Körperkultur Das zweite Gesicht

Der Kampf gegen die Körperbehaarung hat die Intimzonen erreicht - angestachelt von zweifelhaften Studien. Jugendliche finden ihre Schamhaare zunehmend eklig und unsexy.

Die Porno-Industrie wies mal wieder den Weg: Ende der Neunziger warben die ersten Darstellerinnen mit freiem Blick auf ihre Schamlippen; die Intimrasur war damals ein neuartiges Spektakel. Heute, da sich fast alle enthaaren, wird allmählich die Frau mit naturbelassenem Dreieckspelz zur Absonderlichkeit in den Porno-Portalen des Internet. Hie und da erscheint sie schon - neben Zwerginnen und Latexhexen - unter den Spezialangeboten für Fetischisten.


Neu ist, dass inzwischen auch die junge Frau von nebenan sich die Scham gern nackig macht.

Jede zweite Frau in der Altersgruppe von 18 bis 25 Jahren bekennt sich zur Intimrasur. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Leipziger Psychologen Elmar Brähler, die an diesem Montag vorgestellt wird. Auch die gleichaltrigen Männer tun, wie sich zeigte, schon wacker mit: Ein knappes Viertel entfernt oder stutzt den Busch ums Gemächt.

Lang ist es noch nicht her, da trug der Mann stolz sein Zottelhaar, wo immer es zu sprießen beliebte. Nun ist offenbar ein Sinneswandel im Gang. Die Anhänger der neuen Mode lassen selbst vom Wildwuchs unter der Gürtellinie höchstens Restbestände stehen, gestutzt zu neckischen Karos oder Penisbärten, einem "N" für Natascha oder sonst einem Ziergärtchen.

Ins Enthaarungsstudio wagten sich früher, außer Frauen, fast nur Schwule und Bodybuilder. Heute muss sich kein Mann mehr genieren, wenn er am Tresen das Standardprogramm bestellt: Rücken, Pospalte und Schamhaare. Oder, wie der Angelsachse sagt, "back, crack and sack".

Die Motive sind noch unklar. Die Enthaarten beiderlei Geschlechts sagen gern, die nackte, glatte Haut sehe einfach besser und gepflegter aus. Obendrein komme es dem Sex zugute, wenn dabei nicht immerzu Kräuselhaare in den Mund gerieten.

Nun beschäftigen sich allerdings schon Kinder und Jugendliche ernsthaft mit dem Thema Intimrasur. Und dass es von den Älteren beileibe nicht alle machen, entgeht ihnen dabei oft. "Die glauben, dass es anders gar nicht mehr geht", sagt Gudrun Schäfer, Jugendpädagogin bei pro familia in Tübingen.

Schäfer kommt viel herum, sie spricht vor Schulklassen, diskutiert in Jugendzentren und macht Online-Beratung beim Portal Sextra. Ihr Befund: Mit 14 oder 15 Jahren schon gehen die ersten Pubertierenden gegen ihre Härchen vor. "Und die meisten tun es nicht, weil ihnen das gefällt", sagt die Pädagogin, "sondern weil sie Schamhaare für eklig und unhygienisch halten."

Vor lauter Verfolgungseifer sind bei der Jugend die Geschlechtsteile schon mit in Verruf gekommen. Unter Jungs sei es üblich, den Penis mit duftenden Tinkturen einzuschmieren, berichtet Schäfer. Die Mädchen traktieren sich mit Scheidenspülungen und stecken für unterwegs Intimreinigungstücher in die Tasche: "Das grenzt an Hygienewahn."

Die Aufregung kommt wohl nicht von ungefähr. Dass die normal behaarte Scham praktisch nicht mehr akzeptabel sei, kann die Jugend den Medien entnehmen. Eine Studie nach der anderen schürt diesen Glauben - und finanziert sind sie meist von Firmen wie Gillette, Philips und Wilkinson, die mit der Enthaarungsmode gute Geschäfte machen. 61,9 Prozent der Frauen wünschen angeblich, dass sich die Männer auch im Intimbereich rasieren; das fand eine GfK-Studie im Auftrag von Wilkinson heraus. Andersherum scheint es ganz ähnlich zu sein, wie neulich erst gemeldet wurde: "Unrasierte Frauen haben weniger Sex-Chancen."

Selbst der Leipziger Psychologe Brähler wartete noch im vergangenen November mit Zahlen auf, die um einiges spektakulärer geraten waren als sein jetziges Ergebnis. Damals hieß es, unter Studenten enthaarten sich bereits 88 Prozent der Frauen und 67 Prozent der Männer die Intimzone. Die Nachricht geht seither durch die Medien. Freilich wurden damals nur rund 300 Studenten an der Uni-Klinik befragt. Die neue Umfrage dagegen lieferte erstmals repräsentative Resultate von 2512 Testpersonen - und prompt sank bei den jungen Männern die Intimrasur-Quote von knapp 70 auf etwas über 20 Prozent.

Wie kann das sein? "Das wissen wir nicht", sagt achselzuckend Brähler, ein vielbeschäftigter Mann, der gerade, wie er sagt, "23 Forschungsprojekte zugleich" laufen hat. Gleichwohl bleiben die alten Zahlen in der Welt. Vergangene Woche erst wärmte die Wochenzeitung "Die Zeit" sie wieder groß auf: "Die Schamhaare zu rasieren gehört zum modischen Diktat, dem sich inzwischen eine Mehrheit unterwirft", stand da markig im Vorspann eines alarmierenden Berichts. In Wahrheit unterwerfen sich der neuen Studie zufolge gerade mal 18,4 Prozent der Bevölkerung.

Die Zahl der Dauerenthaarer wächst zügig

Der Druck tut seine Wirkung. Die weibliche Jugend macht sich vor allem Sorgen, weil die Schamgegend jetzt blank und bloß dem prüfenden Blick ausgesetzt ist. "Es beschäftigt die Mädchen sehr, wie sie da aussehen sollten", sagt Schäfer. Die inneren Schamlippen, die sich in diesem Alter allmählich zeigen, verstören oft in ihrem schrumpelig wuchernden Eigensinn. Die Folge: "Ich werde immer öfter nach Operationen gefragt."

Die Furcht, befremdlich auszusehen, ist nicht auf die Jugend beschränkt. Auch erwachsene Frauen treibt die Sorge, ihre Labien, die bislang im Schutz der Kräuselwolle halb verborgen gediehen, könnten zu groß oder zu lappig geraten sein. "Die Scham wird zum zweiten Gesicht der Frau", sagt Aglaja Stirn, Leiterin der Abteilung für Psychosomatik an der Frankfurter Uni-Klinik. Damit gelten auch die gleichen ästhetischen Ansprüche. "Jugendlich sollen die Schamlippen aussehen, ebenmäßig und straff", sagt Stirn.

Dass der Hang zur Enthaarung die Debatte so aufwühlt, ist durch die Zahl der ihm Verfallenen allein nicht zu erklären. Es geht vielmehr ums Menschenbild. Verhandelt wird mit Getöse das stets heikle Verhältnis zum inneren Säugetier.

Seit Jahrtausenden gilt das Körperhaar als Erbe der Vorzeit, als Ausdruck des tierisch Triebhaften und Wilden im Homo sapiens. Und ebenso lange wirkt das Bedürfnis, das frohwüchsige Gestrüpp gärtnerisch zu zügeln. Viele Kulturen schabten, zwirbelten und zupften daran herum.

Ausmerzen allerdings ließen sich die Körperhaare bis heute nicht ganz. In den verbliebenen Zonen haben sie ja auch einen evolutionären Sinn: Unter den Achseln und in der Schamgegend verhindern sie, dass Haut auf Haut pappt. Zugleich wirken sie als kühlende Schweißverdunster und damit, so vermuten Biologen, auch als Duftwedel, der genetisch passende Liebespartner anlockt.

Am heutigen Enthaarungsdrang ist neu, dass er sich ausbreitet in genau dem Maß, in dem die Kleidung zurückweicht. Mit Unterschenkeln und Achselhöhlen fing es vor Jahrzehnten an, nun steht die Intimzone zur Disposition.

Hinter der Schamrasur argwöhnen Psychoanalytiker den geheimen Wunsch, harmlos, unreif und infantil zu erscheinen, um den Partner nicht zu verängstigen. Warum sonst, lästerte die Zeitschrift "Emma", liefen die Frauen plötzlich mit "Kindermösen" herum? Zudem fällt der Trend zum Kleinmädchenhaften auch anderswo auf: Da lassen sich weibliche Popstars mit einwärts geknickten Beinen und herausfordernder Bambischnute fotografieren - so machen sie auf kindlich, verklemmt und nuttig zugleich.

Ob aber darum schon eine halbe Generation vor dem erwachsenen Triebleben kneift? Es könnte auch das Gegenteil wahr sein, sagt der Leipziger Forscher Brähler: "Die Frau von heute ist vielleicht so selbstbewusst, dass sie es sich leisten kann, ihre Reize entblößt zur Schau zu stellen."

Was dem Trend vielleicht am stärksten entgegenwirkt, ist die Mühsal der Prozedur: Selbst die Modefrömmsten haben es mal satt, alle paar Tage zur Rasur zu schreiten oder alle paar Wochen die Haare erneut mit Wachs oder Epiliergeräten auszureißen. Auf diese Kundschaft zählen die neuen Ladenketten namens Cleanskin oder Hairfree, die nachhaltige Glattheit versprechen. Bei ihnen werden die Haarwurzeln mit kurzen Lichtpulsen verödet. Marktführer Hairfree betreibt deutschlandweit bereits 90 Filialen. Auch zahlreiche Hautärzte freuen sich über neue Einkünfte für ihre teuren Laserapparate.

Freilich sind pro Hautregion mindestens acht Behandlungen im Abstand von etlichen Wochen fällig. Wer mit dem urtümlichen Bärenfell eines Sean Connery ("James Bond") gesegnet ist, kann sich auf eine Gesamtdauer von annähernd zwei Jahren gefasst machen. Denn jedes Haar durchläuft mit seinem Wachstum eine Abfolge von Phasen, von denen jeweils die richtige erwischt werden muss. Das treibt die Preise. Bei Cleanskin etwa kostet allein der Rücken, je nach Dichte des Bewuchses, pro Durchgang 200 bis 300 Euro.

Die Kundschaft lässt sich davon nicht verdrießen; die Zahl der Dauerenthaarer wächst zügig. "Gelegentlich kommen auch schon Eltern mit ihren Kindern", sagt Ossi Casmir, Betreiber einer Cleanskin-Filiale in Wiesbaden. "Die wünschen sich zum 18. Geburtstag ihre erste Enthaarung, wie früher den Führerschein."

Schmerzen bleiben dem Kunden auch bei der Hightech-Lösung nicht erspart. Beim Abrastern der Haut mit dem Lichtrüssel ziept es jedes Mal ein wenig - je dicker und dunkler das Haar, desto vernehmlicher. "Am heikelsten ist oft der Bart", sagt Anita Ruppenthal vom Frankfurter Laserzentrum Laderma. "Da springt uns schon mal einer von der Liege."

Der Bart?

In der Tat: Mehr und mehr Männer lassen sich nun auch das Gesicht enthaaren - "hauptsächlich Bankleute und andere Anzugträger", sagt Ruppenthal. Bei ihnen wenigstens sind die Beweggründe ganz unkompliziert: "Sie wollen morgens keine Zeit mehr mit Rasieren verlieren."

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