Verhaltensforschung Macht der Unlogik

Rationalität sei eine Illusion, sagt der US-Wissenschaftler Dan Ariely. Er erforscht, warum Menschen sich in alltäglichen Situationen meist so unvernünftig verhalten.

Dan Ariely war 18 Jahre alt, als durch einen unglücklichen Zufall direkt neben ihm eine große Magnesium-Leuchtrakete explodierte. 70 Prozent seiner Haut verbrannte. Drei Jahre verbrachte der Israeli in einem Krankenhaus, einbandagiert vom Kopf bis zu den Zehenspitzen. Praktisch bewegungsunfähig und von schrecklichen Schmerzen geplagt, begann er, über die großen Fragen des Lebens nachzudenken. Warum liebte er zum Beispiel gerade dieses eine Mädchen, die anderen aber nicht? Weshalb war es ihm so wichtig, was die Leute von ihm dachten? Oder ganz grundsätzlich: Was motiviert Menschen in ihrem Leben?



Als er wieder gesund war, studierte Ariely Psychologie und fing an, die Merkwürdigkeiten des menschlichen Verhaltens mit wissenschaftlichen Methoden zu erforschen. Heute ist er Professor für Verhaltensökonomie an der Duke University in Durham, US-Bundesstaat North Carolina, und hat ein ebenso amüsantes wie lehrreiches Buch darüber geschrieben, dass die gängige Wirtschaftstheorie auf einem fatalen Irrtum beruhe: auf der Annahme, dass der Mensch sich rational verhalte*.

Auf diesem brüchigen Fundament, so Ariely, hätten seit Adam Smith Generationen von Ökonomen ihre Modelle aufgebaut, die sich auf unzählige Lebensbereiche auswirkten - von der Besteuerung über die Gesundheitspolitik bis zu den Preisen von Waren und Dienstleistungen. In Wirklichkeit aber, so behauptet der Professor, verhielten sich Menschen im Alltag, im Beruf und in der Liebe nicht nur irrational, sondern auch vorhersehbar irrational - sie machten nämlich immer wieder dieselben Fehler, ohne viel daraus zu lernen.

Seine Thesen belegt Ariely mit einer Reihe ausgefallener Experimente. So präsentierte er einer Gruppe von Studenten mehrere Weinflaschen, einen Trackball, eine Tastatur mit Maus, ein Buch und eine Pralinenschachtel und fragte sie, wie viel sie für die jeweiligen Güter bezahlen würden. Vor Abgabe der Gebote sollten die Probanden die letzten beiden Zahlen ihrer Sozialversicherungsnummer notieren und bei jedem Produkt angeben, ob sie diesen Betrag in Dollar dafür ausgeben würden.

Welcher vernünftige Mensch lässt sich von seiner Sozialversicherungsnummer beeinflussen? Das verblüffende Ergebnis: fast jeder. Die Studenten mit den höchsten Endziffern (von 80 bis 99) gaben um 116 bis 246 Prozent höhere Gebote ab als diejenigen mit den tiefsten Endziffern (von 00 bis 19).

Wenn Kaufentscheidungen aber durch willkürliche Einflüsse manipuliert werden könnten, argumentiert Ariely, dürfe man sich nicht darauf verlassen, dass das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage automatisch zu Marktpreisen führe, die den größten Nutzen für alle Beteiligten widerspiegelten - wie es die traditionelle Wirtschaftstheorie voraussagt.

Selbst den eigenen Vorlieben ist nicht ohne Vorbehalt zu trauen. Dies zeigte Ariely, indem er den Gästen in einer Kneipe Bier aus zwei verschiedenen Krügen zum Probieren anbot. Es handelte sich in beiden Fällen um dasselbe Bier, aber eine der Proben war mit Essig versetzt.

Diejenigen Gäste, die er vorher darüber informierte, rümpften beim ersten Schluck die Nase und bevorzugten das reine Bier. Doch den anderen, die nicht aufgeklärt wurden, schmeckte mehrheitlich das Essig-Bier besser. Ariely folgert daraus: Wenn man denkt, dass etwas ekelhaft schmecken könnte, wird es vermutlich auch so sein - nicht weil man es so empfindet, sondern weil man es erwartet.

Und dann sind da ja noch die Gefühle, die dem vernunftbegabten Menschen jederzeit dazwischenfunken können. Ariely wollte ergründen, wieweit sexuelle Erregung zu unvernünftigem Verhalten führt. So ließ er eine Gruppe männlicher Studenten an zwei verschiedenen Tagen Fragen zu ihrem Sexualverhalten beantworten. Beim ersten Mal sollten sie sich nur vorstellen, dass sie sexuell erregt seien; beim zweiten Mal sollten sie währenddessen erotische Bilder betrachten und masturbieren.

Die Antworten auf dieselben Fragen unterschieden sich je nach Erregungszustand drastisch. So waren die Studenten während des Onanierens viel weniger abgeneigt, einer Frau heimlich eine Droge zu verabreichen, um die Chance auf Sex zu erhöhen - der Grad der Zustimmung bei dieser Frage stieg um 420 Prozent. Die Bereitschaft, beim ersten Sex mit einer neuen, unbekannten Partnerin ein Kondom zu benutzen, sank hingegen um 22 Prozent.

Eindrucksvoll sind auch Experimente, bei denen sich zeigt, wie sehr sexuelle Erregung Kaufentscheidungen beeinflusst. Nach dem Betrachten von Fotos attraktiver Frauen sind Männer offenbar bereit, viel mehr Geld für Geschenke auszugeben.

Der Mensch neige in emotional aufgeladenem Zustand eben zu falschen Entscheidungen, bemerkt Ariely. Niemand, so seine beruhigende Botschaft, sei der Macht der Unlogik aber hilflos ausgeliefert. Wer wachsam sei und begreife, wann und wo er sich irrational entscheide, dem könne es gelingen, seine "natürlichen Defizite" auszugleichen.

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