Psychologie "Wow, was für ein Gefühl!"
Es hat lange gedauert, bis Maria Westermann* so weit war. Jahre vergingen, Jahre des Vorwärtsdrangs, dann Jahre der Überforderung, bis sie begann, in der kleinen Pille ihre Erlösung zu sehen.
Als Jugendliche kam Westermann, eine zierliche Person mit glattem schwarzem Haar, aus Südamerika nach Deutschland. Sie studierte Pharmazie, alles lief gut; eifrig setzte sie noch eine Promotion obendrauf. An der Uni lernte sie ihren Ehemann kennen und eröffnete mit ihm eine Apotheke in einer mittelgroßen Stadt im Westen Deutschlands. Das Paar bekam zwei Kinder. Westermanns Leben wurde anstrengend: die Söhne, das Geschäft, dazu die ehrenamtliche Arbeit in der Kirche.
"Aber den Satz: ,Ich schaff das nicht', gab's nicht für mich", sagt sie. Westermann war eine Getriebene, ihr Ziel: nichts weniger als das perfekte Leben. So wie im Fernsehen, in der Werbung. "Es sollte das Beste herausspringen, überall, das beste Haus, das beste Auto, die besten Kinder."
Aus Mühsal wurde Zermürbung. Gesundheitsreformen gefährdeten den Umsatz der Apotheke, das Geschäft verschlang immer mehr Energie. Die Kinder waren schwierig, es stellte sich heraus, dass sie unter ADHS litten, einer Aufmerksamkeitsstörung. Maria Westermann half ihnen intensiv bei den Hausaufgaben, "es war ein unmenschlicher Druck", sagt sie.

Kosmetik fürs Gedächtnis: Pille einwerfen, Überflieger sein
Und dann, sie war inzwischen 44, wurde die Apothekerin selbst krank: Krebs. Ärzte entfernten Eileiter und Gebärmutter, der Gynäkologe verabschiedete sie mit den Worten: "Sie werden nicht mehr die Frau sein, die Sie vorher waren." Nicht mehr so leistungsfähig etwa? Undenkbar. "Ich war fix und fertig."
Nun war sie reif fürs Hirndoping.
Maria Westermann schluckte ihre erste Dosis Ritalin - probeweise. Ihre hyperaktiven Kinder hatten das Mittel verschrieben bekommen, um sich besser konzentrieren zu können. Doch als Pharmazeutin wusste sie von der zweiten, der verdeckten Nutzung dieser Arznei: Viele amerikanische Studenten machen sich damit für Prüfungen fit.
Schon wenige Minuten nach der Einnahme spürte Westermann die Wirkung. "Wow, was für ein wunderbares Gefühl! Ich war sofort hellwach, konnte wahnsinnig schnell lesen. Der Akku war wieder voll."
Hunderttausende greifen regelmäßig zur Pille
Welch eine Verlockung: Pille einwerfen, Überflieger sein. Mühelos lernen, alles behalten, den Intellekt anschalten können wie einen Motor - wer wünschte sich das nicht? Derart gewappnet, ließen sich Prüfungen, Vorträge oder Konferenzen lässig bewältigen; feinst eingestellte Hirnchemie machte es kinderleicht, die Konkurrenz auszustechen, seinen Traumberuf zu ergreifen und eine glänzende Karriere hinzulegen.
Es ist ein Menschheitstraum: eine Technik zu erfinden, mit der der Homo sapiens sich selbst perfektionieren kann. Ob Zen-Meditation, Anti-Aging oder Genmanipulation, alles ist recht. Pillen, die scheinbar ohne nennenswerte Nebenwirkungen die Neuronen im Hirn auf Zack bringen, ihnen einen höheren IQ abringen, kommen da wie gerufen.
Und die Wissenschaft ist so weit. Es gibt die ersten Mittel, die das Gehirn auf Vordermann bringen. Noch sind es Blindschüsse, unverhoffte Nebeneffekte von Präparaten, die entwickelt wurden, um unkonzentrierten Kindern, Menschen mit Schlafstörungen oder Demenzkranken zu helfen. Aber sie wirken auch bei Gesunden. Sie lassen auch deren Hirn schneller oder konzentrierter arbeiten. Das ist den Ehrgeizigen und Überforderten nicht verborgen geblieben.
Noch schweigen die Hirndoper, niemand mag offen darüber sprechen. Auch Maria Westermann fürchtet die Reaktionen ihrer Umwelt und möchte ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. Aber es sind viele, jetzt schon: Laut einer anonymen Umfrage der Deutschen Angestellten Krankenkasse haben hochgerechnet zwei Millionen Deutsche schon mindestens einmal versucht, ihren Kopf chemisch aufzurüsten. Etwa 800.000 tun dies sogar regelmäßig.
Pharmafirmen haben Marktpotential erkannt
Und wer wissen will, was kommen wird, muss nur in die USA schauen. Dort ist das sogenannte Neuro-Enhancement bereits weit verbreitet unter Studenten, Wissenschaftlern, Börsenmaklern. Bei den Schülern fängt es an: Laut einer Studie amerikanischer Kinderärzte vom August ist die Zweckentfremdung von Mitteln wie Ritalin bei 13- bis 19-Jährigen innerhalb von acht Jahren um 75 Prozent gestiegen.
Der internationale Siegeszug der Hirnschmiermittel scheint unaufhaltsam: Als das renommierte Wissenschaftsmagazin "Nature" im vorigen Jahr 1400 Menschen aus 60 Ländern befragte, gab jeder Fünfte an, Medikamente zu nehmen, die die Aufmerksamkeit, die Konzentration oder das Gedächtnis verbessern.
Die Pharmafirmen haben das Marktpotential längst erkannt und investieren weltweit Milliarden ins IQ-Doping. Überall forschen Wissenschaftler an verbesserten oder neuen Wirkstoffen. Wenn sich schon mit kranken Menschen ordentlich Kasse machen lässt - wie viel mehr ist erst aus der Masse der Gesunden herauszuholen?
Eine Forschergruppe, gefördert von der Bundesregierung, hat jetzt das Phänomen Neuro-Enhancement auch in Deutschland auf die Tagesordnung gesetzt. Am vorvergangenen Montag stellten die Wissenschaftler die Ergebnisse ihrer dreijährigen Arbeit vor. Sie hatten die zu erwartenden Folgen des Präparatekonsums untersucht. Sie verdammen die Mittel nicht, warnen aber vor einem sorglosen Umgang und geben Empfehlungen für eine verantwortungsvolle Handhabung der Psychopharmaka.
Ihre Kollegen in den USA wünschen sich längst einen unverkrampften Umgang mit den Mitteln. Sie fordern einen freien Zugang zu den Pillen für jedermann. Was soll denn schlecht daran sein, so fragen sie, wenn der Pilot nach Einnahme eines Hirnpotenzpräparats besser fliegen, der Chirurg exakter operieren und der Wissenschaftler gründlicher forschen könne?
"Die Versuchung, immer mehr zu nehmen, war einfach zu groß"
Das ist die gute, die faszinierende Seite der Tabletten. Nur: Die Langzeitfolgen für die Gesundheit sind noch weitgehend ungeklärt. Und es stellen sich, zieht man die Freigabe der Mittel in Betracht, komplexe ethische Fragen. Zum Beispiel das Problem der Chancengleichheit. Schließlich verschafft sich jeder Konsument von Hirnverstärkern, ähnlich wie der Doper bei der Tour de France, Vorteile gegenüber Konkurrenten. Es beginnt ein Wettrennen, bei dem jeder verliert, der sich den neuen Hirncocktails verweigert.
Thorsten Galert, Philosoph und Mitglied jener deutschen Forschergruppe, die die Folgen des Neuro-Enhancement analysiert, fragt deshalb, wann uns "in Analogie zum Radfahrer Erik Zabel der erste Leibnitz-Preisträger unter Tränen im Fernsehen gestehen wird, dass er seine besten Arbeiten unter Ritalin verfasst hat".

Kosmetik fürs Gedächtnis: Pille einwerfen, Überflieger sein
Aber dieses Problem, oft schon für den Sport diskutiert, wirkt geradezu trivial angesichts der großen Philosophenfrage nach dem Ich. Sie stellt sich neu, wenn Menschen Mittel nehmen, die ihr Gehirn, Sitz des Bewusstseins, gezielt verändern. Das Gedächtnis ist ein maßgeblicher Teil des Selbst; das Individuum formiert sich um das Puzzle all der Geschichten, die es gespeichert hat, sie sind Wegmarken der eigenen Persönlichkeit. Bin ich also noch ich, wenn meine Vergangenheit plötzlich aus Erinnerungen besteht, die ein chemischer Stoff im Kopf verankert hat?
Supermutter dank Chemie
Maria Westermann hatte keine Zeit, sich um solche Fragen zu scheren. Von Anfang 2005 an gehörte das Gehirndoping fest zu ihrem Leben. Zunächst nahm sie lediglich jeden zweiten Tag eine Ritalin, schon bald konnte sie auf die tägliche Ration nicht mehr verzichten. Ihr Körper hatte sich an den Wirkstoff schnell gewöhnt. "Die Versuchung, immer mehr zu nehmen, war einfach zu groß", sagt sie.
Westermann war mit den Tabletten so leistungsfähig wie nie, sie schalteten auch die befürchteten Nachwirkungen der Unterleibsoperation einfach aus. Morgens schon managte sie perfekt den Apothekenbetrieb. Sie schmiss eine Pille ein, nahm sich die Kassenumsätze vor und konnte genau verfolgen, wie das Geschäft am Vortag gelaufen war, ohne im Laden gewesen zu sein. "Langsam wurde sie mir unheimlich", sagt Klaus, ihr Ehemann.
Nachmittags war Maria Westermann Übermutter und paukte ihre Jungs durch die Schularbeiten. Nebenbei bereitete sie Vorträge für die Elternschaft vor. Keine gewöhnlichen Referate, bewahre - das Ritalin in ihr stachelte sie zu Höherem an. Sie arbeitete das Standardwerk über Rhetorik durch, betrieb Werbung, schaltete die Lokalpresse ein, am Ende kamen 130 Leute. Rekord.
Sobald die Kinder im Bett waren, las Maria Westermann den SPIEGEL an einem Stück durch. Dann Fachliteratur über Psychologie, Medizin, Philosophie, Theologie. Sie verschlang Schopenhauer und Nietzsche. "Sie hat die Bücher nicht gelesen", erinnert sich ihr Mann, "sie hat sie regelrecht aufgesogen." Westermann war in der Lage, sich Inhalte exakt zu merken, Zusammenhänge herzustellen und Erklärungen für ihr eigenes Leben abzuleiten. "Jedes Buch war so spannend wie ein Krimi", sagt sie.
Potentiell gefährliche Nebenwirkungen
Methylphenidat heißt der Wirkstoff, der Maria Westermann so beglückte. Zunächst stellten Ärzte mit dem Präparat ausschließlich Kinder ruhig, die unter einer Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität leiden, dem "Zappelphilipp-Syndrom". Inzwischen schlucken in den USA Orchestermusiker, Journalisten und Wall-Street-Banker das Mittel.
Aber das wahre Experimentierfeld des Hirndopings liegt in den amerikanischen Universitäten. Mehr als vier Prozent der Studenten werfen sich routinemäßig stimulierende Mittel wie Methylphenidat oder Amphetamin ein, so eine Studie von 2005. Auf einem Campus räumte sogar ein Viertel aller jungen Frauen und Männer ein, das Gehirn pharmakologisch aufzumöbeln, um an der Universität mithalten zu können. Studenten dealen illegal mit den Substanzen, zermahlen die Tabletten und ziehen sich das Pulver in die Nase. "Ritalin wird inzwischen häufiger geschnupft als Kokain", sagt Claus Normann, Psychiater an der Freiburger Uni-Klinik.
Wer sein Hirn damit hochjagt, muss freilich die auf den Packungsbeilagen angegebenen Nebenwirkungen verdrängen: Schlafstörungen, Herzbeschwerden, Psychosen. Suchtmittelexperten warnen davor, dass Methylphenidat, langfristig eingenommen, abhängig mache. Deswegen fällt das Medikament in Deutschland unter das Betäubungsmittelgesetz und muss nach denselben Richtlinien verschrieben werden wie zum Beispiel Morphin.
Der Schweizer Arzneimittelkonzern Novartis setzte im vergangenen Jahr mit Ritalin 440 Millionen Dollar um. Der Konkurrent Johnson & Johnson machte allein im dritten Quartal dieses Jahres 284 Millionen Dollar Umsatz mit dem Präparat Concerta, das ebenfalls Methylphenidat enthält. Derzeit kämpft die Pharmalobby in Deutschland um die Zulassung des Wirkstoffs für ADHS bei Erwachsenen.
Forscher arbeiten am perfekten Hirndoping
Dabei ist noch gar nicht vollständig erforscht, wie das Zeug genau im Hirn wirkt. Neurowissenschaftler haben festgestellt, dass Methylphenidat die Konzentration des Glückshormons Dopamin in bestimmten Teilen des Nervensystems steigen lässt. Zudem erhöht sich der Spiegel des Botenstoffs Noradrenalin, der in einem Teil der Großhirnrinde bestimmte Rezeptoren aktiviert. Das erhöht die Konzentrationsfähigkeit - aber nicht unbedingt die Intelligenz, es werden lediglich vorhandene Potentiale stimuliert.
Methylphenidat ist nur ein Mittel der neuen Neurodrogen-Welt. Ähnliche Wunder versprechen sich Ermattete von Vigil mit dem Wirkstoff Modafinil. Obwohl das Präparat gegen Tagesschläfrigkeit vor allem bei Schichtarbeitern eingesetzt wird, schlucken es Geschäftsreisende nach Langstreckenflügen gegen den Jetlag so selbstverständlich wie Espresso. Es hilft, zum richtigen Zeitpunkt hellwach im Kopf zu sein: sich auf die Powerpoint-Präsentation zu konzentrieren statt einzunicken. Das Medikament findet unter Jungunternehmern im Silicon Valley wie auch andernorts in den USA reißenden Absatz.
Inzwischen arbeiten Forscher an noch viel filigraner auf den Denkapparat abgestimmten Pillen. Wach und animiert? Das genügt nicht mehr. Inzwischen sind die Wissenschaftler so weit, mittels spezieller Proteine der Hirnchemie den Neuronen ein fotografisches Gedächtnis einzubrennen. Das wäre er, der absolute Kassenschlager: die Tablette fürs Gedächtnis, die Blitz-Lernpille. Allerdings gelingen die Versuche bislang nur an Taufliegen.
ViaCell in Boston entwickelt ein Wachstumspräparat für Bindegewebszellen, die auch im Gehirn vorkommen, die sogenannten Fibroblasten. Das Mittel soll sie anregen, sich zu vermehren; vorgesehen ist es für Patienten mit Hirntumoren oder Schlaganfall. Der vermutete Nutzen für Gesunde: Neugebildete Neuronen lernen schneller als alte - es ist, als würde die Hardware im Gehirn nachgerüstet.
"Ich war arrogant, hochnäsig, hatte eine Art Größenwahn"
Als Vorreiter der Hirnverbesserungsforschung gilt Eric Kandel. Der heute 79-jährige Amerikaner befasst sich seit Jahrzehnten mit den Prozessen des Lernens im Gehirn. 2000 bekam er den Nobelpreis für Medizin, nachdem er mit einem Kollegen die Firma Memory Pharmaceuticals gegründet hatte, die inzwischen vom Schweizer Multi Roche aufgekauft wurde. Nun forscht Kandel an gedächtnisfördernden Präparaten. Das Ziel seines Forscherteams: Substanzen in den Nervenzellen zu aktivieren, die wie ein Turbo für das Gedächtnis wirken.
Maria Westermann hatte nach sieben Monaten ihren Ritalin-Turbo auf zehn Tabletten am Tag gesteigert. Die erste Ration morgens war stets die schönste für sie, weil sie damit wie auf Tastendruck ihre inzwischen gewohnte Leistungskraft wiederherstellte. Alle folgenden Pillen des Tages dienten dazu, diesen Zustand so lange wie möglich aufrechtzuerhalten.
Sie leistete nun so viel wie nie, und sie wusste so viel wie niemals zuvor. Sie saß im Gemeinderat und sprudelte vor Einfällen, wie man die Gottesdienste wieder voll und die Kirche attraktiver machen könnte. Zack, das muss man so machen. Warum sind die anderen nur so langsam, so träge? Blöde Hausfrauen, dachte sie.
Die Bücher, all die Einsichten, die Neugierde ließen sie nicht mehr los - sie gönnte sich keine Verschnaufpause mehr. Und sie begann zu dozieren. Sie erzählte ihren Bekannten und Verwandten, was sie alles auf dem Kasten hat. Die empfanden sie zunehmend als abgedreht. "Ich war arrogant, hochnäsig, hatte eine Art Größenwahn, weil ich so voller Wissen, Kraft und Tatendrang steckte", sagt sie.
Wer sich den Neuronen-Stimulus nicht wie Westermann vom Rezept fürs eigene Kind abzweigen kann, versucht, ihn dem Arzt abzuschwatzen. Wohl oft erfolgreich: Laut einer aktuellen Analyse der ärztlichen Verschreibungen haben hilfreiche Doktoren offenbar mindestens mit jedem vierten Rezept für Mittel wie Ritalin oder Modafinil Möchtegern-Superfrauen und -männern zu ihrem Kick verholfen.
Dürfen Eltern ihre Kinder dopen?
Wie leichtfertig es - zumindest derzeit noch - ist, die Lizenz zum Hirndoping zu vergeben, das kann Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité, täglich in ihrem Sprechzimmer beobachten.
Einmal kam ein 22-jähriger Student der Betriebswirtschaftslehre in Heusers Sprechstunde. Als er zitternd vor ihr saß, hatte er schon sechs Monate Doping und einen Nervenzusammenbruch hinter sich. Der Student hatte tagsüber Ephedrin geschluckt, ein Aufputschmittel, um seine Bachelor-Prüfungen trotz eines Skiunfalls nach dem sechsten Semester abschließen zu können. Abends waren dann Alkohol und Schlafmittel nötig, um wieder runterzukommen. Seine Mutter, eine Allgemeinmedizinerin, habe dem Mann das Mittel verschrieben, erzählt Heuser.
Auch die Weltwirtschaftskrise hat schon Kundschaft zu Heuser getrieben. Ein Investmentbanker in feinem italienischem Tuch forderte Modafinil auf Rezept. "Der wollte die durch die Krise entstandenen Verluste ausgleichen und nun 18 statt der sonst üblichen 14 Stunden arbeiten", erzählt die Psychotherapeutin.
Heuser verteufelt das Neuro-Enhancement nicht. "Menschen wollen sich verbessern, das ist ein legitimer Anspruch", sagt die Wissenschaftlerin, "schließlich leben wir in einer Leistungsgesellschaft." Die Optimierung des Körpers ist längst akzeptiert. Warum sollte man nicht auch die Psyche perfektionieren? Eine schnelle Auffassungsgabe, gutes Erinnerungs- und Konzentrationsvermögen verschaffen möglicherweise den jobsichernden Vorteil in der modernen Arbeitswelt.

Kosmetik fürs Gedächtnis: Pille einwerfen, Überflieger sein
"Spätestens wenn die Medikamente keine Nebenwirkungen mehr haben, werden wir nicht darauf verzichten", prophezeit Reinhard Merkel, Rechtswissenschaftler an der Universität Hamburg. "Es rollt eine riesige Welle auf uns zu." Wie Galert und Heuser gehört Merkel zu dem Team der Wissenschaftler, das für die Bundesregierung die Folgen des Neuro-Tunings untersucht hat.
Der Jurist stellt Fragen, die demnächst beantwortet werden müssen: Dürfen Eltern ihre Kinder dopen? Soll es Kontrollen an Universitäten geben? Werden die Neuro-Enhancements irgendwann allen zugänglich sein? Oder vergrößert damit nur die Elite ihren ohnehin bestehenden Vorsprung? Wird es bald ein Wettrüsten der Nationen um das beste Dopingmittel geben? Wie kann sichergestellt werden, dass die Präparate nur auf freiwilliger Basis eingenommen und nicht von fordernden Chefs vorgeschrieben werden?
"Nature"-Manifest löste Kontroverse aus
Mit einer Art Manifest, erschienen in "Nature", wirbelten vor knapp einem Jahr sieben Forscher die akademische Welt durcheinander. Sie plädierten darin für eine "verantwortungsvolle Freigabe" der Psychomittel auch für Gesunde. Heute könne sowieso jeder, der das wolle und bezahlen könne, seinen Körper und das Hirn mit Medikamenten aufrüsten, hieß es dort. "Wir sollten neue Methoden begrüßen, die unsere Hirnfunktionen verbessern."
Was den Vorstoß besonders brisant machte, war die Tatsache, dass Koryphäen wie Michael Gazzaniga, 69, unter den "Nature"-Autoren waren. Der Hirnforscher arbeitet am Sage Center for the Study of the Mind und ist Mitglied des Bioethikrats des US-Präsidenten. Seine Botschaft: "Die Menschen benutzen eine ganze Reihe unnatürlicher Mittel, um Leistungen zu verbessern", deshalb solle der Arzt auch Präparate dieser Art verschreiben dürfen, "wenn jemand unter besonders großem Leistungsdruck steht".
Als "kleinen Skandal" empfindet Michael Soyka, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, das Manifest, er hielt "Nature" bisher für seriös, eine Instanz in der Forschung. "Das Ganze ist wirklich fürchterlich", schimpft er. Ein Tabubruch, ein Vorschlag gegen jede medizinische Ethik.
Soyka ist dagegen, die Tabletten freizugeben, er verabscheut die Forderungen seiner Wissenschaftskollegen. "Mir gefällt das Menschenbild dahinter nicht", sagt er. Schneller, besser, mehr, mehr, mehr. Es sei die Logik des Computerzeitalters, das Hirn der Menschen halte nicht mehr mit. "Es geht nur noch um Durchhalten und mehr Power." Warum verschreiben Ärzte keine Arbeitspausen?
"Die Mittel sind kein Kaugummi"
"Gewiss, die Mittel sind kein Kaugummi", räumt Martha Farah von der University of Pennsylvania ein, die den Aufruf mit unterzeichnet hat. "Andererseits gibt es Schlimmeres: Rauchen etwa."
Und was ist mit dem Vorwurf, Gehirndoping führe zu einem unfairen Wettbewerb? Das kann man genau andersherum sehen, finden die Gelehrten um Farah. An Chancengleichheit mangele es ohnehin: Studenten, die sich einen privaten Tutor leisten können, seien gegenüber ärmeren Kommilitonen im Vorteil. Die Drogen fürs Gehirn, argumentieren die Forscher, könnten diesen Ungerechtigkeiten sogar entgegenwirken - man müsse die Mittel einfach allen Prüflingen kostenlos zur Verfügung stellen.
Tatsächlich könnte das Dopen ganzer Klassen und Absolventenjahrgänge zu einer beispiellosen Gleichmacherei führen, wie neurowissenschaftliche Untersuchungen andeuten: Bei mittelmäßigen Studenten führen die Mittel nämlich zu vergleichsweise großen Verbesserungen. Überdurchschnittliche Hochschüler spüren nur kleine Effekte.
Mathias Berger, Ärztlicher Direktor der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie des Uni-Klinikums Freiburg, beobachtet mit Verwunderung, wie schnell der Markt für die "Kosmetik der grauen Zellen" wächst. Er sieht ein Phänomen, das "in dieser Form dem Doping in Sportstudios vergleichbar werden wird": Obwohl so wenig bekannt sei über die Risiken und Nebenwirkungen, werde das Zeug "insbesondere unter College-Studenten bedingungslos geschluckt".
Vielen Konsumenten erschienen die Nebenwirkungen zunächst auch gering. Aber diese Medikamente, erklärt Berger, veränderten "die Verarbeitung der Informationen im Gehirn". Und: "Die Auswirkungen auf die Persönlichkeit eines Menschen, der sich für Erfolge nicht mehr sehr anstrengen muss, sind nicht absehbar." Auch der Druck auf ältere Arbeitnehmer, ihr Gehirn aufzupeppen, werde "sicher extrem steigen", prophezeit Berger, sobald deren geistige Frische nachlasse.
Zusammenbruch nach drei Jahren unter Ritalin
Maria Westermann hatte nach zwei Jahren unter Ritalin den Höhepunkt ihrer Gehirnleistung erreicht. Sie nahm bis zu 18 Tabletten am Tag. Sie begann zu zittern und hatte ständig Kopfschmerzen. Als schlimmer noch empfand sie aber, dass sie trotz steigender Dosen ihre grandiose Konzentrationsfähigkeit nicht mehr erreichen konnte. Es ging jetzt bergab.
Bald merkte sie, dass sie die Fähigkeit einbüßte, sich auf mehrere Dinge gleichzeitig einzulassen. Hatte sie sich in eines ihrer Projekte vergraben, konnten die Kinder noch so viel maulen. "Die waren dann nur noch Störfaktoren für mich", sagt sie, "ich habe wie in einem Tunnel gelebt und hatte nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei."
Westermann veränderte sich. Sie war leicht reizbar, und "an manchen Tagen hasste ich mich selbst". Schlau sei sie zwar gewesen, erzählt ihr Mann, aber ihr "gesunder Menschenverstand" war verlorengegangen: "Das war nicht mehr die Frau, die ich geheiratet hatte."
Das vollgestopfte Gehirn von Maria Westermann geriet immer öfter in Konflikt mit den Anforderungen des Alltags. Aus jeder Bemerkung ihres Mannes leitete sie eine Verschwörung ab. Erzählte er von einem Gespräch mit einer Mitarbeiterin, so vermutete sie eine Liebschaft dahinter. Berichtete er von Problemen der Kinder, so vermutete sie, ihr Mann wolle ihr die Söhne entziehen. "Alles, was ich mir ausdachte, ergab einen Sinn", sagt sie. Die Ehe wurde zur Hölle.
Erst im Mai 2008, über drei Jahr nach der Einnahme der ersten Tablette Ritalin, sah Westermann ein, dass sie Hilfe brauchte. Sie ließ sich in einer Klinik für Suchtkranke aufnehmen. Alkoholiker, Tablettenabhängige, Kokainsüchtige, Ausgebrannte. "Das war wie eine Hinrichtung", sagt sie, "ich war auf dem Abstellgleis angekommen."
Für Götz Mundle, Chefarzt der Oberberg-Klinik im Schwarzwald, war Maria Westermann der erste Fall einer Gehirngedopten. Gewundert hat er sich dennoch nicht über das spezielle Drama seiner Patientin. "Je mehr Gas der Mensch gibt, desto mehr innere Verankerung braucht er auch", sagt der Psychiater.
Die neue Medikamentengeneration hält er nicht per se für etwas Teuflisches. Nicht die Präparate seien das Problem, sondern der Umgang mit den neuen Herausforderungen der Arbeitswelt. Menschen brauchten eine Balance zwischen äußeren Anforderungen und innerer Ruhe. "Wer seine Potentiale kennt und zu entwickeln weiß, ist auf diese Medikamente nicht angewiesen", sagt Mundle.
Maria Westermann blieb acht Wochen in Mundles Suchtklinik. Ritalin, sagt sie, habe sie in unbekannte Sphären gehoben, aber in Erinnerung ist ihr besonders die "dunkle Zeit" geblieben, die Tage, in denen "ich wie durch einen dichten Nebel gegangen bin".
*Name geändert