
ARD-Star Harald Schmidt Stirb langsam!
Mit Harald Schmidt ist es neuerdings ein bisschen wie mit Mon Chéri und den Piemont-Kirschen. Wenn die Dinger im Sommer aus dem Angebot verschwinden, merkt es eigentlich niemand, und wenn sie im Herbst mit großem Werbe-Tamtam zurückkehren, weiß man erst, was man zuletzt nicht unbedingt vermisst hat.
Vor sechs Wochen hat sich Harald Schmidt und sein spätabendlicher ARD-Solo-Talk in die sehr, sehr lange Sommerpause verabschiedet. Das Überraschendste daran: Selbst seine Fans haben die Abwesenheit ihres komödiantischen Hochkultur-Heroen nicht unbedingt bemerkt.
Wann hat man ihn eigentlich zuletzt bewusst gesehen? War nicht im Frühjahr mal Helene Hegemann bei ihm? Erinnert sich jemand an eine noch einigermaßen frische Pointe des Altmeisters?
Dass ausgerechnet er schon bald ganz aus dem Ersten verschwinden könnte, ist gar nicht mehr so unwahrscheinlich. Als vergangene Woche über den Top-Neuzugang im Ersten, Günther Jauch, gesprochen wurde, ging es um alle: Plasberg, Maischberger, Will. Nur über Schmidt schwiegen alle. Dabei ist dessen angestammter Donnerstag-Sendeplatz von dem großen Format-Revirement - ausgelöst durch eine Vereinheitlichung der "Tagesthemen"-Anfangszeiten - im Ersten ebenfalls bedroht.
Und wer dann doch mal nachfragte in Intendanten- und Gremienspitzen, erntete allenfalls Schulterzucken: Schmidt? Ach ja, den gibt's ja auch noch. Aber mag der überhaupt noch? "Er hat doch selbst keine Lust mehr und spielt viel lieber Theater", sagt ein ARD-Oberer.
Tatsächlich sah man den 52-Jährigen zuletzt fast öfter in seiner ersten seriösen Hauptrolle als zynischer Simulant Volpone am Stuttgarter Schauspielhaus. Die Kritiken waren durchwachsen, aber das mit dem Theater und der Medienaufmerksamkeit funktioniert noch immer wie früher beim Fernsehen: Schmidt spielt, die Feuilletons von "Süddeutscher Zeitung" bis "Sonntag aktuell" nörgeln und loben, und die Theaterkasse hat nur noch ein paar Restkarten.
Schmidts Vertrag endet im Herbst 2011
Die TV-Quoten bröckelten dieses Jahr allerdings zusehends, bisweilen unter die Millionengrenze. Dann kam zuletzt auch noch SWR-Intendant Peter Boudgoust und attackierte Schmidt fast schon beiläufig, als er sagte, die Verpflichtung von Jauch koste "keinen Cent mehr". Bei manchen Anstaltsoberen ließ das nur einen Schluss zu: "Von dem Versprechen führt die Spur eigentlich direkt zu Schmidt." Im Budget von Anne Will und Frank Plasberg ließe sich zwar theoretisch ein bisschen sparen, für einen Jauch aber reicht das nicht. Schmidts Vertrag endet etwa dann, wenn der von Jauch beginnt: im Herbst 2011.
Seine letzte echte Frechheit ist dagegen fast ein Jahr her: Damals lud er die Da-schon-Ex-Freundin seines Da-schon-Ex-Partners Oliver Pocher ein, um - so viel Hochkultur musste sein - eine Szene der "Blechtrommel" nachzuspielen: Er leckte ihr das sprutzelnde Brausepulver aus dem nackten Bauchnabel. Seit geraumer Zeit aber fängt der Skandal damit an, dass er ihn nicht mehr provoziert.
Vorbei die Zeiten, als Kulturbeflissene und ARD-Gremien sich über solche schönen Provokationen empörten und Intendanten sich für Schmidts Ausfälle rechtfertigen mussten - vom Nazometer bis zur Hitler-Parodie. Als die Rapperin Lady Bitch Ray ein Döschen mit angeblichem Intimsekret mitbrachte, strichen MDR und Bayerisches Fernsehen die geplanten Wiederholungen. Selbst der damalige Programmchef und Schmidt-Freund Günter Struve fand die Sache mit dem Sekret "ziemlich ui-jui-jui". Besser konnte es gar nicht kommen.
Mittlerweile wäre mancher bei der ARD dankbar, den teuersten Bartträger des Ersten überhaupt mal wieder vor irgendwem für irgendwas verteidigen zu dürfen. Doch über Belanglosigkeiten beklagt sich niemand.
Schmidt hat die Late-Night-Show in Deutschland fast im Alleingang etabliert. Jetzt scheint er sie im Alleingang mit nonchalanter Lustlosigkeit zu Grabe tragen zu wollen.
Eine schleichende gegenseitige Entfremdung
"Ich bin eigentlich immer dann am besten, wenn ich den Sender für den ich arbeite, wirklich hasse", hat er mal gesagt (SPIEGEL 25/2007). Gemessen daran, müsste er die ARD inzwischen wahnsinnig liebgewonnen haben, was aber wohl auch kaum der Wahrheit entspricht. Zu beobachten ist vielmehr eine schleichende gegenseitige Entfremdung.
Auf der einen Seite Schmidt, dem die alten ARD-Freunde und -Gönner wie Günter Struve in den vergangenen Jahren abhandengekommen sind. Stattdessen sitzen da nun eher glatte Hierarchen, die zudem auf neue Partnerschaften und Stars setzen, zuletzt auf Stefan Raab beim gemeinsamen Song-Contest-Erfolg. Auf der anderen Seite springen Schmidt nicht einmal die für ihn direkt Verantwortlichen bei.
Monika Piel, Intendantin von Schmidts federführendem WDR in Köln, bedauerte in einem Brief an ihren Rundfunk- und Verwaltungsrat zwar die Programmverschiebung des Senderlieblings Plasberg ("außerordentlich erfolgreiche und angesehene Sendung"), verlor aber kein Wort zur Zukunft ihres nächtlichen Gag-Lieferanten. Nicht einmal in den sonst so streitlustigen ARD-Spitzen gibt es eine offene Diskussion über die Zukunft von Schmidt.
Stattdessen blicken die Verantwortlichen inzwischen eher neidvoll auf den Erfolg der ZDF-Satire "heute-show" mit Oliver Welke am Freitagabend oder auf "Neues aus der Anstalt": Das gilt als bissig, witzig, grenzwertig.
Die Shows polarisieren. Welke-Partner Martin Sonneborn brachte mit einem Interview zuletzt sogar einen Pharma-Lobbyisten in peinliche Schwierigkeiten - und den chinesischen Botschafter in Berlin in Rage. Nicht immer die feine Art, aber oft Tagesgespräch.
Änderungen am Sendekonzept stehen nicht zur Diskussion
Schmidt dagegen laboriert mit allenfalls noch merkwürdigen Talk-Gästen. Da saß zuletzt mal ein pensionierter Münchner Polizist, mal der ZDF-"Morgenmagazin"-Spätschienen-Mit-Moderator namens Wulf Schmiese. Es ist nicht unbedingt das Umfeld, in dem einer wie Schmidt zu Hochform aufläuft. Doch Änderungen am Sendekonzept stehen für ihn und seine eher junge Begleittruppe angeblich nicht zur Diskussion. Bleibt höchstens der Sendeplatz.
Schmidt wieder zu einem echten Late-Night-Talker zu machen und die Show noch später am Abend auszustrahlen wäre womöglich sogar im Sinne des Hauptakteurs. Denn um die Uhrzeit verirrt sich ein Teil des Publikums von den privaten Kanälen zur ARD herüber.
Für die ARD aber wäre das ein ziemlich teurer Spaß zu später Stunde - denn dass Schmidt günstiger wird, je weiter der Abend fortgeschritten ist, kann nicht erwartet werden.
Von September an muss er noch 27 Sendungen absolvieren - bis Juni 2011. Aber schon in diesem Herbst werde man sich vertragsgemäß mit dem WDR zusammensetzen und über die weitere Zusammenarbeit sprechen, heißt es aus seiner Produktionsfirma, die Schmidt gemeinsam mit dem Ex-Sat.1-Boss Fred Kogel besitzt.
Erste Signale aus dem WDR, man freue sich auf die weitere Zusammenarbeit, soll es gegeben haben. Auch im Programmausschuss des Kölner Rundfunkrats am Dienstag vergangener Woche gab es bereits Fragen zu Schmidt. Am Freitag kam dann der Rundfunkrat zusammen, der WDR versicherte den Tagenden, man spreche bald mit Kogel und Schmidt. Doch vielerorts bei der ARD hält man einen neuen Vertrag für ziemlich unwahrscheinlich. Schmidt, so die allenthalben unterstellte Annahme, höre doch ohnehin auf, oder?
Und wenn man den derzeitigen ARD-Chef Peter Boudgoust fragt, was denn aus Schmidt werde, wenn dessen Vertrag nächstes Jahr auslaufe, sagt er: "Comedy und Satire werden auch weiterhin einen Platz im Programm haben. An welcher Stelle, in welcher Form und mit welchen Köpfen, schauen wir uns an. Natürlich reden wir auch mit Harald Schmidt über unsere und seine Vorstellungen. Uns geht es zuerst ums Konzept und dann um die Person, mit der wir das umsetzen. Wenn etwas nicht funktioniert, gehen wir vor wie der Bundestrainer und besetzen um."
Wenn das ein Bekenntnis pro Schmidt sein soll, hat er es sehr gut versteckt. Über seine Neuerwerbung Jauch spricht Boudgoust jedenfalls deutlich enthusiastischer.