NOSTALGIE Abenteuer Osten
Die Wächter von gestern mögen von der glorreichen Vergangenheit nicht lassen. Bei Hackepeterbrötchen und Bier versammelten sich Anfang Dezember in vertrauter Umgebung nahe Eisenach 35 Veteranen der Nationalen Volksarmee (NVA), um des 52. Jahrestages der Bildung der Grenzpolizei, der Keimzelle der späteren DDR-Grenztruppen, zu gedenken.
In der intimen Runde diskutierten die Ex-Volksarmisten eine glänzende Idee: Neun Jahre nach dem Fall der Mauer wollen die abgewickelten NVA-Offiziere ein Stück der deutsch-deutschen Grenze naturgetreu wieder aufbauen mit Türmen, doppeltem Stacheldraht und Sperrgräben. "Gerade jetzt", so die Einladung zum Nostalgietreffen, "wo sogenannte Geschichtsaufarbeiter, Juristen und Grenzmuseumsbetreiber versuchen, unsere Vergangenheit aufzuarbeiten", sei es dringend vonnöten, "die Wahrheit" über die gute alte Zeit "darzulegen".
20 Jahre lang hatte Ex-Oberstleutnant Michael Schröder, 46, die DDR vor dem Klassenfeind (und den eigenen Bürgern) geschützt zuletzt als Kommandeur des Grenzregiments 1 im Bereich Mühlhausen. Nach der Wende wollte er "nicht auf Trillerpfeifenpfiff die Uniform wechseln" und zog es vor, vier Jahre lang in einer Firma zu arbeiten, die den Auftrag hatte, den Eisernen Vorhang am DDR-Westwall Stück für Stück abzutragen. Mit sieben ehemaligen Kameraden, darunter fünf höhere Offiziere, gründete er im September den "Militärhistorischen Verein Eisenach".
Unter Staats- und Regimentsfahnen, eingerahmt von FDJ-Wimpeln, Ehrenzeichen und Urkunden, Verbotsschildern aus der Sperrzone ("Achtung Lebensgefahr") und einer riesigen Militärkarte, die den Grenzverlauf (Stand: August 1989) zeigt, tauschen die Genossen beim Wiedersehen an symbolträchtiger Stätte verklärt Erinnerungen aus: Treffpunkt ist stets das Übungsgelände der ehemaligen Grenztruppen der DDR auf dem Moseberg westlich von Eisenach, wo einst junge Rekruten an einer Lehrgrenze gedrillt wurden.
Auf dem Gelände betreibt der ehemalige Grenzer Wolfgang Garwe, 55, seit 1990 eine Spedition. Im Mai hat Garwe ("Wer einmal Grenzer war, der wird es immer bleiben") den angrenzenden früheren NVA-Übungsplatz von der Bundesvermögensverwaltung gekauft. Ein Schnäppchen. Da er die gesamten 14,6 Hektar haben wollte, brauchte er nur 60 Pfennig pro Quadratmeter zahlen.
Der ehemalige Stabsgefreite Garwe und Ex-Oberstleutnant Schröder schwärmen beim Gang durchs weitläufige Areal von ihrem Projekt: "Hier auf dem Gelände des alten Schießplatzes neben dem Kontrollturm werden wir naturgetreu einen Grenzabschnitt von 150 Meter Länge errichten." Allerdings ohne ein paar unwesentliche Kleinigkeiten: Minen und Selbstschußanlagen sind nicht eingeplant. Denn die, sagt Schröder, seien ja schon 1984 entfernt worden.
"Das originale Zaunmaterial, Streckmetall, ist heutzutage schwer zu kriegen", sorgt sich Garwe. Damals sei alles von Firmen aus Westdeutschland geliefert worden. Auch die Fahrspurplatten, (drei Meter lang, ein Meter breit, 1,2 Tonnen schwer) mit denen zu DDR-Zeiten alle Militärwege belegt waren, sind nicht mehr auf dem Markt. Doch Schröder weiß schon eine Quelle: "Es gibt Leute, die so etwas horten."
Bei der Stadt Eisenach haben die Ex-Militärs auf dem Garwe-Grundstück einen Campingplatz beantragt, der falls die Grenzerträume wahr werden zum militärischen Abenteuerspielplatz "für Armee-Freunde aus Ost und West" ausgebaut werden soll. "Militärtourismus ist besonders in den USA und Kanada ganz groß im Kommen", begeistert sich Garwe, "unser Vorteil ist, daß hier auch noch das Abenteuer Osten lockt."
NVA-Rentner sollen die Besucher im "alternativen Grenzmuseum" darüber aufklären, wie romantisch es am Eisernen Vorhang war beim Lagerfeuer vor alten Militärzelten, bei forschen Grenzerliedern, Eintopf aus der NVA-Gulaschkanone und Dauerlauf durchs Gelände. Der allerdings wäre mit ein paar Minen dazwischen weit sportlicher.
Höhepunkte des militärischen Ostalgie-Trips: Geländefahrten in aufgemöbelten Militärfahrzeugen und Schießübungen auf Pappkameraden.
Die ehemaligen Volksarmisten streifen schon wieder über die Flohmärkte, um ihre nach der Wende verscherbelten Armee-Reliquien zurückzukaufen. In Garwes Depot stehen bereits zwei Militärfahrzeuge Baujahr 1962.
Die "Militärhistoriker" haben beim Finanzamt Mühlhausen Gemeinnützigkeit beantragt. Die Chancen, vom ehemaligen Klassenfeind mit Fördergeldern und ABM-Stellen alimentiert zu werden, stünden nicht schlecht.
Des Mammons wegen sind Schröder und Garwe sogar bereit, auf manches Souvenir zu verzichten etwa auf den blauen Wimpel der Freien Deutschen Jugend. Das Fähnchen mit der aufgehenden Sonne, ließ ein wohlmeinender Freund von der Eisenacher Polizei wissen, könnte Ärger machen. Es habe auf dem bundesdeutschen Index verbotener Embleme gestanden.
ALMUT HIELSCHER