Verbrechen Alles Gelumpe
Der Münchner Staranwalt Martin Amelung hatte "immer schon damit gerechnet", daß sie kommen würden. Am Dienstag vergangener Woche war es soweit: Um 7.30 Uhr in der Frühe klingelten ein Oberstaatsanwalt, ein Computerspezialist und zwei Zivilbeamte an seiner Tür.
Die Truppe hatte einen Durchsuchungsbefehl dabei und interessierte sich vor allem für Arbeitszimmer und Auto von Amelungs Ehefrau Nicole, einer Journalistin. "Wir haben nichts zu verbergen", sagt Anwalt Amelung, also gab das Paar den Beamten, was sie suchten: 60 Cassetten mit einem Marathon-Interview, dazu 642 Seiten eines Buchmanuskriptes, bei dem nur noch der Schluß fehlt. Eine Kopie der Computerfestplatte zogen sich die Fahnder auch gleich.
Das Material enthält ein Geständnis, auf das die Ermittler fast 20 Jahre lang gewartet haben. Dieter Zlof, 54, hat der Frau seines Anwalts Amelung in allen Einzelheiten erzählt, wie er 1976 den Millionenerben Richard Oetker entführte und 21 Millionen Mark Lösegeld erpreßte. Passieren kann Zlof nichts mehr, weil er nach einem Indizienprozeß schon seine 15 Jahre abgesessen hat - unschuldig, wie er öffentlich bislang stets gejammert hatte.
"Das Buch", sagt Nicole Amelung, "beantwortet alle Fragen, die in den Prozessen nicht beantwortet wurden." Nur: Ob Zlofs Antworten stimmen, ist in zwei Kernpunkten zweifelhaft. So behauptet der Entführer, er habe keine Ahnung, wo das Lösegeld jetzt sei. "Ich wüßte selbst gern, wer es hat und wo es ist", sagt Anwalt Amelung. Dabei hat Zlof mit allen Tricks versucht, das Geld zu waschen.
Zudem steht in dem Manuskript, von Nicole Amelung für Zlof in der Ich-Form geschrieben, er habe die gesamte Entführung allein durchgezogen. Das mögen die Fahnder noch nicht glauben, auch das Gericht verurteilte Zlof nur als Mittäter.
Den Ermittlern rennt jetzt die Zeit davon. In wenigen Tagen sind 20 Jahre um, dann verjährt die Entführung. Kein Zlof-Komplize muß danach den Staatsanwalt noch fürchten - es sei denn, die Fahnder entdecken jetzt im Amelung-Material doch noch den Namen eines Helfers, gegen den sie ermitteln können.
Zlof hatte den Studenten Oetker - der Sproß der Bielefelder Lebensmitteldynastie war damals 25 Jahre alt - am 14. Dezember 1976 vor der Uni Weihenstephan überfallen. Der Münchner Gebrauchtwagenhändler, von Justizbeamten als "forsch, arrogant" und "weitgehend emotionslos" beschrieben, hatte sich präzise vorbereitet. Er pferchte Oetker in eine Holzkiste, eng wie ein Sarg.
Der Student sei handzahm gewesen, höhnt Zlof heute - kein Wunder, hatte der Entführer doch Kabel in der Kiste verlegt, die unter Strom standen, um Oetker an der Flucht zu hindern.
Als Zlof, getarnt mit einer Karnevalsmaske, sein Opfer einmal kurz aus der Kiste lassen wollte, passierte es: Ein wuchtiger Stromschlag fuhr durch Oetker, er krampfte sich zusammen und brach sich beide Oberschenkel sowie mehrere Rippen. Bis heute kann er nicht wieder richtig gehen.
Der Entführte will kurz danach gehört haben, wie Zlof schimpfte: "Die Schweine haben den Strom nicht abgeschaltet" - eines der Indizien für Mittäter. Zlof freilich erzählt, er habe die Schockanlage leider nur falsch konstruiert.
Das Lösegeld überbrachte ihm Richard Oetkers Bruder August in einem Aluminiumkoffer, 90 Zentimeter lang und 60 hoch, genau passend für einen Hohlraum in Zlofs Pritschenwagen. Durch den Koffer kam Zlof auch auf die krumme Summe von 21 Millionen. Mit zurechtgeschnittenem Zeitungspapier hatte er ausprobiert, wie viele Tausendmarkscheine hineinpassen würden.
Erst zwei Jahre später lieferte sich Zlof durch eigene Dummheit selbst aus. In einer Kufsteiner Wechselstube tauschte er sechs der Lösegeld-Tausender ein, bei einer Münchner Bank dann noch einen. Die Nummern waren registriert, auf einer fast 20 Meter langen Liste. "Ich kann nicht beweisen, daß ich unschuldig bin", stammelte Zlof im Prozeß unter Tränen, "aber muß ich's denn beweisen, muß man mir nicht meine Schuld nachweisen?"
Zwar hatte Zlof das restliche Geld in einem Plastiksack unauffindbar vergraben, aber 1988 vermieste ihm die Bundesbank seine Alterssicherung, weil sie neue Tausendmarkscheine auf den Markt bringen wollte. Prompt ließ die Gefängnisleitung in Straubing Zlof schärfstens kontrollieren. Die Beamten hofften, er würde in Panik geraten und beispielsweise seiner Frau Christel stecken, wo das Geld liegt.
Zlof blieb kühl und schrieb an den damaligen Bundesbankpräsidenten Karl-Otto Pöhl persönlich, um die rigide Überwachung zu lockern. Die Bank antwortete, die alten Scheine seien vorerst weiterhin gültig. Er stehe somit keineswegs unter Zugzwang, so Zlof, selbst wenn er das Lösegeld hätte. Freilich können die braunen Scheine inzwischen nur noch bei Banken eingetauscht werden.
Als Zlof im Januar 1994 freikam, hielt er erst mal still. Vor seinem Haus stand ein Bauwagen, Polizisten warteten nur darauf, daß der Entführer sie zum Geldversteck führen würde. Einmal packte den Observierten die Wut, er spannte ein Auto vor das Spähmobil und schleppte es kurzerhand auf den Parkplatz des Landeskriminalamts. Mehrfach entwischte er den Spähern auch und traf sich etwa mit seinem inzwischen ebenfalls freigelassenen Knastkumpanen Hubertus Becker aus Speyer. Dem Ex-Rauschgifthändler hatte Zlof ebenfalls immer wieder erzählt, er habe mit Oetker nichts zu schaffen.
Auf einer Zugfahrt von Hamburg nach Frankfurt - Becker war gerade ein Geschäft geplatzt - ließ Zlof laut Becker aber plötzlich die Wahrheit heraus. "Laß den Kopf nicht hängen", habe der Entführer gesagt. "Vielleicht kannst du mir ja helfen, 21 Millionen umzusetzen." Zlof habe ihm als Provision 2,5 Prozent vom Nennwert der Oetker-Scheine angeboten. Also ließ Becker seine Drähte spielen, in Nigeria, Kolumbien, Macau. Derweil habe Zlof das Geld ausgebuddelt.
Doch im Lauf der Jahre war im Versteck Wasser durchs Plastik gesickert, und Würmer vertilgten Million um Million. Im November vergangenen Jahres schafften die beiden das Gammelgeld in das Haus von Beckers Eltern im Hunsrück-Dorf Dorweiler. Mitten in der Nacht wuchteten sie zwölf Kartons mit den traurigen Resten in Beckers altes Kinderzimmer. Verbissen versuchten sie, die Scheine zwischen Papier zu trocknen. Doch bei einem Großteil handelte es sich "nur mehr um Würmerscheiße", so Becker. Etwa sieben Millionen mußten sie durch den Kamin jagen. Nicht einfach, das Papier troff vor Nässe.
Den Rest, rund 13 Millionen Mark, stopften die beiden Ganoven in sieben wasserdichte Tupperware-Dosen. Die versteckten sie, so Becker, bei einer Hütte "hinterm Fischweiher meines Vaters".
Kurz vor Weihnachten kamen sie zurück, preßten das Geld hinter die Seitenverkleidung eines Audi-Mietwagens und fuhren nach Großbritannien. Den Batzen aber wollte ihr dortiger Kontaktmann, ein Autohändler, aus Angst dann doch nicht übernehmen. Nur eine Probe behielt er. Scotland Yard faßte den Briten später, als er versuchte, 420 Oetker-Tausender einzutauschen.
Unterdessen hatte Becker den großen Rest wieder am väterlichen Fischteich versteckt. Nur 100 000 Mark zwackte er heimlich ab und ging damit recht leichtsinnig hausieren. Zwei Polen etwa wurden mit rund 90 000 Mark unter der Auto-Fußmatte erwischt, gaben sich jedoch ahnungslos: "Bei Oetker denke ich nur an Pudding und Backpulver", sagte einer von ihnen vergangene Woche vor dem Münchner Landgericht.
Den größten Patzer aber leistete sich ein Knastkumpan von Becker. Der Geldwäscher lief mit zwei Muster-Tausendern einem verdeckten Ermittler des Landeskriminalamts in die Arme. Becker und sein Komplize gestanden sofort und verrieten auch das Versteck am Fischweiher.
Doch in der Zwischenzeit habe Zlof gewittert, daß Becker auf eigene Faust mit den Millionen dealte, vermuten Fahnder. Wahrscheinlich habe er das Geld erneut beiseite geschafft. Als Beamte rund um den Fischweiher in jedes Loch lugten, waren Tupperdosen samt Millionen auf jeden Fall verschwunden.
Kein großer Verlust: All die ungültigen Scheine seien schließlich nur noch "Gelumpe", meinte der Richter, der Zlofs Helfer wegen Hehlerei verurteilte, dem Entführer selbst aber nichts anhaben konnte.
Seine Version der Geschichte, das Geständnis, habe Zlof ursprünglich "mit ins Grab nehmen" wollen, sagt Anwalt Amelung. Das Ehepaar überredete ihn schließlich aber doch noch auszupacken.
Zlof bot seine Geschichte erfolglos Journalisten an, gegen Geld versteht sich. Im März dann setzte sich Nicole Amelung wochenlang mit dem verhinderten Multimillionär zusammen. Ein Honorar für das Buch wird Zlof offiziell jedoch kaum einstreichen können. Nach wie vor dürfen die Oetkers jede größere Summe pfänden lassen. 21 Millionen wollen sie von ihm - plus Zins und Zinseszins.
Auch hat sich bislang noch kein Verleger für das Werk gefunden. Freilich hofft Buchautorin Amelung nach dem Wirbel um das Manuskript, daß nun bald das Telefon klingelt. "Irgendwie", sagt sie, habe alles "eben auch seine guten Seiten".