Union Landfrust

Über Jahrzehnte waren die Landwirte treue Wähler der Union, doch die sinkenden Milchpreise fachen eine Revolte auf den Höfen an. Vor allem die CSU bekommt die Wut zu spüren.

Merkels Geste kam spät, zumindest für Sabine Holzmann. Sieben Tage hatte die Milchbäuerin aus Niederbayern vor dem Berliner Kanzleramt kampiert. Sie war mit Transparenten vor die Gitter der Regierungszentrale gezogen und hatte mit ihren Kolleginnen Lieder gesungen, die hinaufschallten zum Büro der Kanzlerin. Am Ende hatten sie sogar einen Hungerstreik begonnen. Doch Angela Merkel ließ sich nicht erweichen. Sie wollte sich keinen Termin abpressen lassen von den 200 Bäuerinnen, die wegen der ruinös niedrigen Milchpreise aus ganz Deutschland in ihren Vorgarten gereist waren.

Am vergangenen Donnerstag bekam Sabine Holzmann die Kanzlerin dann doch noch zu sehen. Sie saß in der Stube ihres Bauernhauses in Wurmsham und guckte fern. In den Nachrichten zeigten sie, wie Merkels Tross bei einem Hof in Niedersachsen hielt. Es gab Bilder, wie die Kanzlerin durch einen Stall stapft. Es sah aus, als kümmere sie sich.

Holzmann war erst erstaunt, dann verärgert. "Ich verstehe nicht, warum sie eine Woche lang keine Zeit für uns hat und dann so einen Showtermin macht."

Es hat sich etwas verkantet zwischen den Bauern und Merkels Union. Über Jahrzehnte waren die Landwirte die treuesten Wähler von CDU und CSU. Kanzler und Agrarminister mochten wechseln, die Bauern machten ihr Kreuz bei den Konservativen. Noch bei der letzten Bundestagswahl wählten zwei Drittel aller Landwirte die Konservativen, mehr als bei jeder anderen Berufsgruppe.

Die Bauern waren so immer ein Machtpfeiler der Union. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten fast halbiert, aber die 375 000 verbliebenen Höfe bergen immer noch ein großes Wählerpotential, weil dort oft mehrere Generationen unter einem Dach leben. Doch der Machtpfeiler scheint zu zerbröseln.

Es begann mit der bayerischen Landtagswahl im vergangenen September, als die CSU ein Minus von fast 50 Prozent bei den Bauern hinnehmen musste. Im Moment deutet nichts darauf hin, dass die Landwirte sich im Superwahljahr wieder mit der Union versöhnen. Eine Umfrage für den Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) ergab kürzlich, dass nur noch 23 Prozent seiner Mitglieder CDU oder CSU wählen würden. Inzwischen wird fast jeder konservative Spitzenpolitiker von wütenden Bauern empfangen, wenn er im Land unterwegs ist.

Als Merkel am vergangenen Dienstag in Würzburg für eine Kundgebung zur Europawahl vorfuhr, reckten sich ihr viele Spruchbänder entgegen: "Wenn Unrecht Gesetz wird, wird Widerstand zur Pflicht" stand darauf. Es waren Bilder, wie man sie zuletzt bei den Protesten gegen die Hartz-Reformen gesehen hat, nur ging es damals gegen die SPD und nicht gegen die Union. Diesen Montag will der Deutsche Bauernverband mit einem sechs Kilometer langen Treckerkorso in Berlin demonstrieren.

Sabine Holzmann steht in der Küche ihres Hofs und deckt den Tisch, ihr Mann Martin wird gleich aus dem Stall kommen. "Ich habe bis vor kurzem immer CSU gewählt", sagt sie. Wahrscheinlich hätte sich daran auch nie etwas geändert, wenn nur der verfluchte Milchpreis nicht so abgestürzt wäre.

Es ist nicht so, dass die Holzmanns große Ansprüche hätten. In der Küche ihres Bauernhauses liegt ein abgeschabter Linoleumboden, die Kacheln vor dem Herd platzen ab, in dem alten Gemäuer steckt Schimmel. "Jeder Hartz-IV-Empfänger würde über eine solche Wohnung klagen", sagt Sabine Holzmann. Bis vor ein paar Monaten war die Familie trotzdem zufrieden. Was die 46 Kühe produzierten, warf genug ab für ein eigenes Auto und einen Sonntagsausflug dann und wann.

Doch dann fiel der Milchpreis. Ende 2007 lag er noch bei 40 Cent pro Liter, inzwischen ist er in Holzmanns Region bei 26 Cent angelangt. Das ist im Vergleich zu anderen Gegenden noch gut, reicht aber trotzdem nicht, um Futter, Strom und den Sprit für den Traktor zu bezahlen. "Wenn es so weitergeht, müssen wir im nächsten Jahr den Hof zumachen." Eine Konsequenz hat die Bäuerin Holzmann schon gezogen: Bei der bayerischen Landtagswahl im September wählte sie die Grünen.

Leider haben es die Holzmanns versäumt, ihren Hof auf die neuen Zeiten einzurichten. Sie besitzen keinen Hightech-Melkstand und haben auch nicht auf Bio umgestellt, um einen höheren Preis für ihre Milch zu bekommen. Sie arbeiten wie vor 30 Jahren, als das Wort Globalisierung noch unbekannt war.

Bestärkt wurden sie in ihrem altmodischen Ansatz von der CSU. Die Partei hat den bayerischen Bauern immer eingeredet, dass sie die Stürme der Weltwirtschaft von ihnen abzuhalten vermöge. Das erweist sich jetzt als Lüge. In Brüssel konnte die CSU nicht verhindern, dass der Milchmarkt nach und nach liberalisiert wurde. Die Quoten wurden erhöht, die die Produktion von Milch innerhalb der EU regeln. Zudem beschlossen die EU-Agrarminister, die Mengendrosselung ab dem Jahr 2015 ganz aufzugeben. Trotzdem verkündeten die Christsozialen zu Hause, dass den bayerischen Milchbauern eine glänzende Zukunft bevorstehe.

Seehofer und der Deutsche Bauernverband

Doch das galt nur, solange die Weltwirtschaft brummte und den Milchpreis auf immer neue Rekordwerte trieb. Damals, im Sommer 2007, leisteten sich die Holzmanns den ersten Urlaub. Sie mieteten sich ein Wohnmobil und fuhren für drei Tage an die Nordsee. In der Krise aber fehlt das Geld; die Russen verzichten jetzt auf deutschen Käse, den Chinesen ist der Appetit auf deutschen Joghurt vergangen.

Eigentlich müsste die CSU den Bauern erklären, dass sie die Macht über den Milchpreis verloren hat. Es wäre die Wahrheit. Trotzdem hat der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer am Montag vom CSU-Vorstand die Forderung beschließen lassen, die Milchproduktion europaweit zu senken. Seehofer tut so, als gäbe es ein Zurück zur alten Planwirtschaft. Dabei weiß er, dass sich nicht einmal die deutschen Ministerpräsidenten darauf einigen können, die Milchmenge zu begrenzen. Er ist im Moment der größte Illusionskünstler der deutschen Politik.

Doch die Bauern glauben seinen Tricks nicht. Schlimmer noch, Seehofer ist dabei, seinen wichtigsten Verbündeten zu verprellen, den Deutschen Bauernverband mit seinen 380.000 Mitgliedern. Dessen Präsident Gerd Sonnleitner vertritt schon seit Jahren die Auffassung, dass die Quote ein Instrument von gestern ist und sich die Bauern auf die zugigen Verhältnisse des Weltmarkts einstellen müssen. Es ist eine ehrliche und mutige Position, eine Position aber, mit der sich Seehofer nicht vor die Wähler traut.

Stattdessen hat sich der CSU-Chef auf die Seite des BDM geschlagen, der kleinen, aber lauten Truppe um den Allgäuer Milchbauern Romuald Schaber. Der BDM hat bisher zwar erst 30.000 Mitglieder, aber dank PR-Aktionen wie dem Protest der Milchbäuerinnen vor dem Kanzleramt weiß inzwischen die halbe Republik, dass der Verband eine staatliche Begrenzung der Milchproduktion wünscht.

"Man redet denen wider besseres Wissen nach dem Mund", ärgert sich Sonnleitner. Das Einzige, was den CSU-Chef interessiere, sei Erfolg an der Wahlurne. "Das ist schlimmer als Machiavelli." Früher hätte sich der Bauernpräsident eher auf einen wilden Bullen gesetzt, als offen die CSU zu kritisieren. Es gab einen klaren Deal: Die CSU setzt die Forderungen des Verbands durch, der Verband sorgt dafür, dass die Bauern CSU wählen. Dieser Deal ist geplatzt, seit sich Seehofer an BDM-Chef Schaber kuschelt, den schlimmsten Feind Sonnleitners.

Schaber ist schon phänotypisch das Gegenteil des geschmeidigen Bauernpräsidenten, er trägt einen alten Filzhut und verbeulte Hosen, unter seinen Fingernägeln prangen Blutergüsse von der Arbeit auf dem kleinen Hof im Allgäu. Bauernlobbyist Sonnleitner dagegen ist ein gepflegter Herr von 60 Jahren, auf dem blütenweißen Hemd sind seine Initialen "GS" eingestickt. Er riecht nach Aftershave, nicht nach Kuhstall.

Sonnleitner hat Schaber unterschätzt. Der Bauernverband hat den BDM lange für einen Trupp weltfremder Spinner gehalten, aber inzwischen gibt es Regionen in Bayern, in denen auf fast jedem Hof das BDM-Logo leuchtet.

Schaber ist ein Mann mit einem Riecher für populäre Themen, er sagt nein zur grünen Gentechnik, der Bauernverband wackelt da noch immer. Auf Bauernversammlungen wird Schaber als Held gefeiert. So etwas macht Eindruck auf einen Volkstribun wie Seehofer.

Das Problem des CSU-Chefs ist, dass sich Schaber nicht einwickeln lässt. Der BDM-Chef weiß, dass seine Macht sich daraus speist, Stimmung gegen die Union zu machen. Je größer der Ärger der Bauern, desto größer wird der Druck auf Seehofer und Merkel, die Forderungen des BDM zu berücksichtigen. "Regierungen, die Bauern vernichten, sind für uns nicht wählbar", sagt Schaber.

Es ist ein Satz, der schmerzt, vor allem im Superwahljahr. Wenn die Bauern wegbleiben, wird nicht nur Seehofers Plan scheitern, die CSU wieder über die 50-Prozent-Marke in Bayern zu heben - auch Merkel wird dann Probleme bekommen, genügend Stimmen auf die Waage zu bringen, um nach der Bundestagswahl ein Bündnis mit der FDP zu schmieden. Deshalb wird die Politik der Unionsführung in diesen Tagen immer panischer. Seehofer hat bereits angekündigt, dass er sich für ein Vorziehen der Subventionszahlungen für Landwirte einsetzen werde, dazu soll der Diesel für Trecker billiger werden. Die Kanzlerin ist jetzt plötzlich auch dafür.

Doch Schaber hat schon klargemacht, dass solcher Kleinkram nicht reichen wird, um die Liebe der Landwirte zurückzugewinnen. Auch Sabine Holzmann ziert sich gewaltig. Sie steht in ihrem Stall und streichelt einer Kuh über den Kopf. "Ich will keine Subventionen, ich will von der Milch meiner Kühe leben können. Es wird Zeit, dass Herr Seehofer das kapiert."

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