Bundeskanzlerin "Det is keen Bild hier!"

Keine Fotos von der Seite, keine von unten: Angela Merkel inszeniert sich ausgefeilter als der Medienprofi Gerhard Schröder. Es soll bloß keiner merken.
Von Christoph Schwennicke

Es hat gegossen wie aus Kübeln. Die Kameramänner und Fotografen vor dem Weißbräuhaus in Erding lassen es an Disziplin mangeln, sie drängen auf den blauen Teppich, weil ihnen sonst das Wasser vom Baldachin in Bächen in den Kragen laufen würde. Dann erscheint Angela Merkel mit CSU-Chef Erwin Huber, sie hat eine heitere Miene aufgesetzt, sie wirkt freundlich. Doch plötzlich bricht ihr Gesicht in sich zusammen, ihr Hochdeutsch auch. Merkel stürzt auf einen Sicherheitsbeamten los, der zwischen ihr und den Kameras steht und somit im Bild.

"Was is'n das hier?", faucht sie in märkischer Mundart, ganz sie selbst, unverstellt. "Det is ja keen Bild hier!" Ein Kameramann hatte sich, weil der Sicherheitsmann im Wege stand, so postiert, dass er aus ungünstigem Winkel gefilmt hätte. "Geh'n Se doch mal 'n bisschen aus der Latichte!", schimpft Merkel weiter auf den armen Sicherheitsmann ein.

Dann kann es endlich weitergehen. Die Kanzlerin setzt wieder ihr Sonnengesicht auf und erklärt, warum das ganz toll werden wird hier in Erding beim Geschwistertreffen von CDU und CSU.

"Det is ja keen Bild hier!" Es kommt selten vor, dass man so direkt hineinblicken kann in den Kopf von Angela Merkel. So redet sie eigentlich nur, wenn keine Kamera läuft. Dieser Satz von Erding aber verrät, was sie wirklich umtreibt jenseits der Stanzen, die sie loswerden wird. Was zählt, sind schöne Bilder. Schöne Bilder sind noch wichtiger als schöne Worte, das weiß sie: "Ich war ja mal Pressesprecher!", kommentierte sie ihren beherzten Eingriff von Erding, während sie Hand an den Sicherheitsmann legte.

Es gab einmal einen Kanzler in Deutschland, der Brioni-Kanzler genannt wurde und gar nicht verhehlte, dass es ihm Freude machte, sich selbst zu inszenieren. Dieser Kanzler war bei "Wetten, dass...?" aufgetreten, er ging gern mit Kameras in Gartenlaubenkolonien und bestellte dort lautstark Getränke: "Hol mir mal 'ne Flasche Bier, sonst streik ich hier!" - der Spruch wurde später zum Rap-Song. Schröder schillerte wie ein Popstar, jede Bundespressekonferenz mit ihm geriet zu großem Kino. Er war der Medienkanzler.

Dann kam Angela Merkel, und alle Welt glaubte, sie sei der Gegenentwurf zu Schröder. Doch inzwischen inszeniert sich Merkel sogar noch stärker als Gerhard Schröder. Nicht so offen, gerade dadurch aber noch effektiver. Angestrengt versucht sie, ihr Bild in der Öffentlichkeit zu kontrollieren. Sie ist Medienkanzlerin, ohne so genannt zu werden. Heimliche Medienkanzlerin.

Zuletzt hatte sie wieder eine überaus ertragreiche Woche. Bilder über Bilder, schöne Bilder. Erst sonntags in Erding vor dem Bräuhaus. Dann montags in Straubing mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy. Schließlich am Mittwoch mit US-Präsident George W. Bush im Idyll des Gästehauses von Meseberg.

Im Auswärtigen Amt ärgert man sich schon lange, dass Merkel Außenminister Frank-Walter Steinmeier die roten Teppiche wegrollt, wo sie liegen. "Die gönnt uns keine Fluse", grollt es aus der SPD-Spitze.

Auch in Straubing und Meseberg beanspruchte Merkel die gesamte Bühne für sich. Wieder durfte Steinmeier nur hinter den Kulissen rumschleichen, während Merkel mit Bush die Bühne bespielte. Viel Fassade, wenig Fakten: Der Anteil an Politik in dieser internationalen Festwoche sei "unanständig niedrig" gewesen, sagt ein Delegationsmitglied hinterher.

Im Zubringerbus von Meseberg ins Pressezentrum von Lindow stöhnen die Tageszeitungsreporter, wie sie denn mit dem bisschen Nichts die großen Seiten füllen sollen, die ihre Redaktionen vorgesehen haben. Selbst Bushs angebliche Liebe für deutschen Spargel wird so rasch zum denkbaren Bestandteil der Geschichten. Anderntags stehen eben Spargelgeschichten in den Zeitungen. Vor allem aber finden sich mehrspaltige Bilder, auf denen Merkel mit der mächtigsten lahmen Ente der Welt durch einen Blumengarten von Schloss Meseberg wandelt.

Merkels Medienstrategie folgt immer demselben Muster. Es werden Anlässe geschaffen, Erwartungen aufgebaut, um dann genehme Berichterstattung und gute Bilder generieren zu können.

Vergangenen August flog Angela Merkel angeblich zur Rettung des Klimas nach Grönland, um sich dort in einem knallroten Anorak vor dem kalbenden Gletscher von Ilulissat fotografieren zu lassen. Der G-8-Gipfel in Heiligendamm vor einem Jahr geriet zur märchenhaften Inszenierung einer Kanzlerin, die den US-Präsidenten zu scheinbar konkreten Klimazielen zwingt. Die Ziele hat der Präsident längst wieder vergessen, geblieben sind die Fotos der acht mächtigsten Menschen der Welt im größten Strandkorb der Welt - und einer Kanzlerin, die den Kerlen zeigt, wo es langgeht. In einem internen Papier, das sich wie ein Drehbuch liest, wurde damals festgehalten, dass das Gipfelthema "Weltwirtschaft" "weiter weg" von der Bevölkerung sei, das Gipfelthema "Klima" hingegen "besser kommunizierbar". Die Kanzlerin persönlich verlange, die Erwartungen vor dem Treffen "deutlich herunterzufahren" - um hinterher umso mehr glänzen zu können.

Vor zehn Jahren wurde herzlich gelacht, als beim Bundesparteitag der SPD in Leipzig ein Drehbuch entdeckt wurde, das vom Einmarsch Gerhard Schröders und Oskar Lafontaines bis zu den Lichteinstellungen und dem Schlussapplaus alles festgelegt hatte. Der Apparat von Angela Merkel arbeitet nicht anders, alles will die Chefin unter Kontrolle haben.

Schwierigkeiten "mit ihrer Körperlichkeit"

Zuständig für die Kanzlerinnenoptik sind neben der persönlichen Stylistin Petra Keller, die Merkel permanent begleitet, insbesondere die Medienberaterin Eva Christiansen und Beate Baumann, die Büroleiterin. Wichtig ist auch Regierungssprecher Ulrich Wilhelm, der mit seinem sonnigen Lachen das Berliner Kommentariat selbst dann bei Laune halten soll, wenn einer wieder einmal Unbotmäßiges geschrieben hat.

Merkel, so analysiert ihr Biograf Gerd Langguth, habe lange Schwierigkeiten gehabt "mit ihrer Körperlichkeit". Die habe sie aber überwunden. Fotografen staunen seit einiger Zeit über ihr Motiv. Früher reagierte Merkel allergisch auf die Leute mit den langen Objektiven. "Ich hasse Fotografen!", entfuhr es ihr da noch des Öfteren. Inzwischen kommen die Kollegen von der abbildenden Zunft zu einem Interviewtermin, und Merkels erste Frage lautet: "Wo wollen Sie mich haben?"

Jenseits dessen gelten aber drei eiserne Regeln: nicht von der Seite, nicht von unten, nicht beim Gehen. Und wer sich nicht an die Regeln hält, wird angeschnauzt. So einfach, so übersichtlich ist das System Merkel.

Auffällig ist nicht nur, welche Bilder es von Merkel gibt. Auffällig ist auch, welche es nicht gibt. Sie versteht es, keine Belege zu hinterlassen, wenn es um unangenehme Dinge geht. So schickte sie seinerzeit Arbeitsminister Franz Müntefering allein vor die Presse, um die Rente mit 67 zu verkünden. Bei einem solchen Einschnitt wäre ein Doppelauftritt von Kanzlerin und Vizekanzler durchaus angemessen gewesen.

Einem Kanzler, egal ob er Schröder oder sie Merkel heißt, gibt das Amt automatisch einen großen Stab an die Hand, der die eigene PR mit Steuermitteln zu optimieren hilft. Diese Propagandamaschine heißt Bundespresseamt und kostet das Volk rund 80 Millionen Euro im Jahr. Dort werden zum Beispiel die Reisen der Journalisten organisiert, die den Regierungschef ins Ausland begleiten. Auch hier wird im Hause Merkel nichts dem Zufall überlassen. Als die Kanzlerin zuletzt nach Lateinamerika reiste, bemühte sich das Bundespresseamt darum, die Korrespondenten führender Tageszeitungen mit an Bord zu haben. Die Wochenpresse war nicht erwünscht. Das Kalkül dahinter ist einfach: Manche Tageszeitungsjournalisten stehen unter höherem Druck, die Reisespesen mit Artikeln zu rechtfertigen, und sei es mit belanglosen Reisebeschreibungen in Ermangelung von ernsthaftem politischem Stoff. Das Ergebnis ist Gefälliges über Merkel: Die Weltenwandlerin im Einsatz für Deutschland.

Auf die Spitze trieb Merkel ihre Selbstinszenierung mit dem Einsatz ihres weit ausgeschnittenen dunklen Ballkleids beim Opernbesuch in Oslo Mitte April. Vize-Regierungssprecher Thomas Steg, ein Augenzeuge von Oslo, musste bei der nächsten Bundespressekonferenz Stellung nehmen und erklärte nach Rücksprache mit Merkel, die Kanzlerin habe sich gewundert, wie viel Aufhebens um ihr Outfit gemacht worden sei. Dabei habe es sich doch nur um "ein Neuarrangement aus dem Bestand der Bundeskanzlerin" gehandelt. Sie habe das "Basismodell" einmal vor ihrer Zeit als Kanzlerin getragen, und darüber habe sich "niemand aufgeregt". Das stimmt, ist aber nicht die ganze Wahrheit. Es gibt ein Foto aus dem Jahr 2000, auf dem sie mit Thomas Gottschalk in Bayreuth zu sehen ist. Das Kleid ist in seiner Wirkung allerdings nicht im Entferntesten mit dem Auftritt von Oslo zu vergleichen.

In der Neuauflage seines Buchs über Merkel stellte Gerd Langguth im vergangenen Jahr zwölf Thesen auf. These elf lautet: "Stärker als alle ihre Vorgänger" arbeite Merkel mit den Medien. Sie habe "schon als stellvertretende Regierungssprecherin der letzten DDR-Regierung gelernt, dass nur der die öffentliche Meinung gewinnt, der auch die Veröffentlicher von Meinung überzeugen kann".

Er fühle sich in allem bestätigt, sagt der Politologe heute. Merkel mache nichts ohne Kalkül. Es sei völlig ausgeschlossen, dass sie vor der Reise nach Oslo einfach so in den Schrank gegriffen habe. "Sie weiß, welche symbolhafte Wirkung von einem solchen Auftritt ausgeht. Das war ganz gezielt eingesetzt."

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