Nahost Der Libanon - "Israels Vietnam?"
Sichtlich ermüdet, auf einen Gehstock gestützt, sprudelte Menachem Begin Zweckoptimismus. Mitten im Kriege für acht Tage zur Schutz- und Zahlmacht USA gezogen, behauptete er nach der Heimkehr, er habe in Amerika "volles Einverständnis" erzielt. Präsident Reagan habe ihn gar dringend gebeten, ihn mit "Ronnie" anzureden: "Das ist eine klare Freundschaftsgeste."
So etwas hätten Israel und sein Begin dringend nötig. Denn noch niemals in seiner Geschichte sah sich der Judenstaat einer solchen Welle weltweiter Kritik ausgesetzt, wie in diesen Juniwochen, da Israels Panzer und Artillerie den Libanon zertrümmerten.
"Halbfaschisten" nannte Österreichs Kanzler Kreisky die Begin-Mannschaft. "Sind Begin und Scharon Faschisten?" fragte Frankreichs "Monde". Und die traditionell Israel-freundliche "New York Times" beklagte das "Libanon-Gemetzel".
In den Städten der friedlichen Schweiz gingen antiisraelische Demonstranten auf die Straße, das holländische Parlament verurteilte den "flagranten Verstoß gegen das Völkerrecht", die Pariser Regierung verlangte von Israel "feierlich, den Bombardements und Kämpfen ein Ende zu setzen".
Und selbst Washington machte keineswegs nur "Freundschaftsgesten". Die Gespräche seien zeitweilig nicht nur "offen und direkt", sondern "brutal" verlaufen, meldeten US-Diplomaten.
Schon vor dem Treffen hatte Begin getrotzt, er habe sich zwar ein Bein gebrochen, werde aber "sein Knie nicht beugen". Mit fragwürdigen historischen Vergleichen stets bei der Hand, erklärte er dann dem Präsidenten der USA, Israel werde sich "nicht wie die Tschechoslowakei 1938 verhalten".
Reagan trug dem ruppigen Besucher seine Bedenken vor, weniger gegenüber Israels strategischem Ziel, die PLO auszuschalten, als an der weltweit gebrandmarkten Methode, dabei große Teile des Libanon in Asche zu legen und Tausende unbeteiligter Libanesen zu töten.
Verteidigungsminister Weinberger hatte sogar eine fühlbare Bestrafung Israels verlangt, weil es vertragswidrig amerikanische Waffen in einem Angriffskrieg benutzt habe. Außenminister Haig, laut Begin "ein guter Freund Israels", war dagegen. Heraus kam bei dem Washington-typischen Hin und Her eine halbe Maßnahme, die den kriegerischen Begin kaum schreckte: Die USA wollen die Lieferung von 75 zugesagten F-16-Kampfflugzeugen einfrieren.
Im Wesentlichen enthüllte der Begin-Besuch weniger über den Gast als über den Gastgeber: daß die USA keine konzise Nahost-Politik haben, sondern sich von dem Kleinstaat Israel überrennen ließen.
Die Wut darüber kam im bislang israelfreundlichen US-Senat offen zum Ausbruch, dort fand nach den Worten eines Teilnehmers "die zweite Schlacht um den Libanon" statt. Reihenweise warfen die Senatoren den Israelis die vorsätzlich herbeigeführte "offene Konfrontation" vor und drohten, die amerikanische Finanzhilfe für Israel angesichts der Verwüstungen im Libanon zu streichen.
Darauf belehrte Begin, arrogant und bissig wie stets, die Amerikaner: "Wir sind für Amerikas Hilfe dankbar, betteln aber nicht um Almosen, sondern vertreten gemeinsame Interessen beider Staaten."
Denn Amerika habe, obwohl nicht direkt beteiligt, in Israels Feldzug mitgesiegt: Die Kunden der Sowjet-Union - Syrien und die PLO - hätten eine schwere Schlappe erlitten, die Überlegenheit der USA-Waffen sei vor aller Welt dargetan, der "internationale Terrorismus" hart angeschlagen und gar die Basis für eine prowestliche Orientierung Syriens geschaffen worden - Ähnliches hatte der erfahrene, aber längst außer Dienst gestellte Nahost-Unterhändler Henry Kissinger auch schon behauptet: "Israels Erfolg öffnet breite Perspektiven für eine dynamische US-Politik im Nahen Osten."
Mit diesen Argumenten brachte Begin den US-Präsidenten in dreistündigem Gespräch denn auch dazu, Israels Ziele im Libanon zu billigen, nämlich daß
- alle fremden Truppen - die der PLO, Syriens und Israels - aus dem Libanon abziehen müßten und
- die Sicherheit entlang der israelischen Nordgrenze nie wieder durch "Terrortrupps" in Frage gestellt werden dürfe.
Von Begin vor die vollendete Tatsache der weit vorgedrungenen israelischen Invasion gestellt, versuchte Reagan lediglich, diese noch halbwegs zu begrenzen: Israel dürfe nur wenige Wochen im Libanon verbleiben und unter keinen Umständen in West-Beirut einmarschieren. Denn "das würde Amerikas Interessen in der ganzen arabischen Welt beeinträchtigen".
Ob aber die Interessen Amerikas wie des Westens durch Israels Totalschlag gegen ein arabisches Land am Ende nicht schwer geschädigt und Henry Kissingers "breite Perspektiven" schließlich Chimären sind, war nach der dritten Kriegswoche noch keineswegs ausgemacht.
Und je stärker die Invasionsarmee - allein vor Beirut hatte Israel schon Anfang voriger Woche eine ganze Division massiert -, je blutiger die Kämpfe, je größer die Verwüstungen, um so klarer wurde, daß Israels Kriegsziel die physische Auslöschung der PLO nicht nur als militärische Bedrohung der israelischen Nordgrenze, sondern auch als politischer Integrationsfaktor für die Palästinenser auf dem von Israel kolonisierten Jordan-Westufer ist und ferner noch eine Israel genehme "Neue Ordnung" im Libanon.
Doch gerade dieses Unternehmen "Neue Ordnung" könnte rasch in den libanesischen Treibsand geraten und "den Libanon zu Israels Vietnam machen", wie der Knesset-Abgeordnete Seigermann warnte. Und selbst im längst überrannten Südlibanon war die Lage für die Besatzer durchaus nicht sicher.
Denn von den wohl 20 000 PLO-Kämpfern, die dort standen, gerieten rund 6000 in israelische Gefangenschaft, etwa 3000 fielen, 6000 hatten sich nach Beirut geflüchtet. Das heißt: Mindestens 5000 Freischärler sind in der Masse der 600 000 Palästinenser-Flüchtlinge des Libanons untergetaucht und könnten jederzeit wieder eine Guerilla-Kampftruppe bilden.
In Jerusalem wurde deshalb vorige Woche erwogen, diese Gefangenen sowie 149 syrische Kriegsgefangene gegen die noch in Syrien lebenden etwa 5000 Juden auszutauschen, denen seit Jahren die Ausreise verweigert wird - falls Syrien auf einen derartigen Handel eingeht, nachdem die Kämpfe gerade an der syrischen Front wieder erbitterter geworden waren.
Die syrische Konzessionsbereitschaft wurde durch 1000 Freiwillige aus dem fernen Iran eingeengt, die unter der Parole "Vorwärts nach Jerusalem" in die Schlacht um den Libanon drängten.
Auf israelischer Seite wollte Verteidigungsminister Ariel Scharon die weitere Eskalation: völlige Vernichtung des PLO-Hauptquartiers in Beirut. Zwar beteuerten die israelischen Politiker unzählige Male, die Eroberung Beiruts sei ausgeschlossen, denn "das würde mehr politische Nachteile als militärische Vorteile bringen", so die Abendzeitung "Maariv": Erstmals würde Israel eine arabische Hauptstadt besetzen.
Doch der harte Scharon schien darauf aus, die von der PLO gehaltenen Beirut-Vororte und Flüchtlingslager zu erobern - es sei denn, die PLO kapitulierte bedingungslos.
Daß der Verteidigungsminister die Operationen und damit die Kriegsziele fortlaufend im Alleingang ausdehnte, hatte es in Israel in keinem Nahostkrieg gegeben. So klagte ein Minister: "Nachdem er uns feierlich versprochen hatte, es werde kein Einzug in Beirut stattfinden, sahen wir wenige Stunden später im Fernsehen die Bilder von unseren Soldaten in den Straßen der libanesischen Hauptstadt."
Lange hatte der sonst so autoritäre Begin seinen Verteidigungsminister uneingeschränkt walten lassen, so daß Israelis schon Witze machten über den Premier als "Scharons ersten Kriegsgefangenen". Nach seiner Rückkehr aus Washington versuchte der Maximalist Begin die noch weitergehenden, riskanten Pläne des Ministers einzuengen, aber der war längst wieder an der Front.
Inzwischen kontrollierte Israel 35 Prozent des libanesischen Staatsgebiets, beteuerte jedoch ständig, es wolle keinen Zollbreit behalten, sondern so bald wie möglich wieder abziehen - falls nämlich eine stabile Libanon-Regierung garantiere, daß PLO und Syrer nicht wieder bewaffnet im Libanon aufträten, eine zweifelhafte Hoffnung.
Immerhin teilte die bislang schwache Regierung des von Syrien abhängigen Libanon-Präsidenten Sarkis der Arabischen Liga bereits mit, daß sie das Mandat der syrischen "Friedenstruppe" im Libanon nach Auslaufen am 19. August nicht verlängern werde.
Israels Falken, insbesondere Scharon, machten klar, was sie sich von ihrem Gewaltakt versprechen - außerhalb des Libanon: daß auf dem besetzten Jordan-Westufer und in der Gazazone demnächst palästinensische Notabeln gewillt sein könnten, einen Dialog mit der Besatzungsmacht aufzunehmen, weil sie künftighin den langen Arm der PLO nicht mehr befürchten müßten.
Schon frohlockte Außenminister Schamir: "Jetzt hat die PLO ihren Einfluß auf die arabische Welt eingebüßt." Besonders das finanzstarke Saudi-Arabien werde die allzu sehr in den Bannkreis Moskaus geratenen PLO-Führer künftig bei der Stange halten.
Gerade eine besiegte PLO - oder deren radikaler Flügel - könnte aber, der Basis im Libanon beraubt, erneut in jenen Terrorismus zurückfallen, den die gemäßigte Mehrheit unter Arafat hinter sich gelassen hatte, und wie in früheren Jahren Flugzeuge kapern, Politiker entführen und neue Guerrilleros ausbilden. Dann wäre sogar der militärische Zweck des Krieges ins Gegenteil verkehrt.
Daß dies für die weitgreifenden politischen Absichten der israelischen Staatsführung erst recht der Fall sein könnte, machten militante Palästinenserführer wie der frühere jordanische Verteidigungsminster Anwar Nusseibeh in Jerusalem klar: Die Treue zur PLO sei ungebrochen. Denn diese sei nicht nur eine militärische Kraft, sondern "das Symbol unserer gerechten Sache".
Das Ende der PLO in Beirut schien unterdes besiegelt. Um der Stadt das traurige Schicksal der von Israel zerstörten südlibanesischen Städte Tyrus und Sidon zu ersparen, hatte der aus sechs prominenten Moslem-, Christen- und Drusenpolitikern gebildete libanesische "Nationale Rettungsrat" einen Kompromiß vorgeschlagen: Die PLO solle ihre Waffen strecken, ihre Lager von der libanesischen Armee kontrollieren lassen und sich in eine ausschließlich politische Körperschaft umwandeln.
Aber noch ehe die Israelis auf den Vorschlag eingegangen waren, lehnte die PLO schon ab. Dabei wollten die USA sogar der PLO-Spitze persönliche Sicherheit und die Entfaltung politischer Aktivitäten gewährleisten, bestanden allerdings auf Entwaffnung der PLO-Verbände und Ende der Sonderrechte der Palästinenser im Libanon.
Das Schreckensbild eines in Blut ertrinkenden West-Beirut vor Augen, machten Libanon-Premier Wassan und Ex-Premier Saib Salam der PLO vorige Woche neue Vorschläge - Arafat lehnte wiederum ab. Am vorigen Freitag trat Wassan zurück: Die Israelis, so Wassan, würden mit ihrer "militärischen Erpressung" seine Bemühungen um Frieden sabotieren.
Um sich von der Verantwortung für die israelische Gewaltlösung zu befreien, hatte der Premier zuvor in großer Aufmachung bekanntgegeben, daß Arafat den Friedensplan zurückgewiesen habe. Gleichzeitig hatte er daran erinnert, daß der Libanon bereits vor dem israelischen Einmarsch vergeblich den Abzug der Syrer und die Entwaffnung der Palästinenser gefordert habe - also lediglich eine alte Forderung wiederhole.
Die verheerenden israelischen Luftangriffe der vergangenen Tage hatten die PLO-Viertel Beiruts inzwischen so zerstört, daß Arafat ins Zentrum ausweichen mußte. Fünf libanesische Minister verweigerten ihm Obdach aus Angst vor "späteren Konsequenzen".
Da er nicht mal mehr seinen eigenen Leuten traute, ließ sich Arafat nun von einer Sondereinheit der libanesischen Sicherheitstruppe beschützen. Freitag schließlich telephonierte er aus der Villa seines Gönners Salam zum erstenmal seit sieben Jahren wieder mit dem Christenführer Beschir Gemayel, den er bis vor wenigen Wochen noch einen "Lakaien des US-Imperialismus" und einen "Feind der Araber" genannt hatte.
Und während die PLO-Nachrichtenagentur "Wafa" noch Durchhalteparolen verbreitete, ließ Arafat bereits bei westlichen Botschaften sondieren, ob er mit politischem Asyl rechnen könne.