Sexualität Und Gott schuf das dritte Geschlecht

Als Kinder waren sie teils Mann, teils Frau und wurden stillschweigend zu Mann oder Frau operiert. Nun streiten Intersexuelle vor Gericht: Sie wollen über ihr Geschlecht selbst bestimmen. Manche wollen Zwitter sein.
Von Andrea Brandt und Barbara Supp

Sie sitzt im Friseurstuhl und schaut in den Spiegel und sagt: "Der Mann da, das bin nicht ich." Sie versinkt fast in diesem Stuhl, krallt die sorgfältig gefeilten Nägel in die Armlehnen, sie mag diesen Kopf nicht sehen. Diesen Kopf mit Stirnglatze und grauem Haarkranz. Ihren Kopf.

Ein Schock sei dieser Anblick, jedes Mal, sagt die Gestalt. Ein Schock, alle sieben Wochen, wenn sie in dieses teure Düsseldorfer Friseurstudio kommt, weil sie ein neues Haarteil braucht. Und diesen Mann sieht, zu dem sie gemacht worden ist.

Christiane Völling, 48, 1,56 klein, 55 Kilo leicht, kantiges Gesicht, hat ziemlich lange gebraucht, um herauszufinden, wer sie ist. Bei ihrer Geburt in der Kleinstadt Kalkar am Niederrhein hielt die Hebamme sie für einen Jungen, weil sie zwischen den Beinen des Babys etwas sah, das sie als Penis missverstand. So wuchs Christiane auf als Junge, und erst mit 17, bei einer Blinddarmoperation, fiel auf, dass etwas nicht stimmte mit dem vermeintlich männlichen Kind.

Was nicht stimmte, erfuhr sie offenbar nicht.

Nicht mit 17, als man bei ihr weibliche Chromosomen nachwies. Nicht mit 18, als man ihr die Gebärmutter und die Eierstöcke nahm, und auch nicht, als man ihr Hormone verschrieb und die Stimme tief wurde und als dann die Haare ausfielen, Jahre später. Bis zum vergangenen Jahr wusste sie es nicht: Sie ist intersexuell, zwischen den Geschlechtern, eingesperrt in einem vermännlichten Körper, und fühlt sich als Frau.

Sie hat ein "falsches Leben" geführt, so steht es in ihrer Klage auf Schmerzensgeld, mit der sie am 12. Dezember vor dem Kölner Landgericht ihren Operateur zur Rechenschaft ziehen will - ein Präzedenzfall, er könnte die Klagen anderer nach sich ziehen.

Denn es gibt sie, diese anderen. Auf 80.000 bis 100.000 wird die Zahl der in Deutschland lebenden Intersexuellen geschätzt; so viele, dass vermutlich jeder, ohne es zu wissen, schon einmal einem begegnet ist.

Es gibt Menschen wie Christiane Völling, die im Pass noch Thomas heißt, die mit einem weiblichen XX-Chromosomensatz, mit Uterus und Eierstöcken geboren werden - aber männliche Hormone bewirken eine Vermännlichung des Genitales.

Es gibt, andererseits, Menschen mit männlichen XY-Chromosomen, die wie Frauen aussehen; manche sehr weiblich sogar, langbeinig, modelhaft schön, nur dass sich in ihrem Inneren männliche Keimdrüsen finden, nicht Eierstöcke und Uterus. Eine Vielzahl von Varianten gibt es, darunter eine Gruppe, die bis zum Alter von elf, zwölf Jahren Mädchen sind und dann zu Männern werden - der Roman "Middlesex" von Jeffrey Eugenides hat so eine Ausnahmebiografie medizinisch korrekt erzählt.

Menschen sind das, die mit ihrem Körper und ihrem Leben die alte Frage auf neue Weise stellen: Was ist ein Mann? Was ist eine Frau? Und wer bestimmt das, wenn es Zweifel gibt?

Früher wurde solchen Patienten vom Arzt mitgeteilt: Sie sind ein Sonderfall. So etwas wie Sie gibt es praktisch nie.

Dass das nicht stimmt, diese Erkenntnis beginnt sich nun in der Medizin zu verbreiten. Jetzt betreibt das "Netzwerk Intersexualität" in Lübeck ein Drei-Millionen-Forschungsprojekt zu diesem Thema, die Auswertung soll 2008 fertig sein. Und am Hamburger Institut für Sexualforschung läuft eine teilweise schon ausgewertete Studie, in der intersexuelle Menschen Auskunft geben über Körper und Psyche, Behandlungserfahrungen und Behandlungszufriedenheit.

Der Hausarzt sagt: "So etwas hat man früher auf dem Jahrmarkt ausgestellt"

Es ist ein medizinisch, aber auch sozial und psychologisch aufregendes Sujet: Wer oder was definiert nun tatsächlich die Geschlechtszugehörigkeit? Die Chromosomen? Die Optik? Die Hormone? Und welche Rolle spielt die Umwelt dabei?

Gibt es zwei Geschlechter oder drei? Oder zwei und vieles dazwischen?

"Und Gott schuf den Menschen als Mann und Frau", heißt es in der Kirche, und Elisabeth Müller, Kirchenmusikerin, sagt, sie müsse sich oft zügeln, um nicht dazwischenzugehen: "Schuf er nicht. Er schuf auch uns."

Sie heißt Elisabeth mit Vornamen, mag aber die Anrede "Frau Müller" nicht. Sie sagt: "Weiblicher Mensch." Sie lacht tief und glucksend. Sie sagt "weiblicher Zwitter". Oder "Hermaphrodit".

Ein trüber Hamburger Herbstabend, im Kino lief "Die Katze wäre eher ein Vogel", ein Film über das Leben Intersexueller, man sitzt mit einer Gruppe Frauen beim Italiener und debattiert über den Film.

Zumindest äußerlich sind sie Frauen. "XY-Frauen", sagen sie selbst.

So nennen sie sich im Internet und im Leben, eine intersexuelle Selbsthilfegruppe mit diversen Diagnosen, gutgelaunt in einem sarkastischen Realismus und darunter schlafend eine Wut, die schnell wachzurufen ist, bei fast allen gleich.

Nach ihrer "Behandlungszufriedenheit" befragt, lachen sie grimmig.

Ihre Wut gilt ja Medizinern, denen vor allem. Gilt einer Medizin, von der man beforscht und behandelt und womöglich operiert wurde, einer Medizin, die aus Horden von Menschen in weißen Kitteln bestand, man musste die Beine breitmachen, damit alle alles sahen, man wurde begafft, manche kicherten, manche stellten sich auf die Zehenspitzen, um etwas zu sehen.

Es wurde Kindern, die nicht weiblich genug für ein Mädchen aussahen, die Klitoris abgeschnitten, bis vor wenigen Jahren noch wurde sie vorn gekappt, und das heißt: Eine sexuelle Empfindung gibt es dort nicht mehr.

Es wurden künstliche Vaginen gebaut, bei Kleinkindern, und weil sie zusammenzuwachsen drohten, musste die Scheide regelmäßig "bougiert" werden, also: mit einem Dildo, oder dem Finger der Eltern, penetriert.

Fotografiert wurde viel. Nicht wenige fanden sich in medizinischen Lehrbüchern wieder, nackt, als Anschauungsexemplar.

Elisabeth Müller ist jetzt 44, und dass man anfing, sie zu Ärzten zu schleppen, das ist etwa 40 Jahre her. Warum, wusste sie nicht, nur, dass es Mädchen gibt, die keine Kinder kriegen können, sagten ihr die Eltern, und dass sie, aber das ahnte sie wohl mehr, eines davon sein könnte. Ein gutbürgerlicher Haushalt in Norddeutschland, liebevoll; einmal, erinnert sie sich, sagte man ihr: Frag ruhig, du kannst alles fragen, aber sie wusste nicht, was sie fragen sollte, und fragte nicht. Sie war sich ziemlich sicher, ein Monster zu sein. Und darüber sprach sie lieber nicht.

Auch Christiane Völling, die Klägerin von Köln, musste mit sich selbst ausmachen, dass sie so anders war. Sie wuchs auf als Thomas, als zweitjüngstes von sieben Kindern, still, in sich gekehrt, kein bisschen draufgängerisch wie die Brüder. Sie liebte Märchen. Half der Mutter beim Kochen. Beim Fußball, sagt sie, habe sie nur widerwillig mitgemacht: "Im Tor ließ ich immer die harten Bälle durch, weil ich mir nicht weh tun wollte."

Sie wuchs sehr früh und schnell und dann gar nicht mehr, mit 13, 14 Jahren, als die anderen in die Länge schossen - der Stillstand. Sie sei halt ein "Spätzünder", beruhigten die Eltern.

Hätten die Hebamme, die Eltern, der Hausarzt genauer nachgeforscht, dann wäre frühzeitig entdeckt worden, dass das Kind an dem sogenannten Adrenogenitalen Syndrom (AGS) mit Salzverlust litt, einer der klassischen Formen von Intersexualität. Kinder mit AGS wachsen zunächst rasant, kommen früher in die Pubertät, bleiben später aber kleiner als Altersgenossen. Wird die Krankheit nicht behandelt, kann sie zu Erbrechen, Durchfall, Schwächeanfällen führen - und zu lebensbedrohlichem Salzverlust.

Weil keiner half, entwickelte das Kind offenbar unbewusst Überlebensstrategien. Sie habe Salz gegessen, löffelweise - so wie andere Kinder Süßes. Nachts, wenn die Schmerzen kamen, wenn sie sich übergeben musste und vor Angst nicht schlafen konnte, habe sie sich immer gesagt: "Ich bin ein Mädchen, ich darf nicht vergessen, dass ich ein Mädchen bin." Woher sie das wusste? Gespürt habe sie das, das war "wie ein kleiner, unterirdischer Fluss".

Dass "mit dem Thomas etwas nicht stimme", sei ihm durchaus aufgefallen, sagt heute der fünf Jahre ältere Bruder, ein Finanzbeamter. Geredet, sagt der Bruder, habe er über seinen ungeheuren Verdacht mit niemandem - nicht mit den Geschwistern, nicht mit den Eltern. In der Familie sei ohnehin "nicht viel miteinander gesprochen" worden.

Beim Sonntagsspaziergang hätten Passanten öfter gesagt, was für ein "hübsches Mädchen" die Kleine sei, erinnert sich Christiane. Die Eltern hätten jedes Mal entrüstet reagiert: Nein, das sei doch ein Junge. Bloß kein Tratsch, keine Tuschelei.

Bloß keine Aufregung. Bloß keine Konflikte. Nichts in Frage stellen. So sei die Stimmung in der Familie gewesen, sagt Völlings jüngere Schwester, eine Grundschullehrerin. Die Mutter früh herzkrank, überfordert mit den vielen Kindern. Der Vater, Ingenieur, schon im Ruhestand, als die Jüngsten gerade aufs Gymnasium kamen, in sich selbst verkapselt, möglicherweise depressiv.

Der Hausarzt wusste, was mit Christiane los war, seit jener Blinddarmoperation mit 17, aber darüber sprechen wollte er nicht. Und als sie ihn zur Rede stellte, sagte er: "So Menschen wie dich hat man früher auf dem Jahrmarkt ausgestellt."

Man hat diese Menschen als Kuriosität, als Sensation behandelt, als Monstrosität. Weil sie Ängste wecken und Zweifel, weil sie die Ordnung einer Gesellschaft in Frage stellen. Die Anderen, die Randgestalten, so sah man sie, wenn man sie sah.

Ein unglückliches Wesen, jener Hermaphroditos in den "Metamorphosen" des Ovid. Ein schöner, argloser Knabe, dem eine lüsterne Nymphe so sehr verfiel, dass sie die Götter um Verschmelzung bat. In Papua-Neuguinea, in der Dominikanischen Republik gibt es in der Wirklichkeit Menschen, die offen zwischen den Geschlechtern leben, sie sind Teil der Gesellschaft, aber arriviert sind sie nicht. Die indischen Hijras leben meist von Prostitution.

"Brauchen wir wirklich ein wahres Geschlecht?", fragt Michel Foucault, der Philosoph, und vermerkt eine "Beharrlichkeit, die an Starrsinn grenzt", mit der die Gesellschaften des Abendlands diese Frage bejaht haben. Körperpolitik - das ist für ihn jene Zuschreibung, die den Körper der Macht unterwirft, für Foucault ist der Körper der ultimative Ort für ideologische Kontrolle, Überwachung, Disziplin.

Noch im preußischen Landrecht von 1794 wurde anerkannt, dass es "Zwitter" gebe, und der Umgang mit ihnen war relativ liberal. Erst sollten "die Aeltern", später der Zwitter selbst entscheiden, "zu welchem Geschlechte er sich halten wolle". Dieses Privileg geriet in Vergessenheit, als im 19. Jahrhundert zunehmend Ärzte sich dafür verantwortlich erklärten, das "wahre Geschlecht" jedes Kindes zu ermitteln. Heute herrscht der Zwang in Deutschland, eine Woche nach der Geburt ein neues Kind einem Geschlecht zuzuweisen, durch die Eintragung im Standesamt. Auch wenn man es nicht genau weiß.

Im Kreißsaal fragt man: Was ist denn?" Und dann herrscht Totenstille.

Eine Frage der Machbarkeit: So wurde die Geschlechtszuweisung ab den sechziger Jahren betrachtet. Tonangebend dabei war der amerikanische Forscher John Money, der die Meinung vertrat, mit der richtigen Erziehung könne ein Kind in jeder Geschlechterrolle glücklich werden. Vorausgesetzt, es wisse nichts über seine eigentliche Bestimmung.

Money irrte, er irrte tödlich. Sein Vorzeigepatient, ein nach einem Unfall zum Mädchen operierter Junge, brachte sich später um. Moneys These vom absolut anerziehbaren Geschlecht ist längst von der neueren Forschung überholt.

Dass dieser These so lange gern gefolgt wurde im Umgang mit Intersexuellen, liegt sicherlich auch an der Geheimhaltung, die Money empfahl. Weil man dieses Andere damit ins Verborgene abschieben konnte. Weil man nach außen so tun konnte, als wäre alles eindeutig und normal.

Aber das ist es nicht immer. Ein bis zwei intersexuelle Kinder werden jeden Tag in Deutschland geboren.

Manchmal gibt es keine Eindeutigkeit. Kann man damit leben?

Wenn im Kreißsaal die Frage gestellt wird: "Was ist es denn?" Und dann nichts ist als Totenstille.

Das ist ein "Geburtstrauma" für die Eltern, "eine Katastrophe, ein psychischer Ausnahmezustand". Knut Werner-Rosen sagt das, Psychotherapeut in Berlin. Wird dort am Virchow-Klinikum ein Kind mit unklaren Geschlechtsmerkmalen geboren, so wird er automatisch kontaktiert.

So hat er dann zu tun mit einer Mutter, einem Vater im Schockzustand und findet, das Entscheidende, das er ihnen zu bieten habe, sei: Zeit.

Er lässt sie "ihr Horrorszenario ausbreiten". Lässt sie reden und ihre Konflikte austragen und irgendwann "wird das Pendel zur Ruhe kommen", wird sich feststellen lassen, wie sie dieses Kind sehen - Junge oder Mädchen. Dann wird man sehen, sagt Werner-Rosen, "was muss man medizinisch wirklich machen?"

Muss man überhaupt? Lasst uns intakt, fordert Christiane Völling, fordern Elisabeth Müller und die XY-Frauen.

Also alle lassen, wie sie sind? Die vergrößerte Klitoris zum Beispiel bestehen lassen, obwohl man das Kind als Mädchen großziehen will?

Die Rollenzuschreibungen sind weicher geworden, die Vorstellungen darüber, was geschlechtstypisch ist, nicht mehr so starr. Das Land wird von einer Kanzlerin in Hosen regiert. Auf der Bühne steht Tokio Hotel, stehen Jungs mit Mädchengesichtern und werden bewundert dafür. Rollenspiele sind Teil der postmodernen Welt der Möglichkeiten, scharfe Sanktionen folgen nicht mehr, macht man von diesen Möglichkeiten Gebrauch.

Aber es irritiert noch immer, nicht zu wissen, wen man vor sich hat, Mann oder Frau. Es sei nicht ratsam und vielleicht auch gar nicht möglich, glaubt Werner-Rosen, der Psychotherapeut, ein Kind weder als Junge noch als Mädchen zu erziehen. Das heißt nicht, sagt er, "dass jedes Kind operiert werden muss". Aber es muss wissen, auf welches Klo es im Kindergarten gehen soll. Und braucht seine Eltern als soziales System, und die müssten es erst mal fertigbringen, ein Kind ohne Geschlechtszuschreibungen zu erziehen.

Die Eltern müssen es annehmen können, sagt auch die Kinder- und Jugendärztin Ute Thyen, eine der treibenden Kräfte der Lübecker Netzwerk-Studie.

Die Eltern wickeln ihr Kind, viermal am Tag. Sie sehen, was los ist, und müssen damit leben können. Und ein Kind, das körperlich so offensichtlich anders sei, befürchten die Eltern, werde es nun mal schwer haben, sagt Thyen, "sollen sie es denn zum Testfall machen? Die Gesellschaft ist nicht so weit, aber mein Kind geht schon mal voraus?"

Sie glaubt, dass die Eltern sehr wesentlich seien für die Identitätsfindung eines Kindes. Dass also nicht nur "nature" zählt, das Angeborene, sondern auch "nurture", eben das, was ein Kind umgibt.

Eltern wollen es richtig machen, meistens jedenfalls. Aber es kann gut sein, dass das Kind sie später dafür hasst.

Was dürfen, was müssen Eltern für ihre Kinder entscheiden?

Im Konfliktfall steht soziale Geborgenheit in der Familie gegen körperliche Unversehrtheit des Kindes.

Es stellt sich die Frage, ob Kindeswohl mit dem Elternwohl immer im Einklang stehe. Die XY-Frauen beim Italiener in Hamburg finden, dass das nicht so sei. Und dass es das Kindeswohl sein müsse, das zählt.

Ende Oktober haben sie sich zu einem Informationstag in die Hamburger Innenstadt gewagt. Sie haben Leuten erklärt, dass sie keine Transvestiten sind, die sich einfach nur in der Kleidung des anderen Geschlechts wohlfühlen. Und keine Transsexuellen - deren Körper ist eindeutig, und sie wollen ihn ändern. Bei den XY-Frauen ist das Gegenteil der Fall.

Viele Ärzte reden neuerdings nicht mehr von "Intersexualität", sondern von einer "Störung der Geschlechtsentwicklung", das mögen sie nicht. Sie wollen keine Gestörten sein.

Die Gesellschaft müsse offener werden, finden sie, offener dafür, was unter einem Mann oder einer Frau zu verstehen sei. Und dass es Menschen gebe, die nicht Mann oder Frau sind. Und die trotzdem Partner finden können, manche lieben Frauen, die Mehrzahl, wie Elisabeth Müller, einen Mann.

Es muss Wörter geben, damit man sie benennen kann, damit sie sagen können, dass es sie gibt. "Zwitter", darüber diskutieren sie jetzt, wobei das nicht alle mögen. Aber da wissen die Leute wenigstens gleich, worum es geht.

Elisabeth Müller sagt, und sie lacht wieder tief, sie habe in der Kirche schon mal dieses Wort eingeführt, das die Leute so seltsam finden. Sie habe einen Gottesdienst an der Orgel begleitet und den Pastor gebeten, sie beim Dank nicht "Frau" zu nennen, und so sagte er dann: "Vielen Dank an Hermaphrodit Elisabeth Müller."

Warum operieren Ärzte, auch wenn es gesundheitlich nicht nötig ist? Kann es sein, dass Ärzte manchmal das Uneindeutige nicht ertragen können?

Die Sexualwissenschaftlerin Hertha Richter-Appelt weiß sehr wohl, dass viele Ärzte "die Probleme dieser Menschen nicht wirklich erkannt haben", sie weiß: Die Hälfte ihrer Befragten wurde ohne ordentliche Aufklärung operiert.

Und die Göttinger Medizinethikerin Claudia Wiesemann kennt "eine ganze Reihe von Fällen", in denen Patienten "schwere Traumatisierungen durch den unprofessionellen, verheimlichenden und verdeckenden Umgang von Ärzten" erlitten hätten. "Es wäre gut, wenn die Medizin sich heute zu den Fehlern bekennen würde, die sie im Umgang mit intersexuellen Menschen gemacht hat", sagt sie.

Die Medizin hat sich immerhin weiterentwickelt. Wenn einem Kind heute die Klitoris gekürzt wird, dann nicht mehr an der Spitze, wodurch es die Empfindungsfähigkeit verliert. Und neuerdings werden XY-Frauen nicht mehr automatisch die männlichen Keimdrüsen entfernt, weil die ja schließlich Hormone produzieren, die der Körper braucht.

Neuerdings, auch auf Druck der Selbsthilfegruppen, sitzen Mediziner diverser Fakultäten an Ethik-Leitlinien, die vorsehen, nicht lebensnotwendige Operationen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, wenn der Mensch selbst entscheiden kann, ob er sie wirklich will.

Allerdings wird auch Erwachsenen manchmal die Wahrheit verschwiegen. Die Klägerin Christiane Völling war eine junge Erwachsene, als sie operiert wurde, und tatsächlich informiert, sagt sie, wurde sie nie.

Sie war 17 und hatte die Worte des Hausarztes im Kopf: Jahrmarktsensation. Dass sie ein paarmal versuchte, sich selbst zu verstümmeln, mit dem Küchenmesser das Genitale abzuschneiden, wie sie später den Hamburger Forschern zu Protokoll gab - davon nahm offenbar niemand Notiz. Sie sackte in der Schule ab, fiel durchs Abitur, floh aus der Kleinstadt und landete in Düsseldorf, wo sie eine Ausbildung zur Krankenpflegerin begann. Auf Vermittlung der älteren Schwester ("Ohne sie hätte ich mich damals umgebracht") stellte sie sich 1976 bei Kölner Spezialisten vor. Sie habe wissen wollen, ob "noch etwas aus mir zu machen ist", sagt sie heute.

Noch im Preußischen Landrecht von 1794 wurde anerkannt, dass es Zwitter gab

Eine Art letzter Versuch, ob sich mit Hilfe von Experten ihr Leben zum Guten wenden könnte. Sie hat ihn bereut.

Das Landgericht Köln wird sich nun mit der Frage beschäftigen müssen, ob Völling, damals gerade 18 Jahre alt, hinreichend aufgeklärt worden ist, als ihr am 12. August 1977 laut Operationsbericht der Klinik Köln-Merheim die "normal großen Ovarien" und die Gebärmutter entnommen wurden. Hinreichend aufgeklärt vor allem über die damals mögliche Alternative: ein Leben als Frau, mit einer operativ auf Normalgröße verkleinerten Klitoris. Und mit sehr viel Glück, nach einer Östrogenbehandlung, vielleicht sogar mit der Möglichkeit, Kinder zu bekommen.

Dass die behandelnden Ärzte diese Möglichkeit kannten, sie aber nicht ausführlich mit ihr besprachen: Es spricht einiges dafür. Wie sonst lässt sich zum Beispiel ein Brief aus der Krankenakte erklären, den der zuständige Oberarzt am 5. Juni 1979, eineinhalb Jahre nach der Operation, an das Kreiswehrersatzamt Krefeld schrieb? Darin bittet er "dringend" darum, seinen Patienten auszumustern. Völling sei "genotypisch weiblich", die "normalen weiblichen inneren Organe" seien operativ entfernt worden. Bei Mitteilungen an den Patienten, so der Arzt, solle berücksichtigt werden, dass "Herr V. über das Ausmaß der Erkrankung noch nicht vollständig informiert worden ist". Die erwähnten Diagnosen dürften ihm daher "auf keinen Fall mitgeteilt werden".

Man kann nicht sagen, dass Völling sich in den Jahrzehnten danach offensiv gegen die männliche Rolle gewehrt hätte. Sie ließ mehrere Operationen zur Penisaufrichtung über sich ergehen. "Was hätte ich denn tun sollen", fragt sie, "ich kannte ja keine Alternativen."

Die Wende brachte erst der wissenschaftliche Fragebogen aus Hamburg, den ein Urologe ihr 2006 in die Hand drückte. Die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte führte zum seelischen Zusammenbruch, zur Therapie. Und schließlich dazu, dass Völling in ihren alten Patientenakten forschte und Klage einreichte.

Sie versucht ihren Namen zu ändern, seit mehr als 14 Monaten kämpft sie darum, ihren Eintrag im Personenstandsregister zu korrigieren: weiblich statt männlich, Christiane statt Thomas. Doch im Personenstandsgesetz, Paragraf 21, ist nicht definiert, wie die Geschlechtszugehörigkeit festzustellen ist - über die Chromosomen oder über das Erscheinungsbild. Mittlerweile befasst sich schon der zweite Amtsrichter mit Völlings Fall, ein Ende des Verfahrens ist nicht in Sicht.

Zu Hause, in dem 27-Quadratmeter-Apartment in einem Wohnheim für Krankenhauspersonal, hat sie sich heute mit allerlei Nippes ihre eigene Welt eingerichtet. Feen-Figuren und Elfen mit Glitzerflügeln stehen im Regal, Duftschalen, eine künstliche Wiese mit Margeriten, Kornblumen, Schmetterlingen.

Draußen, da kommt sie zurecht, irgendwie. Sie steht morgens auf, geht ins Krankenhaus, bettet Patienten um, verteilt Medikamente, wäscht Kranke. Acht Stunden, manchmal länger. Gern auch an Sonn- und Feiertagen, weil dann die Zeit am schnellsten vergeht. "Ich funktioniere nur", sagt sie, "leben ist das nicht." Sexualität, Liebe - das habe sie nie kennengelernt. "Verlieben", fragt Völling, "kann man das einschalten wie eine Lampe?" Den Forschern der Universität Hamburg gab sie zu Protokoll, sie empfinde sich als asexuell, ekle sich vor ihrem Genitale: "Es ist ein totes Ding, ein kaputtes Teil, das mir nicht gehört."

Man hat mit ihr "so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte", sagt die Forscherin Hertha Richter-Appelt. Aber wer alles irrte, wird 30 Jahre danach nur schwer zu entwirren sein. Und dass Fehler so verbreitet waren, könnte nun paradoxerweise zum Handicap werden bei ihrer Schmerzensgeldklage. Sachverständige müssen klären, ob die Behandlung des Patienten, Aufklärungsfehler inbegriffen, den medizinischen Standards im Jahr 1978 entsprochen habe. Womöglich hat sie das.

Etliche Ärzte, die sie damals behandelten, leben nicht mehr. Der letzte Fassbare, der Chirurg, der das Messer führte, dürfte die Verantwortung für sein Tun anderen zuweisen. Öffentlich äußern will er sich vor Verhandlungsbeginn nicht.

Sie lebt auf diesen Prozess hin, unterstützt von der Sympathie der XY-Frauen, die ihren Prozess als Präzedenzfall beobachten. Sie weiß, sie wird immer irgendwie "dazwischen" bleiben, aber Schritt für Schritt, mit psychologischer Begleitung, versucht Christiane Völling nun trotz allem, sich in ein neues Leben vorzutasten.

Noch hat sie nicht den Mut aufgebracht, Arbeitskollegen zu offenbaren, dass sie mit weiblichem Vornamen angeredet werden möchte. Doch sie hofft, dass die Menschen um sie herum ihre Veränderungen registrieren. Sie hat sich Antworten und Erklärungen zurechtgelegt: "Aber noch hat mich leider niemand gefragt." Rein äußerlich sind es winzige Veränderungen, zu winzig vielleicht, um anderen aufzufallen. Vor einem Jahr hat sie mit einer Östrogenbehandlung begonnen. Seitdem ist ihre Taille schmaler, die Hüften und Oberschenkel sind runder geworden. Sie trägt jetzt eine Damenuhr mit hellbraunem Lederarmband. Hat die eckige Männerbrille mit Metallrahmen gegen ein randloses Modell getauscht. Zieht Jeans mit goldener Stickerei auf den Po-Taschen an.

Für Völling sind es kleine Revolutionen. Ihr passen nun Damenhosen, Größe 38.

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