TV-Vorschau Die Zicke Bertha

"Krupp" - Dialoge glatt wie Metall, Bilder wie aus Edelstahl.
Von Nikolaus von Festenberg

Die "Lichtburg" in Essen ist ein prachtvolles Kino. Über tausend Plätze, großer Vorhang, ein elegant geschwungener Rang. Von wegen Krise, Pott und Maloche - diese Filmburg trotzt allen Klischees.

Der richtige Ort also, meinte das ZDF, seinen 11,4 Millionen teuren Dreiteiler "Krupp - Eine deutsche Familie" vorzuführen wie ein Event; nicht nur, weil die Stahlmagnaten ihre Hauptverwaltung in Essen hatten und in der Villa Hügel residierten. Wichtiger: Iris Berben - sie dominiert als Krupp-Obermutter Bertha den Film - ist in der Stadt aufgewachsen.

Zur Premiere am vergangenen Montag ist die ganze Fernsehoberenschar erschienen: Alt-WDR-Intendant Fritz Pleitgen, ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut und Fernsehspielchef Hans Janke. Immerhin geht es um einen deutschen Industrie-Mythos. Krupps "Dicke Bertha" war ein Riesengeschütz, das im Ersten und Zweiten Weltkrieg Tod und Zerstörung anrichtete.

Für Janke, diesen kleinen großen ZDF-Mann, ist es ein letzter Auftritt vor dem Ruhestand. Er hat sich wie kaum ein anderer um die TV-Movie-Kunst verdient gemacht. Aber dem Film fehlt fast alles, wofür Janke sich jahrzehntelang engagiert hat: Lebensnähe, künstlerische Freiheit, Kampf gegen falsches Pathos, Gehör für die leisen Töne.

"Krupp" operiert von der ersten Minute an als Soap-trainiertes TV-Schlachtschiff. Liebesglück des Sohnes - von der Zicke Bertha abgewürgt. Homosexualität - als Schicksalsschlag bemitleidet, aber voyeuristisch ausgeschlachtet. Schuldhafte Verstrickung (Alfried Krupp wurde in Nürnberg wegen "Plünderung und Förderung von Sklavenarbeit" zu zwölf Jahren verurteilt) - ehrerbietig ausgeblendet.

Christian Schnalke lässt in seinem Drehbuch Schuld und Sühne auf Kleinformat schrumpfen. Die Krupp-Saga, eigentlich eine ziemlich schnöde und moralfreie Geschichte über den Aufstieg eines mittelständischen Betriebs zur Waffenschmiede der Nation, liest sich bei ihm wie das Psychogramm des Denver-Clans.

Am Anfang steht der alte Fritz Krupp. Hätte der es, so wie es der Film zeigt, auf Capri nicht mit Jünglingen getrieben (und hätte nicht den Skandal das Sozi-Blatt "Vorwärts" enthüllt), wäre Bertha, seiner Tochter, die neurotische Fixierung auf alles Über-Ichhafte wohl erspart geblieben.

Dann hätte sie vielleicht auch ihren Sohn Alfried milder erzogen, dessen Ehe nicht hintertrieben und den Stammhalter aus der später geschiedenen Verbindung, Arndt, nicht in eine Traumwelt abgeschoben, in der er wie ein unglücklicher König Ludwig, unfähig zur Leitung des Unternehmens, ein jämmerliches High-Society-Leben führte.

Was will die Fernsehmär sagen? Die Mutter ist es gewesen, nicht die Politik, nicht die Ökonomie. Die Geschichte ist Familiengeschichte, lautet diese fernsehgerechte Haltung. Irgendwie werden dann alle Täter auch Opfer, fordern Mitleid und Bewunderung und Verständnis.

Die Familienmitglieder verkehren im hohen Staatston miteinander. "Deine Haut ist Krupp", mahnt Mutter Bertha ihren Sohn, und: "Werde, was du bist." Schnell nervt die gewählte Sprache in der Essener Villa Hügel, das aristokratische Gewese der hochherrschaftlichen Kapitalisten. Geldverdienen wird da zum verschämten Tun, Gier ist schlicht unvornehm.

Die TV-Krupps folgen der Devise: Edel sei der Mensch, reich und gut. Das belegen sehr kurze Szenen. Einem versehrten Arbeiter wird ein eiserner Rollstuhl gewährt. Novemberrevolutionäre von 1918 lassen die Krupp-Kapitalisten passieren. Arbeiter stehen Spalier, als der Leichnam des Prinzipals durchs Werk gezogen wird. Brave Kruppianer: Volksgemeinschaft statt Klassenkampf.

Aber bei der Frage der politischen Schuld, der Mitwirkung an zwei Weltkriegen, wird der Film schmallippig. Als es nach 1945 um die Entschädigung von Zwangsarbeitern geht, vernimmt man von Chef Alfried großzügige Worte. Tatsächlich blieben die Zusagen kaum mehr als Almosen. Krupp als Sklavenhalter passt nicht in die Film-Familienwelt.

Regisseur Carlo Rola vergleicht die Krupps gar mit den Kennedys. Mit oder ohne Hitler, so die Botschaft, ticken nicht alle herausgehobenen Familien dieser Welt letztlich gleich tragisch, heldenhaft und nach eigenen Gesetzen? Das ist Geschichtsrevisionismus getarnt als Küchenpsychologie.

Wie es sich für eine solche Familiensaga gehört, endet die Krupp-Herrlichkeit hoch oben auf einem Alpengletscher. Alfried kündigt seinem Vertrauten Berthold Beitz seinen Rückzug an. Die strenge Bertha ist schon gestorben, Enkel Arndt verzichtet aufs Erbe und sagt den äußerst gegenwärtigen Satz: "Millionen, Milliarden - was ist das schon für ein Unterschied?"

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