkörbe bleiben vorerst eingelagert.
Unsere Saison beginnt Ostern, den bislang verlorenen Umsatz zahlt einem niemand zurück. Trotzdem versuche ich, optimistisch zu bleiben. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und habe schon als Kind gelernt, dass jederzeit Unvorhergesehenes wie ein Ernteausfall über einen hereinbrechen kann.
Wiebke-Sophie Volquardsen
Gute Jahre müssen die schlechten ausgleichen. Als Campingplatz-Betreiberin muss ich grundsätzlich immer damit rechnen, dass eine Saison komplett ins Wasser fällt. So weit sind wir noch nicht. Jetzt ist Anfang Mai, bis Ende Juni der richtige Hochbetrieb beginnt, ist es noch eine Weile hin.
Niemand weiß, was in den kommenden Monaten erlaubt und verboten sein wird. Werden wir im Sommer vollständig öffnen können oder nicht? Oder wird nur eine Teilbelegung gestattet sein? Wir warten nach den Empfehlungen der Ministerkonferenz auf die Ansagen der Regierung von Schleswig-Holstein.
Viel vorbereiten lässt sich derzeit eigentlich nicht. Was jedoch feststeht: Bestehende Regelungen können sich auch plötzlich wieder ändern. Vor ein paar Tagen hieß es noch, Spielplätze müssen geschlossen bleiben, nun durften wir das Sperrband abnehmen.
Bei uns ist viel Platz, was sicher ein Vorteil ist, unsere Hotelzimmer haben alle kleine Küchenzeilen und viele der Zimmer und Suiten haben eigene Eingänge. Wie sich ein Urlaub mit Atemschutzmasken anfühlt - darüber will ich derzeit lieber nicht nachdenken. Außerdem: Was wäre die Alternative? Als Städter in den Ferien in einer Etagenwohnung hocken zu bleiben, ist auch nicht gerade verlockend.
Natürlich hatte ich in den vergangenen Wochen auch immer wieder düstere Tage und bin schweren Herzens von meinem Wohnort Flensburg zum leeren Campingplatz gefahren. Ich musste viele Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken, das tat weh, denn bei einigen reicht das Geld einfach nicht.
Die derzeitige Politik ist wirtschaftlich schwer auszuhalten, trotzdem bin ich davon überzeugt, dass sie richtig ist, sie behütet uns. Ich bin dankbar, dass wir hier oben in Norddeutschland bisher vergleichsweise wenige Covid-19-Erkrankte haben.
Obwohl viele meiner Gedanken derzeit natürlich ums Geschäft und die Betriebswirtschaft kreisen - es gibt auch andere Themen. Ich habe Sehnsucht nach unseren fünf erwachsenen Kindern, die ich aufgrund der Reisebeschränkungen in Schleswig-Holstein und zu unserem Schutz lange nicht in die Arme schließen konnte. Und mein Mann und ich hoffen, dass unser siebtes Enkelkind bald gesund auf die Welt kommt."
Biohotel in der Göhrde: Wanderungen mit Mundschutz
Barbara Kenner, 58, ist Inhaberin des Biohotels Kenners Landlust in Dübbekold in der Göhrde (Niedersachsen).
"Mein Alltag ist gruselig, weil ich die Stornierungen abwickeln und teilweise Zahlungen erstatten muss. Wir kriegen durchaus im Moment noch Anfragen, weil die Leute ganz dringend rauswollen. Wir sind zwar seit März geschlossen, dürfen aber ab dem 25. Mai das Hotel wieder aufmachen - jedoch leider kein Geld verdienen, weil wir nur zu 50 Prozent belegen dürfen.
Ich kann schon verstehen, dass Regeln her müssen. Aber um einen Betrieb gewinnbringend führen zu können, geht das so nicht. Wir werden ganz sicher an der Preisschraube drehen müssen. Wir müssen neu kalkulieren: Wie viel mehr Personal kosten die Beschränkungen? Und auch darüber nachdenken, wie wir auch den Gästen einen richtigen Urlaub verschaffen können. Wir können sie ja nicht in Plastikfolie wickeln und sagen, bewegt euch in einem Ganzkörperkondom.
Wir tun ganz viel, um unsere Gäste dazu zu bringen, miteinander in Kontakt zu treten. Wir machen geführte Wanderungen, Lesungen, Kinderbetreuung und gemeinsame Lagerfeuer. Ein paar Sachen kann man auch weiter so machen, denke ich. Bei den Wanderungen müsste eventuell Mundschutz getragen werden. Beim Lagerfeuer könnten wir die Stühle so verteilen, dass wir die Plätze auseinander halten. Gemeinsam am Tisch zu sitzen und zu quatschen wird aber schwierig.
Barbara Kenner
Im Moment macht die Politik das Abstandhalten zu meinem Problem. Gleichzeitig wird nicht darüber nachgedacht, was denn die Konzepte für Familien sind. Wenn ich hier 25 Kinder habe und denen sagen würde, sie sollen sich bitte im Abstand von anderthalb Metern bewegen, kann man sich vorstellen, wie erfolgreich das wäre.
Die Situation für die Gastronomie und Hotellerie ist desolat. Wenn wir das durchhalten sollen, muss wirklich richtig viel Geld in die Hand genommen werden. Die Hotellerie ist ein Durchlauferhitzer. Ich wünsche mir von der Politik vorausschauendes Denken - und lösungsorientiertes. Wir müssen klarmachen, dass dieses Problem riesengroß ist und nicht mit einmalig 5000 Euro zu retten ist. Längerfristig gedacht, könnte zum Beispiel die Mehrwertsteuer für drei bis fünf Jahre auf fünf Prozent runtergesetzt werden - das wäre schon mal ein Anfang.
Wir persönlich, also meine Tochter und ich, haben überlegt, ein Kochbuch zu machen und es über Crowdfunding zu finanzieren. Wir hoffen, dass die Leute sagen, 'Okay, wir wollen furchtbar gern wieder zu euch kommen, also kaufen wir das Kochbuch auch für einen höheren Preis, damit ihr überleben könnt.'"