Titel Opa geht online
SPIEGEL:
Herr Schmidt, wegen des juristischen Hickhacks um Napster werden jetzt Boykottaufrufe laut. Haben Sie die Treue der Napster-Kunden überschätzt?
Schmidt: Das ist keine Frage von Treue oder Untreue. Napster muss sich an die Auflagen des Gerichts halten. Dass dabei der eine oder andere unzufrieden ist, war zu erwarten.
SPIEGEL: Sony und Vivendi wollen in Zukunft nach eigenen Angaben die Rechte an jedem zweiten Hit halten und planen mit "Duet" ein Konkurrenzangebot. Damit müsste eigentlich jeder zweite Song aus Napster entfernt werden. Sie könnten den Abokunden nur noch die Hälfte des Musikhimmels versprechen.
Schmidt: Das ist ja genau die Situation heute, jedes Label kocht online sein eigenes Süppchen, mit eigenem Katalog und eigenem Bezahlverfahren. Für den Kunden ist das der Horror, den interessiert nicht, bei welchem Label etwas erschienen ist, der will einfach Britney Spears, sonst nichts. Napster hat das genial vereinfacht und stellt die gesamte Welt der Musik online zur Verfügung.
SPIEGEL: Wie geht es weiter?
Schmidt: Wir befinden uns in einer Winwin-Situation. Am 1. Juli startet der neue Abonnement-Dienst. Darin verbinden wir das "Filesharing", also den Dateitausch zwischen Privatpersonen, mit dem Urheberrechtsschutz. Wir können also nur profitieren, und die derzeit 65 Millionen Napster-Nutzer mit uns.
SPIEGEL: Genauso gut könnte man es als Lose-lose-Situation beschreiben entweder wird Napster doch noch gerichtlich verboten und geht offline; oder Napster wird legalisiert und verliert damit das unbezahlbare Piraten-Image, das den Dienst für viele Kids so attraktiv gemacht hat.
Schmidt: Es sind beileibe nicht nur Teens und College Kids, der Eindruck, das seien alles Revoluzzer, ist irreführend. Die Nutzer sind nicht bei Napster, weil es umsonst, sondern weil es einfach zu bedienen ist und die mit Abstand größte Auswahl an Musiktiteln hat.
SPIEGEL: Wie wird man, wenn das Filtern doch noch reibungslos klappen sollte, ab 1. Juli den Dienst nutzen können?
Schmidt: Napster bleibt, wie es ist, nur noch viel besser. Abbrüche beim Herunterladen von Dateien wird es nicht mehr geben. Und alles, was mit der Online-Gemeinschaft zu tun hat, wird weiter verbessert: das Instant Messaging etwa, mit dem man Leute treffen kann, die den gleichen Musikgeschmack haben.
SPIEGEL: Vieles von dem bieten auch andere Dienste: Aimster, Gnutella, Freenet, um nur einige zu nennen.
Schmidt: Im Laufe der nächsten Jahre werden nicht nur Songs über Napster vertrieben, sondern auch Filme, Videos und Buchinhalte. Deshalb ist es so wichtig, dass wir das Ganze legal absichern. Diese Bemühungen sehe ich bei Konkurrenten wie Freenet oder Gnutella ehrlich gesagt nicht.
SPIEGEL: Wird es in zehn Jahren überhaupt noch CDs geben?
Schmidt: Selbstverständlich. Aber die kreativen Inhalte lösen sich aus der physikalischen Hülle, in der sie heute transportiert werden: Buch, CD, Magnetband, DVD werden teilweise ersetzbar.
SPIEGEL: Lesen, hören, glotzen per Internet?
Schmidt: Per Internet, ja, aber ebenso wichtig werden die Kabel-TV-Netze und die Mobilfunknetze. In Zukunft werden die Kunden ihre persönlichen Medieninhalte völlig neu nutzen: übers Netz, per Mobiltelefon oder über einen TV-Rückkanal. Die Musiksammlung, die Sie heute physikalisch im Regal stehen haben, wird in Zukunft digital hinterlegt in einem "Locker-System", und Sie können, egal wo Sie sich gerade aufhalten, darauf zugreifen.
SPIEGEL: Ähnlich, wie es schon heute der Napster-Konkurrent MP3.com anbietet.
Schmidt: Nein, was ich meine, geht weit über MP3.com hinaus. Wenn sich 65 Millionen Leute online austauschen, entsteht eine ganz andere Qualität, als das ein einzelnes Medienunternehmen je schaffen könnte. Napster hat über 260 Millionen Dateien auf seinem System, das sind mehr Musikstücke, als je im Katalog eines Labels aufgelistet waren. Viele Privatpersonen haben einfach ein riesiges Musikarchiv geschaffen. Das ist etwas völlig anderes als ein Zentralserver, auf dem ein Label aktuelle Hits ablädt.
SPIEGEL: Obwohl die aktuellen Hits natürlich auch online auf das meiste Interesse stoßen.
Schmidt: Vor kurzem habe ich einen Brief bekommen von einem Herrn aus England. Sein Vater hatte in den fünfziger Jahren in einer Band gespielt, aber die Plattensammlung war bei einem Umzug verloren gegangen, und das Label gab es auch nicht mehr. Er wollte seinem Sohn vorspielen, was Opa so gemacht hat, und hat das auf Napster gefunden. Darin liegt die Kraft von Napster.
SPIEGEL: Online-Dienste als Museum?
Schmidt: Der Musikbetrieb war doch bisher absolut Hit-fixiert. Bei Napster dagegen tauchen Lieder wieder auf, die vom Markt verschwunden waren. Und unsere Verlagsgruppe Random House zum Beispiel digitalisiert gerade alle Bücher aus seiner 75-jährigen Verlagsgeschichte ein wunderbares Archiv, jederzeit für alle digital zugänglich.
SPIEGEL: Die Musikindustrie müsste also eigentlich dankbar sein für diese wundersame Vermehrung des Angebots, ohne dass ein Pfennig neu investiert werden muss?
Schmidt: Ja. Weltweit macht die Musikindustrie 40 Milliarden Dollar Umsatz, und das Wachstum war in den vergangenen zehn Jahren mit zwei bis drei Prozent relativ überschaubar. Ich glaube, dass Technologien wie Napster der Musikindustrie ein deutliches Wachstum bescheren werden.
INTERVIEW: HILMAR SCHMUNDT