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Gesundheit: Geordnete Schließung

Foto: Oliver Berg/ picture alliance / dpa

Gesundheit Geordnete Schließung

Weil die Regierung keine Lösung für die Finanzmisere im Gesundheitswesen findet, droht zahlreichen Kassen der Bankrott. Steht die Branche vor einer Pleitewelle?

Herbert Schulz weiß, dass er abserviert wird. Er weiß nur noch nicht, wann. Neulich, bei einem Treffen am Frankfurter Flughafen, fragten ihn seine Verhandlungspartner, wie hoch der Preis sei, damit er zurücktrete als Vorstandschef der Krankenkasse City BKK. Schulz nannte keinen Preis. Er muss sich darüber selbst erst mal Gedanken machen und sich beraten lassen.

Der Chef der City BKK galt bisher als "Rambo" seiner Branche. Er legte sich mit Krankenhäusern an und feilschte um Rechnungen, er stritt sich mit Pflegediensten über Kosten und schickte den Arbeitgebern seiner Versicherten die Namen jener Ärzte, die am häufigsten krankschreiben.

Es nützte alles nichts. Die City BKK hat nicht nur ein dickes Minus in der Bilanz. Sie hat auch eine Vielzahl von Versicherten in der Kartei, die alt und krank sind, also hohe Behandlungskosten verursachen. Entsprechend gering sind die Chancen des Chefs, eine Kasse zu finden, die mit seiner fusionieren will. Die Klientel, sagt Schulz, "ist einfach zu schlecht".

Und so hatte Schulz bereits im April dem Bundesversicherungsamt (BVA) angezeigt, dass der City BKK die Pleite droht. Am 15. Juli läuft die gesetzliche Dreimonatsfrist aus, bis dahin muss Schulz eine Lösung präsentieren. Sonst wird die City BKK mit ihren 200.000 Versicherten als erste Kasse seit der Einführung des Gesundheitsfonds zerschlagen.

Nun herrscht Panik in der Branche. Kassenmanager und Gesundheitspolitiker fürchten den Beginn einer Pleitewelle. Rund elf Milliarden Euro könnte das Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung im kommenden Jahr betragen.

Um das Minus auszugleichen, müssten die Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung von derzeit 14,9 eigentlich auf 16 Prozent des Bruttolohns steigen. Doch das will die Regierung auf jeden Fall vermeiden. Was sie stattdessen will, weiß sie aber auch nicht, und so breitet sich die Angst aus unter den Kassenfunktionären der Republik.

Während Union und FDP am kommenden Wochenende auf einer Klausursitzung neue Sparmöglichkeiten ausloten wollen, geht es für immer mehr Kassen ums blanke Überleben: Gemeinsam mit der City BKK hatte auch die BKK Heilberufe dem Bundesversicherungsamt gemeldet, dass sie klamm ist.

Der Kassenriese DAK mit rund 6,3 Millionen Versicherten steht seit Monaten trotz regelmäßiger Dementis im Verdacht, Liquiditätsprobleme zu haben. Und der Verband der Ersatzkassen arbeitet an einem Frühwarnsystem, um drohende Insolvenzen zu erkennen.

"Wenn die Regierung nicht nachjustiert", warnt der Stuttgarter AOK-Vorstand Christopher Hermann, "kommt der große Crash."

Die Risiken für die Versicherten sind überschaubar. Wenn eine Kasse geschlossen wird, müssen sich die Mitglieder binnen 14 Tagen eine neue suchen. Dafür reicht in der Regel ein Telefonanruf. Keine Versicherung darf jemanden ablehnen, dessen Kasse pleitegegangen ist, selbst wenn er eine chronische Krankheit hat und teure Medikamente braucht.

So besehen ist gegen den Bankrott von Krankenkassen wenig einzuwenden. Es gehört zur Marktwirtschaft, wenn Unternehmen, die schlecht wirtschaften, aus dem Wettbewerb ausscheiden.

Das Problem ist nur, dass der Wettbewerb im vor einem Jahr eingeführten Gesundheitsfonds kaum funktioniert: Von der Pleite bedroht sind nicht nur jene, die schlecht wirtschaften, sondern auch solche Kassen, in denen die Falschen versichert sind. Und die Möglichkeiten der Versicherungen, sich dem Untergang entgegenzustemmen, sind so beschränkt wie in kaum einer anderen Branche: Sie können weder ihre Ausgaben noch ihre Einnahmen nennenswert beeinflussen.

Vor der Einführung des Fonds konnten die Versicherungen einfach die Beiträge erhöhen, wenn das Geld knapp wurde. Manche Unternehmen schraubten den Beitragssatz auf 17 Prozent hoch.

Doch seit 2009 bestimmt die Regierung die Höhe des Beitragssatzes: Derzeit sind es 14,9 Prozent. Wer mit dem Geld aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommt, darf zwar Zusatzbeiträge von seinen Mitgliedern verlangen, höchstens jedoch ein Prozent des Monatseinkommens. Im Nachteil sind deshalb Kassen, die vor allem Geringverdiener versichern.

Geplant war das Gegenteil: Der Gesundheitsfonds sollte das Geld unter den Kassen gerechter verteilen. Für alte Versicherte gibt es mehr Geld aus dem Fonds als für junge, für Kranke mehr als für Gesunde. Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich nennen das die Gesundheitsbürokraten. So erhalten die Kassen jeden Monat einen Grundbetrag von etwa 185 Euro pro Versicherten. Dazu kommen für jeden Bluthochdruck-Patienten 33 Euro, für Depressive 84 Euro und für schwer an Diabetes Erkrankte zusätzlich 180 Euro.

Es droht eine finanzielle Kettenreaktion

Doch der sogenannte Morbi-RSA, wie die Funktionäre ihre Erfindung liebevoll nennen, gilt nur für 80 Krankheiten. Und die Zuschläge decken auch nicht die tatsächlichen Behandlungskosten alter und mehrfach kranker Menschen.

Helmut Wasserfuhr, der Chef der Gemeinsamen BKK Köln, musste vergangenes Jahr zwei Bluter finanzieren, deren Medikamente so teuer waren, dass die Einnahmen durch die 30.000 Mitglieder nicht mehr ausreichten. "Die finanzielle Lage hat sich immer weiter zugespitzt", sagt Wasserfuhr. Vergangenes Jahr erhob seine Kasse als erste einen Zusatzbeitrag.

Die City BKK gehört ebenfalls zu den Verlierern. Mehr als die Hälfte ihrer Versicherten sind über 60 Jahre alt. Und während im Schnitt nur rund sieben Prozent der Versicherten einer gesetzlichen Kasse unter mehreren Krankheiten leiden, sind es bei der City BKK 16 Prozent.

Zudem ändert sich ständig die Höhe der Zahlungen aus dem Fonds. So hatte das Versicherungsamt der Kasse noch im ersten Quartal 2009 mitgeteilt, dass sie für jeden Versicherten im Schnitt 3265 Euro im Jahr erhält. Im dritten Quartal hieß es plötzlich, dass die Kasse nur noch mit 3170 Euro pro Versicherten rechnen könne, im ersten Quartal dieses Jahres wurden wieder 3465 Euro in Aussicht gestellt. "Wie soll man da vernünftig planen?", fragt Kassenvorstand Schulz.

Große Chancen, die medizinischen Kosten zu drücken, hat er nicht. Nahezu sämtliche Honorare und Verträge zwischen Ärzten, Kliniken und Versicherungen sind bundesweit einheitlich festgesetzt. So kommt es, dass jetzt immer mehr Kassen in Bedrängnis geraten.

Es droht eine finanzielle Kettenreaktion. Denn wenn eine Kasse in die Pleite rutscht, muss zunächst der jeweilige Kassenverbund für die Forderungen geradestehen, mit bitteren Folgen für die Mitglieder.

Niemand weiß das besser als Schulz' wichtigster Verbündeter, der Vorsitzende des baden-württembergischen BKK-Landesverbands, Konrad Ehing. Der Funktionär rechnet damit, dass die Schließung der City BKK rund 150 Millionen Euro kosten würde. Dieses Geld müssten alle Mitgliedskassen des Bundesverbands aufbringen. "Wir haben etwa zehn Millionen Mitglieder", rechnet Ehing vor, "das heißt, dass jeder BKK-Versicherte mit etwa 15 Euro zur Kasse gebeten würde." Diese Ausgaben müssen die Kassen aber von ihren laufenden Mitteln abzweigen.

Für große Kassen wie die Deutsche BKK würden sofort Beträge über mehr als 15 Millionen Euro fällig, für die BKK Gesundheit mehr als 20 Millionen Euro - Summen, die diese Kassen selbst in eine Schieflage bringen könnten. Ehing fürchtet deshalb, dass von der Schließung der City BKK ein Dominoeffekt ausgehen könnte.

Die Hoffnung der Branche ruht nun auf Gesundheitsminister Philipp Rösler. Wenn es dem FDP-Politiker gelänge, die Finanzlöcher zu stopfen, könnte manche Kasse vor der Insolvenz bewahrt werden.

Doch Rösler wird im kommenden Jahr bestenfalls zwei Milliarden Euro Steuergelder zusätzlich bekommen. Vier Milliarden will er bei Arzneimittelausgaben, Arzthonoraren und Klinikkosten sparen. "Total utopisch", ätzt bereits SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.

Zudem haben die kommunalen Kliniken gerade erst Lohnsteigerungen von zwei Prozent ausgehandelt. Die Ärzte bekamen 2009 gleich 3,5 Milliarden Euro mehr als 2007. Vergangene Woche verschickten vier große Kassen einen Brandbrief an Rösler, in dem sie vor einem weiteren Anstieg der Ausgaben durch die neuen Hausarztverträge um bis zu 1,5 Milliarden Euro warnen.

Natürlich könnten viele Kassen Kosten senken, wenn sie ihren aufgeblähten Verwaltungsapparat verkleinern würden. Doch der heutige Gesundheitsfonds führt mitunter auch diejenigen in die Pleite, die solide wirtschaften.

Die Verwaltungskosten der City BKK entsprechen dem Durchschnitt. Die Bundes-, Landes- und Kassenvorstände des BKK-Verbunds wollen sich nun an diesem Donnerstag in Berlin zusammensetzen. Sie müssten zur Rettung mindestens 50 Millionen Euro einsammeln, um die Schulden auszugleichen. Doch möglicherweise ist die Entscheidung längst gefallen.

In der vorvergangenen Woche trafen sich der Geschäftsführer des BKK Bundesverbands, Heinz Kaltenbach, BVA-Präsident Maximilian Gassner und Abteilungsleiter Ulrich Orlowski aus dem Bundesgesundheitsministerium mit dem Insolvenzberater Arndt Geiwitz, um über das Schicksal der maroden Kasse zu beraten. Kaltenbach schrieb nach der Sitzung noch eine E-Mail, die er um 21.56 Uhr an seine Vorstandskollegen schickte. Darin fasste er die Ergebnisse des Treffens zusammen:

"Dr. Gassner drängt in Abstimmung mit Herrn Dr. Orlowski (BMG) auf eine Kassenschließung der City BKK zum 1. 9. 2010", heißt es da. "Eine geordnete und vorbereitete Schließung wird für erforderlich gehalten." Große Spielräume gebe es nicht mehr. "Das Amt wird diese Kassenschließung kompromisslos durchziehen."

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