SPIEGEL-Gespräch "Freiheit ist ein verkrüppelter Begriff"

US-Literaten Franzen und Haslett: "Obama rettet das System"
SPIEGEL: Mr. Haslett, Sie haben 1991 einen Creative-Writing-Kurs am Swarthmore College bei Philadelphia besucht. Ihr Lehrer war Jonathan Franzen, mit dem Sie inzwischen befreundet sind. Was haben Sie von ihm gelernt?
Haslett: Dass Schreiben totale Hingabe erfordert.
Franzen: In erster Linie habe ich den Leuten geraten, die Finger von der Schriftstellerei zu lassen.
SPIEGEL: Warum?
Franzen: Weil ein Schriftstellerdasein kein wirkliches Leben ist. Adam Haslett hat damals die beste Kurzgeschichte geschrieben und den Preis dafür von David Foster Wallace überreicht bekommen, der zum ersten Mal aus seinem Originalmanuskript von "Unendlicher Spaß" gelesen hat.
SPIEGEL: Wallace hat sich 2008 umgebracht. Ist Schreiben lebensgefährlich? Wallace sah sich offenbar vor die Alternative gestellt, Antidepressiva zu nehmen oder produktiv zu bleiben. Er hat sich fürs Schreiben entschieden.
Franzen: Es war ein bisschen komplizierter. Seit seiner Teenagerzeit war er drogenabhängig, und er war ein schlechter Patient. Und dann hat er mehr und mehr nach absoluter Reinheit gesucht, er wollte der abstinente Alkoholiker schlechthin sein. Ich sagte ihm, dass es wahnsinnig sei, ohne alles auszukommen, doch er wollte rein bleiben, und natürlich gibt es keine höhere Form der Reinheit als den Tod.
SPIEGEL: Sie, Mr. Haslett und Mr. Franzen, entwerfen in Ihren Büchern große Gesellschaftspanoramen, und zwar mit den literarischen Mitteln des Realismus. Geht so was überhaupt noch?
Franzen: Ja. In der Literatur ist es etwas anderes als in der bildenden Kunst. Dort gibt es abstrakte oder figurative Formen. Ich gehöre nicht zu den Autoren, die sich mehr für die Form als für den Inhalt interessieren. Und Adam sicherlich auch nicht.
SPIEGEL: Mr. Haslett, in Ihrem Roman "Union Atlantic" beschreiben Sie eine Bank, die sich bei Börsengeschäften verhoben hat, aber zu groß ist, als dass es sich der Staat leisten könnte, sie pleitegehen zu lassen. Kurz nachdem Sie das Manuskript bei Ihrem Verlag abgegeben hatten, geschah genau dies: Der Staat stützte mit Hunderten von Milliarden ein System, das uns sonst um die Ohren geflogen wäre.
Haslett: Die Aufgabe eines Romanciers ist es, sich die Wirklichkeit genau anzuschauen. Zwei Entwicklungen hat es in den vergangenen zehn Jahren in den USA gegeben: eine enorme Militarisierung sowie eine Ausdehnung des Finanzsektors - er hat 40 Prozent der Unternehmensgewinne erwirtschaftet -, und die Folge war eine allgemein spürbare Ohnmacht jedes Einzelnen angesichts der Tatsache, dass das System mächtiger ist als jeder, der es zu regulieren versucht, der Kapitalismus also mächtiger erscheint als jede Regierung. Unser Leben wird von Mechanismen und Institutionen bestimmt, die wir weder kennen noch durchschauen. Ein Zentralbanker verändert einen Dezimalpunkt bei den Zinsen, und am Ende verliert jemand seinen Job. Das alles war deutlich zu spüren.
Franzen: Vor allem hat sich Adam nicht von dem Hype beeindrucken lassen, der um diese Blase gemacht wurde. Das ist eine große Leistung.
SPIEGEL: Ist es nicht erstaunlich, wie schnell sich die Banken wieder erholt haben? Und wie schnell sie wieder Boni ausschütten?
Haslett: Das liegt daran, dass die Zentralbank den Markt mit billigem Geld flutet. Der Chef unserer Notenbank hat seine Dissertation über die Große Depression geschrieben, über die Politik des knappen Geldes. Die hat damals versagt. Jetzt macht er das Gegenteil, und die Banker fahren enorme Gewinne ein.
Franzen: Der Dow Jones ist seit März 2009 um 60 Prozent gestiegen, das ist der heißeste Bullenmarkt, an den ich mich erinnern kann.
SPIEGEL: Empört Sie das?
Franzen: Wenn man in New York lebt, spürt man natürlich, wie die Wirtschaft dieser Stadt davon profitiert, weil viel von diesem Geld in Manhattan bleibt. Aber es ist sehr entmutigend zu sehen, wie sich die Plutokraten der Finanzwirtschaft selbst versorgen. Und es ist auch merkwürdig, wenn ausgerechnet Obama, der Mann, der den Wechsel wollte, erst einmal das System stabilisiert und das Bankensystem rettet.
SPIEGEL: Sind Sie enttäuscht von Obama?
Haslett: Nein. Unter Bush war jede Entscheidung ideologisch grundiert. Wir steckten so tief drin im rechten Sumpf und ritten uns jeden Tag tiefer hinein, dass ich nun schon erleichtert bin, weil es aus diesem Loch wieder herausgeht. Und Obama ist sprachmächtig, das ist der Hauptunterschied, ein guter Stilist. Bush hat sich darin gefallen, Sprache zu zertrümmern und als Mittel der Politik unbrauchbar zu machen. Das hat den öffentlichen Diskurs in unserem Land zerstört.
Franzen: Nach hauchdünnen Wahlsiegen haben die Republikaner das Land vergewaltigt und ausgeplündert, und schauen Sie sich jetzt diesen jämmerlichen Scherbenhaufen an.
SPIEGEL: Mr. Franzen, in diesem Jahr erscheint in den USA und in Deutschland Ihr neuer Roman. Er heißt "Freedom", Freiheit. Ist das ein bissiger Kommentar auf die Bush-Ära?
Franzen: Ich kann nur hoffen, dass jeder die Ironie sofort versteht. "Freiheit" ist der am häufigsten missbrauchte Begriff der Bush-Jahre. Er ist vergiftet, ist ein Krüppel.
SPIEGEL: Kein Wort in der amerikanischen Geschichte hat eine stolzere Tradition. Heutzutage, sagten Sie kürzlich, verstünden viele unter Freiheit nur noch, zwischen Pepsi und Coca-Cola wählen zu dürfen. Was bedeutet Freiheit für Sie?
Haslett: Für die Antwort hat Jonathan 600 Seiten aufgewendet.
Franzen: Genau, deswegen würde ich mich gern vor dieser Frage drücken. Der Roman ist gerade erst zu Ende geschrieben, ich bin noch nicht in der Lage zu einer präzisen, knappen Antwort.
"Ich schieße ein ganzes Magazin an Anspannung und Aufmerksamkeit leer."

US-Literaten Franzen und Haslett: "Obama rettet das System"
SPIEGEL: Worum geht es in dem Roman?
Franzen: Eigentlich ist es die Geschichte einer 30-jährigen Ehe. Aber der Roman spielt vor allem im Jahr 2004, dem Jahr nach der Invasion im Irak, als die USA von einer negativen Energie erfasst wurden und in Freund-Feind-Schemata gefangen waren. Freiheit ist ein problematischer Begriff. Ist es etwa Freiheit, wenn es im Irak keine Wasserversorgung gibt und Kinder auf der Straße erschossen werden?
SPIEGEL: Mr. Franzen, aber welche Freiheit meinen Sie denn?
Franzen: Mir geht es um innere Unabhängigkeit, um Unabhängigkeit von Ideologien, von Konsum. Ich habe die 13 Monate, in denen ich meinen Roman geschrieben habe - an sieben Tagen in der Woche, um genau zu sein -, als eine ungewöhnliche Zeit der Freiheit erfahren. Diese eine Aufgabe zu verfolgen und von ihr besessen zu sein, ich meine, um zwei, um vier, um sechs Uhr morgens zu arbeiten, wie ich es gerade eben will - das ist meine Idee von Freiheit. Wenn ich schreibe, klebe ich bei mir zu Hause die Fenster zu und schaffe mir eine Dunkelkammer. Ich mag es beim Arbeiten dunkel, kühl und still.
SPIEGEL: Ein Hochsicherheitstrakt?
Franzen: Ich habe tatsächlich mal in Colorado einen Hochsicherheitstrakt besucht. Mein erster Gedanke war: was für ein großartiger Ort zum Schreiben. An einen Roman angekettet zu sein, das ist meine Idee von Freiheit. Noch mehr als das: Es ist Glück. Und wenn ich zwischendurch hinaus in die Natur kann, um Vögel zu beobachten, dann ist es perfekt.
SPIEGEL: Wann haben Sie das letzte Mal Vögel beobachtet?
Franzen: Heute. Ich habe eine Dohle gesehen. Dohlen haben diese lustigen hohen Stimmen. Im vergangenen Oktober habe ich ein paar Tage auf Cape Cod verbracht, um die letzten erzählerischen Probleme meines neuen Romans zu lösen. Ich hatte also den ganzen Morgen an diesem Romanknochen herumgekaut, ohne Ergebnis, und konnte es kaum erwarten, nachmittags in den Wald zu gehen. Die Liebe zur Natur ist ein Privileg. Ich habe, bis "Die Korrekturen" erschienen sind, in einem kleinen Apartment gewohnt und darum gekämpft, mich als Schriftsteller über Wasser zu halten. Und plötzlich hatte ich die Freizeit und das Geld, für mich die Natur zu entdecken.
SPIEGEL: Ist das eine Art Meditation?
Franzen: Das trifft es nicht genau. Wenn ich nach einem bestimmten Vogel Ausschau halte, laufe ich meilenweit, um ihn zu finden. Es ist eher so etwas wie Maschinengewehr-Zen. Ich schieße ein ganzes Magazin an Anspannung und Aufmerksamkeit leer. 5000 Kugeln pro Minute.
SPIEGEL: Sie beide haben in Ihren Büchern über eine Gesellschaft im Zerfall geschrieben. In den "Korrekturen", Mr. Franzen, scheint Familie eine erstickende Angelegenheit zu sein, während bei Ihnen, Mr. Haslett, Familie nur noch in der zerbrochenen Form vorkommt.
Franzen: Ich weiß nicht, ob ich wirklich Erstickungen beschrieben habe. Aber Adam beschreibt ganz sicher sogenannte dysfunktionale Familien.
Haslett: Viele der Familien in meinen Texten erleben den Tod des Vaters oder der Mutter oder eines der Geschwister. Aber die Liebe und der Wunsch nach Nähe werden danach sogar stärker. Das klappt nicht immer, aber in der Literatur geht es ja meistens nicht darum, dass etwas klappt.
Franzen: Ich bin in einer sehr liebevollen und umsorgenden Familie aufgewachsen. Familie war für mich die erste bedeutsame Erfahrung.
SPIEGEL: Aber "Die Korrekturen" erzählen von der Familie als einem Schlachtfeld.
Franzen: Das ist im neuen Buch nicht anders. Familie bedeutet ein ständiges Kräftemessen, besonders unter den Geschwistern. Ich bin bei uns der Jüngste gewesen, aber unglaublich darauf aus, mich mit anderen zu messen. Spielen Sie mal Karten mit mir. Bisweilen erschrecke ich über meine eigene Wettbewerbsbereitschaft. Und das berührt natürlich auch meine Gedanken über Freiheit. Unser System der freien Marktwirtschaft ist geradezu auf Wettbewerb gegründet. Es belohnt diejenigen, die sich auf diesem Feld bewähren. Gleichzeitig engagiere ich mich für soziale Projekte, die das nicht unbedingt befürworten.
SPIEGEL: In Hasletts Buch scheint das Fehlen von Familie einen Mangel an gesellschaftlicher Solidarität zu begründen. Hat die Auflösung unserer Gesellschaft mit dem Ende der Familien zu tun?
Haslett: Das ist eine komplizierte Frage, und zwar deshalb, weil diese Frage in den vergangenen 20 Jahren politisch instrumentalisiert wurde. Die religiöse Rechte beispielsweise hat den Begriff Familie missbraucht, um eine ganze Reihe anderer Themen abzuhandeln, die Rechte von Frauen oder Homosexuellen etwa. Auf der anderen Seite gibt es einen Preis, den wir zahlen müssen für die extreme Karriereorientiertheit, den extremen Individualismus, den unsere Gesellschaft fördert. Menschen, die sich über lange Zeit lieben, sind besser dran. Sie blühen auf. Und es ist gut für die Gesundheit.
Franzen: Ich glaube übrigens nicht, dass die Familie in den USA immer mehr zu einer dysfunktionalen Familie geworden ist. Die jungen Leute, die ich kenne und die in ihren Zwanzigern sind, haben ein besseres Verhältnis zu ihren Eltern, als wir es hatten. Viele von ihnen leben noch zu Hause.
"Wir gebrauchen Sprache, um in die Köpfe und Herzen zu dringen."

US-Literaten Franzen und Haslett: "Obama rettet das System"
Haslett: Aus wirtschaftlichen Gründen.
Franzen: Meinetwegen. Aber ich hätte, als ich 17 war, lieber in einem Zelt gelebt als zu Hause.
SPIEGEL: Wann sind Sie weggegangen?
Franzen: Mit knapp 18. Wann immer ich länger als fünf Tage zu Hause sein musste, wurde es ziemlich unerträglich. Heute ist das anders, auch weil sich die Konsumgewohnheiten verändert haben und der Computer einem die Möglichkeit gibt, sich in Parallelwelten zu flüchten.
Haslett: Familie ist eine Art Hafen in einer herzlosen Welt, um einen berühmten Ausdruck von Christopher Lasch aus den Siebzigern zu bemühen, der kleine Trupp, den man gegen die feindliche Armee mobilisieren kann.
SPIEGEL: Schreiben Sie, um den Leser zu berühren, vielleicht zu verändern?
Franzen: Nicht unbedingt zu verändern, aber ganz sicher möchte ich den Leser berühren, so wie ich selbst berührt werde, wenn ich lese.
Haslett: Für mich liegt das Hauptziel der schriftstellerischen Arbeit nicht darin, Hindernisse oder Widerstände einzubauen und dabei dauernd mit einem Augenzwinkern die eigenen Mittel zu reflektieren. Allerdings ist das mittlerweile fast Mainstream, kommerzielle Kultur.
SPIEGEL: Sie meinen, permanent Dinge ironisch zu brechen?
Haslett: Genau, die Werbeagenturen und deren Kunden, die sich mit solchen Manipulationen vergnügen, führen das bis zum Exzess vor. Mir liegt nicht daran, diese Haltung zu verdoppeln.
SPIEGEL: Dann ist also das realistische Erzählen eine Haltung des Widerstands?
Haslett: Zumindest schafft es Schlupflöcher von Sinn, wo wir den Kontakt zu unseren Erfahrungen längst verloren haben. Das Problem mit dem Begriff Realismus ist, dass er so rückwärtsgewandt klingt. Wir gebrauchen Sprache, um in die Köpfe und Herzen zu dringen. Aber weder Jonathans noch meine Prosa wären denkbar ohne die literarische Postmoderne, ohne Wallace oder Pynchon und andere.
SPIEGEL: Der Romancier von heute hat mit einem anderen Leser zu rechnen als der vor hundert Jahren. Er ist sehr viel zerstreuter.
Franzen: Das ist richtig. Adam hat vorhin über die Familie als Hafen in einer herzlosen Welt gesprochen. Ich würde den Roman als Hafen in einer zerstreuten Welt bezeichnen. Ein freundlicher Hafen. Ein fesselnder Hafen. Einer, der dich deine E-Mails und das Internet und die Einkaufslisten vergessen lässt.
SPIEGEL: Mr. Franzen, Sie wollen Karl Kraus übersetzen und auf den amerikanischen Markt bringen. Kraus war eine Ein-Mann-Armee des Fin de Siècle gegen den Zeitgeist. Was interessiert Sie an ihm?
Franzen: Kraus ist ein Autor für zornige junge Leute. Ich habe ihn zum ersten Mal gelesen, als ich 1980 und 1982 in Berlin und München studierte. Ich hatte meine marxistische Phase hinter mir, las Adorno und seine Kritik an der Massenkultur, und dann war da Karl Kraus. Er malte die Welt in Schwarz und Weiß, und ich, mit 23, malte die Welt in Schwarz und Weiß. Und ich verliebte mich in seine Sprache.
SPIEGEL: Sie übersetzen derzeit Kraus' Essay "Heine und die Folgen". Es ist wahrscheinlich der unfairste Artikel von Karl Kraus, er beklagt, dass Heine der deutschen Sprache "das Mieder gelockert hat" - obwohl wahrscheinlich genau dies Heines größtes Verdienst war. Die deutsche Sprache war im Marmorhauch der Klassiker erstarrt.
Franzen: Ich würde nicht alles verteidigen, was Kraus in seinem Essay geschrieben hat. Und sicher ging es da auch um Rivalität: Der eine große jüdische Polemiker trat gegen den anderen an. Aber seine Skepsis gegenüber der unheiligen Allianz von Kommerz und Technologie, ganz besonders der Medien, ist nach wie vor sehr überzeugend. Vor allem war er eine Einzelstimme gegen den Ersten Weltkrieg im Wien der k. u. k. Monarchie, er war ein Krieger gegen den Krieg, und er war einer der Ersten, der vor Hitler gewarnt hat, bereits 1933. Das sind zwei Positionen, die bereits ausreichen, um ihn noch heute mit Gewinn zu lesen
SPIEGEL: Gibt es eine vergleichbare Figur in der amerikanischen Literatur?
Franzen: Bei uns käme vielleicht, als Sprachkritiker, H. L. Mencken in Frage. Aber er war milder. Alles ist bei uns ein bisschen milder.
Haslett: Bei uns ist die Rolle der Schriftsteller eine andere. Sie ist weniger politisch. Vielleicht war sie es mal in den dreißiger Jahren, zu Zeiten von Dos Passos oder Steinbeck.
Franzen: Die waren beide Romanciers, was Karl Kraus eben genau nicht war. Sie versteckten ihre Kritik in Romanen. Nein, im Sinne einer großen, analytisch-scharfen, kämpferischen Stimme haben wir so jemanden nicht.
SPIEGEL: Wer ist der größte lebende amerikanische Autor?
Franzen: Da möchte ich mich jetzt weit aus dem Fenster lehnen und sagen: Alice Munro. Sie ist allerdings Kanadierin.
Haslett: Ich würde sagen - Philip Roth.
SPIEGEL: Ist es ein Skandal, dass er den Nobelpreis noch nicht bekommen hat?
Franzen: Der Skandal ist, dass ihn Alice Munro nicht gekriegt hat, die noch bedeutender ist als Philip Roth. Als Autorin von Shortstorys ist sie seit über 40 Jahren im Geschäft und auf der Höhe ihres Könnens. Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.
SPIEGEL: Was sagen Sie zu der Bemerkung eines Mitglieds der Schwedischen Akademie, dass die amerikanische Literatur zu abgekoppelt von der Weltliteratur sei?
Franzen: Da würde ich eher sagen, dass die Beurteilung der Schwedischen Akademie abgekoppelt ist von dieser Welt.
SPIEGEL: Ian McEwan meinte, seit John Updikes Tod habe die US-Literatur eigentlich nur noch Philip Roth aufzuweisen, der Rest sei zu vernachlässigen.
Franzen: Das wirft die Frage auf, wann es den letzten großen britischen Romanautor gegeben hat. Ich weiß, dass Joseph Conrad einer war. Und Henry Green war einer.
Haslett: In Europa und ganz sicher in England gibt es diese sportiven Duelle unter Intellektuellen, wie zum Beispiel zwischen Naipaul und Theroux, die sich öffentlich beschimpften. Wir in den Staaten haben so etwas nicht. Bei einer gemeinsamen Lesung mit Norman Mailer erinnerte ich mich, dass er einmal in einer amerikanischen Fernsehsendung Gore Vidal als einen eiskalten Schriftsteller beschimpft hatte: Vidal habe keine Wunden, man brauche aber Wunden, um ein großer Autor zu werden. Ich habe Mailer gefragt: Was meinten Sie damals damit? Mailer rollte die Augen und sagte: "Gar nichts, ich dachte nur, das hört sich witzig an."
SPIEGEL: Mr. Franzen, Mr. Haslett, wir danken Ihnen für dieses Gespräch
Das Interview führte SPIEGEL-Redakteur Matthias Matussek in Tübingen