Gastronomie Verranzt und zugekäst
Bevor Stefan Stahlschmidt sich in der Fremde einen Kaffee bestellt, sondiert er rasch das Risiko. Oft verrät schon ein Blick in Richtung Theke, "ob die Maschine angesifft ist". Dann kehrt er gleich wieder um.

Kaffeemeisterin Holthaus-Vehse: Tägliche Reinigung ist Pflicht
Foto: Wolfgang Maria WeberAllzu oft bekam er in letzter Zeit schlimme Gesöffe serviert. Stahlschmidt ist Moderator im Internet-Forum kaffee-netz.de , wo die Freunde der gehobenen Tasse verkehren. Dort sammeln sich schon länger Klagen über neuartige Geschmackserlebnisse in der deutschen Gastronomie.
Mal schmeckt der Kaffee nach ranzigem Salatöl, mal beißend nach Holzkohle. Auch nasse Pappe mit einem Gusto von Gammelfisch ist anzutreffen - der Kenner entdeckt immer neue Spielarten von Verderbnis und Pestilenz. Und der Laie wundert sich, warum der Kaffee neuerdings oft so schlecht ausfällt.
Was ist da los? Früher drohte schlimmstenfalls versauerter Filterkaffee aus der urdeutschen Warmhaltekanne. Heute muss der Gast auf alles gefasst sein. Stahlschmidt witterte sogar schon Kopfnoten von Entkalker oder Chemietabletten im Heißgetränk, "weil die Teilzeitkraft nicht immer nachspült nach dem Reinigungsgang". Für den Kaffeefreund ist ausgemacht, woher das Elend kommt. Jede bessere Eckkneipe hat sich inzwischen einen modernen Vollautomaten zugelegt; und so mancher Gastronom denkt, damit sei es getan.
Angeblich mühelos zaubern diese Apparate alle Köstlichkeiten in die Tasse, vom Espresso macchiato bis zum Caffè latte. Auf den Tresen thronen sie wie Monumente der Lebenskunst. Sie verheißen das italienische Gefühl auf Knopfdruck.
Die meisten Automaten sind tatsächlich imstande, guten Kaffee zu produzieren. Aber nicht jedem Kneipier ist klar, dass der Komfort auch seinen Preis hat - die Maschinen verlangen nach peinlichster Pflege: Tägliche Reinigung ist Pflicht. Denn Kaffee ist ein höchst verderbliches Gut. Die geröstete Bohne besteht, je nach Sorte, zu 11 bis 19 Prozent aus Ölen, die sich an der Luft sogleich zersetzen. Beim Brühen lagern sich diese Öle allmählich ab im Gewirr der Leitungen, Siebe und Brühkammern, und mit der Zeit werden sie ranzig. Bald schmeckt dann jede Tasse nach dem Muffelsud.
Das räumt auch die Automatenindustrie ein. "Da kann ziemlich grausliger Kaffee herauskommen", sagt Michael Jacobi, Verkaufsleiter bei der Hamburger Firma Coffema. Es gebe in der Tat Probleme mit der "Reinigungsdisziplin in der Gastronomie". Stefan Göring vom Schweizer Hersteller Jura sieht das ebenso: "Kaffee aus ungepflegten Maschinen schmeckt einfach grottenschlecht." Auch Göring sucht deshalb, wenn er mal auswärts einen Kaffee trinkt, zuvor das Lokal ab nach Zeichen von Schmodder und Schlendrian: "Ich bin da extrem vorsichtig."
Abhilfe schaffen will die Firma Jura mit neuer Technik: Das Modell Impressa X9 Win kümmert sich selbst um seine Sauberkeit. Ist ein Reinigungsgang fällig, piepst der Automat mit eskalierender Dringlichkeit, und auf dem Farbdisplay erscheinen Videofilme, die in Bild und Ton erläutern, was nun zu tun ist.
Noch resoluter geht der württembergische Hersteller WMF vor. Schert der Gastronom sich partout nicht um die Reinigungssignale, wird er entmündigt: Nach 72 Stunden schaltet sich die Maschine ab.
Die fürsorgliche Diktatur mag vor Verranzung und zugekästen Milchschläuchen bewahren. Doch guter Kaffee ist damit noch nicht garantiert. Dafür braucht es außerdem die richtigen Einstellungen: Druck und Temperatur, Mahlgrad und Wassermenge müssen genau zu den verwendeten Bohnen passen. "Je nach Sorte und Röstung kann das Zusammenspiel sehr unterschiedlich ausfallen", sagt Bernd Braune von der Edelrösterei Supremo. "Nicht umsonst stellen Profis ihre Maschinen jeden Morgen neu ein."
Wer seinen Filterkaffee wie seit Omas Zeiten von Hand aufbrüht, kann dagegen nicht viel verderben: Das heiße Wasser sickert drei, vier Minuten lang durchs Pulver - Zeit genug, um die geschmacksbildenden Stoffe herauszulösen. Die Methode ergibt praktisch immer ein passables Heißgetränk. Der Automat jedoch brüht mit Druck, und nach kaum 30 Sekunden ist die Tasse fertig. Bei diesem Tempo muss alles stimmen, damit die Extraktion gelingt. Andernfalls schmeckt der Kaffee, je nach Art des Fehlers, seifig oder bitter, sauer oder verbrannt.
Für Einstellungsmuffel bietet die Firma Jura nun Kaffeeautomaten mit Internet-Anschluss, die sich fernsteuern lassen; jede Maschine hat ihre eigene Netzadresse. Ruft ein Wirt um Hilfe, weil etwa die Gäste meutern, wählt sich der Jura-Techniker in den Automaten ein und justiert ihn neu.
Eigentlich gehört das Einstellen zum Handwerk - auch die Tresenkraft vor Ort sollte das können. Die wenigsten aber sind ordentlich geschult. Noch immer gilt als Faustregel: Wer ein Bier zapfen kann, kriegt auch einen Espresso hin.
Selbst in den angesagten Espressobars ist auf den Bildungsstand nicht unbedingt Verlass. Zwar nennt der Mensch an der Maschine sich hier stolz Barista. "Aber das darf bei uns jeder, der einen Knopf drücken kann", sagt Nana Holthaus-Vehse, deutsche Barista-Meisterin des Jahres 2009. Sie plädiert für ein einheitliches Training mit Zertifikat, damit es mit dem Espresso endlich vorangeht.
Noch bekomme der Gast nur selten das betörende Aromenkonzentrat, das diesen Namen verdiene, so Holthaus-Vehse. Für den deutschen Durchschnittsespresso hat sie nicht viel übrig. Ihr Urteil: "Zu 90 Prozent fürchterlich."