Kino "Man ist nie zu alt zum Lernen"

Hollywood-Star Clint Eastwood über Sparsamkeit, Schimpfwörter, das Charisma des US-Präsidenten Barack Obama und seinen neuen Film "Gran Torino"

SPIEGEL: Mr. Eastwood, sind Sie enttäuscht, dass man Sie bei den diesjährigen Oscar-Nominierungen nicht berücksichtigt hat für die Hauptrolle in Ihrem neuen Film "Gran Torino"? Sie haben bereits vier Oscars für die beste Regie und den besten Film. Der für die beste schauspielerische Leistung fehlt Ihnen aber noch. Eastwood: Nein, solche Eitelkeiten sind mir fremd. Ich möchte Filme machen, die als solche etwas bedeuten. Jeder Film ist ein Gemeinschaftswerk vieler kreativer Menschen. Eine einzige Person herauszuheben ist immer so eine Sache. Ich bin zudem über den Punkt hinaus, an dem es mich belasten würde, was Kritiker über meine Arbeit sagen.

SPIEGEL: "Gran Torino" thematisiert die harsche Realität wirtschaftlich angeschlagener US-Bundesstaaten wie Michigan, wo die einstmals glorreiche amerikanische Autoindustrie vor dem Zusammenbruch steht. Sie scheinen ein Faible zu haben für sozialkritische Filme.

Eastwood: Es ist eher Zufall, dass der Film die aktuellen Probleme dieser Region in vielen Bereichen widerspiegelt. Aber dieser Zufall war letztlich einer der Gründe, warum ich diesen Film unbedingt machen wollte. Das Drehbuch spielte ursprünglich in Minneapolis. Ich fand es spannender, das Geschehen nach Detroit zu verlagern, einer Stadt, die mächtig gebeutelt ist von der sterbenden Autoindustrie. Sie ist seit Jahrzehnten ein sozialer Brennpunkt - das passte gut zum Inhalt des Films. Die Wirtschaft erlebt ihren Niedergang, die Arbeitslosenquote ist extrem hoch, Gangs treiben ihr Unwesen. Kriminalität und Gewalt sind an der Tagesordnung. Und mittendrin lebt Walt Kowalski, ein verbitterter Kriegsveteran, der 50 Jahre lang als Arbeiter im Ford-Werk tätig war.

SPIEGEL: Jemand anderen als Sie kann man sich in der Rolle eigentlich gar nicht vorstellen.

Eastwood: Na ja, Kowalski ist ein amerikanischer Patriot vom alten Schlag. Hilflos muss er mit ansehen, wie sich alles um ihn herum verändert, wie Immigranten aus Südostasien sich in den Nachbarhäusern einnisten. Und Kowalski hasst Veränderungen. Doch dann sind es ausgerechnet die verhassten neuen Nachbarn, die ihn zum Umdenken bewegen. Das sind Geschichten, die ganz nach meinem Geschmack als Filmemacher sind.

SPIEGEL: Sie wollen der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten und sagen: "Seht her, das ist das reale Amerika, das wir nicht ignorieren sollten"?

Eastwood: Das ist genau der Effekt, den ich damit erreichen will. Ich möchte keine Filme mehr drehen, die sich dem reinen Unterhaltungswert widmen. In meinem Alter kann ich es mir leisten, mich nur noch Projekten zu widmen, die mir aus dem Herzen sprechen. Das macht es allerdings nicht immer ganz einfach, Investoren für meine Filme zu finden. In Hollywood ist man nicht besonders scharf darauf, Filme mit sozialkritischem Hintergrund zu finanzieren, weil man damit nicht die breite Masse erreicht. Aber ich bin bereit, mit meinen 78 Jahren noch immer bei den Studiobossen Türklinken zu putzen, um für meine Projekte Geld einzutreiben. Ich lasse mir den Anspruch nicht nehmen, die Zuschauer zum Nachdenken zu bringen.

SPIEGEL: Was ist die Botschaft von "Gran Torino" an den Zuschauer?

Eastwood: Man ist niemals zu alt dazuzulernen. Der Film beschreibt, wie Walt Kowalski Vorurteile abbaut, indem er auch mal bereit ist, über den eigenen Tellerrand hinauszusehen. Aus Rassenhass entwickeln sich so langsam Zuneigung und Verständnis.

SPIEGEL: Kowalski ist ein Veteran des Korea-Kriegs und hadert damit, dass er an der Front einst tötete. Ein Flugzeugabsturz, den Sie mit leichteren Verletzungen überlebten, bewahrte Sie als junger Soldat davor, in den Krieg zu ziehen. Haben Sie je darüber nachgedacht, wie sich Ihr Leben verändert hätte, wenn Sie im Fronteinsatz vielleicht selbst hätten töten müssen?

Eastwood: Ja, diese Frage habe ich mir nicht nur einmal gestellt. Die Dreharbeiten zu "Gran Torino" haben diese Gedankenspiele wieder neu geweckt. Keiner weiß, was passiert wäre. Aber es wäre gut möglich gewesen, dass ich wie Walt Kowalski und so viele andere Veteranen, die im Krieg getötet haben, mein Leben lang schwer darunter gelitten hätte. Ich habe kürzlich einen Brief von einem Veteranen bekommen, der den Film gesehen hatte. Er hat beschrieben, wie sehr er sich mit Kowalski identifizieren konnte, weil er sein Leben lang unter den gleichen Schuldgefühlen gelitten hat. Ich kann sehr gut nachvollziehen, wie schwer es auf der Seele lasten muss, wenn man das Leben eines anderen Menschen ausgelöscht hat. Ich bin sehr froh, dass mir diese Erfahrung erspart geblieben ist.

SPIEGEL: Auch Gewalt unter jungen Menschen ist ein zentrales Thema des Films. Gangs aus verschiedenen Kulturkreisen bekämpfen sich so ziemlich in jeder amerikanischen Großstadt. Eine Folge davon ist, dass heute erschreckend viele Jugendliche in US-Gefängnissen sitzen.

Eastwood: Das ist eine ziemlich bedrückende Tatsache. Aber man muss sich auch mal fragen, warum das so ist. Gangs gab es schon immer, das ist kein neues Phänomen. Aber der Hass unter den verschiedenen Rassen hat neue Dimensionen erreicht. Viele Jugendliche schließen sich Gangs an, weil sie dazugehören wollen. Sie suchen letztlich nur Anerkennung, die sie zu Hause nicht bekommen. Ihre eigenen Schwächen und Unsicherheiten lassen sie dann an noch Schwächeren aus. Gangs sind in gewisser Weise ein Spiegelbild unserer Gesellschaft.

SPIEGEL: Sie verwenden in Ihren Filmen eine sehr ungeschönte Sprache, die nicht immer politisch korrekt ist.

"Die Menschen benutzen nun mal Wörter wie 'Fuck' oder 'Scheiße'"

Eastwood: Ich möchte auch gar nicht politisch korrekt sein, denn die Sprache der Straße ist es auch nicht. Die Menschen fluchen jeden Tag, sie benutzen nun mal Wörter wie "Fuck" oder "Scheiße". Solche Ausdrücke hören die Hollywood-Studiobosse natürlich nicht gern in den Filmen. Je mehr "Fucks" pro Film, desto höher wird die Altersfreigabe festgesetzt. Aber mal abgesehen davon, übertreiben wir es auch im normalen Alltag mittlerweile zu sehr damit, unser Leben in allen Facetten politisch korrekt zu gestalten. Wir leben in ständiger Angst, jemandem verbal auf die Füße zu treten. SPIEGEL: Ist das so verkehrt?

Eastwood: Die Leute haben ihren Humor verloren. Wir haben früher ständig Witze über verschiedene Rassen gemacht. Die kann man heute ja nur noch hinter vorgehaltener Hand erzählen, weil man Angst haben muss, dass man als Rassist beschimpft wird. Ich finde das lächerlich. Früher gab es in jeder Freundesclique "Sam, den Juden" oder "José, den Mexikaner" - wir haben uns nichts dabei gedacht und hatten schon gar keine rassistischen Gedanken. Es war normal, dass wir uns gegenseitig hochgenommen haben mit Witzchen, die auf unserer Nationalität oder ethnischen Zugehörigkeit basierten. Das war nie ein Problem.

SPIEGEL: Ihr Heimatland hat nun zum ersten Mal einen schwarzen Präsidenten. Die Vereidigung von Barack Obama Ende Januar versetzte die Amerikaner in einen landesweiten Freudentaumel. Sie auch?

Eastwood: Ich bin etwas vorsichtiger mit meiner Euphorie, der Mann muss erst mal beweisen, was er wirklich drauf hat. Es lasten enorm hohe Erwartungen auf seinen Schultern, und vieles von dem, was er politisch gern umsetzen würde, wird er wahrscheinlich nicht realisieren können. Das riesige Haushaltsdefizit setzt Obama und seiner Regierungsmannschaft etliche Grenzen.

SPIEGEL: Wird Obama etwa überschätzt?

Eastwood: Das wird die Zeit zeigen. Ich habe vor ein paar Jahren einen Film mit dem Titel "Flags of Our Fathers" gedreht, der die Geschichte erzählt, wie ein einziges Foto eine Nation in Krisenzeiten veränderte und ihr neue Hoffnung gab. Es handelte sich um das gestellte Foto jener sechs US-Soldaten, die nach der gewonnenen Schlacht um die Pazifikinsel Iwo Jima während des Zweiten Weltkriegs eine amerikanische Flagge hissten. Das war für die Amerikaner damals ein Symbol des Neuanfangs. Diese Situation könnte gut in die heutige Zeit übertragen werden.

SPIEGEL: Wie das?

Eastwood: Statt des Fotos ist es jetzt ein Mann namens Obama, der mit seinem Charisma und seinem Auftreten den Menschen neuen Mut einflößt. Aber wie gesagt: Wir stecken in einem ziemlichen Dilemma, die Wirtschaftskrise macht dem Land und auch dem Rest der Welt mächtig zu schaffen. Ich bin sicher kein Experte, aber ich habe das Gefühl, dass uns diese Krise noch lange Zeit im Magen liegen wird. Wirklich vermessen finde ich es allerdings, wenn manche Leute diese Rezession mit der Großen Depression während der dreißiger Jahre vergleichen wollen. Das war alles weit dramatischer damals.

SPIEGEL: Sie wurden im Mai 1930 geboren und erlebten die Große Depression jener Zeit als Kind. Woran erinnern Sie sich noch?

Eastwood: Ich war damals ein kleiner Junge. Meine Schwester und ich haben die Krise nicht bewusst erlebt. Aber ich ahnte oft, dass es unserer Familie wirtschaftlich nicht gutging. Wir sind alle paar Monate umgezogen, weil mein Vater ständig seine Jobs verloren hat. Wir hatten nicht viel und lernten, mit einem Minimum auszukommen. Wenn wir kein Spielzeug hatten, haben wir eben mit Holzstäbchen oder alten Zigarrenschachteln gespielt, die wir irgendwo fanden. Man musste Ideen entwickeln, um zu überleben. Dennoch hatte ich keine wirklich unglückliche Kindheit. Die Menschen haben ihr Schicksal damals mehr in die eigenen Hände genommen, auch wenn es nicht immer leicht war. Heute erwarten wir, dass der Staat sich um alles kümmert.

SPIEGEL: Mittlerweile haben Sie längst ausgesorgt, wie aber bringen Sie Ihrer zwölfjährigen Tochter Morgan bei, verantwortungsvoll mit Geld umzugehen?

Eastwood: Das ist tatsächlich nicht immer leicht. Die heutige Generation lebt im Konsumüberfluss und unterliegt einer ständigen Reizüberflutung. Das kann ich nicht ändern, aber ich versuche schon, eine Art Gegenpol für sie darzustellen. Ein lebendes Vorbild dafür, dass man auch mit weniger glücklich sein kann. Ich erzähle meiner Tochter gelegentlich davon, dass es bei uns zu Hause an Weihnachten oder zum Geburtstag für jedes Kind nur ein kleines Geschenk gab. Heute müssen es ja gleich 20 Geschenke sein, und selbst dann gucken die Kinder noch enttäuscht drein. Als wichtigste Botschaft möchte ich Morgan mit auf den Weg geben: Man kann nur so viel ausgeben, wie man in der Tasche hat. Wenn sie ihr Taschengeld aufgebraucht hat, dann kann sie nichts mehr kaufen. Sie soll lernen, ihr Geld einzuteilen. Ich bespreche mit ihr auch, dass sich unser Land in einer Rezession befindet, wie hart das viele Menschen trifft. Sie soll lernen, ihr privilegiertes Leben zu schätzen und gleichzeitig nicht zu vergessen, anderen zu helfen, wenn sie in Not sind.

SPIEGEL: Sie werden am 31. Mai 79 Jahre alt. Ruhestand ist offenbar noch immer ein Fremdwort für Sie?

Eastwood: Ja, Stillstand kann ich nicht leiden. Ich habe einfach zu großen Spaß am Filmemachen, als dass ich dieses Kapitel schon abschließen könnte. Meine Mutter ist vor zwei Jahren gestorben, sie wurde 97. Wenn ich auf diese Gene bauen kann, steckt noch einige Schaffenskraft in mir. In zwei Wochen beginnen die Dreharbeiten zu meinem nächsten Film "The Human Factor" in Südafrika. Er erzählt, wie Nelson Mandela während seiner ersten Amtszeit als Präsident versuchte, mit Hilfe der Rugby-Weltmeisterschaft das von Apartheid gebeutelte Land zu einen. Morgan Freeman spielt Mandela.

SPIEGEL: Wird die Rolle des Walt Kowalski in "Gran Torino" Ihr letzter Auftritt als Schauspieler bleiben?

Eastwood: Ach, das habe ich auch schon mal nach "Million Dollar Baby" gesagt. Vielleicht war es wirklich meine letzte Rolle. Ich lasse mich selbst überraschen. Es gibt nicht so wahnsinnig viele spannende Rollen für alte Männer. Ich könnte sicherlich irgendwo den Butler spielen, aber mich interessieren nur Rollen, bei denen die Figur eine Wandlung durchläuft. Sollte mir so eine Rolle noch mal begegnen, stelle ich mich gern wieder vor die Kamera. Ansonsten fühle ich mich dahinter sehr wohl.

Das Interview führten die SPIEGEL-Mitarbeiter Andreas Renner und Dagmar Dunlevy
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