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Freiherr von Holz: Der lederne Tote

Foto: Wilfried Rosendahl / Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim

Archäologie Wiedergänger aus der Gruft

Ausgräber sind dem Rätsel der deutschen Adelsmumien auf der Spur. Seit der frühen Neuzeit wurden Leichname in Gewölben unter Schlössern und Kirchen konserviert. Was trieb die Reichen und Mächtigen zu dem bizarren Bestattungsritus? Löste Reformator Luther den Mumienkult aus?

Zu Lebzeiten war dem Freiherrn von Holz ein hartes Los beschieden. Im Dreißigjährigen Krieg kämpfte er als Söldner für das schwedische Heer. Der Heldentod auf dem Schlachtfeld war ihm allerdings nicht vergönnt. Bereits mit 35 Jahren starb der Kämpfer - wenig heroisch - an der Grippe oder einer Blutvergiftung.

Erst mit dem Tod besserte sich seine entbehrungsvolle Lage.

Die Angehörigen streiften dem Verblichenen kostbarste Stiefel aus Kalbsleder mit genagelten Sohlen über. Aufgebahrt wurde der Recke in einer Art Luxusgruft des fränkischen Schlosses Sommersdorf nahe Ansbach. In dem Gewölbe teilte Holz' Leichnam das Privileg ägyptischer Pharaonen: Sein Körper verweste nicht.

Gut 370 Jahre nach seinem Tod liegt der Edelmann noch immer gut erhalten in seinem Sarg. Holz war ein Hüne von 1,80 Meter Körpergröße; und das zu einer Zeit, als die Menschen von eher kleinem Wuchs waren. Seine Beine stecken auch heute noch in jenen edlen Lederstiefeln, die sein Clan ihm vor fast vier Jahrhunderten schustern ließ.

Unlängst verließ der Corpus erstmals seit seiner Bestattung den Schlosskeller. Archäologen der Reiss-Engelhorn-Museen  in Mannheim haben die Mumie gründlich untersucht. Seitdem steht fest, dass der gestiefelte Freiherr keinerlei äußere Verletzungen erlitten hat.

Als er an einer akuten Infektion verschied, war er grundsätzlich bei bester Gesundheit. Ungeklärt bleibt jedoch, warum der adelige Soldat überhaupt mumifizierte.

Nur wenige Wissenschaftler beschäftigen sich mit den ledrigen Toten, die hierzulande aus Hochmooren oder Kellergrüften geborgen werden. Alle paar Monate meldet sich etwa ein Baron oder Pfarrer bei dem Archäologen Wilfried Rosendahl, um einen Leichenfund unter seiner Burg oder Ortskirche zu melden.

Angesichts immer neuer Entdeckungen räumt Rosendahl ein: "Wir kennen die Geschichte der ägyptischen Mumien besser als das, was in unseren Grüften schlummert." Gerade erst vor wenigen Wochen hat der Forscher im schwäbischen Illereichen ein Gewölbe mit zwölf ausgezeichnet erhaltenen Körpern einer Adelsfamilie aufgespürt.

"Wir hatten lange keine Ahnung, warum diese Adelsgrüfte existieren"

Rosendahls Kollege Andreas Ströbl untersucht derzeit die Überreste jener hochwohlgeborenen Herrschaften, die im 18. Jahrhundert in einem Kellergrab unter der Johannes-der-Täufer-Kirche in Hannover-Wettbergen bestattet wurden. "Wir wissen, dass es diese Adelsgrüfte gibt, aber wir hatten lange überhaupt keine Ahnung, warum", bekennt Ströbl.

Verbrieft sind bislang etwa tausend Funde mumifizierter Leichen, die in deutschen Edelgräbern aufgebahrt sind. In den Kammern liegen Erwachsene und Kinder, deren Kleidung teils noch gut erhalten ist. Häufig enthalten die Särge sogar Grabbeigaben: Kämme, Gewürze, Münzen - und in einem Fall einen Rasierpinsel.

Die erstaunliche Fülle an Mumiengräbern bringt die Forscher zu dem Schluss, dass es sich um einen Ritus mit System handelt. "Lange habe ich die Meinung vertreten, dass die Mumifizierung eher eine zufällige Begleiterscheinung der damaligen Bestattungsform war", sagt Ströbl. Neuere Indizien legen einen anderen Schluss nahe: Ließen sich in der frühen Neuzeit viele Reiche und Mächtige ganz bewusst so bestatten, dass ihr Körper konserviert wurde?

Die Quellenlage ist dünn. Eine "heiße Spur" hat Ströbl immerhin ausgemacht. In einem Brief an den Vorstand der Berliner Parochialkirche aus dem Jahr 1710 erbittet eine Großmutter namens Catharina Steinkoppen für ihre verstorbene Enkelin, "erwehnte Leiche daselbst in dem Gewölbe unter der Kirche die Verwesung überstehen zu lassen". Der Vater des Kindes, "Hofrath von Schütz", stellt dafür die Zahlung der stattlichen Summe von zehn Reichstalern in Aussicht - zur damaligen Zeit immerhin das Jahresgehalt eines Kutschers.

Grabanlage mit hocheffektivem Belüftungssystem

Insgesamt 140 mumifizierte Körper liegen in der Gruft unter dem Gotteshaus nahe dem Berliner Alexanderplatz. Dass hier nur die Toten betuchter und hochangesehener Familien Einlass fanden, war schon länger bekannt. Dass die Kirchenoberen in Berlin mit Vorsatz das größte Mausoleum in Deutschland aufbauten, ist eine neuere Erkenntnis.

Nach Auftauchen des Bittbriefs haben die Forscher die Reichengruft in der historischen Mitte Berlins genauer untersucht. Sie entdeckten in der Grabanlage ein hocheffektives Belüftungssystem. Sämtliche Kammern sind durch kleine Schächte miteinander verbunden. Der unterirdische Friedhof war keine Modergruft, sondern stets gut durchlüftet.

Selbst in den kleinsten Kellergräbern fanden Rosendahl und Ströbl wohldurchdachte Lüftungsanlagen. Doch das war nicht der einzige Trick, um die Mumifizierung herbeizuführen. Die Bestatter polsterten die Särge mit Sägespänen aus, wodurch die aus dem Leichnam entweichende Körperflüssigkeit aufgesaugt wurde wie von einem Wattebausch.

Allerdings sind im Laufe der Zeit etliche der aufwendig gestalteten Grabstätten durch leichtfertige Baumaßnahmen zerstört worden. Nicht selten mauerten Handwerkstrupps aus Unkenntnis wichtige Luken zu.

Viele Kirchen verriegelten die Fenster zu ihren Grüften zudem, um Plünderer und Grabschänder abzuwehren. Damit war das Schicksal der historischen Grabstätten häufig besiegelt. Bricht die erforderliche Querlüftung ab, fangen die Mumien binnen Wochen an zu vermodern.

"Es gibt noch viele schwarze Löcher, die wir nicht füllen können"

Noch im Dunkeln tappen die Archäologen, warum sich die Reichen mumifizieren ließen. Auffällig ist: Zu 99 Prozent wurden die Gruftmumien in protestantischen Regionen gefunden. Die bisher bekannten Funde stammen aus Franken, Sachsen, Thüringen, Brandenburg, Norddeutschland und Berlin.

Erste Deutungsversuche unternimmt Reiner Sörries, Chef des Museum für Sepulkralkultur in Kassel. Er ist einer der wenigen Archäologen in Deutschland, die sich mit Begräbniskultur befassen. Sein Verdacht: Löste Reformator Martin Luther den neuzeitlichen Mumienkult aus?

Als Beleg zieht Sörries eine Stelle aus dem Buch Hiob heran, das von Luther volksnah übersetzt wurde: "Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebet und er wird mich hernach aus der Erde auferwecken und werde darnach mit dieser meiner Haut umgeben werden und werde in meinem Fleisch Gott sehen."

Womöglich begründeten vermögende Protestanten die Bestattungsmode aus Furcht, ihre Auferstehung könnte ausbleiben, wenn ihre sterblichen Überreste in der Erde verfaulten. "Es gibt noch viele schwarze Löcher, die wir nicht füllen können", räumt Sörries ein. "Denkbar ist, dass die Leute einfach auf Nummer sicher gegangen sind und den Leib lieber doch für den Jüngsten Tag erhalten haben."

Aberglauben war wohl in jedem Fall im Spiel. Die Hinterbliebenen umschlossen die Särge häufig mit gezackten Bändern, um die Toten am Aufstehen zu hindern. Groß war die Angst vor Wiedergängern, die aus ihrer Gruft steigen und sich über die Lebenden hermachen.

Die Forschergruppe um Sörries, Rosendahl und Ströbl will die Hintergründe der bizarren Bestattungsform nun genauer ausleuchten. Dazu gehört auch, die Lebensumstände der Toten zu ergründen. Exemplarisch haben die Forscher den Freiherrn von Holz in einen Computertomografen geschoben und sein Gesicht rekonstruiert.

Eine durchaus furchteinflößende Erscheinung

Demnach muss der hochgewachsene Krieger eine durchaus furchteinflößende Erscheinung gewesen sein: Holz besaß den kantigen Schädel eines Rugbyspielers und ein für die damalige Zeit erstaunlich gesundes Gebiss, mit dem er Nüsse knacken konnte.

Ähnliche Erkenntnisse erhofft sich Ströbl auch für jenen Kriminalfall, den er in der Familiengruft von Hannover-Wettbergen ausgemacht hat. Hier ruhen größtenteils Mitglieder der Adelsgeschlechter von Hansing und von Grone. Seltsam nur: Vier Söhne einer der Familien starben in vier aufeinanderfolgenden Jahren.

Hatte ein Virus die Söhne des Hauses in jungen Jahren dahingerafft? Oder war gar Mord im Spiel? Eine Weichteilanalyse soll Auskunft über den Zustand der Organe der vier Jungen geben.

Faszinierende Einblicke in die damalige Zeit bieten auch jene hervorragend erhaltenen 29 Mumien, die in einem Gewölbe unter der Klosterkirche in Riesa zu finden sind. Die Kirchengruft gilt Kennern als einzigartiges historisches Zeugnis der Mumifizierung in Deutschland. Baumaßnahmen im vergangenen Herbst lenkten die Aufmerksamkeit der Forscher auf das sächsische Adelsgrab.

Zu DDR-Zeiten war der Fundort notdürftig hergerichtet worden. Nun aber streitet der hiesige Kirchenvorstand darüber, wie mit dem Kulturdenkmal umzugehen sei. Einige wollen die nur über eine enge Treppe zugängliche Gruft als Attraktion für Touristen freigeben.

Identität der 29 Toten größtenteils geklärt

Doch die Mehrheit im Kirchenvorstand ist dagegen und will den öffentlichen Zugang strikt reglementieren. Nach wie vor können Besucher leichter zu dem einbalsamierten Körper des russischen Revolutionsführers Lenin auf dem Roten Platz in Moskau vordringen als zu den Risaer Mumien.

Dabei lässt sich kaum irgendwo sonst so authentisch jene Bekleidung studieren, die von den wohlhabenden Bürgern in früheren Jahrhunderten getragen wurde. Ein Mädchen etwa hat ein vollkommen erhaltenes Kleid aus Seide an. Auf dem Kopf trägt sie eine Schleifenhaube. Anderen Toten wurden Schlafhauben, Zipfelmützen und lange, kittelartige Gewänder übergezogen.

Die Identität der 29 Toten ist größtenteils geklärt. Nur bei dem mutmaßlich Prominentesten unter den Gruftbewohnern bestehen noch Unsicherheiten: Es soll sich um die Überreste von Ernst Otto Innocenz Freiherr von Odeleben handeln.

Der sächsische Offizier war enger Begleiter Napoleons. 1812 unterstützte er den Russland-Feldzug des französischen Feldherrn, der in einem Fiasko endete. Anschließend erlebte Odeleben auch noch die vernichtende Niederlage der französischen Armee 1813 bei Leipzig.

Eine genetische Untersuchung soll Klarheit in diesen Fall bringen. Anders als beim Freiherrn von Holz brauchen die Wissenschaftler bei Odeleben allerdings nicht nach Kampfspuren zu suchen, die zu seinem Tod geführt haben könnten.

Der Kriegsveteran arbeitete in seinen letzten Lebensjahrzehnten als Landvermesser und starb am Schreibtisch.

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