
Gesellschaft: Der Glanz der Tigerente
Gesellschaft Der Glanz der Tigerente
Wenn Paul Sahner über große Politik spricht, muss er mit sich selbst Streit anfangen. Es kommt dann immer darauf an, welcher Sahner gerade spricht: der Doyen der hiesigen Klatschindustrie, "Bunte"-Autor und Lagerfeld-Biograf mit dem Latte-Macchiato-Timbre einerseits - oder der 65-jährige Wahlbürger.
"Als 'Bunte'-Mann finde ich natürlich einen Sarkozy mit seiner Carla Bruni wunderbar. Und Bella Italia, wo sich der altersgeile Berlusconi von einer Prostituiertenenthüllung zum nächsten Streit mit seiner Noch-Gattin hangelt, ohne dass sein Volk ihm wirklich gram wäre."
Darauf kontert der andere Sahner: "Als Wähler wünsche ich mir Politiker wie Merkel und Steinbrück, die wissen, was die Stunde geschlagen hat: ruhig, verlässlich, kompetent. Das ist mir wesentlich sympathischer."
Der innere Kampf Sahner gegen Sahner, Gefühl contra Verstand - das ist ein Konflikt, der unterschwellig auch den Rest der Republik umtreibt und letztlich um die Frage kreist: Wie glanzvoll hätten wir unsere politischen Spitzen gern? Wie unterhaltsam? Wie sexy und charismatisch? Gegenfrage: Wann waren die das jemals, wenn man von ein paar Jahren Willy Brandt absieht?
Als die USA John F. Kennedy wählten, war der deutsche Kanzler ein 85-jähriger Opa namens Konrad Adenauer. Am Grundproblem hat sich seither nicht viel geändert: Die anderen haben die aufregende Show, wir bekommen beruhigende Biederkeit.
Da dürfte das künftige schwarz-gelbe Tigerenten-Kabinett immerhin ein wenig mehr Leben versprechen als die zu Ende gehende Große Koalition, die zum Schluss den Esprit einer Außenstelle der Arbeiterwohlfahrt verströmte. Auch wenn für den Glamour wieder nicht die Kanzlerin zuständig sein wird, sondern das Duo ihrer beiden kleineren Regierungspartner.
Im einen Fall versöhnen sich sogar die beiden widerstreitenden Sahners miteinander: Auch in der wird der aktuelle CSU-Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg mit Sicherheit vertreten sein. Adel, Jugend, Reichtum, Bildung, eine Bismarck-Ururenkelin als Gattin, gute Manieren und Weltläufigkeit - Guttenberg bringt nicht nur für Sahners "Bunte"-Publikum, sondern auch für den "Chrismon"-Leser oder "FAZ"-Abonnenten alles mit.
Der 37-Jährige kann Bierzelte und Schwiegermütter rocken und UBS von USB unterscheiden. In Merkels Kabinett hat Guttenberg bislang zwar nicht mit Kompetenz oder gar Inhalten gestört, aber er hatte eine Haltung: Wieso muss der Staat bitte schön Opel retten? Überraschenderweise fand die Mehrheit der Bundesbürger das nicht neoliberal, sondern authentisch.
So einer kann noch größer rauskommen. "Ich würde einen Hunderter darauf wetten, dass er in acht Jahren Kanzler ist, wenn er diesen Lauf durchhält", sagt Sahner. "Glamourfaktor: Summa cum laude."
Daneben dürfte vor allem FDP-Parteichef Guido Westerwelle als Außen- oder Superminister für Wirtschaft und Finanzen in spe Strahlkraft unter Beweis stellen wollen - nicht nur wegen seines Wahlergebnisses.
Westerwelles Ära der Affigkeiten mit Guidomobil, gelb verklebten Schuhsohlen oder Überraschungsauftritten bei den Insassen der "Big Brother"-Container ist vorbei. Dass er schwul ist, regt nicht mal mehr oberbayerische Schützenvereine auf, liefert aber vielleicht die eine oder andere Auftritts-Steilvorlage beim nächsten Christopher Street Day.
Beängstigender ist die Frage, wen Westerwelle in die Regierung mitnimmt. Den Wirtschafts- und Weinköniginnenexperten Rainer Brüderle etwa? Oder das blonde EU-Gift Silvana Koch-Mehrin?
Das Kabinett dürfte jedenfalls weit bunter werden als zu Große-Koalitions-Zeiten, als nur noch eine Farbe in Nuancen zählte: steingrau, mausgrau, aschgrau.
Nur CSU-Chef Horst Seehofer reanimierte die barocken Traditionen seiner Vorgänger - unfreiwillig.
In puncto Charisma blieb Dr. rer. nat. Merkel ebenso ein Ausfall wie ihr Außenminister und Gegenkandidat Frank-Walter Steinmeier. Angesichts dessen war es kein Wunder, dass der kurz gewährte Einblick ins Kanzlerinnen-Dekolleté selbst die politische Presse wochenlang hyperventilieren ließ. An der Kanzlerin wird sich nichts ändern, an anderem Spitzenpersonal indes auch nicht:
Das Attraktivste an Oskar Lafontaine bleibt seine Frau Christa Müller. SPD-Chef Franz Müntefering, 69, zieht gerade zu seiner Michelle, die seine leicht verwirrte Enkelin sein könnte. Bei den Grünen vergisst man bisweilen sogar die Namen der Hauptakteure. Nicht nur für Claudia Roth dürfte der spektakulärste Auftritt des Jahres die Mithilfe bei Hape Kerkelings Wahlsatire "Isch kandidiere" gewesen sein.
Nur CSU-Chef Horst Seehofer reanimierte die barocken Traditionen seiner Vorgänger - unfreiwillig. Erst wurde bekannt, dass er in Berlin eine Geliebte hat, dann dass die ein Kind von ihm erwartet. Später musste Gattin Karin bei den Landtagswahlen wieder helfen, das Bild der (ver)heilen(den) Familie zu polieren, bevor Gerüchte über eine zweite Schwangerschaft ...
Man will's gar nicht mehr so genau wissen in all den Verästelungen von Verlogenheit oder Selbstbetrug. Mit Glamour hatte das aber nichts zu tun. Im Gegenteil. Das ganze Seehofer-Heckmeck wirkte seltsam verdruckst und weit entfernt von jenem präpotenten Selbstbewusstsein, das Klatsch-Profi Sahner in seinen jungen Reporterjahren an anderen Politikern studieren konnte.
Damals war er Kolumnist bei der Münchner Boulevardzeitung "tz" und wurde immer mal wieder zu nächtlichen Runden von Franz Josef Strauß eingeladen. "Wir saßen im Weinkeller irgendwelcher Strauß-Spezln und haben diskutiert. Dabei wurde gebechert bis zum Abwinken. Strauß hatte eine wahnsinnige Standfestigkeit."
Am Ende erhob sich das CSU-Schwergewicht um vier Uhr morgens, er müsse ja um acht seinen Privatflieger nach Bonn steuern, wo er um zehn dann eine Rede im Bundestag hielt. "Strauß war wie Romy Schneider: eine Kerze, die an beiden Enden brannte. So was gibt es in der Politik heute nicht mehr", sagt Sahner.
Dass die aktuelle Berliner Regierung im Vergleich zu solchen Figuren verblasst, ist nur zum Teil ihre eigene Schuld. Die Zeiten haben sich geändert. Ein Leben wie das von Strauß würde heute schnell vor Gericht oder wenigstens ins politische Total-Aus führen. Zudem wird jede Regung heute kontrolliert von omnipräsenten Leserreportern, PR-Beratern, Journalisten. Die Kulisse ist adäquat. Die Hauptstadt Berlin ist eigentlich pleite, dabei nicht mal in der Lage, ihren S-Bahn-Verkehr zu organisieren, und wird von einer Koalition regiert, die von Klaus Wowereit bis zum Promi-Friseur Udo Walz reicht.
Dass es in der Bundespolitik heute dennoch Glamour-Bewusstsein gibt, ist erstaunlicherweise der einstigen rot-grünen Koalition zu verdanken unter Gerhard Schröder, der sich einst für den Herrenschneider Brioni fotografieren ließ und bereitwillig auf die "Wetten, dass ...?"-Couch fläzte.
"Wer sich vorher 16 Jahre lang unter dem Regierungsregime von Helmut Kohl auf der Oppositionsbank Schwielen am Hintern saß, der will dann auch zeigen, dass Genosse von genießen kommt", sagt Sahner, der von dem Phänomen sehr profitierte.
2001 besuchte er den damaligen SPD-Verteidigungsminister Rudolf Scharping zum Sommerinterview auf Mallorca. Weltweit Wellen schlugen vor allem die Pool-Fotos von Scharping: Arm in Arm alberte er mit seiner neuen Flamme, Gräfin Pilati, herum, während deutsche Soldaten drauf und dran waren, in Mazedonien ihren Kopf hinzuhalten.
Für Sahner war das Malle-Abenteuer ein Riesenerfolg, für den Rest der Republik eine Lachnummer, für Scharping der Anfang vom Ende.
Die Sozis konnte Sahner diesmal dennoch nicht wählen, obwohl er zeit seines Lebens ein "durchaus leidenschaftlicher Wechselwähler" war. Bei der SPD war ihm ein Steinmeier zu viel, bei den Grünen ein Joschka Fischer zu wenig. Auch er hat sich am Sonntag für Schwarz-Gelb entschieden. Ganz viel Kanzlerinnen-Vernunft und ein Hauch von Hoffnung auf ein bisschen Charisma.
Der Wahlbürger hat sich durchgesetzt. Der Society-Profi hofft jetzt auf Guttenberg und Westerwelle.