Warum es was anderes ist, wenn Weiße auf Reisen gefragt werden, ob sie #vonhier sind

Von Thembi Wolf

Dieser Beitrag wurde am 01.03.2019 auf bento.de veröffentlicht.

Akku leer, fremde Großstadt und in genau elf Minuten fährt der ICE. Aber wo ist der verdammte Bahnhof?

Wen man in diesem Fall nicht nach dem Weg fragt: Leute mit Kameras. Leute in Grüppchen, die einem Regenschirm hinterherlaufen. Taxifahrer. Was man zuerst fragt, um das Gespräch abzukürzen: Entschuldige, bist du von hier?

Über diese Frage tobt seit Tagen ein Streit auf Twitter. Ist es rassistisch, jemanden zu fragen, ob er #vonhier ist? Die Journalistin Ferda Ataman hat die Debatte gestartet. Sie nennt Menschen, die penetrant nachhaken, Herkunftsdetektive.

Was genau an der Frage nach der Herkunft problematisch ist, haben nicht-weiße Menschen schon mal erklärt (bento ). Und dann nochmal (SPON). Und nochmal (SPON). Und nochmal (bento). Und nochmal (bento).

Auf Twitter zeigt sich eine neue Facette der Debatte: Weiße Menschen sagen, ihnen werde die Frage auch gestellt – vor allem auf Reisen. Wo ist da der Unterschied?

Mal ehrlich: Auch, wenn man nicht den Bahnhof sucht ist "Wo kommst du her?" ähnlich wie "Was machst du so?" ein ziemlich naheliegender Gesprächseinstieg.

Der Kellner in Rom, die Surflehrerin in Spanien, der Taxifahrer in Paris – sie alle sind neugierig und wollen wissen, wo du herkommst.

Die Frage begegnet nicht nur Menchen, die nicht weiß sind:

  • "Als ich ein Jahr in den USA war wurde ich sehr oft gefragt, wo ich herkomme. Hat mich das gestört? Nein. Hatte ich es nötig mich selbst in die Opferrolle zu drängen? Nein. Kam öfters ein nettes Gespräch dabei raus. Ja." (Twitter )
  • "Ich habe jahrelang und in verschiedenen Ländern außerhalb Deutschland gelebt. Die Frage nach meiner Herkunft kam auch immer. Weil ich entweder anders aussah (China) oder einen leichten Akzent hatte (englisches Ausland) ich war nie beleidigt." schreibt @Noregmothoodbut 
     

Und auch Menschen mit Migrationshintergrund sehen die Debatte kritisch:

  • Die Journalistin Mariam Lau sagt: "Leute fragen einen, wo man herkommt. Wo die Eltern herkommen. Wann man das letzte Mal da war. SO WHAT? Man nennt es Interesse. Man nennt es Konversation!" (Twitter)

Auch in Großstädten wie Berlin wird man ständig, standardmäßig und unabhängig von der Hautfarbe gefragt, ob man #vonhier kommt. Gefühlt kommen nämlich alle von anderswo. Irritation gibt es erst, wenn das gegenüber tatsächlich aus Berlin kommt. Moment mal: Echt jetzt? So richtig aus Berlin? Und wie war das so, die harte Berliner Kiez-Kindheit?

Der entscheidende Punkt: Wer wird wo, von wem, warum – und wie oft gefragt?

Eine schwarze Bekannte aus Ruanda freut sich immer  heimlich über die Frage. Denn sie kommt tatsächlich nicht #vonhier. Aber sie liebt Ruanda: Grüne Hügel! Bestes Essen! Und die Musikszene in Kigali!

So geht es mir auch. Klar darf man wissen wollen, wo ich herkomme!

Ich komme aus dem Osten, wo die Butter noch nach Butter schmeckt und eigentlich fast alles etwas besser ist, als im Westen (YouTube ). Sagt jemand "das hört man ja gar nicht", gibt mir das im Herzen einen kleinen Stich. Denn ich behaupte, dass Sächsisch zwar auch enorm sexy klingt, aber ganz anders als Thüringisch.

Wenn jemand nicht weiß, wo Thüringen liegt, sage ich inbrünstig: Im grünen Herzen Deutschlands. Ohne Ironie. Ich weiß, dass es die besten Bratwürste auf dem Weimarer Markt gibt, sie kommen allerdings aus Apolda. Und wer da Ketchup drauf macht, zeigt, dass er nicht #vonhier ist (oder keinen Geschmack hat).

Aber wo ist dann das Problem?

Das alles will niemand wissen. Spätestens nach zwölf Nachfragen ist klar, es geht nicht um Bratwurst, sondern um die Migrationsgeschichte meiner Eltern. Daher antworte ich auf die Woher-Frage regelmäßig: Südafrika. Das stimmt nicht, beendet aber das Gespräch.

Wer Menschen in ihrer Heimat fragt, wo sie herkommen, suggeriert: Gehörst du nicht woanders hin? Was hast du hier verloren? Hast du dich auf dem Heimweg nach Afrika verlaufen?

Deswegen ist es nicht dasselbe, wenn der Typ in der Bar im Urlaub wissen will, ob du #vonhier  bist.

Denn die Frage trifft dich als Touristin, an einem Ort, an dem du nicht zu Hause bist und zu dem du dich auch nicht zugehörig definierst. Du beantwortest die Frage einmal – und der Kellner ist zufrieden.

Die Menschen auf Twitter berichten von Situationen, die sie in ihrer Heimat erlebt haben, nachdem sie ohnehin schon viele Rassismus- und Ausgrenzungserfahrungen gemacht haben. Und eine Antwort reicht meistens auch nicht:

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Oder:

Wer immer noch nicht überzeugt ist, dass es einen Unterschied gibt, muss vielleicht einfach besser zuhören:

Wenn nicht-weiße Menschen sagen, das ist für sie ein Problem, ist das so. Melina Borcak schreibt auf Twitter: "Fast so wie wenn Mensch ohne Behinderung sagen würde: 'Hey Rollstuhlfahrende, beruhigt euch! MICH stört's nicht, dass der Eingang keine Rampe hat.'" (Twitter )

Hallo, Tschuldigung, ich hatte da extra mein Handtuch hingelegt.

Man will ja nicht mal allen Menschen auf der Welt erzählen, dass man Deutsche ist. Ist man beispielsweise im All-Inclusive-Urlaub an der türkischen Riviera, sagt man das lieber nur ganz leise. Wer weiß, wie sich die letzten Deutschen benommen haben? Und in manchen Ländern wird einem als Deutsche zum Holocaust gratuliert. Will man auch nicht.

Warum also auf einer unangenehmen, nationalistischen und potenziell diskriminierenden Frage beharren? Vor allem, wenn das Problem eine Lösung hat:

Bist du hier zu Hause?

"Where are you local?" – Diese Frage schlägt die Autorin Taiye Selasi als bessere Variante zu: "Wo kommst du her?" vor. (TED X ) Praktischerweise funktioniert die Frage weltweit. Und das Gegenüber kann gleich fünf Orte nennen – oder keinen. Perfekt für unsere globalisierte Generation.

Und man kann die interessanteren Nachfragen anschließen. Wo kennst du eine gute Kneipe mit bezahlbaren Cocktails? Hast du ein gutes Hummusrezept – oder eher eins für Kartoffelklöße oder beides? Und wo hast du diesen bunten Schal gekauft?

Oder: Wo bitte geht es hier schnellstmöglich zum verdammten Bahnhof?

Hinweis: Wir haben den Tweet von Mariam Lau noch einmal neu eingeordnet. Die Journalistin hat sich auch als Betroffene zur Debatte geäußert.

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