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Von Steinigung bedroht: Kampf um die Todeskandidatin

Foto: Sean Gallup/ Getty Images

Iran Der erste Stein

Auch nach seiner Flucht kämpft der Teheraner Anwalt Mostafai für seine von der Steinigung bedrohte Mandantin Aschtiani. Ihr Fall ist dramatischer als bislang bekannt.

Schon wieder Koffer packen. Raus aus dem Zimmer unterm Dach. Weiterziehen. Mohammed Mostafai, 37, ist erschöpft, auch die kalte Dusche hat seine Müdigkeit nicht vertrieben. Aber nach knapp drei Wochen auf der Flucht besitzt Mostafai inzwischen immerhin einen Koffer. Bei seinem Marsch über die Berge in die Türkei trug er nicht mehr als einen kleinen Rucksack, gerade groß genug für seinen Laptop und einen Satz Unterwäsche.

Mit seiner wenigen Habe hockt der iranische Anwalt und Menschenrechtler - der selbst zu einem internationalen Menschenrechtsfall geworden ist - nun in einem kleinen Hotel in Oslo und fragt sich, wie es weitergeht.

Was passiert mit Fereschte, 32, und seiner Tochter Parmida, 7, die er in Teheran zurückgelassen hat? Kaum war er abgetaucht, hatten die Häscher des Regimes vorübergehend seine Frau und deren Bruder festgenommen. Und was wird aus Sakine Mohammadi Aschtiani, 43, seiner Mandantin aus Täbris, für die er sich so eingesetzt hat?

Mohammed Mostafai reibt sich die Augen, sie sind tief gerötet. Er hält seinen Teebecher fest umschlossen. Er hat nicht viel, woran er sich klammern kann - außer der Gewissheit, dass ihn Irans Justiz zum Schweigen bringen wollte. Zu oft hatte er ihre politischen Urteile, ihre archaischen Strafen angeprangert.

In seinem Tagebuch, aus dem der SPIEGEL im Juni Auszüge veröffentlicht hat, kritisierte er die Steinigung, die Todesstrafe für Ehebruch. Wenig später unterstützte er die internationale Solidaritätskampagne für Aschtiani und wagte sich damit endgültig zu weit vor. Aber auch jetzt, einsam im Exil, bereut Mostafai das Engagement für seine Mandantin nicht.

Er durfte sie nur ein einziges Mal im Gefängnis der nordiranischen Stadt Täbris besuchen. Es ist ein maroder Kasten, Aschtianis Zelle Nummer vier ein Wohn- und Schlafraum mit 25 Frauen. Doch selbst das, sagt Mostafai, sei leichter zu ertragen, als es ihre Ehe war. Von einem "stillen Martyrium" erzählt er; seine Mandantin, die er Sakine nennt, sei "wie eine Sklavin" behandelt worden. "Hass" habe sich aufgestaut, von "Ausweglosigkeit" befeuert. Eine Trennung sei wegen der "rückständigen Scheidungspraxis" in Iran für jemanden wie Sakine geradezu undenkbar gewesen.

Tatsächlich ist das iranische Familienrecht eine Diskriminierung in Paragrafen. Während Männer vor Gericht ohne Schwierigkeiten eine Scheidung einfordern können, müssen Frauen triftige Gründe anführen. Sie haben zu beweisen, dass ihr Mann entweder verschollen ist, den Unterhalt verweigert oder sie "bedrängt" - etwa durch Gewalttätigkeit. "In Iran gibt es viele Frauen wie Sakine, die ihrem Mann ausgeliefert sind", sagt Mostafai.

Seine Mandantin wählte einen verhängnisvollen Ausweg aus ihrem Leid: Sie suchte heimlich Trost bei einem anderen Mann, bei Nasser. Irgendwann muss der Ehemann wohl gemerkt haben, dass er betrogen wurde, und schaltete die staatlichen Sittenwächter ein. Mit Erfolg: Sakine wurde bei einem Treffen mit Nasser und einem weiteren Mann verhaftet. Die Begegnung reichte für ein Verfahren wegen "rabete namaschru", verbotenen Umgangs. Sakine erhielt 99 Peitschenhiebe für ihr sogenanntes Verbrechen. Die unverheirateten Männer traf es weniger heftig. Nasser bekam 40, der zweite Mann 20 Hiebe.

Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes hätte sich Sakines Leben zum Besseren wenden können. Doch die Polizei war misstrauisch. Und ihre Kinder, Sohn Sadschad, 22, und Tochter Faride, 17, hatten Nasser im Verdacht, ihren Vater ermordet zu haben. Sie drängten auf eine Untersuchung des Todesfalls. Dass sie damit gleichsam den ersten Stein auf ihre Mutter warfen, ahnten sie nicht.

"In Iran gibtes viele Frauen wie Sakine, die ihrem Mann ausgeliefert sind."

Denn die Ermittlungen ergaben nicht nur, dass tatsächlich Nasser ihren Vater getötet hatte. Die grausame Wahrheit, so Mostafai, sei auch, dass Sakine ihrem Geliebten Beihilfe zur Tat geleistet habe. Mit einem Schlaftrunk hatte sie ihren Mann betäubt, damit Nasser ihm eine Giftspritze setzten konnte, so erzählt es der Anwalt. Nach einer anderen Version wollte Nasser, unterstützt von Sakine, den Ehemann mit Elektroschocks töten.

Die Beihilfe haben Sadschad und Faride ihrer Mutter jedenfalls vergeben - um sie zu schützen. Sie nutzten eine Besonderheit des islamischen Rechts: Wenn ein Opfer oder dessen Angehörige eine Tat verzeihen, sind geringere Strafen zu verhängen.

Tatsächlich erging ein eher mildes Urteil, zumindest für Nasser, dem die Kinder gleichfalls Pardon gaben. Statt der Todesstrafe durch den Strang, die bei Mord vorgesehen ist, erhielt er zehn Jahre Gefängnis. Sakine, obwohl nur der Beihilfe schuldig, sollte ebenso lange sitzen.

Im Lichte des Mordkomplotts drängten eifrige Richter aber auch zu einer Neubewertung der außerehelichen Beziehung. Sie unterstellten Sakine nun "sena" - Sex außerhalb der Ehe. Vor allem die drei konservativen Kleriker in dem fünfköpfigen Gremium hätten auf dieses Urteil gedrängt, sagt Mostafai. Die Kinder beteuern, ihre Mutter sei "unschuldig".

Mahmud Ahmadinedschad

Wie häufig iranische Delinquenten - Oberkörper wie Kopf abgedeckt mit einem weißen Tuch - gesteinigt werden, ist unklar. Offiziell wurde der Vollzug der Strafe unter Reformpräsident Mohammed Chatami, Vorgänger des Eiferers , 2002 ausgesetzt. Dennoch gibt es aus den letzten Jahren Hinweise auf sieben Steinigungen - von sechs Männern und einer Frau, die ihre Ehepartner betrogen hatten.

Human Rights 

Ähnlich wie Sakine müssen in den Todeszellen des Regimes - das im vergangenen Jahr mindestens 402 Menschen hinrichten ließ - vielleicht einige Dutzend Verurteilte mit ihrer Steinigung rechnen. Bekannt sind nur wenige Fälle. Mahmood Amiry-Moghaddam, Mitbegründer von Iran und einer der ganz wenigen Vertrauten Mostafais in Oslo, kann 14 Namen nennen.

Wahrscheinlich wäre auch Sakine Aschtianis Fall nicht ins Blickfeld der internationalen Öffentlichkeit geraten, wäre ihr Passfoto nicht Menschenrechtsaktivisten zugespielt worden - von ihrem Sohn, wie Anwalt Mostafai sagt. So wurde seine Mandantin zur Ikone der "Stoppt die Steinigung"-Bewegung und der Anwalt Opfer des Justizapparats. Durch mehrere Vorladungen misstrauisch geworden, setzte er sich in die Stadt Choi im Nordwesten des Landes ab. Von dort brachten ihn Fluchthelfer mit einem Geländewagen ins Grenzgebiet zur Türkei. Allein huschte er dann in der Dunkelheit über die Berge.

An die 3000 Dollar verlangen Schleuser in der Regel für ihre Dienste, Hunderte Oppositionelle haben sie seit den Protesten gegen die umstrittene Wiederwahl von Präsident Ahmadinedschad im Juni 2009 schon in Anspruch genommen. Die Fluchthilfe für ihn sei "ein Freundschaftsdienst" gewesen, sagt Mostafai. Nur ein anatolischer Bauer, auf dessen Pferd er bis zur Stadt Van gelangte, forderte 70 Dollar.

Während Mostafais Mitstreiter in Teheran noch darüber spekulierten, ob der Geheimdienst ihren Kollegen verschleppt habe, war der bereits in Istanbul gelandet. Von dort wollte er nach Oslo fliegen, wo er schon mal "drei schöne Tage" mit seiner Frau verbracht hatte.

Statt im Flieger nach Skandinavien landete Mostafai wegen illegaler Einreise in einer Polizeizelle am Istanbuler Flughafen - und fürchtete fast eine Woche lang, an Iran ausgeliefert zu werden. Vernehmungsbeamte berichteten ihm von einer iranischen Delegation, die eigens angereist sei, um ihn wohl zurückzuholen. Regimekritiker aus Iran wurden bislang zwar noch nicht abgeschoben, doch sie sind in der Türkei auch nicht willkommen: Sie belasten die derzeit guten Beziehungen zwischen Ankara und Teheran.

Erst als eine türkische Zeitung nach vier Tagen über Mostafais Festnahme berichtete, sorgte die Meldung für diplomatischen Druck aus Europa. Auch die USA sollen sich für ihn eingesetzt haben, inklusive Aussicht auf politisches Asyl. Doch Mostafai flog lieber nach Oslo - mit einem Visum, das er sich vor Monaten bei der norwegischen Botschaft in Teheran besorgt hatte.

Mostafai will nicht um Asyl bitten, er will die Chance auf Rückkehr wahren. "Ich liebe Iran", sagt er, und schon jetzt klingt Heimweh an. Allerdings gibt ihm das Regime in Teheran wenig Hoffnung. Im Staatsfernsehen wurde seine Mandantin als hinterhältige Gatten-Mörderin vorgeführt. Vom Ehebruch, für den sie gesteinigt werden soll, kein Wort. Dafür wirft sie ihrem Anwalt vor, er habe ihren Fall bekannt gemacht und damit "Schande" über sie gebracht. Menschenrechtler wie Amiry-Moghaddam halten den Auftritt für "erzwungen". Ein Propaganda-Vorspiel zu Aschtianis Exekution?

Mostafais Helfer richten sich darauf ein, dass er noch lange in Norwegen bleiben wird. Deshalb muss er jetzt für die nächste Station packen: ein kleines Apartment in Drammen. In einer halben Stunde kann er von dort mit dem Zug in Oslo sein - um, wie er es für Anfang dieser Woche geplant hat, der Welt über die barbarische Strafe zu berichten, die seiner ehemaligen Mandantin droht. Mostafai hat den Kampf für Sakine noch nicht aufgegeben.

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