SPIEGEL-Gespräch "Mafia ist immer großes Drama"

Die in Venedig lebenden Autorinnen Petra Reski und Donna Leon über Kriminalität in Italien und Deutschland, die heimliche Macht der Frauen im organisierten Verbrechen und die Liebe zu ihrer schwierigen Wahlheimat.

SPIEGEL: Frau Leon und Frau Reski, Sie beide schreiben über die Mafia. Das kann durchaus unangenehm werden. Sie, Frau Reski, sind von drei Leuten, denen Sie in Ihrem gerade erschienenen Sachbuch Nähe zum organisierten Verbrechen attestieren, verklagt worden. Bei zwei Verfahren ergingen Ende vergangener Woche die Urteile. Bei einem bekamen Sie vollständig Recht, beim zweiten teilweise. Die dritte Verhandlung steht noch aus. Was lernen Sie aus den Scherereien - Finger weg von der Mafia?

Reski: Nein, ich lasse mich nicht einschüchtern.

SPIEGEL: Haben Sie zu leichtfertig Anschuldigungen in die Welt gesetzt?

Reski: Ich kann sehr gut zu meinem Buch stehen. Alles ist mit Dokumenten belegt. Was mich aber eigentlich schockiert: wie sicher sich die Mafia im deutschen Rechtssystem fühlt.

SPIEGEL: Es heißt, Sie wurden bei einer Lesung in Erfurt bedroht. Wie hat man sich das vorzustellen?

Reski: Wenn jemand während meiner Lesung aufsteht und dreimal sagt, wie sehr er meinen Mut bewundert, sich über den und den zu äußern, und wenn ein anderer mich als Mafiosa tituliert, dann ist die Botschaft eindeutig.

SPIEGEL: Klingt erst mal sonderbar.

Reski: Die typische Mafia-Sprache klingt immer harmlos. In Italien sagt man: Wer versteht, versteht. Es bedeutet: gesteigerte Alarmstufe. Man hat mir geraten, meine Lesungen nicht mehr ohne Polizeischutz abzuhalten.

Leon: Man darf nicht unterschätzen, wie gefährlich diese Leute sind. Das Bild, das die meisten Menschen von der Mafia haben, ist völlig überholt: Den dicken Mafioso, der mit Zigarre neben dem Tomatenstrauch in der Sonne sitzt, den gibt es nicht mehr. Das sind heute smarte Geschäftsleute mit Doktortitel und Verbindungen in die ganze Welt. Da studiert die Tochter in Harvard Internationale Beziehungen, und der Sohn besucht eine Business School in London. Diese Leute kennen die internationalen Gesetze und wissen sie zu nutzen.

SPIEGEL: Sie beide haben sich hier in Venedig miteinander angefreundet. Und es heißt, schon bei Ihrem ersten Treffen sei es um die Mafia gegangen. Warum interessieren Sie sich ausgerechnet für diese finstere Männerbündelei?

Reski: Wieso Männerbündelei? Ich beschäftige mich als Journalistin seit 20 Jahren mit der Mafia - und Mafia ist immer erst mal großes Drama. Zunächst waren es die Familiengeschichten, die mich faszinierten. Es sind ja Perversionen von Familiengeschichten, kaum fassbare psychologische Abgründe. Ich habe mein erstes Buch über Rita Atria geschrieben, eine junge Frau, die gegen die Mafia ausgesagt und sich dann umgebracht hat. Ihre Mutter hatte sie wegen ihrer Aussage sowieso schon verstoßen und ging dann noch auf den Friedhof und zertrümmerte den Grabstein. Wie kann so etwas sein? Oder wie kann eine Mutter ungerührt zusehen, wie ein Sohn den anderen erschießt?

Leon: Mich fasziniert generell, wie Leute rechtfertigen, was sie tun. Und bei der Mafia ist das besonders aufschlussreich. Mafiosi rechtfertigen das Morden, weil sie sich als Soldaten im Krieg verstehen - ein Clan gegen den anderen. Ich glaube, selbst die schlimmsten Verbrecher suchen nach einer moralischen Überhöhung ihrer Taten. Sie wollen einen Sinn.

SPIEGEL: Haben Frauen einen anderen Blick auf das Thema als Männer?

Reski: Wenn Männer über die Mafia berichten, neigen sie dazu, nur die gefährlichen Bosse wahrzunehmen und dabei zu übersehen, dass hinter einem gefährlichen Boss eine mindestens so gefährliche Frau steht. Ich habe viel über die Frauen in der Mafia recherchiert und bin mir sicher: Ohne seine Frau macht der Boss überhaupt nichts. Viele Frauen wollen unbedingt, dass ihre Männer bei der Mafia sind, und das ist verständlich, denn sonst wären sie in ihren Dörfern, in denen zum Teil mehr als 90 Prozent der Einwohner zur Mafia gehören, völlig isoliert. Zur Mafia gehören zu wollen hat auch handfeste wirtschaftliche Vorteile: Darum treiben die Frauen die Männer an. Italien ist ein Matriarchat, und je weiter man nach Süden kommt, desto stärker zeigt sich das.

Leon: Der italienische Mann kehrt jeden Abend pünktlich nach Hause zurück - hier können Sie echte weibliche Macht besichtigen. Viele Italiener sind zeit ihres Lebens abhängig von ihren Müttern.

Reski: Sie sind ihnen symbiotisch ergeben, denn eine italienische Mutter beherrscht ihren Sohn mit ihrer Liebe. Die Mütter bestimmen alles. Deswegen hätte die Mafia nie einen Schritt ohne die Frauen machen können. In der kalabrischen Mafia, der 'Ndrangheta, kommt der Clanchef und schneidet einem Neugeborenen die Nägel. Das ist ein Initiationsritual. Danach wird neben das Baby ein Schlüssel gelegt und ein Messer. Was es als Erstes berührt, das ist dann seine Bestimmung. Der Schlüssel steht für den Schergen, den Polizisten, das Messer für die Mafia. Die Mütter legen das Messer so hin, dass die Babys es zuerst berühren. Mütter wollen immer das Beste für ihre Kinder, und das Beste für ihre Kinder bedeutet in weiten Teilen des südlichen Italiens leider, zur Mafia zu gehören. Man denke nur an den Jahresumsatz der 'Ndrangheta: geschätzte 44 Milliarden Euro.

SPIEGEL: Frau Reski, Sie haben mit vielen Mafiosi Interviews geführt. Sind Sie da so angezogen wie jetzt: kurzer Rock, High Heels, tiefer Ausschnitt?

Reski: Na klar. So sehe ich immer aus, erst recht bei der Arbeit. Das ist auch ein Zeichen von Respekt den Leuten gegenüber, die man interviewt.

Leon: Und blond ist sie auch. Das ist in Italien besonders nützlich!

Reski: Das stimmt, es ist immer gut, wenn man unterschätzt wird. Journalisten machen oft den Fehler, sich selber zu wichtig zu nehmen. Man darf im Grunde nicht mehr sein als ein Spiegel, in den der Interviewpartner hineinredet, dann erfährt man am meisten. Meine Fotografin ist übrigens auch blond, wir lachen gern, wir sind immer gute Gesellschaft, und da legen die Leute ihr Misstrauen ab.

SPIEGEL: Sie verstellen sich, verbergen vor den Mafiosi Ihre Verachtung?

Reski: Meine Meinung ist in einem solchen Augenblick kaum von Belang. Es ist kontraproduktiv, wenn ich die Person, von der ich etwas erfahren möchte, gegen mich aufbringe. Ich habe mal einen wirklich gefährlichen Mafioso interviewt, bei dessen Namen alle in Neapel zusammenzucken. Der ist auch Musikproduzent, schreibt Lieder. Ich habe nur gesagt: Sie sind ein Dichter. Und er hat das durchaus als Kompliment aufgefasst.

Die Mafiosi sind die großen Nutznießer des liberalen deutschen Rechtsstaats

SPIEGEL: Roberto Saviano, der den Anti-Mafia-Bestseller "Gomorrha" geschrieben hat, will die Leser aufbringen gegen die Verbrecher. Haben auch Sie eine Mission?

Leon: Ich habe als Musikliebhaberin keine andere Mission, als dass alle Händel-Opern auf CD erscheinen. Nein, im Ernst: Es ist nicht gut, wenn ein Autor zum Priester wird. Den Leser zu belehren, das ist der Todeskuss. Es ist sowohl bei Sachbüchern wie bei Romanen besser, einfach zu schildern, wie Dinge passieren. Leser sollten möglichst zu einer Schlussfolgerung hingeführt werden und sie nicht aufgedrängt bekommen.

Reski: Ich habe im Hinblick auf meine deutschen Leser schon eine Mission. Die Deutschen machen sich keine Vorstellungen davon, welchen Einfluss die Mafia in ihrem Land hat, dass etwa große Teile der Ostseeküste von der Mafia aufgekauft wurden. Die Deutschen sind romantisch und gutgläubig, das nutzen Mafiosi. Den Polizisten ist zwar klar, dass eine Person, die nicht nachweisen kann, woher sie die Mittel hat, unmöglich ein Restaurant für fünf Millionen Euro kaufen kann. Aber es ist für die deutsche Polizei äußerst schwierig zu beweisen, dass das Geld aus schmutzigen Quellen stammt.

SPIEGEL: Der deutsche Rechtsstaat sieht hohe Hürden vor. Die Deutschen sind hinlänglich diktaturerfahren und haben deshalb eine Abneigung gegen staatliche Eingriffe in ihr Privatleben.

Reski: Tja, das kommt den Mafiosi durchaus entgegen. Sie waschen ihr Geld sehr gern in Deutschland. Sie sind die großen Nutznießer des liberalen Rechtsstaats.

SPIEGEL: Gerade Sie, Frau Leon, beschreiben in Ihren Krimis eine Art der Kommunikation, die aus deutscher Sicht absurd wirkt. Ihre Krimi-Helden vermeiden es, am Telefon Wichtiges zu besprechen, sie treffen sich lieber in Bars und reden dort im Flüsterton. Sie charakterisieren Italien als Land im Verfolgungswahn. Oder ist das alles nur literarische Überzeichnung?

Leon: Nein, ich schildere, wie es wirklich ist. Die Italiener rechnen immer damit, dass jemand am Telefon mithört. Ich erinnere mich noch, wie ich kurz vor der Einführung des Euro in die Niederlande fuhr. Ich brauchte Gulden und fragte am Telefon einen italienischen Freund, ob er noch welche übrig habe. Als wir uns das nächste Mal sahen, hat er mich ermahnt - es sei immer besser, am Telefon nicht über Geld zu sprechen. Vor allem dann nicht, wenn es auch noch um ein Land geht, in dem der Verkauf von weichen Drogen geduldet wird. Du weißt nie, wer dir zuhört.

Reski: In Italien wird tatsächlich nichts ausgesprochen. Man liest aus Gesten.

SPIEGEL: Glauben Sie, dass die seit Jahrhunderten glühende Liebe der Deutschen zu Italien - von der Sie beide übrigens leben - abkühlen würde, wenn sich die Deutschen die Ausmaße der verbrecherischen Verstrickungen klarmachten?

Reski: An der Liebe der Deutschen zu den Italienern ist ja nichts Verwerfliches. Ich finde nur die Verklärung wenig hilfreich.

Leon: Es ist, als würden Sie einen der schönsten Menschen der Welt lieben, und auch wenn alle sagen, dass er schlecht ist, dass er eine Affäre hat - Sie werden die Indizien, die fremden Haare auf dem Kopfkissen, ignorieren.

Reski: Da muss erst etwas passieren wie 2007 die Mafia-Morde in Duisburg.

Leon: Ja, erst wenn Sie den schönsten Mann der Welt im Bett mit Miss Duisburg erwischen, kommen Ihnen Bedenken.

SPIEGEL: Die dann schnell wieder vergehen. Warum hängen Sie beide so an einem Land, das Sie als verkommen darstellen?

Leon: Verkommen ist ein Wort, das ich nie benutzen würde, um Italien zu beschreiben. Seit 40 Jahren habe ich hier Menschlichkeit und Großzügigkeit kennengelernt. Hier zu leben ist ein Privileg. Die Tatsache, dass die Menschlichkeit der Italiener überlebt, trotz der Probleme des Landes, vor allem mit der Mafia, ist zu bewundern.

Reski: In Italien gibt es zwar Korruption, aber eben auch diese besondere Menschenfreundlichkeit, und das hängt miteinander zusammen. Neulich wurde ich im Zug von einer Frau getadelt, als ich mein Handy rausholte: No, no telefonino, rief sie - das war eine Deutsche. Italiener würden so etwas nie tun. Mal abgesehen davon, dass sie handysüchtig sind, weisen sie andere Leute nicht gern zurecht. Aber diese Nachsicht, die einem das Leben hier so leicht macht, hat eben auch den anderen Effekt: Man sieht über Verbrechen und andere Missstände gern hinweg. Aber wenn man an die Geschichte der Italiener denkt, ist das verständlich. Über Jahrhunderte war Italien von fremden Mächten besetzt, auch der Staat war hier eine fremde Macht.

SPIEGEL: Sie beide sprechen gut Italienisch - man wird hier aber immer merken, dass Sie Ausländerinnen sind. Haben Sie manchmal Heimweh?

Reski: Nie. Das mag auch daran liegen, dass meine Eltern Flüchtlinge aus Schlesien und Ostpreußen waren und nur zufällig im Ruhrgebiet landeten, wo ich dann aufwuchs. Heimatlosigkeit ist mir als geistiger Horizont geblieben. Ich habe immer eine Beobachterposition behalten, das ist ja auch gut in meinem Beruf.

Leon: In meinem Fall ist es so, dass mein Land mich verlassen hat. Das Amerika, aus dem ich in den sechziger Jahren weggegangen bin, um in verschiedenen Ländern als Universitätsdozentin zu arbeiten und die Welt kennenzulernen, gibt es nicht mehr. Mein Land hat mich verlassen, nicht ich mein Land.

SPIEGEL: Wie ist das zu verstehen?

Leon: Ich bin in einem Land aufgewachsen, das einen gewissen Sinn für Fair Play hatte, einen Sinn dafür, was Recht und Unrecht ist. Und heute bin ich Bürgerin eines Landes - denn Amerikanerin bin ich ja immer noch -, in dem Folter erlaubt ist. Für mich haben sich damit die Spielregeln für immer verändert. Die USA befinden sich jetzt in einer Liga mit Syrien und China.

SPIEGEL: Setzen Sie als bekennende Demokratin Hoffnungen in den neuen Präsidenten Barack Obama?

Leon: Ich bin nicht der größte Fan von Obama. Er ist der Typus, den man im College zum beliebtesten Jungen gewählt hat, weil er so hübsch und charmant ist. Aber ob das ausreicht für diesen Job? Ich hoffe allerdings inständig, dass er etwas bewegt. Meine Horrorvorstellung vor der Wahl war, dass Sarah Palin durch eine Verkettung unglücklicher Umstände Präsidentin werden würde - dann hätte Petra Reski mir den Gefallen tun müssen, sich von dem reizenden italienischen Mann scheiden zu lassen, den sie gerade erst geheiratet hat, und ihn mir für die Ehe zu überlassen. Denn dann wäre für mich Schluss mit Amerika, dann hätte ich sofort Italienerin werden wollen.

SPIEGEL: Frau Reski, Frau Leon, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.


Das Gespräch führte Susanne Beyer

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