Automobile Die Starkstrom-Utopie

Fast alle Hersteller präsentieren auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt Elektrofahrzeuge. Erste Anbieter bereiten sogar schon die Großserienproduktion vor. Tatsächlich aber kommt die Elektrifizierung nur langsam voran - und erfordert eine Abkehr von PS-starken Autos.
Automobile: Die Starkstrom-Utopie

Automobile: Die Starkstrom-Utopie

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Stromverbrauch als Sünde zu begreifen ist inzwischen eine amtliche Weisung der EU-Kommission. Das Weltklima schwitzt, und die Brüsseler Behörde hat inzwischen sogar die Produktion von 100-Watt-Glühbirnen untersagt.

Dem Kraftfahrzeug als Stromkonsumenten werden indes noch keine Grenzen gesteckt. Wenn am Donnerstag in Frankfurt am Main die 63. Internationale Automobilausstellung (IAA) beginnt, wird der Besucher dort Entwürfe von Elektromobilen vorfinden, deren Leistung die des geächteten Leuchtkörpers um ein Vieltausendfaches übertreffen soll.

Mercedes-Benz zeigt das Konzept eines E-Sportwagens mit 392 Kilowatt; Audi wird eine ähnlich starke Stromvariante seines Spitzenmodells R8 präsentieren; und BMW illustriert alternative Antriebspläne mit der "Vision Efficient Dynamics" - einem Hybridgeschoss, in dem ein dreizylindriger Dieselmotor von zwei Elektro-Verstärkern flankiert wird. Es soll 250 Kilometer pro Stunde erreichen. "Jetzt wird Sparen sexy", jubelt "Auto Bild".

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Elektroautomodelle: Verdammt weit weg

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Ehe sich Umweltverbände nun anschicken, die Klimabilanzen solcher Strom-Spurter schlechtzurechnen, sollten die Hersteller die Entwarnung gleich mitliefern: Solche PS-starken Elektromobile sind nicht marktreif, nicht einmal auf lange Sicht eine seriöse Option. Auch die besten Akkus wären bei einer Fahrt mit voller Kraft binnen wenigen Minuten leer.

Die erste IAA im Zeichen des Elektromobils lässt somit vor allem eines erkennen: Der Abschied vom Benzin, das noch immer Energie im Überfluss liefert, wird schwerfallen. Der Wunsch, mit Starkstrom eine ähnliche Motorenkraft zu entfalten, ist vorerst reine Utopie.

Und doch scheint die Überzeugung inzwischen branchenweit verbreitet: Elektroautos werden einen Massenmarkt erschließen, und zwar voraussichtlich in der Dekade zwischen 2020 und 2030. Bis dahin, schätzen die Entwickler, werde die Speicherfähigkeit noch einmal um Faktor zwei bis drei zulegen. Das könnte dann reichen - zumindest für kleinmotorige Automobile.

Noch immer setzen die elektrochemischen Eckdaten der Stromfahrt enge Grenzen: Die besten Lithium-Ionen-Akkus kommen derzeit auf weniger als zehn Kilogramm pro Kilowattstunde. Die ersten Kleinserienautos, etwa von Smart oder Mitsubishi, erzeugen folglich 16 bis 20 Kilowattstunden.

Das entspricht einem Energieinhalt von etwa zwei Litern Benzin.

Die Hersteller errechnen daraus Reichweiten von 100 Kilometern und mehr - allerdings auf der Grundlage extrem langsamer Norm-Fahrzyklen für die Verbrauchsmessung. Nur das sind ideale Arbeitsbedingungen für den Elektromotor.

In der Praxis dürften diese Werte auf weniger als die Hälfte schrumpfen, wenn zur forschen Fahrweise auch noch weitere Stromverbraucher wie Heizung oder Klimaanlage hinzukommen. Wer aber soll ein Auto kaufen, mit dem schon ein kurzer Ausflug an den Stadtrand zum Nervenkitzel wird? "Die Leute", feixt ein BMW-Manager, "denken dann ja nur noch an Steckdosen."

Zudem muss die extrem eingeschränkte Mobilität auch noch sehr teuer erkauft werden. Lithium-Akkus mit 20 Kilowattstunden kosten an die 20.000 Euro. Immerhin dürfte der Preis auf etwa ein Drittel sinken, wenn die Akkus dereinst in Großserien produziert werden. Das ist die zweite große Hoffnung der Hersteller: Die Batterien müssen, ausgehend vom heutigen Stand, dreimal so gut und dreimal so billig sein. Dann geht die Rechnung auf für das Elektroauto.

Bis tatsächlich massenhaft Elektroautos über die Straßen rollen, stellen sogenannte Plug-in-Hybride eine gebrauchstüchtige Übergangslösung dar: Autos, die zusätzlich zum reinen Elektroantrieb über einen konventionellen Verbrennungsmotor verfügen. Toyota, der Pionier der Hybridtechnik, geht genau diesen pragmatischen Weg und zeigt auf der IAA die Plugin-Variante seines Modells Prius.

Der Halb-Elektro-Wagen verfügt über ein vergleichsweise kleines Akku-Paket, das an der Steckdose aufgeladen wird und den Wagen etwa 20 Kilometer weit bringt. Ist die Stromladung erschöpft, springt der Benzinmotor an, und die Fahrt geht mit einem sparsamen Hybridantrieb im Wechselspiel von Elektro- und Verbrennungsmotor weiter.

Daimler wird in Frankfurt eine S-Klasse mit Plug-in-Hybridantrieb präsentieren, deren aus Netzstrom und fossilem Kraftstoff gestillter Energiedurst etwa drei Litern konventionellem Benzinverbrauch entsprechen soll. Das Konstrukt soll zur kommenden Generation des Luxusmodells die Serienreife erreichen, also im Jahr 2013.

Über eine schrittweise Evolution der Hybridtechnik dem rein elektrischen Fahren näher zu kommen ist die einzig plausible Strategie der jüngeren Autoentwicklung, und die westlichen Produzenten haben hier erkennbaren Nachholbedarf. Die vorletzte IAA im September 2005 markierte einen Wendepunkt: Die Autokonzerne in Europa und den USA gestanden sich damals ein, einen Trend verschlafen zu haben, und eiferten den Japanern nach. Durchweg kündigten sie eigene Hybridantriebe an.

Doch der Rückstand ist noch immer enorm. Toyota hat inzwischen mehr als eine Million Hybridautos verkauft. Bei den Händlern des Volkswagen-Konzerns hingegen steht bis heute kein einziges, auch nicht bei Opel, Peugeot, Fiat oder Renault. Mercedes schafft gerade mal eine Miniproduktion von täglich etwa 40 Modellen der S-Klasse mit mildem Hybridantrieb: Es ist eine simplere Variante nach Honda-Vorbild, bei der der Elektromotor nur unterstützt, das Auto also nicht allein antreiben kann.

Die weit anspruchsvolleren Vollhybriden indes stellten die Entwickler vor enorme Hürden. Mercedes, BMW und General Motors verbrachten vier Jahre mit einem Projekt namens "Two Mode". Es übertrifft das Toyota-System deutlich an Komplexität und geriet viel zu teuer. Die aufwendige Elektromechanik wird in wenigen, bulligen Geländewagen zum Einsatz kommen und dann wieder vom Markt verschwinden. Alle beteiligten Unternehmen haben sich bereits darauf geeinigt, das System nicht weiterzuentwickeln.

Volkswagen und sein inzwischen zur Konzerntochter degradierter Ex-Aufkäufer Porsche wollten die Hybridvarianten ihrer Modelle Touareg und Cayenne gern schon auf der diesjährigen IAA zeigen, haben das Projekt aber immer noch nicht im Griff. Die Integration des Vollhybriden in einen klassischen Antriebsstrang bedarf einer sehr diffizilen Steuerung. Beide Fahrzeuge werden erst im kommenden Jahr in den Handel kommen - zu sehr hohen Preisen, bei denen die Hersteller offenbar immer noch drauflegen. "Wir können jeden Kunden beglückwünschen, der sich nicht für den Hybrid-Touareg entscheidet", gesteht ein VW-Manager.

Dass die gleichen Konzerne, die schon bei den Fingerübungen zur Elektromobilität klägliche Figuren abgeben, dem IAA-Publikum weismachen wollen, sie hätten bereits elektrische Rennautos in Vorbereitung, birgt eine gewisse Komik.

Immerhin lässt das mühsame Streben in Richtung Stromfahrt erste Kompetenzzentren entstehen, wenngleich weniger bei den Autoherstellern als bei deren Zulieferern. Anders als Toyota, wo bis zu Halbleitern und Batterien nahezu alle elektrischen Antriebskomponenten im Haus entwickelt werden, lagert die westliche Industrie diese Bereiche aus.

Viele Autokonzerne und Zulieferer haben sich inzwischen mit Herstellern von Batteriezellen verbündet. Das Feld der Akku-Technik wird im Wesentlichen von japanischen und südkoreanischen Produzenten beherrscht. Bosch setzt auf Samsung, VW unter anderem auf Toshiba, Opel auf LG Chem aus Südkorea. Allein die Daimler AG wird mit einem deutschen Unternehmen ins Rennen gehen, der sächsischen Evonic-Tochter Li-Tec.

"Drei bis vier große Batteriezellenhersteller werden am Ende übrig bleiben", schätzt Bernd Bohr, verantwortlich für das Automobilgeschäft bei Bosch. Die Integration der elektrischen Antriebskomponenten, vor allem die Entwicklung der Leistungselektronik, die die Stromflüsse steuert, werde die Domäne großer Systemlieferanten sein - Häuser wie Bosch.

Das Stuttgarter Technologiehaus galt lange als Gralshüter deutscher Autoelektrik, wenn auch im Dienste des Verbrennungsmotors. Im Firmenzeichen trägt es den Anker einer Magnetzündung.

Dass Bosch das Geschäftsfeld der Hybrid- und Elektroantriebe zu lange unterschätzt und entsprechend zu spät betreten hat, räumt Bohr ein, sieht sein Unternehmen aber in der Aufholphase. "Bosch", sagt er, "hatte schon immer ein nicht unerhebliches Sprintvermögen." Die Auftragslage für Hybrid- und Elektroantriebe sei inzwischen gut.

Erkennbar stärker aufgestellt ist ein Konkurrent, der gewöhnlich eher mit Gummireifen assoziiert wird und zuletzt als Gegenstand einer tränenreich endenden Übernahmeschlacht traurige Prominenz erhielt: Deutschlands Technologiedrehscheibe im Feld der Hybrid- und Elektroantriebe heißt Continental.

Hier wurden schon vor fünf Jahren erste Hybridkomponenten für GM produziert. Über eine halbe Milliarde Euro investierte Continental bisher in diesem Feld. Gut 800 Angestellte - etwa doppelt so viele, wie Bosch in diesem Sektor beschäftigt - arbeiten hier an über 20 Projekten zu elektrischen Antrieben, darunter an der Hybrid-S-Klasse von Mercedes, dem Elektro-Smart und dem Opel Ampera.

Auch das spektakulärste Projekt eines E-Mobils, das bislang angekündigt wurde, soll offensichtlich mit Conti-Technik auf die Straße finden: Der französisch-japanische Konzernverbund aus Renault und Nissan hat angekündigt, bald 100 000 Elektroautos pro Jahr herzustellen - ein wagemutiges Vorhaben.

Zum Auftakt der IAA wird Continental nun bekanntgeben, die zentralen Antriebskomponenten für ein Elektrofahrzeug zu entwickeln, das 2011 in Großserie auf den Markt kommen wird. Den Namen des Herstellers darf der Lieferant nicht nennen. Es erübrigt sich aber in diesem Fall: Außer Renault/Nissan hat keiner vergleichbare Pläne.

Das massenhaft produzierte E-Mobil soll dem Projekt "Better Place" des früheren SAP-Vorstands Shai Agassi zum Start verhelfen. Der Blitzaufsteiger der IT-Branche übernimmt derzeit etwa die Medienrolle, die der Uhrenkrösus Nicolas Hayek in den Neunzigern beanspruchte: Mit dem Phantom seines vermeintlich hochökologischen "Swatch-Autos" betörte Hayek einst die Granden der Branche, gewann VW und später Daimler als Partner. Am Ende kam der Smart heraus, ein reines Daimler-Produkt mit denkwürdigen Geburtsmängeln.

Mit Renault und "Better Place" ist eine ähnliche Entwicklung absehbar. Agassi übernimmt den Part des virtuosen Volksredners, bezeichnet sein Unternehmen als "weltweit führenden Infrastrukturanbieter für Elektrofahrzeuge", ohne viel Substanz erkennen zu lassen. Die Batterie-Wechselstationen, als großer Clou von "Better Place" angekündigt, wird es zunächst vereinzelt in Agassis Heimatland Israel geben. Im Übrigen verweist der Revolutionär auf die bewährte Steckdose.

Das Problem wird am Ende der Autokonzern bewältigen müssen. Dem Elektroauto fehlt nicht die Infrastruktur, es fehlt noch immer eine brauchbare und bezahlbare Speichertechnik. Renault und Nissan werden mit Akkus des japanischen Herstellers NEC den Sprung in die Großserie wagen. Angestrebt ist eine stattliche Kapazität von 24 Kilowattstunden.

Die bisher gezeigten Prototypen haben kaum mehr als die Hälfte davon.

CHRISTIAN WÜST

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