Architektur Schöner hausen mit Hartz IV
Neues aus der Welt des Wohnens: Auf der Kölner Möbelmesse in der kommenden Woche wird einer der maßgeblichen Trends "Priceless" heißen, also "unbezahlbar". "Neo Nature", noch so eine Kategorie, spielt auf eine aktuelle Vorliebe für teuren Ökoschick im Wohnzimmer an.

Berliner Plattenbausiedlung Gropiusstadt: "Nun müssten schleunigst ganze Städte neu strukturiert werden"
Foto: DPAErlaubt ist vieles, Retro oder Futuristisches, Cooles und auch noch Kuscheliges, obwohl das "Cocooning" als ein wenig überholt gilt. Wie man wohnt - diese Frage wird furchtbar ernst genommen, denn sie verrät viel über den Geschmack, aber auch über den Status einer Person.
Fast schon provozierend mutet bei all den ästhetischen Stilübungen eine Initiative an, die von der ostdeutschen Provinz ausgehen und die ganze Welt erreichen soll. Die Stiftung Bauhaus Dessau sucht seit Anfang Januar im Rahmen eines Wettbewerbs "Die Wohnung für das Existenzminimum von heute".
Hübscher wohnen für Hartz-IV-Empfänger und die Bedürftigen in den Slums?
Bauhaus-Direktor Omar Akbar, 59, hat Größeres im Sinn. Er will Architektur, Design sowie der eigenen Institution endlich wieder gesellschaftspolitisches Gewicht verschaffen. Das Bauhaus fühlte sich schon in den zwanziger Jahren für alle Fragen zu Gestaltung, Architektur und Stadtplanung zuständig. Jetzt will die Einrichtung mit dem berühmten Namen auch den missionarischen Eifer von einst wiederbeleben. Akbar, geboren in Afghanistan, lenkt daher das Augenmerk auf ein Problem, "das die heutigen Architekten nicht mehr zu interessieren scheint: die Armut, die Verwahrlosung". Weltweit hausen derzeit 900 Millionen Menschen unter dramatisch schlechten Bedingungen, so schätzt man im Bauhaus und stellt die ketzerische Frage: "Wo sind die Stararchitekten, die das Elend bekämpfen?"
Für seinen "Bauhaus Award" zum Thema "Wohnungsnöte" will Akbar junge Architekten und Designer ebenso wie Künstler und Wissenschaftler gewinnen. Beiträge dürfen bis Ende März eingereicht werden, bereits im Januar veranstaltet das Bauhaus ein Kolloquium.
Die Gruppe derer, die von den Vorschlägen profitieren sollen, ist groß: Arbeitslose, Obdachlose, Rentner, Alleinerziehende, kinderreiche Familien. Es lassen sich viele Daseinsformen am Existenzminimum finden. Und: Überall, auch in Europa, nimmt die Armut zu.
Es gab das alles schon einmal. Im Oktober 1929 fand in Frankfurt am Main zum zweiten Mal der Architekturkongress CIAM (Congrès International d'Architecture Moderne) statt; dort trafen sich Visionäre aus halb Europa, unter ihnen der Schweizer Architekt und CIAM-Miterfinder Le Corbusier und der Bauhaus-Gründer Walter Gropius. Titel der Konferenz, schon damals: "Die Wohnung für das Existenzminimum".
In Texten wurde eindringlich appelliert: Wohnungen für die "mindestbemittelte Schicht der Bevölkerung" zu schaffen stehe "im Vordergrund des Interesses in fast allen zivilisierten Ländern". Dass Armut zum globalen Sprengsatz werden kann, bewies 1929 die Weltwirtschaftskrise. Der Schwarze Freitag der New Yorker Börse, an dem die Aktienkurse abstürzten, ereignete sich am zweiten Tag des Kongresses.
Die in Frankfurt versammelte Avantgarde hatte sich bereits auf die Idee der "Minimalwohnung" eingeschworen. In einer Ausstellung und später in einem Buch wurden 100 Grundrisse präsentiert, etwa die 23-Quadratmeter-Wohnung "für eine erwerbstätige Frau". Einer Familie wurde das Zusammenleben auf 48 Quadratmetern zugemutet. Le Corbusier hielt 4-Quadratmeter-Schlafkammern für ausreichend.
Licht, Luft, Sonne: Das war das Credo der Moderne, es bescherte den Städten Wohnkisten mit Begrünung drum herum. Doch Platz im Innern oder die Möglichkeit einer individuellen Aufteilung war für die Massen nicht vorgesehen. 1930 entstanden in Dessau sogenannte Laubenganghäuser. Schon sie erinnerten an Käfige.
Viele Vorschläge, auch die guten, seien später in Plattenbausiedlungen "geradezu pervertiert" worden, sagt Akbar. Er lobt dagegen die einst vom Bauhaus verteufelten Wohnungen der Gründerzeit. Ihre Zuschnitte lassen mehrere Nutzungen zu: wohnen, arbeiten, beides zusammen. Natürlich reicht es heute nicht aus, sich über Grundrisse zu verständigen. Auch das, was man in Deutschland unter sozialem Wohnungsbau versteht und was zum Synonym für Wohnblocks und Ghettoisierung wurde, bietet keinen Ausgangspunkt für möglichst weltumspannende Konzepte.
Bald, so viel steht fest, wohnen die meisten Menschen in Metropolen, von denen sich viele zu echten Megacitys entwickeln. Nun müssten, meint Akbar zu Recht, schleunigst ganze Städte neu strukturiert werden. Geht also vom Bauhaus tatsächlich wieder eine Revolution aus? Vielleicht kann das Institut ja den Impuls zu einer neuen Leitdebatte über die Verantwortung der Architekten und Städtebauer geben.
Einen branchenfremden Pionier gibt es schon. Brad Pitt, Hollywoods gefragtester Mann, beteiligt sich finanziell an einem Projekt in dem 2005 von einem Hurrikan verwüsteten New Orleans; dort bauen ideenreiche Architekten wetterfeste Häuser für einkommensschwache Familien.
Vielleicht ist das die Rettung - die soziale Architektur zum Trend zu erklären.