Militärgeschichte Grab im Stoppelacker
"Daraus können wir uns Pommes frites zum Mittag machen", witzelt Archäologin Denise To und zeigt auf drei Reihen Kartoffeln am Rand des Feldes. Die Blätter sind lange verwelkt, vereinzelt ragen grün gewordene Knollen aus dem Boden. Höchste Zeit für die Ernte.
Nebenan, inmitten der Stoppeln von Weizenhalmen, schabt ein kleiner Bagger vorschichtig eine Mulde in die Krume. Er mutet an wie eine Miniatur des Riesengeräts, das sich am Horizont durch die Braunkohle frisst. Der Acker am Rand der Nordeifel ist der Arbeitsplatz von To und ihrem Team. Sie vermuten hier das Grab eines Amerikaners, der während der Schlacht um den Hürtgenwald seine brennende P-38 "Lightning" zu Boden brachte.
To und ihre Leute gehören zum Joint POW/MIA Accounting Command (JPAC). Der kryptische Buchstabencode steht für eine Spezialeinheit des US-Verteidigungsministeriums. Vielerorts auf der Welt sucht sie nach amerikanischen Kriegsgefangenen (Prisoners of War, POW) und vermissten Soldaten (Missing in Action, MIA).
JPAC hat viel zu tun. Offiziell gelten noch immer 78.000 Amerikaner aus dem Zweiten Weltkrieg als vermisst, rund 8100 aus dem Korea-Krieg, 1800 aus dem Vietnam-Krieg, 120 aus dem Kalten Krieg und einer aus dem Golf-Krieg von 1991. Für die Arbeit stehen JPAC 400 militärische und zivile Angestellte zur Verfügung, ein jährliches Budget von etwa 50 Millionen US-Dollar und das Central Identification Laboratory (CIL) in Hawaii, das weltgrößte Labor für forensische Anthropologie. Dorthin werden die Knochen nach ihrer Bergung gebracht. Erst wenn die Anthropologen des CIL sie eindeutig identifiziert haben, dürfen die Familien bestatten, was von ihren Angehörigen übrig blieb.
Einer der 78.000 Vermissten aus dem Zweiten Weltkrieg ist der damals 20-jährige Texaner aus dem Stoppelfeld im Hürtgenwald. Er flog für die 474th Fighter Group, die vom belgischen Florennes aus die amerikanischen Bodentruppen unterstützte. Am 5. November 1944 geriet er ins Flakfeuer der Deutschen, seine Maschine fing Feuer. Zur selben Zeit hängte Therese Rick, damals 15, draußen die Wäsche auf die Leine. "Ich sah, wie eine Rauchfahne aus dem Flugzeug kam", erinnert sie sich. "Der Pilot zog noch eine Schleife, und dann hörte ich den Aufprall. Ich wäre gern hingelaufen, aber meine Mutter wollte das nicht."
Hier starben in fünf Monaten bis zu 32.000 US-Soldaten
Es war kein Herbst, um sich die Toten anzuschauen. Wer im Hürtgenwald starb, blieb oftmals einfach nur liegen. Therese Rick und ihre Mutter wurden wenige Tage später evakuiert, die schlimmsten Kämpfe sahen sie deshalb nicht. Eindrucksvoll schildert diese Ernest Hemingway, der als Kriegsberichterstatter die Schlacht im Hürtgenwald miterlebte. In knapp fünf Monaten verloren die Amerikaner 22.000 bis 32.000 Soldaten, rund halb so viele wie später im gesamten Vietnam-Krieg.
Von September 1944 bis Februar 1945 wurde hier gekämpft. Scharfschützen in den Bäumen machten jede Bewegung lebensgefährlich. Der Boden war durchzogen von Schützengräben und gespickt mit Minen. Dazu kam die Kälte. "In Hürtgen gefroren sie alle einfach, und es war so kalt, dass sie mit roten Gesichtern gefroren ...", schrieb Hemingway in seinem Roman "Über den Fluss und in die Wälder".
Doch während die amerikanische Literatur und Filmkunst nicht müde werden, andere Schlachten, besonders die Landung in der Normandie, zu feiern, erinnerten sich außer Hemingway vergleichsweise wenige der Leiden im Hürtgenwald. Denn die Schlacht dort war nicht nur verlustreich für die Amerikaner, sie war auch wenig erfolgreich. Ziel war es, den ungehinderten Vormarsch zum Rhein zu sichern. Dazu mussten die Deutschen aus den Wäldern mit ihren Stauseen vertrieben werden.
Doch die Deutschen kannten das Gelände nur zu gut. Tief in den Wäldern verborgen liegt der Rurstausee. Im Februar 1945, als aller Widerstand zwecklos wurde, öffneten die deutschen Truppen die Grundablassrohre - und verwandelten damit den Fluss Rur in einen breiten Sumpfgürtel, den weder Mann noch Panzer kreuzen konnten. Knapp zwei Wochen lang erschwerten sie so den Vorstoß alliierter Truppen nach Osten.
"Until they are home", lautet das Motto der Gruppe.
Heute jedoch scheint die Sonne über dem Hürtgenwald, und To ist glücklich. Denn nachdem sie ihr Team eine Woche lang Suchgräben kreuz und quer durch das Stoppelfeld hat ziehen lassen, sind sie nun endlich auf erste Flugzeugteile gestoßen.
Das war nicht einfach. Denn die Augenzeugen, die wie Therese Rick noch immer in der Umgebung leben, erinnerten sich nach 64 Jahren an sehr unterschiedliche Details: "Da vorn kam die Maschine runter, bei der Straße", sagte der eine. "Ich weiß noch genau, wie das Flugzeug da hinten in den Hang stürzte", erinnerte sich die andere. Bis zu zwei Kilometer lagen die angeblichen Absturzstellen auseinander. "Es ist halt sehr, sehr lange her, und sie waren damals noch Kinder", meint To.
Doch so trügerisch manch eine Erinnerung auch sein mag, so ist es doch vor allem den Anwohnern zu danken, dass JPAC hier in der Nordeifel jedes Jahr eine Handvoll Knochen aus dem Boden holt. Seit Beginn der Einsätze im Jahr 1986 konnten acht US-Soldaten geborgen und auf Hawaii identifiziert werden. An vier weiteren Fällen arbeiten die Wissenschaftler gerade. Den JPAC-Fahndern kommt dabei zugute, dass die Hobbyhistoriker der Region sich gut organisieren - kein Wunder, sind sie doch mit den Geschichten ihrer Eltern über Panzerwracks im Garten und Soldatengräber im Wald aufgewachsen. Und wer, wie so viele hier, regelmäßig seinen Hund spazieren führt, findet auf den Wiesen und zwischen den Bäumen immer wieder Metallschrott, alte Helme oder gelegentlich auch mal eine eingeschweißte Essensration. Man kennt sich hier in den Dörfern, in Straß, in Gey, in Vossenack, und weiß, wem man Bescheid sagen kann, wenn der Retriever mal etwas Ungewöhnliches aus einem Kaninchenloch buddelt.
"Man muss vorsichtig sein, um was man Bernie bittet"
Bernd Henkelmann ist so einer, dem man seine Funde zeigen kann. Seit seiner Pensionierung hilft der Oberstabsfeldwebel a. D., der lange Jahre als Ausbilder in Kentucky war, den Teams vom JPAC. Er stellt Kontakte her, übersetzt bei Gesprächen mit Einheimischen, vermittelt zwischen amerikanischen und deutschen Interessen. "Man muss vorsichtig sein, um was man Bernie bittet", sagt Gruppenleiter Captain Alexander Vanston. "Wenn man im Scherz sagt, wir wären gern mit unserer Grabung in den Abendnachrichten, dann haben wir hier zwei Stunden später den Acker voller Fernsehteams."
Vanston hat die Aufgabe, von seinem kleinen Hotelzimmer aus alle JPAC-Teams zu koordinieren, die derzeit in Deutschland unterwegs sind. Neben dem Team von To gehören dazu noch zwei weitere Grabungsmannschaften in der Nordeifel. Außerdem sichtet ein sogenanntes Investigation Team (IT) gerade in der Nähe von Dresden Orte für weitere Grabungen.
Die ITs leisten die Vorarbeit: Sie wühlen in Archiven, führen Gespräche mit Augenzeugen, verhandeln mit den Landbesitzern. Vanston ist ständiger Ansprechpartner für alle Wünsche und Probleme seiner Leute. To erklärt, was das heißen kann: "Wenn ich sage, ich möchte hier neben den Kartoffeln eine Nasswaschanlage für das Ausspülen der ausgehobenen Erde mit 25 Arbeitsstationen haben, dann baut er mir eine."
Diesmal allerdings ist der Ackerboden trocken genug, um mit einfachen Drahtgestellen die Erde nach Knochen oder kleinen Metallteilen durchsieben zu können. Jeder Mitarbeiter eines JPAC-Grabungsteams ist hochspezialisiert. Es gibt einen Flugzeugexperten, einen Bombenentschärfer, einen Arzt, einen Linguisten und einen forensischen Fotografen. An die Siebe aber müssen sie alle.
50 Millionen Dollar kostet JPAC den Steuerzahler
Für die meisten ist es nicht der erste Einsatz, sie haben bereits in Vietnam oder Korea nach toten Landsleuten gesucht. Und gegen die Einsätze in Asien ist die Ausgrabung in der Nordeifel ein Kinderspiel. Denn gerade in Vietnam liegen die Absturzstellen oft an lebensgefährlich steilen, schlittrigen Abhängen, es wimmelt von Giftschlangen und Skorpionen, und statt eines trockenen Hotelzimmers wartet am Abend nur ein klammes Zelt.
Die Männer und Frauen vom JPAC jedenfalls sehen es als ihre Aufgabe an, so viele ihrer toten Kameraden aufzuspüren wie irgend möglich. "Until they are home", lautet das Motto der Gruppe.
Und trotz des riesigen Labors auf Hawaii, trotz des kleinen Heeres von Archäologen und Anthropologen, die darin arbeiten, trotz der logistischen Meisterleistungen, die JPAC weltweit jedes Jahr vollführt: Im Angesicht des Gesamthaushalts des US-Militärs mutet der Gruppenetat geradezu bescheiden an. Für die 50 Millionen, die JPAC den Steuerzahler kostet, bekommen die Generäle gerade einmal drei Long-bow-Apache-Hubschrauber - von denen die USA 600 im Einsatz haben.
Ob die Archäologin To allerdings auch dieses Mal am Ende eine Kiste mit Knochen des P-38-Piloten mit nach Hawaii nehmen kann, steht noch nicht fest. Alles, was sie bisher ausgegraben hat, sind - neben zwei Zehn-Zentner-Bomben - Triebwerkteile und die unabgefeuerte Munition eines Maschinengewehrs. Augenzeugen haben 1944 den toten Piloten neben seinem Flugzeug liegen sehen. Das muss nicht heißen, dass To dort seine Knochen finden wird.
Vielleicht hat, wer auch immer die großen Flugzeugteile nach dem Krieg vom Acker räumte, seine Reste verscharrt. Vielleicht haben Tiere die Arbeit erledigt. "Aber wir versuchen es wenigstens", sagt die Ausgräberin bestimmt.
Und sie weiß, für wen sie es tut: Daheim in Texas wartet seine Mutter immer noch. Seit 64 Jahren hofft sie auf Gewissheit über das Schicksal ihres Sohnes.