
Banken Der ehrbare Trickser
Die Szene erinnert ein wenig an den berühmten Sketch von Loriot, den mit der Nudel.
, Leiter der zweitgrößten Bank Deutschlands, erscheint zur Filialvisite in Kiel. Die Mitarbeiter erwarten ihn - und erstarren: Der Boss hat einen riesigen Kaffeefleck auf dem Hemd.
Wie sollen sie jetzt reagieren?
Die meisten gehen auf Nummer sicher und tun so, als wäre nichts. Ein Ehrgeizling fragt verschwörerisch, ob er mit dem Chef schnell zu Peek & Cloppenburg gehen solle, ein frisches Hemd holen. Blessing winkt ab. Souverän reagiert der Leiter der Commerzbank-Regionalfiliale. Mit einem amüsierten Seitenblick auf den besudelten Stoff fragt er: "Mir scheint, Sie brauchen noch einen Kaffee?"
Blessing lacht. So mag er seine Leute: eher schlagfertig als in Ehrfurcht erstarrend.
Schuld an seinem Missgeschick sei ein Schlagloch, erzählt der 46-jährige Vorstandsvorsitzende. Gleich nach dem Verlassen der Frühmaschine aus Frankfurt am Main hatte er sich einen Coffee-to-go im Pappbecher gegriffen, und in der Limousine passierte dann das Malheur.
So etwas kommt vor, wenn der Staat die Straßenschäden nicht mehr reparieren kann, weil er mit Steuergeld die Milliardenlöcher maroder Banken stopfen muss. Banken wie Martin Blessings .
Groß und stark wollte die traditionelle Mittelstandsbank einst werden, so groß, dass niemand sie einfach übernehmen kann. Deshalb ging der damalige Vorstandssprecher Klaus-Peter Müller auf Einkaufstour. 2005 erstand er den Immobilien- und Staatsfinanzierer Eurohypo - es sollte der erste Schritt in Richtung Abgrund werden. Dann warf er ein Auge auf die Dresdner Bank, die nicht heimisch wurde unter dem Dach des Versicherungsriesen Allianz. Müller schickte seinen Lieblingsvorstand, die Übernahme vorzubereiten: Martin Blessing.
Verlieren ist nicht die Welt des Martin Blessing
Ende August 2008 war der Kauf perfekt. Für Blessing, der drei Monate zuvor die Nachfolge Müllers angetreten hatte, schien sich ein Traum zu erfüllen: Nun würde es eine zweite Großbank im Lande geben, eine, die vielleicht sogar der Deutschen Bank von Josef Ackermann im Heimatmarkt Konkurrenz machen könnte. Und mit ihm an der Spitze.
Vielleicht war der Ehrgeiz zu groß, sicherlich die Zeit zu ungünstig. Fest steht: Blessing erwischte das schlechteste Timing, das man sich für eine Übernahme nur denken kann. Und: Sein Zukauf brachte deutlich mehr Probleme, als er lösen konnte. Da mag er noch so oft beteuern, er würde es wieder tun: Seit dem Kauf der Dresdner ist Blessing praktisch nur damit beschäftigt, die Commerzbank am Leben zu erhalten. Mit aller Gewalt will er das Kapitel zu einer Erfolgsgeschichte umdichten und zieht dafür alle Register: Charme, Härte und Tricksereien. Auf keinen Fall sollen jene recht behalten, die ihn eindringlich gewarnt haben. Verlieren ist nicht die Welt des Martin Blessing.
Umso härter muss ihn die Kritik treffen, die im neuerdings entgegenschlägt - zuletzt auf der Hauptversammlung am vergangenen Mittwoch in Frankfurt. "Sie sind ein Totalversager", schimpfte da der Münchner Aktionär Richard Mayer. Der Aktienkurs der Commerzbank, sagte ein anderer, sei "ein Spiegelbild des unternehmerischen Versagens". Dass sie eine Dividende bekommen würden, sei so wahrscheinlich wie die Rückzahlung der Schulden der Griechen, meinte ein Anteilseigner.
Blessings Leidenszeit begann Mitte September 2008 mit dem Kollaps der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers. Im anschließenden Tornado an den Finanzmärkten brach die schöne Fassade der Commerzbank krachend zusammen. Ans Licht kamen Risiken und Ramschkredite in Milliardenhöhe.
So endete die Operation Großbank wenig glanzvoll unter dem Sauerstoffzelt des Staats: Mit gleich zwei Milliardenspritzen musste die Regierung die Commerzbank im November 2008 und im Januar 2009 vor dem Ableben bewahren. 18,2 Milliarden Euro gab der Staat insgesamt und bekam dafür ein Viertel des Geldhauses.
Aus dem talentierten Herrn Blessing war plötzlich ein Staatsbanker geworden, der Rücksicht zu nehmen hat auf die Befindlichkeiten der Politik. Dessen Gehalt auf 500 000 Euro gedeckelt wurde. Der in Berlin Abgeordneten die Kosten für seinen Dienstwagen erklären muss.
"Halbfertige Sachen liegen lassen, das geht nicht"
"Das Beste an 2009 ist, dass es vorbei ist", sagt Blessing über das wohl härteste Jahr seines Lebens. Dürr und grau war der sonst so durchtrainierte Manager zeitweilig geworden. Und dann hat er sich vor ein paar Monaten auch noch die Bänder gerissen, beim Joggen. Ob er gelegentlich ans Aufgeben gedacht habe?
"Nein", sagt Blessing, "niemals. Halbfertige Sachen liegen lassen, das geht nicht." So hat er es von seinem Vater Werner, einst Vorstand bei der Deutschen Bank, gelernt, und von seinem Großvater Karl, dem ehemaligen Bundesbank-Präsidenten. "Nur der Feige resigniert", hatte der im Frühling 1971 gerufen, in seiner letzten öffentlichen Rede.
Deshalb also ist Martin Blessing an diesem Morgen in Kiel und versucht, wie überall im Land, die Belegschaften der Commerzbank und der Dresdner Bank zu einer Einheit zu formen. Unter allen Umständen will er beweisen, dass der Kauf der Dresdner kein Fehler war. Die Integration des Geldhauses ist seine wichtigste Mission. Misslingt sie, ist die Bank erledigt. Und er irgendwie auch.
"Jetzt wollen die Mitarbeiter ihn sehen, ihn anfassen, sich sicher sein, dass er den Karren mitzieht, und zwar in die richtige Richtung", sagt Klaus-Peter Müller, der geschmeidig an die Spitze des Aufsichtsrats gerückt ist. Deshalb stellt sich Blessing im Ausbildungszentrum Königstein den Fragen der Kursteilnehmer, hört sich in München die Sorgen der Firmenkundenbetreuer an und besucht in Kiel die Filialen. Unermüdlich fragt er die Mitarbeiter, wo es hakt und was sie umtreibt. Wann immer er kann, reißt er sich das Jackett vom Leib und am liebsten auch noch die Krawatte.
Blessing weicht keinem unangenehmen Thema aus. Fragen, die er nicht sofort klären kann, schreibt er in ein ledergebundenes Notizbuch. Zurück in Frankfurt müssen seine Leute sofort die Antworten herausfinden, dann bekommen die Mitarbeiter ein persönliches Schreiben vom Chef: "Betreff Ihrer Frage "
Das macht Eindruck. Der Blessing hat den Laden im Griff, sagen die Mitarbeiter anerkennend, er versteht die Details - und zwar in beiden Häusern. Schließlich hat er, bevor er 2001 als Vorstand in die Commerzbank kam, ab 1997 das Privatkundengeschäft der Dresdner geleitet - und dort nach dem Abitur auch seine Banklehre gemacht. Er kennt beide Kulturen, die gelbe der Commerzbank mit ihrem latenten Minderwertigkeitskomplex, und die grüne der Dresdner mit ihrer leicht elitären Beraterbank-Attitüde.
Korrektur
Der Spiegel korrigiert seine in der ursprünglichen Version dieses Beitrags geäußerten Kritik an den Bilanzierungspraktiken der Commerzbank.
Wertpapiere wurden nicht vom sogenannten Handels- in das Bankbuch umgebucht. Es handelte sich um eine Umkategorisierung innerhalb des Bankbuchs, aus der Kategorie "Available for sale" in die Kategorie "Loans and Receivables". Dadurch wurden keine Milliardenabschreibungen vermieden, denn diese Umbuchungen haben keine Auswirkungen auf die Gewinn- und Verlustrechnung.
Da die Commerzbank im Jahr 2008 keine Abwertung auf ihre Schulden vorgenommen hat, gab es dadurch keine Ergebnisverbesserung um 3,1 Milliarden Euro. Entsprechende Hinweise im Geschäftsbericht dienten nur als Pro-forma-Rechnung. Deshalb sind auch Berechnungen, nach denen die Commerzbank einen Verlust in Höhe von sieben Milliarden Euro hätte ausweisen können, nicht richtig und somit hinfällig.
Das Kreditvolumen der fusionierten Commerzbank ging 2009 im Vergleich zu 2008 nur dann zurück, wenn man die Commerzbank und die Dresdner Bank für das Jahr 2008 zusammen betrachtet. Der vorgenommene Vergleich des Handelsbestandes und des Nominalwerts der Derivate bezog sich hingegen auf die Commerzbank von 2008 ohne Hinzurechnung der Dresdner Bank. Auch der sogenannte Value at Risk ging im Jahr 2009 zurück, wenn man die beiden Banken in der Berechnung berücksichtigt. Generell hat die Commerzbank die Risiken - seit der Übernahme der Dresdner Bank - deutlich reduziert.
Gerangel geben um Macht, Einfluss und Positionen
Die Dresdner Bank in Kiel ist nur wenige Meter von der Commerzbank entfernt. Offiziell ist noch nicht entschieden, welches der Gebäude aufgegeben wird und wer die gemeinsame Filiale führt. Wie überall, wo Filialen fusionieren, wird es Gerangel geben um Macht, Einfluss und Positionen.
Blessings Empfang bei der Dresdner fühlt sich ein paar Grad kühler an. Die Drehtür klemmt, in den Glasabteilen rollen Zigarettenkippen im Kreis. Angewidert drückt sich Blessing durch. "Huch, Sie kenne ich ja nur aus dem Fernsehen", erschrickt eine Kundenberaterin. Erst nach mehreren Minuten trudelt der Filialleiter ein. Keiner scheint richtig vorbereitet zu sein. Haben die Commerzbanker den Dresdnern nicht Bescheid gesagt? "Gerade habe ich durch die Buschtrommel erfahren, dass Sie da sind", sagt der Filialleiter. Blessing lächelt freundlich.
Wieder läuft er durch alle Büros, und niemand scheut sich, dem Chef von der wahren Welt da draußen zu erzählen. Er hört vom Überlebenskampf kleinerer Firmen, die eigentlich solide sind, aber im Sog der Krise darben. Er erfährt von erbosten Kunden, die auf ihre Steuerbescheide warten, und vom generellen Vertrauensverlust in die Bank.
Es lässt ihn nicht unberührt. Blessing ist trotz seiner Herkunft erstaunlich erdverbunden geblieben. Er habe ein "klares ethisch-moralisches Gerüst", sagt Müller. Anders als einige seiner völlig losgelösten Kollegen nimmt Blessing die Kollateralschäden wahr, die ein völlig außer Rand und Band geratenes Finanzsystem hinterlässt. Das bringt ihn ins Grübeln.
Das Monster muss domestiziert werden
Nicht, dass er das System als Ganzes in Frage stellt, das wäre zu viel verlangt von einem, der nach St. Gallen auch noch in Chicago studierte, der Hochburg der neoliberalen Wirtschaftswissenschaft, begründet von Milton Friedman. Seine Frau ist Partnerin in der Investmentbank Goldman Sachs, deren Vater Paul Wieandt war unter anderem Chef der Bank für Gemeinwirtschaft, und ihr Bruder Axel führte kurzzeitig die Skandalbank Hypo Real Estate. In solchen Kreisen übt man keine Kapitalismuskritik.
Umso bemerkenswerter ist Blessings Bekenntnis: "Der Markt ist nicht perfekt. Er ist mit Irrationalität behaftet und unterliegt auch fundamentalen Fehleinschätzungen." Nun muss das Monster domestiziert werden, da ist er ganz eins mit dem Bundespräsidenten Horst Köhler. "Nestbeschmutzer" schimpfen ihn einige seiner Bankerkollegen deshalb. Sie werfen ihm vor, seinem Großaktionär, dem Staat, nach dem Mund zu reden.
In der Öffentlichkeit gibt Blessing jedenfalls den einsichtigen Banker, er steht damit im Gegensatz zu Ackermann, der sich in Berlin ständig unbeliebt macht. Während der Chef der Deutschen Bank vor einer zu weit gehenden Regulierung der Finanzmärkte warnt, plädiert Blessing für strenge Regeln: Banken sollen mehr Eigenkapital halten und für die Kosten der Krise direkt haften. Es muss ausgeschlossen werden, "dass Banken und Firmen so systemrelevant werden, dass sie nicht pleitegehen dürfen".
Davon versteht er bekanntlich etwas.
Schließlich hat sich die Commerzbank erst mit dem Immobilien- und Staatsfinanzierer Eurohypo und später, unter Blessings Führung, mit der Dresdner Bank derart aufgebläht, dass die Bank gezwungen war, sich unter den staatlichen Rettungsschirm zu flüchten.
Es war kein Unfall, der da passierte: Die Commerzbank wusste genau, welcher Giftmüll in den Neuanschaffungen begraben lag.
Bei der Eurohypo saß die Commerzbank schon vor der Übernahme im Aufsichtsrat. Weil sie deren Interna bestens kannten, warteten sie das Ende der Buchprüfung vor Ankauf gar nicht ab.
Blessing hat schon als junger Mann von einer Großbank geträumt
Anders bei der Dresdner: Ab Mai 2008 konnte die Commerzbank die Geschäftszahlen der Dresdner Bank überprüfen. Umgekehrt durchkämmte die Allianz, der damalige Besitzer der Dresdner, die Bücher der Commerzbank. Alle zwei Wochen kamen die Verhandlungsführer zusammen und zeigten sich die beim anderen entdeckten Risiken. Der damalige Finanzvorstand der Dresdner rechnete Allianz-Chef Michael Diekmann aus, dass sich die Commerzbank den Ankauf gar nicht leisten konnte.
Auch bei der Commerzbank gab es Bedenken. Drei Monate lang durchleuchtete der zuständige Risikomanager Dirk Wilhelm Schuh, zusammen mit 60 Mitarbeitern, intensiv die Bücher auf Risiken des Deals. Die Ergebnisse, die er am 9. August 2008 präsentierte, waren für so manchen Vorstand schauerlich.
In der Bilanz der Dresdner Bank befanden sich Kreditderivate mit einem Nominalvolumen von 1,2 Billionen Euro. Eine Position von knapp 40 Milliarden Euro betraf rund 5000 Kreditnehmer, unter anderem hochriskante Zweckgesellschaften. Bei weiteren 48 Milliarden Euro fehlten detaillierte Informationen zu den zugrunde liegenden Sicherheiten.
Nach der Präsentation soll eine heftige Diskussion im Vorstand ausgebrochen sein. Angeblich stand die Idee im Raum, die Verhandlungen mit der Allianz auf Eis zu legen. Blessing dementiert das.
Aber kann es sein, dass der ehrgeizige Bankchef alle Warnungen in den Wind schlug, weil er den Deal unbedingt durchziehen wollte? Überliefert ist, dass Blessing schon als junger Mann von einer Großbank träumte. Im Bewerbungsgespräch bei der Dresdner antwortete er 1997 auf die Frage, was er als Chef zuerst tun würde: "Die Commerzbank kaufen."
Nun sollte es andersrum kommen, um jeden Preis, so scheint es. Wenige Wochen nach Schuhs Vortrag präsentierte das Risikomanagement der Bank am 26. August eine Vorstandsvorlage. Es ging um die Abschätzung der Risikovorsorge und der Ergebnisbelastung im Falle des Dresdner-Kaufs.
Drei Szenarien hatten die Manager errechnet. Im besten Fall würde die Übernahme sechs Milliarden Euro kosten, im schlimmsten zwölf Milliarden Euro. Angesichts dieser Summen hätte das Übernahmeprojekt eigentlich tot sein müssen.
Doch von da an wird die Sache nebulös. Ist die Vorlage überhaupt in die Planungsrechnung eingebaut worden? Und wenn ja, wie? Wurden diese Erkenntnisse dem Aufsichtsrat vorgelegt?
Blessing wird ziemlich ungemütlich, wenn diese Fragen gestellt werden. Er will keine Details nennen, er will überhaupt nicht darüber reden. Warum auch? Er hat sich am Ende durchgesetzt: Alle Vorstände und Aufseher stimmten der Übernahme zu.
Korrektur
Der Spiegel korrigiert seine in der ursprünglichen Version dieses Beitrags geäußerten Kritik an den Bilanzierungspraktiken der Commerzbank.
Wertpapiere wurden nicht vom sogenannten Handels- in das Bankbuch umgebucht. Es handelte sich um eine Umkategorisierung innerhalb des Bankbuchs, aus der Kategorie "Available for sale" in die Kategorie "Loans and Receivables". Dadurch wurden keine Milliardenabschreibungen vermieden, denn diese Umbuchungen haben keine Auswirkungen auf die Gewinn- und Verlustrechnung.
Da die Commerzbank im Jahr 2008 keine Abwertung auf ihre Schulden vorgenommen hat, gab es dadurch keine Ergebnisverbesserung um 3,1 Milliarden Euro. Entsprechende Hinweise im Geschäftsbericht dienten nur als Pro-forma-Rechnung. Deshalb sind auch Berechnungen, nach denen die Commerzbank einen Verlust in Höhe von sieben Milliarden Euro hätte ausweisen können, nicht richtig und somit hinfällig.
Das Kreditvolumen der fusionierten Commerzbank ging 2009 im Vergleich zu 2008 nur dann zurück, wenn man die Commerzbank und die Dresdner Bank für das Jahr 2008 zusammen betrachtet. Der vorgenommene Vergleich des Handelsbestandes und des Nominalwerts der Derivate bezog sich hingegen auf die Commerzbank von 2008 ohne Hinzurechnung der Dresdner Bank. Auch der sogenannte Value at Risk ging im Jahr 2009 zurück, wenn man die beiden Banken in der Berechnung berücksichtigt. Generell hat die Commerzbank die Risiken - seit der Übernahme der Dresdner Bank - deutlich reduziert.
Große Liquiditätslücke
Am 31. August entschied der Aufsichtsrat der Bank, dass Blessing die Bank, bei der er gelernt hatte und die ihn einst als Vorstand verschmähte, kaufen darf.
Doch schon wenige Wochen später - Lehman war bereits Geschichte - war die Not groß. Blessing ging auf die Allianz zu. Er wollte, dass die beiden noch nicht fusionierten Banken gemeinsam Staatshilfe beantragen. Die Allianz winkte ab: Die Dresdner brauche kein zusätzliches Kapital.
Doch bei der Commerzbank poppten jetzt immer neue Probleme hoch, besonders bei deren Tochter Eurohypo. Die hatte 192 Milliarden Euro langfristig an Staaten wie Griechenland verliehen, dies aber teilweise kurzfristig refinanziert. "Eine große Liquiditätslücke" hatte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG im Auftrag der Allianz schon im Sommer 2008 diagnostiziert. Auch gewerbliche Immobilienkredite in Höhe von 82 Milliarden Euro, davon 21,7 Milliarden Euro in den Problemländern USA, Spanien und Großbritannien, waren den Prüfern unangenehm aufgefallen. Zudem fanden sich im Commerzbank-Konzern strukturierte Wertpapiere mit einem Buchwert von 15,6 Milliarden Euro, die nun teilweise toxisch wurden.
Doch was taten die Investmentbanker? Sie nahmen ein paar Wertberichtigungen vor. Ihre Risikopositionen abzusichern kam ihnen nicht in den Sinn. "Lehman und die Folgen hatten wir so nicht prognostiziert. Wir haben nicht geglaubt, dass es bis unten durchbrennt", sagt Blessing.
Andere waren weitsichtiger, die Deutsche Bank wettete sogar massiv auf einen Zusammenbruch des US-Immobilienmarkts. Die Commerzbanker dagegen schauten beinahe tatenlos zu, wie ihre Positionen verdunsteten.
Am 3. November 2008 wurde das Versagen amtlich. Die Commerzbank musste sich Geld vom Staat borgen. 8,2 Milliarden Euro bekam sie als stille Einlage vom Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (Soffin) zugesagt. Es sollte nicht genügen.
Ende 2008 erreichte die Krise die Dresdner. Um die Fusion zu retten und den Versicherer Allianz aus dem Krisenstrudel rauszuhalten, spendierte die Bundesregierung weitere zehn Milliarden Euro inklusive einer 25-Prozent-Beteiligung an der Bank.
Das öffentliche Urteil war schnell gefällt: Die Commerzbank hatte sich mit der Dresdner übernommen, Blessing kassierte heftige Prügel von den Aktionären und den Medien.
Warum aber blieb fast unerwähnt, wie heruntergewirtschaftet die Commerzbank selbst war? Weil Martin Blessing, der talentierte Analytiker und begnadete Zahlenmensch, ganz offenbar den Primat der Commerzbank sicherstellen wollte.
Im Februar 2009 wies das Investmentbanking der Dresdner Bank plötzlich einen operativen Verlust von 6,3 Milliarden Euro für 2008 aus, während die Commerzbank mit 378 Millionen Euro Verlust gut dastand.
In Berlin ist der Zahlenmagier mit der Harry-Potter-Narbe auf der Stirn dennoch ein angesehener Gast. Blessing duzt sich mit Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen und Bundesbankchef Axel Weber, er versteht sich gut mit Angela Merkels Wirtschaftsberater Jens Weidmann. Kommunikation ist sein großes Talent und seine Schlagfertigkeit legendär.
"Die Sympathiewerte für Banken sind in letzter Zeit stark gesunken"
Das bekam auch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle zu spüren. Blessing hatte am 5. Mai Vertreter aus Politik und Wirtschaft zum Dialog in die Dependance am Brandenburger Tor geladen. "Wir wollen reden, schließlich sind die Sympathiewerte für Banken in letzter Zeit stark gesunken", begann Blessing. Dann sah er, wie Brüderle mit Daumen und Zeigefinger in seine Richtung signalisierte, wie gering die Wertschätzung sei. Blessing schaltete sofort: "Herr Brüderle hat uns gerade gezeigt, wie klein unser Vorsprung gegenüber den Politikern geworden ist. Das ist es ja gerade, was uns so besorgt macht!"
Das Publikum lachte, ein Punkt für Blessing, wieder mal. Früher, als junger Wilder, war er in der Bankenwelt geradezu berüchtigt für seine Direktheit. Heute ist er vorsichtiger geworden. "Aber ich will authentisch bleiben. Das wäre nichts für mich, mich dauernd zu verstellen."
Ein Ackermann will er ohnehin nicht werden, er mag ihn nicht, den mächtigen Chef der Deutschen Bank mit seiner Arroganz und dem ewigen Erfolg. Jo A. nennt er ihn, eine Anspielung auf J. R. Ewing, den gewissenlosen Ölmagnaten aus der TV-Serie "Dallas".
Vielleicht ist er aus purer Opposition gegen das gängige Bankerbild manchmal ein wenig zu bescheiden, ein wenig zu nett, etwa, wenn er bei einem Empfang losläuft und Getränke organisiert.
Seine billige Swatch-Uhr aber, das schwört er, ist kein Requisit seiner Anti-Ackermann-Ausstattung. An der sind die Russen schuld. Noch als Osteuropa-Vorstand verhandelte Blessing den Einstieg bei einer russischen Bank, als er merkte, dass seine Gegenüber ständig nach seiner Uhr schielten, um ihn einzuschätzen. "Ich dachte mir: Da kann ich mit den Oligarchen ohnehin nicht mithalten."
Auf Dauer aber helfen Blessing weder Demut noch Witz, er braucht dringend Erfolge. Bisher ist die Bilanz seiner Zeit an der Spitze der Commerzbank dürftig.
Die Commerzbank spielt schon wieder ungeniert im Casino mit
Nicht einmal die ersten positiven Nachrichten seit langem, ein Konzernüberschuss von 708 Millionen Euro im ersten Quartal, konnten die aufgebrachten Gemüter auf der Hauptversammlung beschwichtigen.
Denn wer genau hinsieht, erkennt: Ein Teil des Profits stammt nicht aus dem eigentlichen Geschäft, er ergibt sich aus der Neubewertung der Positionen der Dresdner Bank. Die hatte Blessing nach der Fusion aggressiv nach unten geschrieben und kann sie jetzt wieder aufwerten.
Einen anderen relevanten Teil hat das Investmentbanking verdient. Jenes Teufelszeug also, das Blessing wegen des hohen Risikos abzubauen versprochen hat - und mit dem Konkurrent Ackermann schon wieder Milliardengewinne erzielt.
Der Politik hatte Blessing zugesagt, den Investmentbereich zu halbieren - und damit auch das Risiko. Inzwischen aber werden wieder Händler eingestellt.
Ob die Politik das ahnte, als sie das Geldhaus rettete?
Doch Blessing braucht dringend Gewinne - um seine Aktionäre ruhigzustellen und um den Staat wieder loszuwerden. "Wir wollen spätestens 2012 beginnen, die stillen Einlagen zurückzuzahlen", sagt er.
Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Bisher konnte er noch nicht einmal die Zinsen bedienen. Das werde wohl auch 2010 nicht möglich sein, teilte sein Aufsichtsratschef Müller schon mal vorsorglich auf der Hauptversammlung mit.
Korrektur
Der Spiegel korrigiert seine in der ursprünglichen Version dieses Beitrags geäußerten Kritik an den Bilanzierungspraktiken der Commerzbank.
Wertpapiere wurden nicht vom sogenannten Handels- in das Bankbuch umgebucht. Es handelte sich um eine Umkategorisierung innerhalb des Bankbuchs, aus der Kategorie "Available for sale" in die Kategorie "Loans and Receivables". Dadurch wurden keine Milliardenabschreibungen vermieden, denn diese Umbuchungen haben keine Auswirkungen auf die Gewinn- und Verlustrechnung.
Da die Commerzbank im Jahr 2008 keine Abwertung auf ihre Schulden vorgenommen hat, gab es dadurch keine Ergebnisverbesserung um 3,1 Milliarden Euro. Entsprechende Hinweise im Geschäftsbericht dienten nur als Pro-forma-Rechnung. Deshalb sind auch Berechnungen, nach denen die Commerzbank einen Verlust in Höhe von sieben Milliarden Euro hätte ausweisen können, nicht richtig und somit hinfällig.
Das Kreditvolumen der fusionierten Commerzbank ging 2009 im Vergleich zu 2008 nur dann zurück, wenn man die Commerzbank und die Dresdner Bank für das Jahr 2008 zusammen betrachtet. Der vorgenommene Vergleich des Handelsbestandes und des Nominalwerts der Derivate bezog sich hingegen auf die Commerzbank von 2008 ohne Hinzurechnung der Dresdner Bank. Auch der sogenannte Value at Risk ging im Jahr 2009 zurück, wenn man die beiden Banken in der Berechnung berücksichtigt. Generell hat die Commerzbank die Risiken - seit der Übernahme der Dresdner Bank - deutlich reduziert.