Gesundheitswesen Sauber umgangen

Operationsbesteck im Krankenhaus: Nicht steril, aber billig
Foto: Friso Gentsch/ picture alliance / dpaBarbara Huber hat Schmerzen, immer noch. Aber nicht dem Arzt, der ihr nach ihrem Badeunfall den Unterschenkel nähte, macht sie einen Vorwurf. Sondern der Leitung des Klinikums Bogenhausen in München: Dass ihr nach einer Infektion am Ende ein Stück Haut transplantiert werden musste, führt Huber auf schlechte hygienische Bedingungen zurück.
Die damaligen Geschäftsführer des Städtischen Klinikums München hatten ihren Chirurgen über Monate verschmutztes Besteck in die OP-Säle liefern lassen, Beschwerden und ein externes Gutachten ignoriert. Der Dienstleister, der die Scheren und Skalpelle säuberte, arbeitete laut Gutachten zwar nicht steril, aber billig.
Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft München gegen unbekannt, drei Manager wurden fristlos entlassen. Die neue Leitung sagt, dass nach derzeitigem Kenntnisstand keine Patienten geschädigt wurden, räumt aber Fehler ein.
Das Problem beschränkt sich nicht auf München. Bis zu 40.000 Menschen sterben jährlich, weil sie sich mit Krankenhauskeimen infizieren. Das schätzt die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH). Patienten infizieren sich durch nichtsteriles OP-Besteck, häufiger durch Fehler des Pflegepersonals. Mikroben können auf den ganzen Körper übergreifen, dann endet die Infektion oft tödlich.
Das Robert Koch-Institut (RKI) wird im Herbst gemeinsam mit dem Nationalen Referenzzentrum für die Überwachung nosokomialer Infektionen (von Griechisch nosokomeion: Krankenhaus) eine aktuelle Hochrechnung veröffentlichen. Danach haben sich 2008 etwa 600.000 Patienten infiziert. Klaus-Dieter Zastrow von der DGKH geht von bis zu einer Million Infektionen aus. "Wir wissen eigentlich genau, wie wir diese Fälle verhindern könnten", sagt Zastrow, "aber die Politik schafft die Voraussetzungen dafür nicht."
Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation kommt zu dem Schluss, dass sich 30 Prozent der Infektionen verhindern ließen. Kliniken müssten ihre Infektionsfälle zählen und analysieren, um mögliche Keimquellen auszumerzen.
Zudem empfiehlt das RKI eine Reihe von Präventionsmaßnahmen. Dazu zählen regelmäßiges Händewaschen und -desinfizieren, sorgsamer Umgang mit Lebensmitteln, ordentliche Gebäudereinigung und die richtige Entsorgung von Abfall.
Jede Pommesbude müsste dichtmachen, hielte sie sich nicht an Hygieneregeln. Für Krankenhäuser sind es meist Empfehlungen, mehr nicht. Die Krankenkassen sind aufgebracht. Die AOK fordert die Möglichkeit, nur noch mit bestimmten Kliniken Verträge abzuschließen. Auch die Techniker Krankenkasse will das. Bisher ist es rechtlich aber nicht möglich.
Die Barmer GEK, die jährlich die Behandlungskosten für 75.000 Versicherte mit einer nosokomialen Infektion übernehmen muss, hat jüngst an die niedersächsische Ministerin Aygül Özkan geschrieben. Özkan ist Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz der Länder und damit hauptverantwortlich für die 2080 deutschen Krankenhäuser.
Denn Krankenhauspolitik ist Ländersache. Das ist das erste Problem. Es steht jedem Bundesland offen, ob es eine Krankenhaushygieneverordnung erlässt, die vorschreibt, die Richtlinie des Robert Koch-Instituts einzuhalten. Das haben bisher nur fünf Bundesländer getan: Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Sachsen. Die Barmer GEK hat Özkan nun aufgefordert, eine bundeseinheitliche Hygieneverordnung auf den Weg zu bringen. Bislang konnten sich die Minister nur auf Rahmenprogramme einigen. So unterstützten die Gesundheitsminister die Bildung regionaler Netzwerke, in denen sich Kliniken und Pflegeeinrichtungen gegenseitig beraten könnten.
Martin Mielke, Leiter des Fachgebiets Infektions- und Krankenhaushygiene am Robert Koch-Institut, hält das für richtig, fordert aber mehr: "Dreh- und Angelpunkt ist die Klinikleitung. Es geht nur mit den richtigen Personalstrukturen, und die müssen von der Leitung gelegt werden." Das ist das zweite Problem dieser Debatte. "In vielen Kliniken hat die Leitung überhaupt keine adäquate Ausbildung", sagt der Münchner Chefarzt Tomas Hoffmann, der mehrere Jahre auch für städtische Kliniken gearbeitet hat.
Auch in den Aufsichtsräten sitzen hauptsächlich Menschen, die keine medizinische Ausbildung haben, dafür aber gute Kontakte zum Gesundheitsamt. Das ist das dritte Problem. Im Prinzip wird jede Klinik vom zuständigen Amt überwacht. Die Ämter sind jedoch "überlastet", sagt Hoffmann, und "nicht ausreichend kompetent", sagt Zastrow.
Ähnlich denkt Burkhard Kirchhoff, der mit seiner Weilburger Kanzlei Geschädigte vertritt. "Es gibt Kliniken, die haben den Landrat im Aufsichtsrat sitzen, der gleichzeitig für das Gesundheitsamt zuständig ist." Er fordert eine unabhängige Bundeskontrollbehörde. Doch gibt es wohl nur ein wirksames Rezept: die interne Kontrolle durch qualifiziertes Hygienepersonal in jeder Klinik. Bisher beschäftigen 60 Prozent aller Kliniken Hygienefachkräfte, gerade einmal 10 Prozent einen Hygieniker.
Um die Länderhoheit zu umgehen, könnte die Regierung eine bessere Hygienekontrolle auch im bundesweit gültigen Infektionsschutzgesetz verankern. Für den Fall hat aber der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Georg Baum, schon mal klargemacht: "Die Krankenhäuser erwarten vom Gesetzgeber, dass die Arbeit eines für die Krankenhaushygiene zuständigen Arztes voll refinanziert wird."
Etwa 150.000 Euro kostet ein Hygieniker jährlich, inklusive aller Nebenkosten. Zum Vergleich: Die Vivantes Kliniken haben ein Umsatzvolumen von 785 Millionen Euro. Außerdem würden sich die Investitionen nach kurzer Zeit auszahlen, heißt es beim Robert Koch-Institut: durch weniger Pflegetage, weniger Medikamente und weniger Verbandsmaterial. Als "Frechheit" bezeichnet Zastrow daher die Forderung der DKG. "Von einer Verbesserung der Hygienesituation profitieren wirklich alle, außer vielleicht die Antibiotika-Industrie."