Global Village Schiffbruch in Dubai

Warum ein britischer Manager elf Wochen obdachlos in einem Park lebte.

Die Lobby des "Dubai Financial Market"-Turms ist ein kühler Ort aus Marmor und Glas, in dem schöne Leute geräuschlos durch Sicherheitsschleusen gleiten. Es sind Leute, deren Heimat ihr BlackBerry ist, sie sind gewandt, gut gelaunt, effizient an allen Einsatzorten des Globus. Global People.

Dubai

Leute wie Nicholas Warner. Er sitzt in einer Ecke des Café Costa vor einer Wasserflasche und einem übriggebliebenen Lachssandwich, das die Kellnerin vorbeigebracht hat. "Ich wollte Geld machen. Gutes Geld in speedy , zwei Minuten vom Strand", sagt er. "Es war der größte Fehler meines Lebens."

Nick Warner ist ein muskulöser 30-Jähriger aus der Grafschaft Kent, der sich als Kennzeichen eine Bulldogge auf den linken Oberarm hat stechen lassen. Niemand, der einem Bankangestellten längere Zeit mit schuldbewusst gefalteten Händen gegenübersitzen könnte. Das ist ein Teil seiner Misere. Warner weiß das.

Nick Warner ist obdachlos, ohne Papiere und ohne eine Idee, wie er seine Schulden loswerden soll. Er ist gestrandet in speedy Dubai: "Da hast du schnell keine Freunde mehr", sagt er.

Am 9. Januar 2009 landete Warner mit seiner spanischen Frau in Dubai. Ein Headhunter hatte ihn als Manager für ein großes Verlagshaus angeworben. Warner hatte schon in Mexiko und der Türkei gearbeitet. Auch bei Offshore-Firmen. Er kannte sich aus.

Wie am Golf üblich, musste die Jahresmiete im Voraus bezahlt werden. Ein Auto brauchten sie auch. Warner nahm einen Kredit auf, bei der größten Bank der Emirate. Sie wirbt mit dem Slogan: "Wohin die Welt zum Banken kommt".

Ein halbes Jahr später kündigte Warner, weil er ein besseres Angebot bekommen hatte. "Mein zweiter Fehler. Die neue Firma ging drei Wochen später pleite." Da sei sein Konto bereits gesperrt gewesen. Warner sagt, er habe das erst gar nicht gemerkt. Die Bank sagt, sie habe ihn vergeblich zu erreichen versucht.

Ein geplatzter Scheck ist im Emirat ein Offizialdelikt

Wenn der Job weg ist oder der Arbeitgeber pleite, geht es in Dubai sehr schnell: Visum ungültig, Konto gesperrt, Auto konfisziert. Das kann schon nach drei, vier Tagen passieren. Die Schulden auf der Kreditkarte jedenfalls wuchsen weiter. Die Warners fuhren über Weihnachten nach Hause. Im neuen Jahr sollte er bei einer Klinik für sanfte Medizin in Dubai anfangen.

Bei seiner Rückkehr wurden ihm schon am Flughafen Handschellen angelegt. In dem Emirat, deren Herrscher unter anderem bei Banken in London mit über 60 Milliarden Euro in der Kreide stehen, ist ein geplatzter Scheck ein Offizialdelikt, die Justiz gnadenlos. Als Sicherheit musste Warner seinen Pass hinterlegen. Im Pass steht die Aufenthaltsgenehmigung. Ohne Pass kann niemand legal arbeiten. Sein neuer Arbeitgeber, der sanfte Mediziner, lehnte jede Hilfe ab: Warner solle erst einmal gültige Papiere vorlegen, bevor er den Job antreten könne.

Um aber an seinen Pass zu kommen, braucht Warner eine Einverständniserklärung der Bank. Die Bank weigert sich: "Wir haben eine wichtige Verantwortung, die Interessen unserer Kunden und Anteilseigner zu schützen - eine Verantwortung, die wir sehr ernst nehmen." Warner habe das Land verlassen, ohne sie darüber zu informieren. Außerdem habe er sich "oft unkooperativ" gezeigt. Nicholas Warner hat das Pech, nun für alle mitbezahlen zu müssen, die Dubai während der Finanzkrise Hals über Kopf verlassen haben, verlassen mussten, ohne ihre Kredite abbezahlt zu haben.

Er verkauft alle Möbel, um die dringendsten Schulden zu bezahlen. "Als ich mit dem Geld ankam, sagten sie, das reiche nicht." Denn inzwischen waren Gebühren, Strafzinsen, Mahnkosten angefallen. Das ist der Moment, in dem seine Frau das Land verlässt und zurück zu ihrer Mutter nach Spanien zieht. Warner packt eine Tasche und fängt an, in den Grünanlagen am Creek zu übernachten. Duschen kann er bei einem Bekannten. Der Pakistaner vom Hühnchengrill gibt ihm doppelte Portionen.

"Wer Schulden hat, kommt in den Turm, statt sie abarbeiten zu können"

Dort im Park trifft er andere Leute. Eine Engländerin wohnt seit Wochen in ihrem Auto, weil ihr verschuldeter Mann ins Gefängnis gesteckt wurde. Warner entdeckt eine neue, verborgene Welt mitten in Dubai: "Da gibt es Hunderte Pakistaner oder Inder, die draußen leben, weil ihr Arbeitgeber die Löhne seit Monaten nicht bezahlt."

Die Bank sagt, sie habe Warner 110-mal zu kontaktieren versucht. Es habe "mindestens drei konkrete Angebote" gegeben. "Sie verlangten, ich solle alles widerrufen, was ich jemals über die Bank öffentlich erklärt hatte", sagt Warner, und: "Das mache ich aber nicht."

Die britische Botschaft hat ihm Geld gegeben: "Ich sollte mir einen Chickenburger kaufen. Das war's." Warner macht das System Dubai für seine Lage mitverantwortlich: "Es soll die neue Welt sein hier. Aber es ist wie in England im 18. Jahrhundert. Wer Schulden hat, kommt in den Turm, statt sie abarbeiten zu können."

Warner sitzt in der Costa-Cafeteria im Financial-Market-Gebäude. Er hat keine Ahnung, wie die Geschichte ausgeht.

Wäre seine Frau nicht, sagt er, würde er etwas anstellen. Um Asyl bei der iranischen Botschaft bitten, irgendetwas. Nur nicht mehr so hilflos sein.

Nach den ersten Berichten in der BBC und der Lokalzeitung "The National" haben Leute ihm Hilfe angeboten. "Einer sagte, ich könne seinen Porsche Cayenne geliehen bekommen, er hätte noch andere." Warner lehnte dankend ab. Jemand hat ihn jetzt in einem Zimmer untergebracht, in der Nähe des Fünf-Sterne-Hotels Downtown Dubai.

Neulich erkannte ihn eine Einheimische in der Metro, eine elegante Frau in ihrer schwarzen Abaja. Sie gab ihm die Hand. Sie sagte: "Sie leben in meinem Land. Es tut mir leid. I'm sorry."

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