
Archäologie: Woran starb Alexander der Große?
Archäologie Woche der Qualen
Der Feldherr fand ein grausames Ende. Ende Mai des Jahres 323 vor Christus ging es Alexander dem Großen von Tag zu Tag schlechter. Er war zunehmend verwirrt, sein Heer verstand seine Entscheidungen nicht mehr. Noch dazu trauerte er um seinen verstorbenen Geliebten Hephaistion.
Seine Pein ertränkte er mit unverdünntem Wein. Nach zwei durchzechten Tagen und Nächten schrie der Herrscher der Makedonen jählings auf: Ein stechender Schmerz durchfuhr seinen Oberbauch. Diener brachten den damals mächtigsten Mann der Welt mit hohem Fieber ins Schlafgemach. Jede Berührung brannte, als wäre sein Körper von offenen Wunden bedeckt. Unstillbarer Durst plagte ihn.
Nach einer Woche der Qualen konnte der König nicht mehr sprechen, nur noch Kopf und Finger bewegen. Am frühen Abend des 10. Juni schloss der selbsternannte Sohn des Zeus in Babylon für immer die Augen.
Bis heute streiten sich die Gelehrten, woran Alexander der Große starb: Lag es an einer chronischen Alkoholvergiftung? Hatte sich eine der Wunden infiziert, die er sich bei seiner letzten Schlacht zugezogen hatte? Litt er an Malaria oder Typhus?
Bald nach seinem Ableben tauchte aber auch schon der Verdacht auf, dass einer seiner vielen Feinde nachgeholfen habe. Ein abenteuerliches Gerücht brachten seine Gefolgsleute in Umlauf. In der griechischen Mythologie wies der Fluss Styx den Weg in die Unterwelt, den Hades. Mit Wasser aus jenem unheilvollen Jenseitsfluss, behaupteten seine Anhänger, sei ihr Herrscher vergiftet worden.
Eine gruselige Legende - doch sie könnte einen wahren Kern enthalten, wie die US-Historikerin Adrienne Mayor von der Stanford University herausgefunden hat. Zusammen mit der Toxikologin Antoinette Hayes fahndete sie nach einem Gift, das die beschriebenen Symptome verursacht haben könnte. Und die Forscherinnen wurden tatsächlich fündig.
Im Gestein unter dem Fluss Styx, so ihre Entdeckung, könnte sich das Bakterium Micromonospora echinospora massenhaft vermehrt haben. Der Mikroorganismus, so wurde vor einigen Jahren durch Zufall entdeckt, produziert das tödliche Zellgift Calicheamicin.
"Das Bakteriengift schädigt das Erbmolekül DNA", erläutert Mayor. "So kommt es zum Massensterben von Körperzellen. Erste Anzeichen sind Schwäche, Müdigkeit und Schmerzen. Im Endstadium versagen dann nacheinander rasch Leber, Niere, Blase, Lunge, Herz und das Nervensystem."
Zurück bleiben leblose Zellklumpen. Was Calicheamicin als Gift für Mörder so attraktiv macht: Es existiert kein Gegenmittel. Hat das Opfer erst einmal die tödliche Dosis eingenommen, ist das tagelange Sterben nicht mehr aufzuhalten. Und dabei genügt eine winzige Dosis: Calicheamicin ist bis zu 10.000-mal tödlicher als herkömmliche Zellgifte.
"Wahrscheinlich reicht eine Menge in der Größe einer kleinen Aspirin-Tablette schon aus, um einen Menschen unweigerlich zu töten", so Mayor. Die Historikerin hat weitere Indizien gesammelt, die den Mordverdacht erhärten. "Schon seit dem 8. Jahrhundert vor Christus gibt es Berichte, dass es tödlich sein kann, Styx-Wasser zu trinken", sagt Mayor. So beschrieb der griechische Dichter Hesiod, wie gefährlich es sogar für die Götter sei. Wenn ein Bewohner des Olymp einen Eid brach, musste er aus einem goldenen Becher Styx-Wasser trinken. Laut Hesiod eine grausame Strafe: Der Eidbrüchige litt an unstillbarem Durst, konnte sich nicht mehr bewegen und verlor seine Stimme - ganz wie Alexander bei seinem Tod.
Berühmt ist der Fluss Styx heute vor allem wegen seines spektakulären Wasserfalls. Aus der fast senkrechten südöstlichen Felswand des Bergs Neraidorachi stürzen die Fluten 200 Meter tief in eine enge Schlucht, von den Einheimischen Mavroneri genannt - schwarzes Wasser. Der griechische Reiseschriftsteller Pausanias berichtete bereits im 2. Jahrhundert nach Christus, warum das Styx-Wasser so gefürchtet war: Ziegen, die versehentlich daraus getrunken hätten, seien tot umgefallen.
Noch ist es zu früh, um endgültig von einem Giftmord durch verseuchtes Flusswasser auszugehen. Die beiden Forscherinnen haben deshalb den italienischen Hydrochemiker Walter D'Alessandro um Hilfe gebeten. Im nächsten Jahr will D'Alessandro eine Expedition zum Mavroneri-Wasserfall unternehmen, um für eine genaue Analyse Proben zu entnehmen.
"Ob Styx-Wasser den Tod Alexanders verursacht hat, kann heute noch niemand mit Gewissheit sagen", gibt Mayor zu. "Aber wir halten dies für eine recht wahrscheinliche Möglichkeit."