Winterschwimmen in Schweden: Nichts für Ungeübte
Winterschwimmen in Schweden: Nichts für Ungeübte
Foto: Rachel Annie Bell / Cavan Images / imago images

Winterschwimmen Eisgekühlt, aber glücklich

Was lange nur die Routine vereinzelter Nerds war, wird populär: das Winterschwimmen. Um aber nicht nur eine riskante Mutprobe zu absolvieren, gibt es Regeln. Bericht einer Langzeiterfahrung.
Von Anne Haeming

Natürlich kommen die Tage, an denen es hart ist morgens. Wenn es um sieben Uhr draußen noch finster ist und in den Radionachrichten keine Plusgrade mehr angesagt werden. Aber spätestens, wenn es knirscht beim Sockenanziehen, ist das alles egal: Der getrocknete Blätterrest vorne in der Fußspitze erinnert an den Morgen zuvor. Und den davor.

Und alle anderen kaltdunklen Herbstwinterschwimmrunden der vergangenen fünf Jahre. Und damit daran, dass es die beste Idee des Tages bleiben wird, jetzt in der Früh durch die Stadt eine Viertelstunde an den See zu radeln, Wolkentürme in die Luft atmend. Um schwimmen zu gehen und dann barfuß und nass im Laub zu stehen.

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Winterschwimmen: Eis und heilig

Foto: Anne Haeming

Also zu Hause im Halbdunkel übers Badezeug Winterschichten schichten, zwei Paar Handschuhe, dazu der Beutel mit Handtuch und frischer Wäsche und los. Wenn's gerade eben hell wird über der Stadt, der Himmel und die Wolken manchmal noch orangerot in der aufgehenden Sonne.

Und vor allem: wenn am See noch wenig los ist. Auch, wenn derzeit am Berliner Plötzensee so früh deutlich mehr Leute unterwegs sind als sonst zu der Jahreszeit. Mehr Menschen, die joggen, spazieren gehen, Bankstütze machen, Bäume umarmen – und ins Wasser gehen.

Hauptsache, sie wissen, was sie tun. Dass nun selbst bei Lockdown-Hobby-Online-Bingomaschinen »Winterschwimmen« auftaucht und Ex-Bild-Chefredakteur Kai Diekmann regelmäßig über seine erste Eisbadesaison  in Jungfernsee und Ostsee twittert, sind Indizien: Was all die Jahre die Routine vereinzelter Nerds war, wird populär.

Aber es ist ein Unterschied, seit fünf Jahren täglich, sommers wie winters, in Seen zu schwimmen – oder nun spontan loszulegen, weil man irgendwo davon gelesen hat. Selbst das Team vom »Extreme Environments Laboratory« der Universität Portsmouth, das die positiven Effekte von Kaltwasserschwimmen  erforscht hat, warnt in seinen Tweets aktuell davor, das Ganze zu locker zu sehen.

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Und auch die neu gegründete Winterschwimm-Sektion der »Outdoor Swimming Association«  verweist auf ihrer Website gleich in der ersten Zeile auf die Risiken; ihre Crowdsourcing-Landkarte »Wildswim« haben sie vorsichtshalber ganz offline gestellt.

Vor allem: niemals allein ins Wasser

Ganz klar: Wer jetzt, im Winter, damit anfangen will, sollte es am besten gleich lassen. Die sicherste Art, Winterschwimmen zu üben, ist: nach dem Sommer gar nicht erst aufzuhören. Sondern Woche für Woche weiter ins Wasser zu steigen. Denn von Oktober bis Dezember sinkt die Temperatur jede Woche nur etwa um ein Grad – machbar. So kann sich der Körper akklimatisieren, das Hirn gewöhnt sich daran, sich zu überwinden. Keine Panik, kein zu schnelles Atmen, kein Mutproben-Feeling – weniger Gefahr.

Aber auch Winterschwimmvereine haben pandemiebedingt nun ihre regelmäßigen Treffen, nun ja: auf Eis gelegt. Also noch weniger sichere Anlaufstellen für jene, die sich trotzdem nicht abhalten lassen. Niemand, der ihnen die goldenen Regeln erklärt: Mütze aufziehen, damit das Hirn warm bleibt; vielleicht sogar einen Neoprenanzug tragen; ganz langsam ins Wasser steigen und ruhig atmen; unbedingt in Ufernähe bleiben, wo alle noch stehen können; maximal fünf Minuten oder 30 Schwimmzüge, lieber erst mal nur zehn, nicht mit dem Kopf unter Wasser. Und vor allem: niemals allein.

Zwei der Neuen hier am See, die immer schon von Weitem sichtbar sind, sind vorbildlich: Sie tragen Ganzkörperneopren, die Hauben ragen tief in die Stirn, sie ziehen ihre Bahnen parallel zum Ufer im Flachen. Oder die Jungstruppe, die sich sonntagmorgens an dem langen Mauerstück trifft – und so aufeinander aufpasst.

Die Mauer ist jenseits des Strandbads einer der wenigen Flecken mit Seezugang, um das geschützte Ufer nicht zu stören. Die Stelle ist perfekt: um das Rad anzulehnen, dabei weit genug vom Weg entfernt, dass sich niemand belästigt fühlt. Und mit dem idealen Blick aufs graubraune Drumherum. Auf das Sommerbad gegenüber, die kahlen Bäume, dazwischen die ein, zwei Buchen, an deren Äste sich die Blätter seit Wochen trotzig festkrallen.

Die Luft an diesem Morgen ist schneidend. Sie riecht würzig vom dichten Laubboden. Manche würden wohl sagen: modrig. Ein Grad Celsius zeigt das kleine Taschenthermometer an, vier Grad im Wasser. Der See ist damit schon im Winterschlaf, »Winterstagnation« nennen das die Limnologen , nachdem sich die Wärmeschichten im Herbst durchmischt haben.

Die schlecht gelaunten Schwäne schwimmen weit genug entfernt, um einem nicht in die Quere zu kommen. Also Handtuch parat hängen und runter mit den Schichten: Schal, Mantel, zwei Winterpullis, Schuhe, Socken, Hose, Thermolangarm, Unterhemd, in der Reihenfolge, alles ordentlich übereinander. Damit es später schneller geht, wenn kaltstarre Hände und Füße sich in Socken und Knöpfen verheddern.

Im Sommer eine halbe Stunde, im Winter fünf Minuten

Das Laub federt die paar Meter zum Wasser wie ein dicker Teppich. Es ist nicht kalt. Also gut, schon kalt. Aber nicht spürbar. Ein Körper gewöhnt sich in fünf Jahren. Schritt für Schritt, dabei ein prüfender Blick aufs Wasser: Wie klar ist der See gerade? Wie dickflüssig fühlt sich das Nass an, wie samten? Noch Luftblasen wie vor ein paar Wochen, irgendwo leichte Nebelschlieren? Kälter als sonst?

Ob August oder Jahreswechsel, immer das Gleiche: einatmen und reingleiten, fertig. Und jedes Mal nach ein, zwei Zügen der Gedanke, dass es noch besser ist als je zuvor. Einem Im-Raum-Schweben gleich. Mit einer Perspektive auf die Welt, die nur hier möglich ist, eine Handbreit über der Oberfläche, 360 Grad rundherum nur Wasser.

Die vertraute Pappel dort hinten, die Weide da, das eine Blesshuhn, das immer so laut schimpft, der Mann, der seit Jahren morgens seine Runden marschiert und auf der anderen Seeseite zwischen den dürren Sträuchern aufblitzt. Von Ferne das Rauschen der Straßen dahinter, seit Herbst erinnern nicht einmal mehr die Flugzeuge nach Berlin-Tegel an die Stadtlandschaft.

Im Sommer hält dieses Glück eine halbe Stunde, längs und zurück. Zurzeit sind es nur fünf Minuten. Bis fast in die Hälfte des Sees, na gut, ein Drittel, dann zurück. Sich aufgehoben fühlen in der Natur entlang des Uferrunds: Das gehört zum Reiz, sich im Wintergrau nach draußen zu begeben.

Egal ob frühmorgens oder bei Wochenendausflügen ins Umland, so weit das Fahrrad trägt, auch mal mit Hammer fürs Eis im Gepäck. Es gibt weniger Ablenkung: weniger Geräusche, Düfte, Menschen. »I am a transparent eyeball«, formulierte der US-Dichter und Philosoph Ralph Waldo Emerson vor fast 200 Jahren übers In-der-Natur-Sein, »Ich bin nichts; ich sehe alles.«

Bis die »Neuen« in diesem Stadium ankommen, dauert es meist. Sie sind, verständlicherweise, vor allem berauscht davon, sich ins Eiswasser hinein zu überwinden. Ihr Blick richtet sich auf sich selbst; drum überall die Selfies von Menschen in kaltem Wasser. Doch jene, die schon länger dabei sind, glühen vor allem wegen des Glücks, im Draußen zu sein, zwischen Schilf und Hügeln und Wald und Horizont.

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Was jene, die das Ganze kopfschüttelnd von außen verfolgen, dabei missverstehen: In dieses Kalt zu steigen, einen Schwimmzug nach dem anderen zu machen, hat nichts von testosterongeladenem Selbstdarstellertum. Es ist ein stilles, sehr privates Tun. Es flutet das ganze Sein mit Endorphinen. Das Graubraun drumherum fällt nicht mal auf. Danach nicht zu grinsen und pfeifend durch die Stadt zurückzuradeln, ist ganz und gar unmöglich.

Dieses Glück schleppt sich mit bis nach Hause. Es rutscht aus Hosenbeinen und Handtüchern, legt Spuren in der Wohnung. Ein Birkenblatt hier, ein Ahornsamen dort. Und Laubkrümel in der Sockenspitze.

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