Währung "Jetzt haben wir den Salat"

Ex-Bundesbanker Pöhl: "Natürlich hätte es Alternativen gegeben"
Foto: Oliver_Stratmann/ picture-alliance / dpaSPIEGEL: Herr Pöhl, legen Sie Ihr Geld noch in Euro an, oder ist Ihnen die Gemeinschaftswährung mittlerweile zu unsicher geworden?
Pöhl: Noch habe ich Geld im Euro, aber Ihre Frage ist berechtigt. Es besteht jedenfalls die Gefahr, dass der Euro eine Schwachwährung wird.
SPIEGEL: Der Kurs zum Dollar ist jedenfalls immer noch bei rund 1,25. Wo ist das Problem?
Pöhl: Die Geschäftsgrundlage des Euro hat sich fundamental verändert, nachdem sich die Regierungen der zu einem gegenseitigen Haftungsverbund entschlossen haben. Das ist ein Verstoß gegen alle Regeln. Es steht ausdrücklich im Vertrag über die Arbeitsweise der EU, dass kein Staat für die Schulden eines anderen haftet. Was wir jetzt tun, ist genau dies. Dazu kommt, dass die entgegen allen Schwüren und gegen das ausdrückliche Verbot in ihrer Satzung nun auch noch in die Staatsfinanzierung eingestiegen ist. Auch das wird selbstverständlich Auswirkungen haben.
SPIEGEL: Was wird passieren?
Pöhl: Der Euro hat bereits gegenüber einer ganzen Reihe von Währungen an Wert verloren. Dieser Trend kann sich fortsetzen, weil wir nun quasi eine Garantie abgeben für eine ganze Reihe von Schwachwährungen, die nie im Euro hätten aufgehen dürfen.
SPIEGEL: Die Bundesregierung versichert, dass sowohl das Rettungspaket für wie auch das für die übrigen Staaten alternativlos waren.
Pöhl: Ich glaube das nicht. Natürlich hätte es Alternativen gegeben. Zum Beispiel hätte man Griechenland nie in die Euro-Zone aufnehmen dürfen.
SPIEGEL: Das mag sein. Aber dieser Fehler ist schon vor Jahren gemacht worden.
Pöhl: Dennoch war es ein Fehler, das ist ganz eindeutig. Auch hätte ich erwartet, dass die Kommission und die EZB viel früher eingreifen. Es hätte ihnen auffallen müssen, dass ein kleines, ein winziges Land wie Griechenland, noch dazu ohne industrielle Basis, niemals in der Lage sein wird, 300 Milliarden Euro Schulden zurückzuzahlen.
SPIEGEL: Nach der sogenannten Rettung sind es sogar 350 Milliarden Euro...
Pöhl: ... die das Land noch viel weniger abbauen kann. Ohne einen "haircut", also einen teilweisen Forderungsverzicht, wird und kann das nicht gehen. Warum also nicht gleich? Das wäre auch die Alternative gewesen. Die hätte schon vor einem halben Jahr oder noch früher verkünden müssen, dass die Schulden Griechenlands nun restrukturiert werden.
SPIEGEL: Dann aber, so argumentiert die Bundeskanzlerin, wäre es zu Dominoeffekten gekommen.
Pöhl: Das glaube ich nicht. Ich glaube, es ging um etwas ganz anderes.
SPIEGEL: Nämlich?
Pöhl: Es ging darum, die deutschen, vor allem aber die französischen Banken vor Abschreibungen zu bewahren. Französischen Bankaktien sind am Tag, als das Paket verabschiedet wurde, um bis zu 24 Prozent gestiegen. Daran sieht man, worum es wirklich geht, nämlich um die Rettung der Banken und der reichen Griechen.
SPIEGEL: Hätte es jetzt, in dieser Krisensituation, in der Hektik der Marktturbulenzen tatsächlich eine Möglichkeit gegeben, die Gläubiger dieser Staaten an den Kosten der Rettung zu beteiligen?
Pöhl: Ich glaube schon. Man hätte die Schulden um ein Drittel zusammenstreichen können. Und die Banken hätten ihre Papiere dann eben um ein Drittel abschreiben müssen.
SPIEGEL: Die Investoren, so die Befürchtung, hätten auf Jahre keine griechischen Anleihen mehr angefasst - und möglicherweise auch keine von anderen südeuropäischen Staaten.
Pöhl: Ich glaube, das Gegenteil wäre der Fall gewesen. Die Investoren hätten schnell gesehen, dass Griechenland sein Schuldenproblem auf diese Weise in den Griff bekommt. Und deshalb hätten sie schnell wieder Vertrauen gefasst. Aber das ist ja nun vorbei. Jetzt haben wir den Salat.
SPIEGEL: Wie ist es eigentlich möglich, dass das Fundament des Euro quasi über Nacht preisgegeben wird?
Pöhl: Das ist in der Tat in einem Federstrich passiert, auch im Bundestag. Da wird nur auf die Spekulanten geschimpft, und schon scheint alles möglich.
"Der ganze Mechanismus der europäischen Gemeinschaft wird sich ändern"
SPIEGEL: Sie glauben nicht an die so oft zitierte Attacke der Zocker, Glücksritter und Spekulanten?
Pöhl: Nein, das sind doch weit überwiegend ganz ehrenwerte Institutionen, also Banken, aber auch Versicherungen, Investment- und Pensionsfonds, die die Situation ausnutzen. Das ist doch ganz klar. Dafür ist der Markt doch da.
SPIEGEL: Wie bitte? Pensionsfonds sind dafür da, mit hochspekulativen Schuldtiteln zu spekulieren?
Pöhl: Nein, sie sind dafür da, das Geld ihrer Anleger möglichst sicher anzulegen. Und wenn sich die Bonität eines Schuldners verschlechtert, weil er über Jahre hinweg über seine Verhältnisse lebt, dann ist es völlig rational, dass diese Institutionen die Bonds abstoßen - gerade weil sie zu unsicher werden. Und dann kaufen sie andere Investoren, zu einem niedrigeren Preis. Die erhalten dann eine höhere Rendite - haben aber auch ein höheres Risiko. Das ist ganz normales Marktgeschehen.
SPIEGEL: Mit der Ausnahme, dass die Zocker jetzt eben gar kein Risiko tragen, weil die Euro-Länder sich entschlossen haben, für Griechenland zu bürgen.
Pöhl: Ja, und das ist schädlich. Da stimmt die Grundgleichung der Marktwirtschaft nicht mehr.
SPIEGEL: Kann es sein, dass die Politik den angeblichen Angriff der Spekulanten nur erfunden hat, um eine Legitimation für den Bruch des und die EZB-Satzung zu haben?
Pöhl: Natürlich, das ist möglich. Es ist sogar plausibel.
SPIEGEL: Was sind die politischen Auswirkungen der Krise?
Pöhl: Der ganze Mechanismus der europäischen Gemeinschaft wird sich ändern. Die EU ist ja ein Staatenbund - und kein Bundesstaat. Jetzt jedoch wird die EU-Kommission sehr viel mehr Befugnisse und Macht erhalten, haushaltsrechtliche Eingriffsmöglichkeiten und Ähnliches. Das aber ist wiederum verfassungsrechtlich in Deutschland äußerst problematisch.
SPIEGEL: Aber eigentlich ist das doch eine gute Entwicklung. Es wurde ja immer kritisiert, dass vor der Einführung einer Gemeinschaftswährung eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik stehen müsste. Dem Ziel jedenfalls kommen wir einen Schritt näher.
Pöhl: Ja, das ist die logische Weiterentwicklung dieser Gemeinschaft, aber eben zu unseren Lasten. Sie müssen ja sehen, was uns Deutsche das alles kosten wird. Mir wäre es jedenfalls lieber gewesen, wenn es gar nicht so weit gekommen wäre.
SPIEGEL: Früher haben sich die Bundesbanker vehement gegen Eingriffe der Politik gewehrt, zum Beispiel als die Regierung auf die Goldvorräte zugreifen wollte. Jetzt geht es um weit schlimme-re Tabubrüche. Warum bleibt der Aufschrei aus?
Pöhl: Bundesbank-Präsident steckt in einer Zwickmühle. Er hat ja massiv vor so einer Entwicklung gewarnt, und er tut dies immer noch. Aber es ist natürlich schwer, dies gegen die politische Mehrheit zu tun...
SPIEGEL: ... zumal er EZB-Präsident werden will und deshalb auf die Politik angewiesen ist.
Pöhl: Das spielt vielleicht auch eine Rolle.
SPIEGEL: Im Vorfeld der deutsch-deutschen Währungsunion im Jahre 1990 wurde der Satz geprägt: Was ökonomisch falsch ist, kann politisch nicht richtig sein. Ist das Rettungsprogramm für die schwächelnden Euro-Staaten sinnvoll?
Pöhl: Das kommt darauf an, was Sie erreichen wollen. Wenn es lediglich darum geht, die Märkte kurzfristig zu beruhigen, dann ja. Aber das kann ja nicht der einzige Grund sein.
SPIEGEL: Sie meinen, die Nebenwirkungen sind zu groß?
Pöhl: Auf alle Fälle. Stellen Sie sich doch nur mal vor, wir würden in Anspruch genommen. Deutschland müsste zig Milliarden zahlen, das ist doch fürchterlich. Und es kann dazu führen, dass der Euro zu einer Schwachwährung wird.
SPIEGEL: Wenn Sie heute noch Bundesbank-Präsident wären, würden Sie dann wieder D-Mark drucken lassen, sozusagen auf Vorrat für den - unwahrscheinlichen - Notfall?
Pöhl: Nein, nein, so weit sind wir noch nicht. Der Euro ist in meinen Augen nicht gefährdet. Vielleicht muss das eine oder andere kleinere Land ausscheiden aus dem Pakt...
SPIEGEL: Wie soll das gehen?
Pöhl: Indem Griechenland, um bei diesem Fall zu bleiben, beispielsweise die Drachme wieder einführt.
SPIEGEL: Daran aber hat das Land kein Interesse, und zum Ausscheiden zwingen kann man es laut den Europäischen Verträgen nicht.
Pöhl: Das ist richtig. Solange ein Land so massiv gestützt wird, hat es natürlich kein Interesse daran.
SPIEGEL: Sie meinen, das könnte sich ändern?
Pöhl: Ich würde das mittel- oder langfristig nicht ausschließen.