Architektur Der Herr der Stangen
Zu den vornehmsten Aufgaben eines Potentaten zählt, keinen Zweifel an der eigenen Größe aufkommen zu lassen. Dazu mögen Truppenaufmärsche und kolossale Standbilder bewährte Mittel sein. Doch muten die etwas altmodisch an.
Der moderne Diktator von Weltformat hat deshalb einen neuen Weg gefunden, das ganze Ausmaß seiner Macht vorzuführen: Fahnenstangen. So verwundert es nicht, dass in Zentralasien und im Nahen Osten ein Wettrüsten um den weltlängsten Stahlpylonen ausgebrochen ist.
Den Rekord hält derzeit Turkmenistan: 133 Meter misst die Stange (und damit sieben Meter mehr als der Konkurrent in Amman), die Flagge rund 2000 Quadratmeter (und damit genug, um ein Fußballfeld zu einem Drittel zu bedecken). Doch die Freude des großen Führers Gurbanguly Berdymuchammedow wird nur noch kurz währen. Denn dann ist Einweihung in Aserbaidschan. 162 Meter wird sich dort ein Mast in den Himmel recken und damit so einsam über den Dächern von Baku herrschen wie Präsident Ilcham Alijew über sein Volk.
Der Herr der Stangen ist David Chambers, ein Geschäftsmann aus einem Mutterland der modernen Demokratie: den USA. Mit seiner Firma Trident Support befriedigte er bereits die phallischen Baugelüste etwa des jordanischen Königshauses und eines führenden Scheichs der Vereinigten Arabischen Emirate.
Auch die Emissäre lupenreiner Autokratien wie Kasachstan und Tadschikistan wurden schon vorstellig. Was sie vereint, ist nicht nur der Zweifel an der Mündigkeit der eigenen Bürger, sondern auch ein kräftiger Wind aus den Weiten der zentralasiatischen Steppe. Der weht so stark, dass er selbst 400 Kilogramm schweres Polyestertuch stolz flattern lässt.
Die Auftraggeber wollten von Chambers immer nur das eine: die höchste Fahnenstange der Welt - und stets verlangten sie, dass ihr Rekord doch bitte der endgültig letzte sein möge, stöhnt Chambers. "Dabei wissen sie doch ganz genau, dass wir weitere Masten bauen werden."
Turkmenistans Staatslenker Berdymuchammedow musste er deshalb versprechen, den Bau des Mastes in Aschgabad schneller als den in Aserbaidschan fertigzustellen, damit der seinen Weltrekord länger auskosten könne. Der aserbaidschanische Amtskollege kam ihm dann sogar noch zu Hilfe, weil er sich kurzerhand für eine Designänderung entschied.
Der Riesenpinn dürfe nicht weiß sein, so lautete sein Befehl. Bronze gefalle ihm besser. Die Arbeiten in Baku mussten ruhen. "Alle Bauteile sind schon hier, nur die Spezialfarbe noch nicht", berichtete Chambers. Die musste aus dem Ausland herangeschafft werden.
Die Fundamente für die schlanken Wahrzeichen sind gewaltig: 20 Meter messen die kreisrunden Betonblöcke, vier Meter sind sie dick. Mindestens zehn Betonpfeiler, 20 Meter tief im Boden verwurzelt, halten das schwingende Bauwerk in der Senkrechten.
Theoretisch ließe sich noch lange um die Wette hissen, meint Chambers. Bis zu einer Masthöhe von 400 Metern könne es immer so weitergehen.
Praktisch jedoch fürchtet der schwindelfreie amerikanische Unternehmer schon weitaus früher an die Grenzen des Wachstums zu stoßen. Die nämlich werden gesetzt von der derzeit bauüblichen Höhe der verfügbaren Kräne, mit denen er die jeweils zwölf Meter langen Einzelsegmente emporhievt, um sie dann aufeinanderzumontieren.
Bei etwa 220 Metern sei Schluss, erklärt Chambers, weswegen er nun dekretiert hat, dass jeder neue Fahnenmast den aktuellen Rekordhalter stets nur um einen Meter übertreffen dürfe. Das werde seine Bestellungen strecken, hofft Chambers, der auch gewöhnliche, 30 Meter lange Masten von der Stange verkauft.
Gefährlich könnte seiner Marktmacht allerdings ein Konkurrent aus dem eigenen Land werden: die Firma U. S. Flag & Flagpole Supply Inc. Man habe einen Kunden im Nahen Osten, so tuschelt dessen Verkaufsmanager Jarred Romanos, dem werde man eine 168 Meter lange Stange in sein Reich bauen.
In einer für seine Klienten ungewöhnlichen Offenheit beschreibt er deren Motivation: "Das ist für die eine Sache des Stolzes."