Fußball Das Haus der Hoffnung
Die Hütte ist drei mal drei Meter groß, die Wände sind aus Beton, das Dach ist aus Wellblech, drinnen ein Bett und eine Öllampe, Fenster gibt es nicht, es gibt keinen Strom, keine Toilette und kein fließendes Wasser für die fünf Leute, die in der Hütte wohnen. Moskitos surren durch die Luft.
Die Sonne geht unter in Bamako, der Hauptstadt Malis, langsam weicht die größte Hitze aus der Stadt, Hunde bellen, der Muezzin ruft. Draußen vor der Hütte kocht die Mutter über dem offenen Feuer Maisbrei, die zwei Töchter sitzen im Staub, schälen Mangos, und Vater und Sohn sprechen über die Zukunft. Beide tragen das Trikot des AC Mailand.
In Mailand zu spielen, das könnte er sich schon vorstellen, sagt Amadou Kéita, der Junge, aber wenn er es sich aussuchen dürfte, dann würde er nach Barcelona gehen, zentrales Mittelfeld. Sein Vater streichelt ihm über den Kopf und lächelt, ein alter Mann, der als Portier arbeitet, der Schmerzen hat in den Knien, im Rücken, in der Hüfte.
Amadou schnappt sich einen Gummiball, er hält ihn hoch, 100-mal, 200-mal, abwechselnd mit dem linken und dem rechten Fuß, er lässt den Ball auf den Schultern springen, auf dem Kopf, dann spielt er ihn wieder mit den Füßen, und nie fällt der Ball auf den Boden.
"Ich will Profi werden, ich will mit Fußball Geld verdienen, um meiner Familie ein besseres Leben zu ermöglichen", sagt Amadou. "Meine Eltern sollen nicht in dieser Hütte sterben. Das ist meine Mission. Ich darf nicht scheitern." Er klingt seltsam ernst für einen 14-Jährigen.
Es ist ein weiter Weg von Bamako nach Europa, ein weiter Weg von einer dreckigen Straße in Mali zum AC Mailand, aber Amadou hat den ersten Schritt getan.
Er kann sich noch gut erinnern, wie das war, als er vor einem Jahr zum ersten Mal von dem weißen Mann hörte, der überall in Bamako Kinder sucht, die gut Fußball spielen können, die schnell sind, wendig, die den Ball beherrschen. Der Mann, ein Franzose, organisierte in der ganzen Stadt Turniere, Amadou spielte bei einem mit, am Ende wählte der Mann die besten fünf Kinder aus. 5 von 5000. Eines war Amadou.
Seit Anfang September besucht er nun eine Fußballakademie am Rand des Zentrums, das Ufer des Niger ist nah. Er trainiert auf einem gepflegten Rasenplatz, bekommt drei Mahlzeiten am Tag und schläft in seinem eigenen Bett.
"Maison bleue" heißt die Fußballschule, blaues Haus, wegen der hellblau getünchten Wände. Es ist eine Traumfabrik. Wer es dorthin geschafft hat, der hat die Chance, Profi zu werden in Spanien, England, Frankreich, Deutschland. "Mein Papa hat vor Freude geweint, als ich auf das Internat durfte", sagt Amadou.
Es gibt viele Fußballakademien in Afrika, für die einen sind sie ein Segen, für andere ein Fluch. In Schulen wie der in Bamako werden jene Spieler ausgebildet, für die sich die Profivereine aus Europa interessieren: jung, technisch versiert, athletisch. Und günstig.
Fußballer aus Afrika, dem Kontinent, auf dem kommende Woche die Weltmeisterschaft beginnt, sind eine begehrte Ware. Schon seit den Fünfzigern suchen Clubs aus Europa in Afrika nach Talenten, und in den vergangenen Jahren ist aus der Suche ein Millionengeschäft geworden. Etwa jeder vierte Ausländer, der für einen europäischen Club in der ersten Liga spielt, kommt aus Afrika.
Es ist ein Geschäft mit der Hoffnung, betrieben von seriösen Managern, aber auch von gewissenlosen Schiebern.
Die Afrikaner zieht es nach Europa, weil sie glauben, dort gebe es alles im Überfluss: Arbeit, Geld, Zuversicht. Einige Spieler schaffen es, sie werden zum Star, Mahamadou Diarra von Real Madrid, Samuel Eto'o von Inter Mailand, Didier Drogba vom FC Chelsea. Für die meisten aber erfüllt sich der Wunsch nach einem besseren Leben als Profi nie.
An einem Montag ist Amadou Kéita morgens um halb sechs in Bamako auf dem Weg zum Bus, der ihn zur Akademie bringt. Ein dünner Bursche in Fleecejacke, der einen blauen Rollkoffer zieht.
Das Internat liegt an der Avenue de l'Union Africaine, in einem verwinkelten Viertel, in dem es von Ersatzteilhökern wimmelt. Es ist ein mächtiger Klotz, der wie ein Raumschiff in der Gegend steht, zwei Etagen, Flachdach, auf dem Gelände war früher eine Mülldeponie. Im Hof der Schule gibt es ein Schwimmbecken, Papayabäume, Palmen. Der älteste Schüler ist 18, der jüngste 11, sie leben in der Akademie von Montag bis Samstag, Wecken ist um halb sieben, Bettruhe um halb zehn. Dazwischen haben sie zweimal Training und zweimal Unterricht, Französisch, Mathematik, Biologie, Physik.
Jean-Marc Guillou, der weiße Mann, der Besitzer der Schule, steht auf dem Balkon im ersten Stock. Er ist 64 Jahre alt, hat Arthrose in beiden Knien, die Haare sind dicht und grau, er trägt Sandalen. Unten auf dem Feld laufen seine "Académiciens", seine Schüler, zwischen gelben Plastikhütchen herum, den Ball eng am Fuß. Die Kinder reden nicht, sie lachen nicht, sie arbeiten. Es geht um viel. Die Trainer rufen ihre Anweisungen, sie wollen schnelle, kurze Pässe sehen, Dribbeln ist verboten, die Jungs spielen barfuß, wie immer. "Das stärkt die Muskeln und spart Geld", sagt Guillou. "Und die Kinder bekommen ein noch besseres Gefühl für den Ball."
"Afrikaner können sich überall gut anpassen"
Jean-Marc Guillou ist eine große Nummer im Geschäft mit afrikanischen Fußballern, vielleicht die größte. Er war selbst Profi, hat 19-mal für die französische Nationalmannschaft gespielt, er war Anfang der achtziger Jahre Trainer in Cannes, sein Assistent war Arsène Wenger, der heute Coach von Arsenal London ist. Guillou eröffnete 1994 sein erstes Internat in Abidjan, Elfenbeinküste.
"Ich habe mich für Afrika entschieden, weil es hier ein unerschöpfliches Potential gibt. Vergleichbar mit Südamerika. Aber in Südamerika mischt die Mafia mit", sagt Guillou. "In Afrika konnte ich alles allein aufbauen. Es war ein menschliches Abenteuer und ein wirtschaftliches."
Mittlerweile besitzt er Fußballschulen in Mali, Ghana und Madagaskar, in Ägypten und Algerien. 140 Spieler hat er aus Afrika nach Europa exportiert, zu seinen Schülern gehören Didier Zokora vom FC Sevilla, Kolo Touré von Manchester City, Emmanuel Eboué von Arsenal London, Arthur Boka vom VfB Stuttgart und Yaya Touré vom FC Barcelona. Bei der Weltmeisterschaft in Südafrika spielen 13 seiner ehemaligen Absolventen mit.
Die Regeln seines Systems bestimmt nur er: Jean-Marc Guillou steigt bei einem Club in Europa ein, dann lässt er seine Schüler für diesen Verein spielen, er nutzt ihn als Vitrine, und wenn ein anderer Club einen der Absolventen kauft, kassiert Guillou einen Teil der Ablöse. In der Regel zwischen 60 und 90 Prozent.
Zum ersten Mal hat er das 2001 so gemacht. Er übernahm die Kontrolle beim KSK Beveren, einem belgischen Erstligisten, der kurz vor der Pleite stand. Etwa 1,5 Millionen Euro steuerte Arsenal London bei, der Club seines alten Freundes Arsène Wenger war mit im Geschäft.
Belgien als Einfuhrtor für den Handel mit seinen Spielern zu wählen war clever. Im belgischen Fußball gibt es keine Ausländerbeschränkung, und die Auflagen für eine Aufenthaltsgenehmigung für einen Profi, der nicht aus der Europäischen Union kommt, sind relativ niedrig.
Guillou holte nach und nach über 30 seiner Talente nach Belgien, zeitweise standen elf Afrikaner für Beveren auf dem Platz. Er verkaufte sie weiter nach Frankreich, in die Ukraine, die Schweiz. 2006 beendete er das Projekt, vom Gewinn baute er die Akademie in Bamako.
Dort werden die Absolventen jeden ersten Dienstag im Monat gemessen und gewogen. Amadou Kéita, der Junge mit dem Rollkoffer, war 1,43 Meter groß und 30 Kilogramm schwer, als er ins blaue Haus kam, jetzt misst er 1,50 Meter und wiegt 33 Kilogramm Guillou kontrolliert so, ob sich die Kinder normal entwickeln.
"Wir wissen ja nicht, ob die Jungs wirklich so alt sind, wie sie behaupten", sagt er. Viele besäßen keine Geburtsurkunde, und der Pass, den sie vorlegen, der stamme vielleicht vom jüngeren Bruder. "Ein Zehnjähriger kann nicht 35 Kilogramm wiegen. Nicht in Afrika."
Sechs bis neun Jahre bleibt ein Schüler im Internat, je nachdem, in welchem Alter er aufgenommen wurde, die Eltern unterschreiben einen Vertrag, das Training, der Unterricht, Unterkunft und Verpflegung sind kostenlos. Guillou hat 1,6 Millionen Euro in den Bau der Akademie in Bamako gesteckt, die laufenden Kosten betragen 165.000 Euro im Jahr.
Das Geld muss wieder rein, darum wird Guillou auch an diesen Schülern verdienen, wenn er sie später an einen europäischen Club verkauft. Wie ein Fondsmanager setzt er auf steigende Aktienkurse, das ist seine Interpretation von der Globalisierung des Fußballs.
Seit 2005 hat er auch eine Fußballschule in Thailand. Arsenal London ist beteiligt, der Club hat die Option erworben, die zwei größten Talente zu verpflichten. Guillou arbeitet gern mit Arsenal London zusammen, der Verein, sagt er, sei "eine gute Werbung und eine Sicherheit für die Bank".
In der Akademie in Chonburi, etwa hundert Kilometer südöstlich von Bangkok, trainieren nicht nur Thais, sondern auch Afrikaner, sie kommen aus der Elfenbeinküste. Guillou hat sie vor vier Jahren nach Asien transportiert. Einer der Jungen war erst acht Jahre alt.
"Mein Gewissen ist rein", sagt Guillou auf dem Balkon in Bamako. Er verstoße gegen keine Regel und kein Gesetz, weil er die Kinder ja nicht an einen Club verkauft habe, außerdem seien die Eltern einverstanden gewesen. "Und der Kulturschock ist auch kein Problem. Afrikaner können sich überall gut anpassen."
Es gibt Politiker, die nennen Guillou einen Menschenhändler. Auch beim Fußball-Weltverband, der Fifa, ist man nicht gut auf ihn zu sprechen, es heißt, er sauge Afrika aus. Und für Lennart Johannson, den ehemaligen Präsidenten des Europäischen Fußballverbands, der Uefa, ist das Geschäft mit afrikanischen Talenten "Kindesentführung und nichts anderes".
Aber für die Jungs in Bamako ist Guillou ein Mann, der ihnen zu einem besseren Leben verhelfen kann.
Souleymane Diomande sitzt nach dem Training im Gras. Er ist 15 und war bis vor einem Monat auf der Akademie in Thailand, drei Jahre lang. In dieser Zeit hat er seine Familie einmal gesehen. Er ist zurückgekommen, weil sein Pass abgelaufen ist und er kein neues Visum bekommen hat.
Natürlich habe er Afrika vermisst, sagt er, "aber ich habe ein anderes Land kennengelernt, ich kann jetzt Englisch und Thai sprechen. Ich würde überall hingehen, um am Ende nach Europa zu kommen".
Ob er nicht das Gefühl habe, verschoben zu werden wie ein Container Kakaobohnen?
"Und wenn schon", sagt Diomande, "Monsieur Guillou hilft mir dabei, später viel Geld zu verdienen."
Auch Ibrahim Karaboué träumt davon, als Fußballprofi reich und berühmt zu werden. Man könnte sagen, er ist schon eine Stufe weiter als Souleymane. Denn Karaboué ist bereits in Europa angekommen, in Frankreich.
Er sitzt in einem Zug, von Paris Richtung Westen. Er hat breite Schultern, aber ein weiches Gesicht, er guckt aus dem Fenster, trägt eine Daunenjacke und dicke Kopfhörer, er hört Musik aus seiner Heimat. Er unterscheidet sich nicht groß von den übrigen jungen Männern im Waggon und führt doch ein ganz anderes Leben.
Ibrahim Karaboué ist 18 Jahre alt, er stammt aus der Elfenbeinküste. Im Dezember 2008 sprach ihn in Abidjan ein Spielerberater an, er stellte sich als Jean-Michel vor und fragte, ob Ibrahim in Europa spielen wolle. "Ich war total begeistert", sagt Ibrahim. Dann erzählt er seine Geschichte.
Jean-Michel verlangte von ihm eine Million westafrikanische Francs für die Reise, rund 1500 Euro. Karaboué lieh sich das Geld bei Freunden. Der Agent besorgte die Flugtickets und einen gefälschten Pass, der Karaboué älter machte. Am Flughafen bemerkte Karaboué, dass er gar nicht nach Europa fliegen sollte, er hatte ein Visum für Dubai. Er stieg trotzdem ins Flugzeug.
"Neokoloniale Ausbeutung"
In Dubai absolvierte er ein Probetraining. Der Club wollte ihn verpflichten, aber Jean-Michel, der Agent, konnte sich nicht einigen mit den Arabern. Sie reisten weiter.
Es ging nach Tripolis, in die Hauptstadt Libyens. Ibrahim spielte wieder vor, auf der Tribüne saß Saadi al-Gaddafi, der Sohn des Revolutionsführers. Er war begeistert von Ibrahims Kraft, von seinem Durchsetzungsvermögen, er schüttelte ihm nach dem Training die Hand. Einen Vertrag gab es für Ibrahim nicht.
Also weiter, jetzt nach Casablanca, Marokko. Zwei Wochen lang trainierte Karaboué bei einem Verein, dessen Name ihm so wenig sagte wie die vorherigen. Die Marokkaner wollten ihn haben, aber sein Berater lehnte das Angebot ab. Er erklärte, er habe Größeres vor mit Ibrahim.
Am 4. Januar 2009 landeten die beiden dann tatsächlich in Europa, auf dem Flughafen Paris-Orly. Sein Berater brachte Karaboué in ein Hotel, nahm ihm den Pass ab und sagte, er komme in zwei Tagen wieder.
"Es war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe", sagt Karaboué. Er war 16 Jahre alt und hatte 20 Euro in der Tasche.
Bereits vor über zehn Jahren warnte ein Report der Uno-Kommission für Menschenrechte davor, dass "ein moderner ,Sklavenhandel' mit jungen afrikanischen Spielern geschaffen wird". In Belgien ermittelte der Senator Jean-Marie Dedecker 442 Fälle von Menschenhandel mit nigerianischen Spielern; viele waren auf der Straße gelandet, einige sogar in der Prostitution. Und es gibt Berichte über 5000 Jungen, die in Italien eine Karriere als Fußballer starten wollten und verschwunden sind.
Ibrahim Karaboué ist noch da. Er spielt in Les Clayes-sous-Bois, achte Liga. Der Sportplatz, rote Asche, liegt außerhalb der Stadt, die meisten Spieler sind Schüler oder gehen in die Lehre, einige sind zu dick, fast alle haben vor dem Training noch schnell eine Zigarette geraucht, der Trainer arbeitet als Lieferfahrer. 15 Tore hat Ibrahim in dieser Saison schon geschossen, vielleicht steigt der Verein auf, aber er hatte sich das alles anders vorgestellt, als er die Elfenbeinküste verließ.
Ibrahim hat Europa erreicht, sein Ziel nicht. Er lebt in einem Wohnheim und hat ein Praktikum in einer Gärtnerei gemacht. Wenn man ihn fragt, ob er sich vorstellen könne, seinen Lebensunterhalt damit zu verdienen, Blumen zu pflanzen, wird er wütend: Er trainiere bald bei einem Zweitligisten mit, er rechne sich da was aus. "Ich werde der nächste Didier Drogba", sagt Ibrahim.
Für afrikanische Spieler, die nach Europa wollen, gibt es viele Möglichkeiten, aber keine Gewissheiten. Jean-Claude Mbvoumin weiß das, er kennt Ibrahims Odyssee, er half ihm, sich bei den Sozialbehörden zu registrieren. Er kennt noch Hunderte solcher Fälle, und immer geht es um geplatzte Träume, um die Gier der Spieleragenten, die Komplizenschaft der Vereine.
Mbvoumin ist 42 Jahre alt, kurzgeschorene Haare, spitzes Kinn, feinrasierter Bart. Er kommt aus Kamerun und spielte achtmal in der Nationalmannschaft, seit 16 Jahren lebt er in Frankreich, vor zehn Jahren gründete er die Organisation Foot Solidaire, die sich um Opfer des Handels mit afrikanischen Spielern kümmert.
"Ich habe einmal in der kamerunischen Botschaft eine ganze Mannschaft 14-Jähriger gesehen, alles Jungs, die von ihrem Agenten verlassen worden sind", sagt er. "Das war der letzte Impuls, etwas zu unternehmen." Er redet schnell, er hat keine Zeit zu verlieren, er will seine Botschaft loswerden.
Mbvoumin hat diesen Monat wieder eine Kampagne gegen Kinderhandel im Fußball gestartet, die Aktion wird unterstützt von der Afrikanischen Union und vom Nationalen Olympischen Komitee Frankreichs. Aber das Geld reicht nicht. Foot Solidaire hat nicht mal ein eigenes Büro, Mbvoumin arbeitet zu Hause.
Und er ist sich sicher, dass er nach der Weltmeisterschaft noch mehr Arbeit hat als ohnehin schon: "Afrika wird explodieren, weil dann noch mehr Leute wegen des Fußballs nach Europa wollen."
Deshalb reist er bald durch den Kontinent, er wird Vorträge halten im Senegal, in Mali, der Elfenbeinküste, wird Broschüren verteilen in Ghana und Kamerun. Er will den jungen Spielern und ihren Eltern erklären, dass Europa nicht das Paradies ist. Er will ihnen erklären, dass es Berater gibt, die Spieler ausnehmen, wie Schlepper es mit Flüchtlingen machen; will erklären, dass ein Probetraining nicht automatisch zu einer Verpflichtung führt; dass man nichts unterschreiben soll, was man nicht versteht.
Es ist ein Kampf, der nur schwer zu gewinnen ist. Etwa jeder zweite Schwarzafrikaner lebt von weniger als einem Dollar pro Tag, der Treck der Hoffenden, der nach Europa strebt, um es als Fußballer zu versuchen, reißt nicht ab. Und die Clubs suchen in Afrika zunehmend rücksichtsloser nach den Juwelen für die nächste Saison.
2001 erweiterte die Fifa die Transfer-Regeln um einen Artikel zum "Schutz Minderjähriger", seitdem gilt bei Wechseln ins Ausland eine Altersgrenze von 18 Jahren. Es sei denn, die Eltern begleiten den Spieler.
Doch die Clubs versuchen immer wieder, die Regel zu umgehen. So wollte der dänische Erstligist FC Midtjylland sechs Nigerianer für sich spielen lassen, 16 und 17 Jahre alt, die er als Gastschüler ins Land geholt hatte.
"Der Menschenhandel ändert sich jedes Mal, wenn die Regeln geändert werden", sagt Mbvoumin. Das größte Problem seien im Moment die Fußballschulen in Afrika: weil den Kindern etwas vorgegaukelt werde, weil man ihre Armut ausnutze, weil sie geplündert würden wie Bodenschätze.
Für den britischen Sportsoziologen Paul Darby sind es gerade die professionelleren Projekte in Zusammenarbeit mit europäischen Clubs oder westlichen Investoren, die ein Beispiel "neokolonialer Ausbeutung" darstellen. Ihnen gehe es einzig um die "Beschaffung, Veredelung und den Export von Rohmaterialien, in diesem Fall Fußballer".
In Bamako sitzt Jean-Marc Guillou, der Herr über die Talente in Mali, in seinem Büro im blauen Haus hinter einem Laptop, er wird wütend, wenn man ihn auf seine Kritiker anspricht. "Ich tue mehr für den afrikanischen Fußball als die Fifa. Es ist gut, dass es eine Organisation wie Foot Solidaire gibt, aber warum passieren überhaupt solche Dramen? Weil die Fifa den afrikanischen Kindern keine Chance gibt." Seine Stimme überschlägt sich fast. "Für afrikanische Kinder ist Fußball alles, wenn es mich nicht gäbe, würde Arthur Boka vielleicht am Straßenrand Schuhe verkaufen."
In den vergangenen Jahren ist es schwieriger geworden, afrikanische Spieler nach Europa zu exportieren, die Botschaften vieler westeuropäischer Länder vergeben nicht mehr so leicht Visa. Guillous Unternehmen wird dennoch expandieren. Er lässt in Bamako die Akademie erweitern, baut weitere sechs Zimmer mit insgesamt 24 Betten, dazu ein Restaurant mit Dachterrasse.
Guillou will in zwei, drei Jahren, wenn die ersten Absolventen aus Mali volljährig sind, wieder bei einem Club in Europa einsteigen. Ein Verein aus der zweiten Liga in Frankreich wäre gut, "am besten in der Île-de-France", weil die Region rund um Paris schön zentral liege. Für Spielervermittler, Agenten und Scouts gut zu erreichen. Er ist zuversichtlich, einen Club zu finden: "Ich komme nicht mit Geld wie ein russischer Milliardär", sagt er, "ich komme mit guten Spielern, die den Verein nichts kosten und die viel Geld wert sind."
Er öffnet eine Datei in seinem Computer, es ist die Prognose seiner kapitalistischen Planwirtschaft: "Ich gehe davon aus, dass von allen Schülern aller Akademien, die im Jahr 1992 geboren wurden, fünf den Sprung nach Europa schaffen. Jahrgang 1993: 3. Jahrgang 1994: 4. Jahrgang 1995: 29."
Amadou Kéita ist Jahrgang 1995. Er leert gerade den Mülleimer aus seinem Zimmer, das er sich mit drei anderen Absolventen teilt. Amadou ist in diesem Monat dafür verantwortlich, dass der Raum sauber ist, und er muss darauf achten, dass alle pünktlich ihr Handy beim Hausmeister abgeben, Telefonieren ist nur erlaubt zwischen 18 und 21 Uhr. Er soll so lernen, Verantwortung zu übernehmen, er soll die anderen führen wie ein Mannschaftskapitän.
"Es ist mir egal, ob Monsieur Guillou mit mir Geld verdient", sagt Amadou. "Er ist ein Freund, ein zweiter Vater. Er soll mich so berühmt machen wie Lionel Messi." Dann zieht er sich schnell um und geht zu seinen Mitschülern.
Sie sitzen vorm Fernseher, die Haare sind noch feucht vom Duschen, es läuft die Champions League. Bei jedem gekonnten Dribbling, bei einer gelungenen Kombination springen die Kinder auf, sie jubeln, sie ahmen die Bewegungen ihrer Vorbilder nach.
Die Jungs tragen Trikots, die hell leuchten in der Dämmerung: Real Madrid, AS Rom, Manchester United.
Amadou trägt wieder sein rot-schwarz gestreiftes Trikot vom AC Mailand. Als hülfe es, die Kleidung des Helden zu tragen, um dessen Stärke zu bekommen. Als sei das ein Weg, ein neuer Mensch zu werden. Ein Profi in Europa.
Vielleicht.