Titel Codename "Phylax"
Berichterstattung über die Telekom-Affäre von
Frank Dohmen, Klaus-Peter Kerbusk, Beat Balzli und Thomas Schulz
Ralph Kühn ist nur ein kleines Rädchen in einem gewaltigen Getriebe. Aber wie das mit kleinen Rädchen manchmal so ist: Wenn sie plötzlich nicht mehr leise ihren Dienst tun, wenn sie anfangen, Lärm zu machen, wenn sie, ja: ausrasten, dann steht mit einem Mal die gesamte Maschine still oder dreht knirschend und fauchend selbst durch. Bis hoch in die obersten Kommando-Schaltstellen.
Seit der SPIEGEL vergangene Woche enthüllt hat, dass die Deutsche Telekom AG im großen Stil eigene Aufsichtsräte und Journalisten ausspionieren ließ, nur um ein paar undichte Stellen in den eigenen Reihen zu finden, seither wird der Bonner Ex-Staatskonzern vom schlimmsten Skandal seiner Geschichte erschüttert.
Mittendrin und zugleich ganz am Rand taumelt nun Ralph Kühn, Geschäftsführer jener Berliner Beratungs- und Recherchefirma Network Deutschland GmbH, die im Auftrag der Telekom und mit Hilfe von deren internen Verbindungsdaten von Handy- und Festnetzanschlüssen über Jahre hinweg die Spitzelattacken organisierte.
Es ist Mittwoch vergangener Woche, über Berlin scheint eine warme Frühjahrssonne. Aber man weiß nicht, was der 52jährige gelernte Wirtschaftsprüfer Kühn gerade mehr braucht: einen Anwalt oder einen Arzt?
Er habe "ein Loch im Zwerchfell", erklärt er düster und reißt schon mal sein verwaschenes Polohemd bis unters Kinn hoch, um eine furchteinflößende Operationsnarbe zu präsentieren, die sich rosa schimmernd vom Brustbein zum arg gespannten Hosenbund zieht. Ganz seltene, ganz verrückte Krankheitsgeschichte.
Als er Zweifel an seiner Seriosität spürt, möchte er sich erklären, zurechtrücken, verständlich machen: "Ich trage Maßanzüge. Und ich bin sehr gebildet."
Kühn, so viel wird schnell klar, ist ein Mann im Ausnahmezustand. Mal wirkt er enthusiastisch bis an den Rand der Hysterie, als habe er gerade im Alleingang die Republik aus den Angeln gewuchtet. Dann wieder fällt er grenzdepressiv in sich zusammen, als wolle er sich in der nächsten Sekunde aus dem Fenster stürzen.
Mal scheint er Täter zu sein, mal Opfer, dann vielleicht sogar geopferter Täter? Aber geopfert von wem?
Und diesem Mann und seiner kleinen Klitsche mit etwa einem halben Dutzend Mitarbeitern, vorwiegend freundlichen Mathematikern in Berlin-Charlottenburg, soll die Telekom Hunderttausende brisantgeheimer Telefonverbindungsdaten und damit auch ihre Reputation als global operierendes Unternehmen ausgeliefert haben?
Sie hat.
Kühn möchte das jetzt endlich erklären. Er muss. Er laviert schon rein körperlich hin und her und wieder hin zwischen großer Offensive und Wo-kann-ich-mich-Vergraben? Er muss sich schützen, nein: offenbaren. Er will. Darf nicht. Doch. Ja. Nein. Und redet dann weiter sturzbachartig.
Eine Stunde.
Zwei Stunden.
Drei Stunden lang beschreibt er jene Geschäfte, die er jahrelang für die Telekom erledigt hat, und andere Aktionen, von denen er zumindest gehört haben will. Es sind schmutzige Geschäfte und Geschichten zum Teil weit jenseits der Legalität.
Sie handeln von ersten, harmlos klingenden Recherche-Aufträgen in Osteuropa bis zu einem Maulwurf, der in die Redaktion des Wirtschaftsmagazins "Capital" eingeschleust worden sein soll. Es sind Geschichten einer immer hungriger, immer gieriger werdenden Ausspäh-Lust.
Erkennbar ist mittlerweile, dass die Attacken von "Big Brother" Telekom sogar noch deutlich intensiver waren, als zunächst befürchtet. Dass sie offenbar einen längeren Zeitraum umfassten als jenen zwischen Frühjahr 2005 und 2006, von dem man nach ersten Informationen ausgehen musste. Und dass diese Operationen zum Teil viele Jahre zurückreichten wie der Fall jenes Redakteurs der "Financial Times Deutschland" ("FTD"), der schon um die Jahrtausendwende bespitzelt wurde, angeblich sogar von Ex-Stasi-Leuten im Auftrag der Unternehmensberatung Control Risks, die wiederum für die Bonner arbeitete. Mittlerweile übergab die Firma all ihre Dokumente der Staatsanwaltschaft.
Telekomgate also.
Dieser magentafarbene Monolith ist ja nicht irgendein Privatunternehmen. Der frühere Staatskonzern hat auch heute noch den Bund als Großaktionär. Er ist überhaupt die letzte nennenswerte Industriebeteiligung des Bundes neben der Deutschen Bahn. Die Telekom ist deshalb immer auch ein Politikum. Und Kleinanleger wie auch Telefonkunden sind Wähler.
Ausgerechnet dieser Konzern, der das Fernmeldegeheimnis und die Daten seiner vielen Millionen Kunden schützen sollte wie kein anderer, hat also geltende Gesetze offenkundig über Jahre und im großen Stil ignoriert und ausgehebelt.
Er war und ist immer auch ein Symbol. Mal für das Aktienfieber, in das er die Deutschen seit Mitte der neunziger Jahre mit seinen werbeträchtigen Börsengängen stürzte, wohlfeil präsentiert damals von dem Schauspieler Manfred Krug. Mal für die bundesweite Kleinanleger-Depression, als die Kurse danach einbrachen.
Dieser Konzern fungierte mal als Hoffnungsträger, mal als Hassobjekt.
Einst war dieses Unternehmen Sinnbild für einen trägen deutschen Beamten-apparat. Dann wurde es Vorreiter der New-Economy-Ära wie danach Mahnmal ungezügelter Aktionärsgier und schließlich Angriffsfläche für Gewerkschafter und Verbraucher, als nach dem großen Kater die ersten Entlassungs- und Auslagerungswellen drohten - oder auch nur der Service des nächsten T-Punkts oder ewig besetzter Kunden-Hotlines mal wieder unterirdisch ausfiel.
Etwa die eine Hälfte der Bundesbürger ist Kunde bei diesem allmächtigen Riesen: Trotz teilweise großer Verluste hat der Konzern in Deutschland immer noch 31,1 Millionen Kunden im Festnetz, 36 Millionen im Mobilfunkbereich, und er verwaltet 12,5 Millionen Breitband-Internet-Anschlüsse. Aber auch die andere Hälfte der Republik hat sich zumindest schon über den Konzern geärgert.
Telekomgate also. Und das wird den Blick auf Überwachungsthemen und Datenschutzfragen verändern. Es wird die politische Debatte um Vorratsdatenspeicherung und neues BKA-Gesetz nachhaltig durcheinanderwirbeln.
Es wird dafür sorgen, dass von SPD über CDU bis zu den Grünen neu über die gesetzlichen Grundlagen nachgedacht wird. Es wird Überwachung in der öffentlichen Auseinandersetzung bedrohlicher machen und Datenschutz wieder notwendiger erscheinen lassen.
Nun geht es nicht mehr nur um den Bruch des Post- und Fernmeldegeheimnisses und Verstöße gegen das Bundesdatenschutzgesetz, sondern möglicherweise auch um Veruntreuung von Firmenvermögen und Geheimnisverrat. Das Bundeskriminalamt (BKA) ist von der Bonner Staatsanwaltschaft um Amtshilfe gebeten worden.
Möglicherweise wurden Bewegungsprofile der Ausgespähten angelegt, verknüpft sogar mit deren Bankdaten. Und Telekom-Vorstandschef René Obermann, der die Trümmer nun aufräumen soll, wusste vielleicht nicht alles, aber doch mehr und früher, als ursprünglich bekannt.
Zumwinkel - vom Vor- zum Feindbild
Es deutet zudem vieles darauf hin, dass der damalige Aufsichtsratschef Klaus Zumwinkel mit mehreren hunderttausend Euro Teilrechnungen der Firma Kühns bezahlen ließ. Und dass man Zumwinkel spätestens jetzt kaum noch halten könnte, wenn er nicht ohnehin wegen seiner eigenen Steuerhinterziehungsaffäre als Post-Chef seit wenigen Monaten schon unmöglich wäre.
Zumwinkels Sprecher erklärt: "Ein Aufsichtsratsvorsitzender hat keine Vollmacht für Konten des Unternehmens."
Überhaupt Zumwinkel. Mittlerweile ist er nur noch die Karikatur eines deutschen Top-Managers. Vom Vor- zum Feindbild schaffte er es schneller als jeder andere. Und in seinem Umfeld taucht nicht zum ersten Mal der Verdacht auf, dass Detektive und Spione beschäftigt wurden.
Mitte 2001 musste auch die Deutsche Post, deren Vorstand er damals führte, einräumen, dass Beamte der Bonner Regulierungsbehörde bespitzelt wurden. Damals wurde kurzerhand der Chefjustitiar der Post seines Amtes enthoben. Er habe den Auftrag selbständig vergeben, hieß es lapidar. Der Vorstand habe davon nichts erfahren.
Eigenartig nur, dass der Jurist dann wenig später bei einer Tochter der Lufthansa unterkam, jenes Konzerns, den damals Zumwinkels Freund und Bergsteigerkollege Jürgen Weber lenkte. Das sei mit rechten Dingen zugegangen, heißt es in den beiden Konzernen.
Vergangene Woche wurde der Verdacht laut, die Bonner könnten ihr Spionage-Know-how auch anderen Unternehmen zur Verfügung gestellt haben. Womöglich auf dem "kleinen Dienstweg". Zwischen den hochgerüsteten Sicherheitsabteilungen, deren Chefs sich teils schon lange kennen.
Insider berichten, dass die Security-Profis von Telekom, Post und Lufthansa sowie des Daimler-Konzerns ein informelles Netzwerk pflegen und sich regelmäßig treffen. Telekom, Post und Lufthansa sollen sich für Schnüffeldienste überdies zeitweise der Hilfe der Firma Control Risks bedient haben. In der Bonner Spitze wollte man Ende vergangener Woche dazu nichts sagen. Das Thema sei nun Teil der Ermittlungen. Post und Lufthansa dementieren einen Datenaustausch.
Zugleich tauchten erste Hinweise auf, der Konzern könnte geheime Daten zum Auswerten auch ins benachbarte Ausland geschafft haben. Das wäre in der perfiden Logik der bisherigen Erkenntnisse zumindest denkbar. Grund: In Holland oder Belgien dürfte man sich deutlich weniger als etwa in Berlin dafür interessieren, woher solche Daten stammen und ob eine Auswertung womöglich nach deutschem Recht illegal ist.
Zu beiden Komplexen - Konzernhilfe wie Datenexport ins Ausland - hieß es in Bonn, habe man zwar keine Anhaltspunkte, könne und wolle aber zum jetzigen Zeitpunkt auch nichts ausschließen.
Was sollten T-Manager zurzeit auch noch wirklich guten Gewissens dementieren können angesichts des Dramas, das sich im Lauf der Woche immer weiter zuspitzte.
Wer auf die ersten Verdachtsmomente der Staatsanwaltschaft die Kühn-Beichten legt, wer obendrauf wie Blaupausen all die anderen Aussagen früherer und noch amtierender Manager packt - dem offenbart sich am Ende das Psychogramm eines Konzerns zwischen Allmachtsphantasien und chronischer Paranoia.
Dabei fügen sich die einzelnen Erinnerungssteinchen des Telekom-Helfers Ralph Kühn zu einem erstaunlich großen Mosaik eines Wirtschaftskrimis rund um eine völlig neue Art von Team Telekom.
Dieses Unternehmen lässt niemanden kalt. Weil es überall ist. Weil jeder mit ihm schon zu tun hatte. Weil es auch ein erstaunlich tiefenscharfer Spiegel der bundesdeutschen Nachwendegesellschaft ist - wie ihre wechselnden Vorstandschefs: Da war der immer ein wenig zu braungebrannte Strahlemann Ron Sommer, der das Unternehmen aufs Börsenparkett der globalisierten Bundesrepublik bringen sollte - und nach gut sieben Jahren an den einbrechenden Kursen scheiterte.
Da war Kai-Uwe Ricke, dieser schlaksige Riese mit dem traurigen Hundeblick, der danach den Kehraus organisieren musste, was in seinem Fall hieß: sparen, entlassen, auslagern, abstoßen. Auch er scheiterte - und ist nun im Visier der Staatsanwaltschaft einer jener Beschuldigten, die das Ausspionieren vermeintlicher Gegner gedeckt, wenn nicht sogar initiiert haben sollen.
Und nun ist da René Obermann, alerter Jungmanager und Eigengewächs aus der einst so dynamischen T-Mobile-Sparte. Im November 2006 übernahm er den Spitzenposten. Spätestens seit Sommer vergangenen Jahres wusste er um die Zeitbomben im Schattenreich seiner Sicherheitsleute. Doch warum informierte er damals nicht gleich die Staatsanwaltschaft?
Fühlte er sich seinem Oberkontrolleur Zumwinkel verpflichtet? Wartete er deshalb bis vor wenigen Wochen, als er endlich Kanzleramt und Bundesfinanzministerium informierte?
Die Frage ist auch: Wenn die Telekom schon vorm Ausschnüffeln der eigenen Leute nicht zurückschreckt, wie geht sie dann erst mit den Daten ihrer Kunden um?
Die deutsche Angst, dieses tiefsitzende Misstrauen der Bevölkerung in Macher und Institutionen wird angesichts der Dimension von Telekomgate nur zu verständlich.
Auf der einen Seite eine Wirtschaft, die die Offenheit einer globalen Gesellschaft predigt, zugleich aber einem wahren Überwachungswahn huldigt und insgeheim alles ausspäht, was nach Gegner klingt. Angeführt von Top-Managern, die dieser Globalisierung mit Nullrunden, Entlassungswellen oder Schlanksparstrategien antworten möchten - und zugleich schierer Maßlosigkeit verfallen, wenn es um die eigene Versorgung geht.
Auf der anderen Seite politische Hardliner, die angesichts islamistischen Terrors am liebsten schon Grundrechte einschränken würden, wenn es denn dem Schutz der Gesellschaft diente - und der Demokratie. Nur die wäre ihren Namen dann kaum noch wert, weil man sich auch zu Tode schützen kann.
Die Geschichten des kleinen Rädchens Ralph Kühn waren dabei nur der Auslöser für ein Beben, das den Konzern noch lange und nachhaltig erschüttern wird. Es dürfte die Bundespolitik noch schwer beschäftigen. Es wird die hiesigen Debatten über Moral und Ethik in den Vorstandsetagen neu entfachen. Und es könnte nicht zuletzt auch für den einen oder anderen Journalisten noch unangenehme Kollateralschäden mit sich bringen.
Denn je genauer die Staatsanwälte jetzt das Verhältnis zwischen Medien und Machern beleuchten, umso wahrscheinlicher wird es, dass dabei für beide Seiten schmuddelige Geschäfte zum Vorschein kommen. Schon ist davon die Rede, dass es auch Reporter gegeben haben könnte, die sich von der Telekom haben kaufen lassen.
Journalismus, das zeigt der Fall Telekom, ist kein harmloses Räuber-und-Gendarm-Spiel. Es geht um die Unabhängigkeit der Medien, aber auch um die Paranoia in Politik und Wirtschaft, die vor schmutzigen Tricks nicht mehr Halt macht. Und es geht um ein gewaltiges Instrumentarium von Überwachungstechnik, das nicht nur existiert, sondern auch genutzt wird.
"Was ist mit Ihnen, haben Sie Dreck am Stecken?"
Das zeigte zuletzt die vom "Stern" aufgedeckte Bespitzelungsaffäre rund um den Discountriesen Lidl. Das zeigten Vorwürfe gegen Ikea oder Burger King. Das zeigte aber auch die erst jüngst enthüllte Affäre um ein eingeschaltetes Babyphone, das eine Truppe von Porsche-Chef Wendelin Wiedeking bei einem Aufenthalt in Wolfsburg Ende vergangenen Jahres in seinem Hotelzimmer entdeckt hatte.
Doch die Telekom katapultiert das Thema in eine wahrlich neue Dimension, seit am vorvergangenen Samstag die ersten Vorabmeldungen zu dem Skandal von den Nachrichtenagenturen aufgegriffen wurden. Noch am gleichen Tag stellte sich ein sichtlich angeschlagener Vorstandschef Obermann vor die Fernsehkameras. Am Sonntag und Montag fielen Datenschützer und Leitartikler, Journalistenverbände und Politiker über den Konzern her.
Obermann kontaktierte etliche Politiker aus der Koalitionsspitze persönlich, wie den SPD-Fraktionschef Peter Struck, dem Obermann versprach, er werde "die Vorgänge rückhaltlos aufklären". Struck wollte wissen: "Was ist mit Ihnen, haben Sie Dreck am Stecken?" Darauf Obermann: "Nein."
Ebenso informierte er Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, der alarmiert reagierte. Später sagte er: "Ich mache mir Sorgen, auch über den Vertrauensverlust, der mit dem Fall verbunden sein kann. Wir sind problembewusst und suchen den Dialog mit den Telekommunikationsunternehmen und den Verbänden, um den Datenschutz zu stärken."
Am Montag dieser Woche sollen sich die Spitzen deutscher Telekommunikationsfirmen bei Schäuble in Berlin treffen, um über Fragen der Sicherheit, aber auch der Moral zu debattieren. Etliche Firmen haben aber bereits abgewinkt.
Am vergangenen Dienstag kam dann der Telekom-Vorstand zu einer Sondersitzung zusammen. Am Mittwochabend traf sich der 20-köpfige Aufsichtsrat. Den bisherigen Höhe- wie Tiefpunkt erlebte das Unternehmen allerdings am Donnerstag.
Schon morgens rückten Fahnder zur Durchsuchung der Zentrale an, unterstützt von etlichen BKA-Beamten. Zugleich kündigte der offenkundig von den Spitzeleien besonders betroffene Arbeitnehmerflügel des Aufsichtsrats eine Strafanzeige an.
In Berlin zeigten sich DGB-Boss Michael Sommer und sein Telekom-Aufsichtsratskollege Lothar Schröder tief entsetzt. Sommer: "Wie ist es um die Umgangskultur eines Unternehmens bestellt, das seine Mitarbeiter mit Lohnkürzungen und Entlassungen und seine Aufsichtsräte mit Bespitzelungen konfrontiert?"
Sommer weiter: "Ich mache mir Sorgen um die Zukunft unseres Landes, wenn die Verletzung von Grundrechten zur Normalität wird."
Am gleichen Tag leitete der erfahrene und mit solchen Mammutfällen vertraute Bonner Oberstaatsanwalt Friedrich Apostel das erwartete Ermittlungsverfahren ein (Aktenzeichen 430Js 811/08) und organisierte mitten im Telekom-Foyer seine erste Pressekonferenz. Derweil schwärmten seine Fahnder aus, um auch sieben Privatwohnungen zu durchsuchen.
Laut Bericht der Bonner Staatsanwaltschaft wird jetzt nicht nur gegen Ex-Vorstandschef Ricke, Ex-Aufsichtsratsboss Zumwinkel und den Berliner Privatspäher Kühn ermittelt. Als Beschuldigte geführt werden auch fünf weitere, teils noch aktive Telekom-Beschäftigte, die im Frühjahr 2005 mit den Operationen begannen. Und es begann überschaubar.
Am 20. Januar 2005, es war gerade mal wieder eine "Capital"-Story zur Telekom erschienen, diskutierte der Vorstand über undichte Stellen im Konzern. Manche Vorstände sollen getobt haben über die ewigen Indiskretionen, Durchstechereien und Informationslecks.
An jenem Tag sei entschieden worden, "aktiv dagegen vorzugehen", erinnert sich der frühere Vorstandschef Ricke gegenüber dem SPIEGEL. Das sei aber "kein formeller Beschluss" gewesen, deshalb habe es auch kein Dokument darüber gegeben. Laut dem damaligen Personalvorstand Heinz Klinkhammer sei das größte Loch im Aufsichtsrat vermutet worden. Deshalb seien die ersten Maßnahmen auch vom Aufsichtsratsbüro eingeleitet worden, so Klinkhammer.
Offenkundig regierte zunächst Dilettantismus auf hohem Niveau: Man probierte es beispielsweise mit rotem Papier. Wer solche Originalakten kopieren wollte, erhielt tiefschwarze Blätter. Auch mit speziellen Wasserzeichen und heimlichen Kennungen sollten die Verräter enttarnt werden. Ebenso wurde versucht, gefälschte Unterlagen zu streuen, um zu sehen, welche wo wieder auftauchten. Das alles brachte nichts. Also wurde die interne Sicherheitsabteilung eingeschaltet.
Anfangs ging es vor allem darum - das glaubt auch die Staatsanwaltschaft -, Verbindungen von Wilhelm Wegner, dem mächtigen Chef des Telekom-Gesamtbetriebsrats, zu dem "Capital"-Redakteur Reinhard Kowalewsky als auch zu anderen Medienvertretern zu eruieren. Wegner hat sich bislang nicht öffentlich zu der Affäre geäußert.
Kowalewsky hält sich nicht mal selbst für sonderlich Telekom-kritisch. Aber gelegentlich bekam er Strategiepapiere oder Mittelfristplanungen zugespielt, die nur ein sehr kleiner Kreis der Konzernspitze kennen konnte.
Die Jagd begann. Nur die Fallen sind im Kommunikationszeitalter andere.
Telekom-intern wurden die Verbindungsdaten gesammelt, um die Datenkonvolute dann extern an Kühns Berliner Network-Büro weiterzureichen. Dessen Geschäftsführer kann auch heute daran nichts Schlechtes finden.
Angesichts der illegal an ihn weitergereichten Daten habe er zwar kurz gezuckt. Doch "ein Unrechtsbewusstsein hatte keiner der Beteiligten", so Kühn. Schließlich sei der Geheimnisverrat, dem er im Rahmen des Schnüffelprojekts "Rheingold" auf die Schliche kommen sollte, für den Konzern schädlich und darum auch "eine Schweinerei" gewesen.
Die Staatsanwaltschaft prüft inzwischen, ob auch Daten anderer deutscher Unternehmen zugeliefert und in die Verarbeitung einbezogen worden sind. Also zum Beispiel auch die Telefonate aus anderen Mobilfunknetzen, die bei der Telekom verwaltet werden.
Die großen drei - Vodafone, O2 und E-Plus - dementierten Ende vergangener Woche harsch, dem Marktführer irgendwelches Material aktiv zur Verfügung gestellt zu haben. Aber dass die Telekom sich selbst bedient hatte, konnte keine der Firmen wirklich ausschließen.
Am Ende hatten die Bonner offenbar Bewegungsbilder ihrer Opfer. Im Prinzip hätte man dank moderner Handys und Datentechnik also sogar feststellen können, ob Wegner und Kowalewsky zur gleichen Zeit in der gleichen Kneipe saßen.
Außerdem soll bei "Capital" mit Hilfe einer weiteren Firma ein Maulwurf eingeschleust worden sein. So prüft die Staatsanwaltschaft, ob der Maulwurf Informationen über redaktionsinterne Vorgänge und Termine beschafft haben könnte.
Hartnäckig hält sich die Mutmaßung, die Telekom habe einen Mitarbeiter des Magazins "umgedreht", indem man ihm seine ausgefallenen sexuellen Vorlieben mitfinanziert habe. Im Gegenzug soll der Maulwurf eine eidesstattliche Versicherung zu einer hochrangigen Telekom-Persönlichkeit abgegeben haben, die Kowaleswky vertrauliche Interna zugespielt haben soll.
Die "Capital"-Redaktion fahndet nun selbst. "Wir wissen bislang nicht wirklich, ob und wann es einen Maulwurf gegeben hat", relativiert Carsten Prudent, Vizechefredakteur des Magazins. Zurzeit würde man sich ansehen, wer zur fraglichen Zeit vorübergehend in der Redaktion tätig gewesen sei. Bislang gab es lediglich einen vagen Hinweis. Der Betroffene wurde konfrontiert, habe aber glaubhaft dementiert.
Für seine "Dienstleistungen" berechnete Subunternehmer Kühn der Telekom in einer ersten Tranche rund 335 000 Euro. Das Geld wurde im November 2005 angewiesen.
Zu diesem Zeitpunkt war das Jagdfieber unter den Beteiligten bereits voll ausgebrochen. Es ging nicht mehr um die Fehler der eigenen Leute, es ging nur noch um vermeintliche Verräter von Geschäftsgeheimnissen. Als hätte das Unternehmen in der Vergangenheit nicht schon viel zu viele Skandale selbst verschuldet.
Viele Telekom-Fahrer haben das systematische Doping gestanden
Bereits in der Eröffnungsbilanz 1995 stiegen die Immobilien des Konzerns auf ominöse Weise enorm in ihrem Wert. Das blähte zwar den Unternehmenswert auf und ebnete den Weg zum Börsengang. Aber mittlerweile klagen sich Tausende Kleinanleger gegen die ihrer Meinung nach dubiosen Praktiken durch die Instanzen. Der Mammutprozess könnte Jahre dauern.
Mal gab es Ermittlungsverfahren gegen Vorstandsmitglieder wegen Untreue, als der damalige Vorstandschef Sommer ein Aktienoptionsprogramm auflegte, das alle Dimensionen sprengte. Mal geriet die Telekom mit Technikproblemen und immer wieder verschobenen Startterminen fürs große Lkw-Maut-Projekt in die Schlagzeilen. Schuld waren trotzdem immer die anderen, wenn was schief ging.
An welchem Beispiel ließe sich das augenfälliger illustrieren als am Fall der Doping-Affäre rund ums damalige Team Telekom?
Als der SPIEGEL 1999 erstmals über das umfassende System der Spritz-Touren berichtete, sponserte das Unternehmen den Fahrradsport schon acht Jahre - und organisierte eiligst den Abwehrkampf.
Der damalige Kommunikationschef des Konzerns, Jürgen Kindervater, wetterte gegen "Scheckbuchjournalismus" und "Rufmordkampagne". Das Unternehmen stornierte zunächst avisierte Anzeigenaufträge und bekämpfte den Beitrag vor Gericht. Um das Verfahren ganz sicher zu gewinnen, gaben Betreuer und Sportler eidesstattliche Erklärungen ab. Heute kann man davon ausgehen, dass sie falsch waren.
Danach war die gesamte deutsche Journalistenschar derart eingeschüchtert, dass jahrelang so gut wie niemand mehr wagte, über Doping im Team Telekom zu berichten.
Kindervater und sein damaliger Vorstandschef Sommer zelebrierten eine Mischung aus finanzieller Macht, wirtschaftlicher Größe und politischem Einfluss, die das Duo schier unangreifbar machte.
Beide beteuern übrigens bis heute, sie hätten nichts von dem Betrugssystem ihres rollenden Werbeteams gewusst. Erst als im vergangenen Jahr neue Fakten über Doping im Team Telekom auftauchten, gab Kindervater später nach und entschuldigte sich für seine früheren Aus-fälle.
Heute ist klar, dass der gesamte Erfolgsrausch beim Team Telekom auf Betrug basierte. Inzwischen haben viele Fahrer das systematische Doping gestanden. Ausnahme: Jan Ullrich. Fraglich ist bis heute nur, ob der Sponsor gewusst hat, dass all die triumphalen Siege durch Manipulationen zustande gekommen sind.
Selbstkritik gehörte jedenfalls selten zu den Tugenden von Telekom-Oberen. Wer trug die Verantwortung, wenn wieder irgendwas hochploppte? Konkurrenten, übelmeinende Politiker - und immer wieder Journalisten.
Deshalb auch wurde die Zusammenarbeit mit dem Spähbüro Network im Spätherbst 2005 fortgesetzt und zugleich ausgeweitet. Auf "Rheingold" folgte das Projekt "Clipper". Dessen Aufgabe: eine Massendatenanalyse der Verbindungsdaten von Aufsichtsräten wie Telekom-Betriebsratschef Wegner einerseits und etlichen Journalisten andererseits.
Man wollte von da an quasi schon präventiv tätig werden: "Das Ganze war als Frühwarnsystem angelegt", erinnert sich Network-Chef Kühn.
Zu den misstrauisch beäugten Journalisten zählten mittlerweile neben "Capital"-Mann Kowalewsky auch Jürgen Berke von der "Wirtschaftswoche" und Anne Preissner, Köln-Korrespondentin des zur SPIEGEL-Gruppe gehörenden "manager magazins".
Während in Berlin noch über Rasterfahndung debattiert wurde, hatte die Telekom sie längst mit einer Akribie zur Perfektion entwickelt, die selbst manchen Geheimdienstler verblüffen muss.
Kein Wunder, dass die interne Leitung der Operation Anfang 2006 dem nun ebenfalls als Beschuldigten geführten Telekom-Mann Stefan Günzel übertragen wurde. Der war damals im Konzern Leiter der Abteilung Forensik der Konzernsicherheit und früher laut Staatsanwaltschaft Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz.
Auch für "Clipper" stellte der Berliner Kühn eine erste Rechnung. Diesmal über rund 359 000 Euro. Auch diese wurde im Spätherbst 2006 bezahlt - über ein Konto, das dem heutigen Vorstandsvorsitzenden zugeordnet werden kann, wie die Staatsanwälte meinen. Wusste Obermann also Bescheid? Hat er die Zahlung gar veranlasst?
Der Top-Manager war zu jener Zeit erst wenige Tage im Amt. Sein damaliger Büroleiter organisierte zugleich die Geschäfte von Zumwinkels Aufsichtsratsbüro und gab das Geld frei. Beide hatten die gleiche Kostenstelle. Obermann beteuert heute: "Ich habe die Rechnung nie gesehen."
Der ebenfalls beschuldigte Fernmelde-Oberrat Klaus Trzeschan hat im Rah- men konzerninterner Anhörungen immerhin erklärt, die Ermittlungsaufträge seien ihm von Ricke und Zumwinkel erteilt worden.
Ricke bestreitet die Vorwürfe weiterhin vehement. Ende vergangener Woche sagte er: "Als Telekom-Chef habe ich niemals einen Mitarbeiter beauftragt, Verbindungsdaten auszuspionieren. Während meiner Amtszeit habe ich auch niemals erfahren, dass so etwas gemacht worden ist." Zum ersten Mal sei er vorvergangene Woche "durch die Recherchen des SPIEGEL darauf aufmerksam gemacht worden, dass solche illegalen Praktiken angewendet wurden".
Das muss kein Widerspruch zu Trzeschan sein. Über konkrete Modalitäten der Ausführung seien weder Ricke noch Zumwinkel unterrichtet worden, soll er in einer internen Aussage geäußert haben.
Vielleicht wollten die Top-Leute es auch gar nicht so genau wissen, was da in den Grauzonen zwischen technisch Möglichem und rechtlich Erlaubtem geschah. Vielleicht drehte die interne Sicherheitsclique aber auch einfach im Alleingang durch?
Personalvorstand Klinkhammer erinnert sich an ein besonderes Treffen: Irgendwann im August oder September 2005 soll Harald Steininger, damals Chef der gesamten Konzernsicherheit, zu ihm gekommen sein und gesagt haben: Irgendwas laufe da nicht richtig. Trzeschan sitze an dubiosen Geheimaufträgen, über die er nicht sprechen wolle.
Daraufhin will Klinkhammer Trzeschan zu sich gebeten haben, der sich aber weigerte auszusagen. Er habe einen Maulkorb von höchster Stelle bekommen und auf das Führungsduo Ricke/Zumwinkel verwiesen.
Klinkhammer will dann vor den beiden Sicherheitsleuten Ricke angerufen und gesagt haben: "Kai, wir haben ein Problem."
Im Büro des Chefs, der Trzeschan dann Redeerlaubnis erteilt habe, soll der einen Teil der "Rheingold"-Geschichte erzählt haben. Der "Capital"-Maulwurf sei erwähnt worden, aber nicht der Abgleich der Verbindungsdaten. Klinkhammers Erinnerung wird von Ricke bestätigt.
Im Dezember 2006 hatte Steininger einen Termin beim gerade inthronisierten Obermann. Er sollte ihm das Wirken seines Zentralbereichs Konzernsicherheit (intern nur unter dem Kürzel "KS" bekannt) vorstellen. Steininger referierte mit einem kleinen Zettel in der Hand die Namen mehrerer Projekte, die Obermann "nicht geheuer" gewesen sein sollen, auch wenn von "Clipper" oder "Rheingold" keine Rede gewesen sei.
Der neue Vorstandschef soll - quasi vorbeugend - gefordert haben, nur mit legalen Mitteln zu arbeiten. Steininger selbst war bis Ende vergangener Woche für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Ende 2006 jedenfalls wurde "Clipper" gestoppt.
Auch Steininger ist ein Profi. Er hat sein Handwerk erst bei der hessischen Polizei gelernt, dann beim Bundeskriminalamt, bevor er über Stationen bei der Deutschen Bank und SAP bei der Telekom gelandet war.
Es mag nicht überraschen, aber es ist doch auffällig, wie viele hochrangige Sicherheitsleute deutscher Konzerne wie Steininger aus Geheimdiensten, Verfassungsschutz oder den Reihen von Bundes- und Landespolizei stammen.
Das zeigt die Professionalisierung der Branche. Und die wächst mit der Größe des Unternehmens: In den 30 im Deutschen Aktienindex Dax notierten Großunternehmen sind heute Spitzenkräfte aktiv, die einerseits straff geführte, oft Hundertschaften starke Abteilungen dirigieren. Andererseits kennen sich die Profis untereinander und helfen sich auch mal auf dem "kleinen Dienstweg".
Polizei und private Schützer sollten sich kennen und verstehen
Thomas Menk, Sicherheitschef bei Daimler? Kommt vom Verfassungsschutz. Sabine Wiedemann bei der Post? Lernte beim BKA. Norbert Wolf von Siemens? Einst Polizeichef in Lübeck. Auch die Fachleute von BMW oder Deutscher Bahn haben allesamt einen Polizei-Hintergrund, was sich schon historisch erklären lässt.
Die Angst der Unternehmen drehte sich hierzulande einst vor allem um die RAF. Personenschutz hatte seit den siebziger Jahren und den Attentaten auf Wirtschaftsgrößen wie den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer daher oberste Priorität. Umso wichtiger war es, dass sich Polizei und private Beschützer kannten und verstanden.
Mit der RAF verschwand zumindest ein Teil der tödlichen Bedrohung. Dafür wurde der Kampf gegen Wirtschaftskriminalität, gegen Spionage und Geheimnisverräter aus den eigenen Reihen immer wichtiger. Der Ära des Kalten Krieges und der politischen Frontkämpfe folgte die Phase der Globalisierung.
Die Gefahren verschwanden nicht, sie veränderten sich nur. Früher fürchtete man den Sprengstoffanschlag eines politischen Terrorkommandos, heute eher den Anriff eines chinesischen oder russischen Hackers. Als besondere Gefahr werden dabei auch Journalisten wahrgenommen. Da sind sich Sicherheitsleute aller Konzerne einig wie ohnehin oft.
Man kennt sich, man schätzt sich, man sieht sich regelmäßig. Auf Messen zum Beispiel, wie der Security in Essen, bei Veranstaltungen der Berliner Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit in der Wirtschaft e. V. (ASW) oder im Sicherheitsforum Deutsche Wirtschaft, in dem auch Telekom-Aufpasser Steininger 2005 Mitglied wurde.
Gerade die ASW ist es, die als eine Art Lobbyvereinigung versucht, Politiker, Behörden und Unternehmen in Sicherheitsfragen miteinander ins Gespräch zu bringen. Nach den US-Terroranschlägen des 11. September 2001 rückte die kleine Branche noch enger zusammen.
Auf Einladung des damaligen Bundesinnenministers Otto Schily debattierten die Profis gemeinsam mit den Sicherheitsbehörden auch die neue Bedrohung durch terroristische Guerillakommandos. Im Herbst 2005 startete BKA-Boss Jörg Ziercke eine Initiative, die eine noch engere Kooperation zwischen Ämtern und Unternehmen anstrebte. Seither trifft man sich zum regelmäßigen Gedankenaustausch.
Und wie das so ist, wenn man den Hammer in der Hand hält: Man sieht nur noch Nägel.
Oder anders: Wer eine hochgerüstete Sicherheitsabteilung unterhält, glaubt sich von Feinden umzingelt wie etwa der Volkswagen-Konzern und nun auch die Telekom, wo sich die Sicherheitsabteilung lange Zeit wie ein Staat im Staate fühlen konnte.
"Ich wusste so gut wie nichts von denen, außer, dass sie auf unseren Gehaltslisten standen", sagte Ex-Telekom-Chef Sommer vergangene Woche. Ansonsten seien die "nur dem Staat und Gott gegenüber verantwortlich" gewesen. Vor allem jene supergeheime Einheit, die ausschließlich hoheitliche Aufgaben wahrnimmt und zum Beispiel auf richterliche Anordnung Telefone abhört.
Und dieses omnipotente Unternehmen hat auch noch den Bund als Großaktionär. Eine wunderbare Verbindung. Denn die deutsche Staatsgewalt weiß ohnehin schon viel über ihre Bürger.
Sie kennt Meldeadressen, Vorstrafen, finanzielle Verhältnisse. Sie installiert bei begründetem Verdacht Wanzen und Kameras und will heimlich Computer durchsuchen dürfen. Die Zahl dieser Überwachungsmaßnahmen wächst von Jahr zu Jahr. Allein 40 000 Telefone hörten die Ermittler vergangenes Jahr deutschlandweit ab.
Das stößt in der Öffentlichkeit zu Recht auf Unbehagen. Vielen ist gerade die Heimlichkeit unheimlich. Auch deshalb findet CDU-Innenminister Schäuble sein Profil neuerdings sogar auf T-Shirts mit der Unterschrift "Stasi 2.0". Mit dem neuen BKA-Gesetz, das die Koalition derzeit verhandelt und das noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll, wird Schäubles Staatsmacht mächtiger denn je. Doch anders als in den achtziger Jahren, als George Orwells Roman "1984" eines perfekten Überwachungsstaates sinnbildlich für die Angst vieler Bürger stand, ist Deutschland heute eher "auf dem Weg in eine Überwachungsgesellschaft", kritisiert Peter Schaar, der Bundesdatenschutzbeauftragte.
Grund: In der Internet-Ära ist es nicht mehr nur der Staat, sondern es sind zunehmend private Unternehmen - wie die Telekom -, die einen enormen Wissensschatz über die Bevölkerung anhäufen und für ihre Zwecke nutzen. Selbst Verantwortlichen wie Schäuble machen diese neuen Möglichkeiten Sorgen.
Schäuble sieht "Fluch und Segen" der neuen Technologien gleichzeitig. Er warnt sogar vor der Datengier der Privatwirtschaft: "Wir müssen aufpassen, im ,Global Village' nicht unsere Freiheit zu verlieren."
In diesem globalen Dorf spielen die Telekommunikationsdaten eine zentrale Rolle. Für den Staat sind sie das vielleicht mächtigste Werkzeug überhaupt, das die moderne Kriminalistik bietet.
Wer wissen will, wer wann mit wem Kontakt hatte, wer erfahren möchte, wer sich wann wo aufgehalten hat, der braucht vor allem eins: Telefondaten.
Seit 1. Januar müssen alle Telekommunikationsanbieter der Republik genau jene Daten speichern und für sechs Monate vorhalten, die der rosa Riese jetzt offenbar auf der Suche nach Lecks im eigenen Haus systematisch missbrauchen ließ.
So verlangt das neue Gesetz aus dem Hause von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries von Unternehmen wie Telekom, Arcor oder Hansenet nicht nur, zu speichern, wer mit wem wie lange telefoniert hat, also die sogenannten Verkehrsdaten. Bei Handy-Gesprächen und SMS müssen zudem die internationale Mobilteilnehmerkennung, die Gerätekennung und sogar die Funkzelle gespeichert werden. Damit wird auch der exakte Aufenthaltsort protokolliert, sobald ein Gerät eingeschaltet ist. Moderne Mobilfunkgeräte funktionieren wie Peilsender und sind auf wenige Meter genau lokalisierbar.
Von 1. Januar 2009 an gilt obendrein der Speicherbefehl nicht nur für die reale, sondern auch für die virtuelle Welt: Dann müssen Netzanbieter auch E-Mail-Datum, Absender und Empfänger sowie IP-Adressen sechs Monate vorhalten. Betroffen von dieser totalen Kommunikationsprotokollierung sind alle Menschen, die in Deutschland telefonieren, E-Mails verschicken und durchs Internet surfen.
Die Pflicht zur Speicherung hat die Bundesregierung ausdrücklich in die Hände der Unternehmen gelegt. Branchen-Marktführer, Datenverwalter und Spinne im eigenen Netz: die Deutsche Telekom AG.
Für Aufsicht und Kontrolle der anfallenden Daten ist die Behörde des Bundesdatenschutzbeauftragten Schaar zuständig. Dessen schärfste Sanktionsmittel sind aus Sicht der Unternehmen allerdings eher scherz- als schmerzhaft. Das maximale Bußgeld für Datenschutzverstöße liegt derzeit bei 300.000 Euro.
Die Überwachungswelt dieses Konzerns scheint schier grenzenlos
"Eine effektive Kontrolle findet nicht statt und kann mit der personellen Ausstattung des Bundesbeauftragten auch gar nicht stattfinden", sagt der Kieler Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert.
Als Konsequenz der aktuellen Affäre fordert Ober-Überwacher Schaar denn auch nicht nur schärfere Strafen, sondern einen grundsätzlichen Kurswechsel: Die maßlose Datenspeicherung, die angeblich für mehr Sicherheit sorgen soll, sei selbst ein Sicherheitsrisiko, so Schaar.
"Datenvermeidung und Datensparsamkeit" seien "Gebot der Stunde". Erster Schritt: ein Verzicht auf die Vorratsdatenspeicherung, wie es nicht nur die Opposition längst fordert. Die Spitzelaffäre rund um die Telekom könnte den Anfang vom Ende des Gesetzes markieren.
"Harte gesetzgeberische Konsequenzen" kündigt der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl an. Man werde es nicht bei der Erhöhung der Bußgelder belassen, sondern allen Unternehmen, die Daten ihrer Kunden missbräuchlich verwenden, "die denkbare Höchstrafe" auferlegen.
Der CSU-Mann will "Täterfirmen" künftig gesetzlich dazu zwingen, den Missbrauch selbst öffentlich zu machen und die Opfer zu informieren. Uhl erhofft sich von einer derart erzwungenen Transparenz "eine abschreckende Wirkung, wie sie einst der mittelalterliche Pranger hatte". Der Telekom wirft er überdies "blanke Heuchelei" vor. In der Debatte um die Vorratsdatenspeicherung habe sie massiv gegen das geplante Gesetz lobbyiert und sich dabei zum "Schutzengel ihrer Kunden" stilisiert. Ihr eigener Datenmissbrauch sei ein "Skandal, der in seinem ganzen Ausmaß noch gar nicht zu Ende gedacht ist".
Doch wie lässt sich sicherstellen, dass die Telekom selbst verantwortlich mit ihren Daten umgeht? Dass sich ihre Verantwortlichen an Recht und Gesetz halten?
Die Überwachungswelt dieses Konzerns scheint schier grenzenlos. Selbst Hans-Jürgen Knoke, Sicherheitschef des Unternehmens zwischen 1998 und 2004, gibt zu, dass auch zu seiner Zeit bereits Spitzel oder Detekteien für den Konzern aktiv gewesen seien.
Die Telekom - ein Moloch, der sich allenfalls selbst stoppen kann. Und manchmal tut er das sogar.
Mitte 2007 will der interne Spähbeauftragte Trzeschan alle Dokumente und Daten zu den Schnüffelattacken vernichtet haben. Mitte August soll sich ein T-Mobile-Mann hilfesuchend an Obermann gewendet und dem gebeichtet haben, dass von ihm die Herausgabe etlicher Verbindungsdaten gefordert worden sei.
Es war die Zeit, als intern die Bombe um den "Capital"-Maulwurf platzte. Sicherheitsmann Trzeschan ist nicht mehr im Amt. Obermann leitete eine interne Untersuchung ein und krempelte die Steininger-Abteilung komplett um.
Doch auch zu diesem Zeitpunkt wurden weder "Capital" noch die Staatsanwaltschaft informiert. Hatte Obermann Angst vor seinem mächtigen und alles kontrollierenden Aufsichtsratschef Zumwinkel, den weitere Nachforschungen unweigerlich mitreißen müssten? Der Sog der Ereignisse beginnt sich seither enorm zu beschleunigen.
Am 5. Februar stellt Network-Wühlmaus Kühn die nächste Rechnung. Diesmal über 440 000 Euro. Für "Clipper" und diverse Software-Produkte. Diesmal zahlt die Telekom nicht mehr. Intern laufen da bereits unter dem Codenamen "Phylax" (zu Deutsch: "Wächter") Untersuchungen über die Größenordnung der illegalen Spitzel-Deals.
Am 28. April schickt Kühn dem Telekom-Chefjustitiar ein dreiseitiges Fax, das in Bonn als unverhohlene Drohung verstanden wurde. "Unterschätzen Sie nicht mein Aggressionspotential", schreibt Kühn und dröselt seine gesamten "Geschäftsbeziehungen" zu dem Unternehmen auf.
Die Telekom schaltet die Kölner Kanzlei Oppenhoff & Partner ein, um prüfen zu lassen, ob und wann man womöglich Aufsichtsrat, Strafverfolgungsbehörden oder auch Öffentlichkeit informieren müsste. Oppenhoff schreibt am 13. Mai zurück, in allen drei Fällen gebe es aus juristischer Sicht "zurzeit weder eine rechtliche Verpflichtung noch ein rechtliches Verbot", Informationen weiterzureichen. Die Kanzlei warnt, eine "Ausweitung des Kreises der Informationsträger dient unseres Erachtens nicht den Interessen des Unternehmens". Es bestehe die Gefahr, dass sich der Konzern "derzeit ungerechtfertigter negativer Publizität aussetzen könnte".
Zudem rieten die Juristen zu jener Zeit davon ab, die "von etwaigen Überwachungsmaßnahmen" betroffenen Journalisten zu informieren. "Solange sich die Verdachtsmomente nicht weiter konkretisiert haben", werde derlei ja nur "eine für die weitere Überprüfung nachteilige Beunruhigung möglicher Beteiligter hervorrufen".
Am Mittwoch, 21. Mai, erstattet das Unternehmen schriftlich Strafanzeige. Am Freitag - der SPIEGEL klappert da bereits alle Akteure ab - wird das Präsidium des Aufsichtsrats von Obermann über Teile dessen informiert, was die Mitglieder dann am Samstag durch erste Vorabmeldungen detaillierter erfahren müssen.
Das T-saster beginnt. Es ist zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr aufzuhalten.
Aus Kanzleramt und Finanzministerium erhält Obermann wohlmeinende Rückendeckung. Nicht zuletzt, weil man in Berlin auch um die Zukunft des Gesamtkonzerns fürchten muss.
Schon vor einem Jahr raunten Koalitionsspitzen, Obermann habe quasi den letzten Schuss. Wenn er nicht trifft, wenn er die Telekom nicht saniert, dürfte eine Zerschlagung des Milliardenkonzerns kaum noch aufzuhalten sein.
Der Bund ist zwar noch Groß-, aber nicht mehr Mehrheitsaktionär. Die amerikanische Investmentfirma Blackstone sitzt mit einem rund 4,5-prozentigen Aktienpaket mit im Aufsichtsrat. Und die Amerikaner sind unzufrieden. Mit der Kursentwicklung. Mit den Schlagzeilen. Zudem würden sich ausländische Firmen wie etwa die russische Sistema nur zu gern an den Bonnern beteiligen.
Noch scheuen die Investoren den Angriff ohne Rückendeckung der Bundesregierung. Doch seit vergangenem Jahr machen wüste Zerschlagungsszenarien die Runde.
Ende vergangener Woche jagte in der Zentrale eine Notfallkonferenz die nächste Krisensitzung. Manche in der Belegschaft hatten Tränen in den Augen.
"Keiner hier wird überleben", sagte einer ganz oben. Aus den Nachbarbüros drang Lärm. Staatsanwälte räumten Ordner, Regale und Computer leer.
Vorstandschef Obermann stand im nachtblauen Nadelstreifenanzug im Auge des Orkans. Am Freitag ließ er verkünden, dass er den früheren Vorsitzenden des Bundesgerichtshofs Gerhard Schäfer als Chefaufklärer nach Bonn holt.
Er muss jetzt funktionieren. Es bleibt ihm gar nichts anderes übrig. Er ist auch nur ein Rädchen. In einem sehr großen Getriebe.
Dieser Text wurde von Beat Balzli, Frank Dohmen, Klaus-Peter Kerbusk, Udo Ludwig, Christian Reiermann, Marcel Rosenbach, Jörg Schmitt, Holger Stark und Thomas Tuma verfasst und als einer von vier Artikeln zur Telekom-Affäre für den Nannen-Preis 2009 in der Kategorie "Beste investigative Leistung" nominiert. Außerdem im Wettbewerb: